Eine Kurzkritik von Bernhard Schießl zu Human Flowers of Flesh (Helena Wittmann, D/F 2022)
Der neue Film von Helena Wittman mit dem besonderen Titel Human Flowers of Flesh ist ein Film zum Einschlafen. Warum dies nicht negativ gemeint ist möchte ich in dieser Kritik erläutern.
Wenn man Helena Wittmans Erstlingslangfilm Drift gesehen hat, weiß man von der besonderen Erzählweise der deutschen Filmemacherin. Da sieht man Einflüsse, die an Chantal Akerman erinnern – und die Sachlichkeit aus der Berliner Schule à la Schanelec, Petzold, Arslan. Doch da ist noch etwas anderes. Den Wittmann ist verträumter und verspielter, wenn nicht sogar romantischer als ihre vorher aufgezählten Kolleg*innen – und genau das lässt ihre Filme herausstechen. Ida, eine Frau mittleren Alters, segelt mit fünf Männern und ihrem Boot über das Mittelmeer. Gesprochen wird nicht viel. Gelebt wird auf engstem Raum. Dennoch fühlte ich mich als Zuschauer nie einsam. Zu Ida und den verschiedenen Männern auf dem Boot gibt es quasi kein Hintergrundwissen; eine Motivation lässt sich ebenso wenig erkennen. Das Tempo des Filmes treibt dahin wie das Boot am Mittelmeer. Wir sind mit den Filmfiguren im Moment, die Vergangenheit haben wir hinter uns gelassen. Die Gruppe kommt in Algerien an, genauer in Sidi bel Abbès. Mehr kann ich zu dem Film nicht sagen, da ich mich, ab dem Zeitpunkt an dem sie anlegten, nur noch an Fragmente des Filmes erinnern kann. Denn ab da bin ich im Kinosaal eingeschlafen.
Zu Beginn schon fiel mir Helena Wittmans besondere Beziehung zum Meer auf. In Drift ist das Meer auch ein Hauptschauplatz. Auch in Human Flowers of Flesh wird das Meer, bzw. das Boot, in dem die Crew durch das Wasser segelt, selbst zur Figur. Wittmans Erzählweise wirkt wie eine skizzenartige Zeichnung, die man zufällig gefunden hat. Fremd und doch persönlich regt sie zum weiterdenken an. Die Szenen sind nüchterne Fragmente, die viel Interpretationsfreiraum lassen. Wir treiben mit dem Boot mit. Das wegbleibende Narrativ macht den Film nicht langweilig – eher beruhigt es, keiner linearen Erzählung folgen zu müssen. Sobald man sich von den klassischen Erzähl- und Dramaturgiekonventionen verabschiedet hat, lässt einen Human Flowers of Flesh tiefenentspannen. Zu der Stimme Denis Lavants bin ich kurz vor Ende des Filmes aufgewacht – und habe mich schon lange nicht mehr so erholt gefühlt. In der 46 Ausgabe des Filmmagazins Revolver schreibt Wittman in ihrem Text mit dem Namen »Beschwörung« über einen Tag am Set des Films (auf dem Boot also). Sie schreibt über „das grüne Leuchten“, das einerseits ein seltenes Naturphänomen bezeichnet, bei dem die Sonne im letzten Moment des Sonnenuntergangs, bevor sie ganz verschwindet, für einen Bruchteil (streichen: von) einer Sekunde grün blitzen sieht. Andererseits ist Das grüne Leuchten der Filmtitel von Éric Rohmers fünftem Film aus seinem Zyklus Komödien und Sprichwörter – ein Film, von dem Wittman sagt, sie hätte ihn immer und immer wieder gesehen. Wittmann schreibt von ihrer jahrelangen vergeblichen Suche nach diesem grünen Leuchten. Und dass sie bei Human Flowers of Flesh die Endszene des Filmes von Rohmer auf ähnliche Weise nachdrehen wollte. Kurz bevor die Sonne unterging und die letzte Szene fertig abgedreht war, entschied sich Helena Wittmann, mit noch 6 Metern analogem Material in der Kamera, für einen letzten Take: im Bild die untergehende Sonne.
Wittmann beschreibt, wie sie genau dieses jahrelang gesuchte grüne Leuchten am Horizont für einen Bruchteil einer Sekunde mit ihrer Kamera eingefangen hat. Genau so fühlt sich Wittmanns neuer Film an:
Ungezwungen blitzt er auf.