Scambaiter

Ein ‚post’kolonialer Blick auf Memes und deren Beitrag zu Rassismus im Netz.
Ein Essay von Anna-Maria Bernhofer.

Was ist in deinen Augen das Richtige? In dieser simplen Frage liegt die Essenz einer Problematik, deren Lösung weitaus komplexer ist, als dass es die folgenden Zeilen zu bewältigen vermögen. Die Fragen: „Was ist richtig? Was ist falsch?“ lassen sich hier nicht konkret beantworten, doch können wir dem Blick auf den Grund gehen. Denn es ist der eigene Blick auf die Welt, die Menschen und damit zusammenhängenden Problematiken, der uns die Antworten darauf geben kann. Was ist in deinen Augen das Richtige? Damit wird Bezug auf die Augen eines blickenden Subjekts genommen. Doch wer ist dieses Subjekt? Wem wird diese Frage gestellt? Dem Freund, der Mutter, dem Postboten oder der alten Dame von nebenan? Obwohl nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Antworten auf diese Frage ähnlich ausfallen, ist es doch so, dass bei jedem Subjekt differente Faktoren für die Herausbildung der Antwort mitwirken. Jeder Blick wird geleitet von Meinungen, Fragen, Umständen oder Erlebnissen der Subjekte, die dahinterstehen. Es ist wie ein Filter, der sich mit der Zeit über das Bild des Menschen legt. Doch dieser Filter ist nicht starr und unveränderbar, er kann adjustiert werden. Das Umfeld, in dem ich mich bewege, die Gespräche, die ich führe, die Freundschaften, die ich pflege oder die Bücher, die ich lese – all das kann Einfluss auf den Filter meiner Person nehmen und wie ich mein Umfeld dadurch wahrnehme. 

Manche Inhalte werden abgelehnt, andere unumwunden aufgenommen, ohne kritisch zu hinterfragen, was wir sehen. Mit sozialen Medien wie Instagram, Facebook, TikTok und Co. wird dies noch intensiviert. Von morgens bis abends strömen Inhalte, beispielsweise in Form von Memes, auf uns ein. Memes können sozialen Einfluss nehmen und sich an Diskurse anpassen. Im besten Fall helfen sie den Menschen zusammenzukommen, um Ideen und Meinungen zu Kontexten auszudrücken.[1] Schlimmstenfalls tragen sie dazu bei Menschen, Kulturen oder Gesellschaften herabzuwürdigen und Aversionen außerhalb der Internetsphäre zu schüren. 

Was ist ein Meme?

In ihrem Buch Internet Memes and Society. Social, Cultural and Political Contexts, definiert Anastasia Denisova Memes als: „[…] context-bound viral texts that proliferate on mutation and replication.“[2] Memes sind demnach an Inhalt gebundene Texte, die sich durch Mutation und Reproduktion vermehren. Doch nicht nur der Inhalt ist essentiell. Denisova fügt hinzu, dass es der Bezug auf kulturelle und soziale Probleme, Gesellschaft, Allgemeinwissen, mediales Bewusstsein, politische Überzeugung und vieles mehr ist, der aus Memes ein soziales Phänomen unserer Zeit macht.[3] Memes sind demnach auch in Diskursen um Rassismus relevant. Sie prägen unseren Filter im Umgang mit Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft.

Scambaiter – betrügen oder betrogen werden

Lisa Nakamura geht in ihrem Text „’I WILL DO EVERYthing That Am Asked‘: Scambaiting, Digital Show-Space, and the Racial Violence of Social Media“ auf sogenannte Scambaiter im Internet ein, sowie die unterschiedlichen Blickwinkel auf ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘ im ‚post‘kolonialen Kontext.[4] Scambaiter sind anonyme Internetuser*innen aus westlichen Staaten die Onlinebetrüger*innen hinters Licht führen. Die Betrüger*innen, meist aus armutsgebeutelten Ländern Afrikas und Osteuropas, versuchen mit erfundenen Geschichten Internetuser*innen von Geldtransfers zu überzeugen. Scambaiter nutzen die Unwissenheit der Betrüger*innen und fordern ihrerseits ‚Beweise‘, einen Realitätsnachweis in Form von Bildern. Die sogenannten trophy pictures die hierbei entstehen, sind bizarr und zeigen meist schwarze Körper in primitiven, herabwürdigenden Positionen.[5] 

Abb. 1: „Tickle My Pickle“, JawDrops, http://jawdrops.com/tickle-my-pickle, Zugriff am 31.12.2020.

Trophy pictures werden von den Scambaitern zur freien Verfügung online gestellt und können so ungehindert im Internet zirkulieren. Aus diesen Bildern entstehen dann oftmals Memes, deren ungefilterter rassistischer und sexistischer Inhalt zur Unterhaltung vieler Internetuser*innen wird. Diese Memes sind Teil des Treibstoffs, der den Transport von Bildern im Internet anfeuert.[6] Wie Lynching Postcards und Freakshows bauen sie auf Nutzer*innen, die die Inhalte verbreiten, unabhängig davon, ob sie die Kontexte der Bildproduktion begreifen oder nicht.[7]

Der ‚post‘colonial gaze

Wenn wohlhabende Menschen der westlichen Welt finanzschwache Personen aus Entwicklungsländern zur Erzeugung dieser Bilder drängen, sind damit viele Konflikte verbunden. Es sei hier in Erinnerung gerufen, dass es die Menschen der westlichen Welt waren, die Gebiete über den angestammten Lebensbereich hinaus besiedelten und dort Kolonien gründeten, in denen die indigene Bevölkerung unter dem Vorwand der ,Zivilisierung‘ unterdrückt und ausgebeutet wurde. Diese Kontroverse wird bei einem ‚post‘colonial gaze auf das Scambaiting-Konzept sichtbar. Doch auch der Begriff postcolonial selbst bietet Konfliktpotenzial. Die Bezeichnung postcolonial dient dazu die Zeit nach der Kolonialisierung zu beschreiben, doch dies impliziert automatisch auch ein eindeutiges Ende der Kolonialisierung. Es wird von einem linearen Prozess in der Geschichte ausgegangen, der stattfand und auch wieder endete. Doch sollten wir bedenken, dass Geschichte selten linear verläuft. Die Menschen, die sich ihrer vollen Entwicklung aufgrund ihrer Herkunft und Kolonialgeschichte beraubt sehen, vergelten dies mit dem Betrug, der in ihren Augen eher einer Art ausgleichender Selbstjustiz entspricht.[8] Sie sind auch ,nach‘ der Kolonialisierung noch von ihr betroffen. Diese Kolonialisierung hat zur Identitätsbildung aller Beteiligten beigetragen und tut es noch.[9] 

Scambaiter sind jedoch vorsätzlich blind gegenüber den realen globalen Bedingungen, die diesen Betrug überhaupt erst initiieren.[10] Es ist der Elektroschrott der wohlhabenden westlichen Staaten, der in Entwicklungsländern ‚entsorgt‘ wird und die betrügerische Handlung überhaupt erst möglich macht.[11] Die Scambaiter, als Menschen der westlichen Welt, sind also selbst Verursacher*innen der Bedrohung, gegen die sie vorgehen.  Hinzu kommt, dass der Elektroschrott auf diesen ‚Entsorgungsstätten‘ giftige Gase und Dämpfe freisetzt, die dort lebende Menschen und umliegende Ökosysteme vergiften.[12] 

Scambaiter erklügeln diese Fotografien vor allem, um ihre Macht gegenüber anderen Menschen zu dokumentieren und diese als ‚unterlegen‘ darzustellen.[13] Die Bilder werden anonym im Internet hochgeladen und können ungehindert aufgerufen, bearbeitet oder weiter verbreitet werden. Die fehlenden Quellen machen eine Rückverfolgung schwierig bis unmöglich. Übrig bleiben einzig die Bilder und unser Blick darauf. 

Unser Blick auf Memes

Memes an sich gehören keiner spezifischen Gruppe oder Gesellschaft an, ein Meme hat keine politische oder kulturelle Zugehörigkeit, die Essenz des Memes ist die Unterhaltung.[14] Es ist eine leere Hülle, die durch Blicke mit Bedeutung gefüllt werden kann.[15] Mit den Worten von Anastasia Denisova: „Memes do not express any point. It is the users who fill them with sense.“[16] Memes sind performative Bilder, ob und welche Interpretationen legitimiert oder ablehnt werden, entscheidet jede*r selbst. Man passt Memes dem eigenen Blick entsprechend an. Basierend darauf, kann geschlussfolgert werden, dass der Beitrag von Memes zu Rassismus im Netz genau so groß ist, wie ihn die Gesellschaft werden lässt. Laut Nakamura braucht es für trophy pictures, die als Memes im Netz kursieren eine Bildethik, die die Umstände der Herstellung berücksichtigt.[17] Dennoch empfinde ich es als ebenso wichtig zuallererst die Menschen im Netz, die solche Inhalte ungefiltert weiterverbreiten, auf ihre Verantwortung hinzuweisen. Ich hoffe, dass der Filter, der über meinem eigenen Blick liegt, mich nie blind werden lässt gegenüber der Verbreitung herabwürdigender rassistischer Bilder im Netz. Wenn also jemand fragt: „Was ist in deinen Augen das Richtige?“ Kann ich für mich klar antworten: „trophy pictures sind es nicht!“.

Direktnachweise

[1] Denisova, Anastasia, Internet Memes and Society. Social, Cultural and Political Contexts, New York: Routledge 2019, S. 11.
[2] Ebd., S. 10.
[3] Ebd., S. 11.
[4] Nakamura, Lisa, „‘I WILL DO EVERYthing That Am Asked’: Scambaiting, Digital Show-Space, and the Racial Violence of Social Media”, Journal of Visual Culture 13/3, 12 2014, S. 257-274.
[5] Ebd.
[6] Ebd., S. 259.
[7] Ebd., S. 260.
[8] Ebd., S. 261f.
[9] Nicolas Lemay-Hèrbet/ Rosa Freedman, Hybridity: Law, Culture and Development, London: Routledge 2017.
[10] Scannel John, „The ‘419 scam‘: An unacceptable ‘power of the false’?”, Portal 11/2, 2014, S. 36-51, hier S. 40.
[11] Ebd., S. 37.
[12] Ebd., S. 38.
[13] Lisa Nakamura, „‘I WILL DO EVERYthing That Am Asked’”, S. 270.
[14] Anastasia Denisova, Internet Memes and Society, S. 28f.
[15]  Ebd.
[16] Ebd., S. 29.
[17] Lisa Nakamura, „‘I WILL DO EVERYthing That Am Asked’”, S. 260.

Quellenverzeichnis

Denisova, Anastasia, Internet Memes and Society. Social, Cultural and Political Contexts, New York: Routledge 2019.

John, Scannel, „The ‘419 scam‘: An unacceptable ‘power of the false’?”, Portal 11/2, 2014, S. 36-51.

Lemay-Hèbert, Nicolas / Freedman, Rosa, Hybridity: Law, Culture and Development, London: Routledge 2017.

Nakamura, Lisa, „‘I WILL DO EVERYthing That Am Asked’: Scambaiting, Digital Show-Space, and the Racial Violence of Social Media”, Journal of Visual Culture 13/3, 12 2014, S. 257-274.