Direktadressierung über die Kamera mit metaleptischen Erzählebenen.
Ein Essay von Simeon Scholz.
Die Beziehung zwischen der diegetischen Welt des Films und der Wirklichkeit der Zuschauer*innen mögen vor allem bei Direktadressierungen im Film verwaschen, in jenem Moment, wenn das Blickfeld der Kamera sich regelrecht als Brücke zwischen der Realität des Films und der der Zuschauer*innen akzentuiert. Mittels dieses Stilmittels entsteht ein komplexes Verhältnis zwischen dem Publikum und dem Film, wobei ein solcher Illusionsbruch in seiner Form noch bedeutender und komplexer wird, wenn eine weitere Erzählebene hinzugefügt wird, deren Wirkung und Bedeutung es im Folgenden zu klären gilt.
Metaleptisches Erzählen
„Die Metalepse ist eine Form der Transgression bzw. des Ebenenwechsels zwischen verschiedenen diegetischen Welten oder zwischen Diegese und Extradiegese (und dient in letzterem Fall oft zur Authentisierung der Geschichte).“[1]
Im Film wird die Metalepse unter anderem als Modus zum Erzählen verwendet, worin die Metalepse an sich eine Überschreitung der Grenzen zwischen unterschiedlichen diegetischen Ebenen meint.[2] Ein Merkmal der Metalepse sei überdies den Eindruck einer unmittelbaren Berührung zwischen zwei Welten durch eine scheinbar physische Grenzüberschreitung zu vermitteln.[3] Zuschauer*innen können zwar nicht in den Film eintreten, dennoch wird die Metalepse als ein Kontakt zwischen Autor*innen und Zuschauer*innen verhandelt.[4]
Die Metaebenen in House of Cards
Der Kontakt durch eine Metalepse kann im Film vor allem durch die Direktadressierung der Rezipient*innen über den Blick oder das Sprechen in die Kamera erfolgen, so wie es in Netflix’s House of Cards (House of Cards, Creator: Beau Willimon, US 2013-2018) Reboot umgesetzt wurde.[5] Protagonist Frank Underwood (Kevin Spacey) widmet sich auf diese Art und Weise dort regelmäßig den Zuschauer*innen, innerhalb dessen das Stilmittel ein fester Bestandteil der Serie wurde. Kevin Spacey interagiert auf einer separaten Ebene mit den Zuschauer*innen, die infolgedessen über die zwei Gesichter des Charakters erfahren und mehr im Bilde über dessen Ansichten und Pläne sind als viele andere Figuren in der Serie. Ein Grund für eine solche Erzählstruktur kann darin bestehen, den Charakter durch seine Offenheit authentischer wirken zu lassen, oder auch Zuschauer*innen daran zu erinnern, dass sie mit der Illusion verstrickt sind.[6]
Die authentische Adressierung von Zuschauer*innen in House of Cards.
Der mögliche Effekt einer metaleptischen Erzähltechnik wird im obigen Ausschnitt aus der House of Cards Episode „Chapter 64“ ersichtlich. Kevin Spacey wendet sich hier während einer Anhörung den Rezipient*innen zu und erläutert seine Vorgehensweise, während die restliche diegetische Welt bis auf ihn wie eingefroren scheint. Die Zuschauer*innen erlangen so das Gefühl in die tiefe Gedankenwelt des Charakters eingeweiht zu werden, da sonst niemand von dessen Plädoyer erfährt. Die Szene spielt sich nur zwischen der Figur und den Rezipient*innen ab, demzufolge erlangt der Charakter an Authentizität. Die Autor*innen der Serie stärken diesen Effekt zudem dadurch, da sich im Monolog nicht auf ein serieninternes Thema versteift wird, sondern ein übergreifend politisch-/gesellschaftskritischer Kommentar abgehalten wird, der eine noch stärkere Identifikation innerhalb der Rezeption fördert. Wenn die Inhalte in einer Direktadressierung sich nicht nur in der Wirklichkeit der Serie, sondern auch in der, der Zuschauer*innen als nachvollziehbar erweisen, kann dies folglich dazu führen, dass Rezipient*innen die Worte der Figur sehr ernst nehmen, wie es sich auch in den Kommentaren unter dem YouTube-Video des Ausschnitts abzeichnet:
Die Resultate metaleptischer Direktadressierung zeigen sich hier demnach darin, dass nun eine Serienfigur in direkten Vergleich mit Politiker*innen aus der echten Welt gestellt wird, da der Monolog der eigentlich fiktiven Figur ebenso als nicht-fiktiver politischer Kommentar der Autor*innen der Serie aufgefasst werden kann. In diesem Kontext wird auch die Intention durch einen Illusionsbruch – die Leinwand als ein Fenster zur Realität zu nutzen – interessant,[7] womit der metaleptischen Erzählweise eine Funktion zur Verschiebung des Seherlebnisses in die eigene Wirklichkeit zugeschrieben werden darf.
Metaleptisch-politischer Kommentar in Charlie’s Angels
Kristen Stewarts Gesprächspartner ist auch das Publikum.
Gleich in der ersten Szene aus Elizabeth Banks Charlie’s Angels Remake (Charlie’s Angels, R.: Elizabeth Banks, US 2019) kann auch hier die Leinwand als offenes Fenster zur Realität und weiter als metaleptische Adressierung einer politischen Diskussion gesehen werden. In den ersten Minuten des Films erleben wir aus einer Point of View (POV)-Perspektive ein metaleptisches Gespräch zwischen Kristen Stewart und Chris Pang, indem wir aus der Sicht Pangs im direkten Augenkontakt mit Stewart stehen. Im Dialog spricht Stewart durch die Ausrichtung der Kamera auch mit den Zuschauer*innen. Das Thema des Gesprächs bewirkt dabei ähnlich wie im ersten Beispiel eine metaleptische Adressierung, da es als authentischer Kommentar der Autor*innen aufgefasst werden kann, wenn anhand direkter Referenzen im Gespräch der Protagonist*innen auf einer doppelten Ebene die sexistische Vergangenheit des Charlie’s Angels-Franchise verhandelt wird.[8] In diesem Kontext wird Stewarts Illusionsbruch dann politisch, wenn sie in einer männer-dominierten Welt den Vorurteilen eines Mannes im Film mit direkten Blick zu den Zuschauer*innen widerspricht. Anders als im ersten Beispiel findet die metaleptische Adressierung hier aber indirekt statt, da wir von Kristen Stewart als Rezipent*innen nicht wissentlich wahrgenommen und so direkt angesprochen werden wie in House of Cards. In Charlie’s Angels vollzieht sich die Direktadressierung lediglich durch das Blickfeld der Kamera, während das Gespräch weiterhin in der Diegese des Films verankert bleibt. Mittels der POV-Einstellung wird den Zuschauer*innen der Status als Adressat*in lediglich simuliert, dennoch bleibt durch die doppelte Gesprächsebene eine metaleptische Adressierung erhalten, wenn auch festzustellen ist, dass das Bewusstsein um die Zuseher*innen und der Umgang mit der Kamera im Vergleich zu House of Cards in einer passiveren Form auftreten, womit dem Film eine unvollkommenere zweite Ebene zugesprochen werden kann, die sich zwischen Protagonist*in und Rezipient*in ergibt. Dem wäre aus Tom Browns Breaking the Fourth Wall: Direct Address in Cinema hinzuzufügen, dass die Reaktionen auf Direkt-Adressierungen nicht innerhalb oder außerhalb der Filmwelt auftreten würden, sondern „in a non-spatial in-between“,[9] wo wir als Zuschauer*innen dazu ermutigt werden würden einer Art Dialog beizutreten.[10] Dieser Raum kann im Direktvergleich folglich in einer stärkeren (House of Cards) oder weniger ausgeprägten Form (Charlie’s Angels) vorkommen.
Kevin Spacey’s metaleptische Verteidigungsrede
Kevin Spacey äußert sich in der Rolle des Frank Underwood über die Missbrauchsvorwürfe.
Weihnachten 2018 erschien auf dem YouTube-Channel von Kevin Spacey ein Video, in welchem sich der Schauspieler über die gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfe äußert – in metaleptischer Form. Im dreiminütigen Clip nimmt Spacey die Rolle des Frank Underwood wieder ein, die er zuvor aufgrund der Vorwürfe verlor und aus der Serie House of Cards rausgeschrieben wurde. In diesem Video nutzt Spacey aber nun seine alte Rolle als eine Art Vermittler, mit der er sich an seine Zuschauer*innen wendet und mittels Blickkontakt und direkter Ansprache, wie einst in House of Cards schon, ein Statement abgibt und die Hosts der Serie darum bittet ihn wieder einzustellen. Interessanterweise wird hier ein non-fiktionales Thema, nämlich die realen Anklagen die gegen Spacey im Raum stehen und sein Wunsch wieder Teil von House of Cards zu sein, auf einer fiktiven Ebene angesprochen, indessen die Rolle des Frank Underwood als eine Art Alter-Ego auftritt und in einem doppeldeutigen Monolog Spaceys Statement performt. Die Intention dahinter mag einmal darin bestehen die Zuschauer*innen und Filmindustrie daran zu erinnern, dass er trotz der Vorwürfe immer noch ein fähiger Schauspieler geblieben ist und weiter durch die für seinen ehemaligen Charakter übrig gebliebene Sympathien die Anschuldigungen und Antipathie gegenüber seiner realen Person zu relativieren. Letzteres scheint auch mit erneutem Blick auf die Kommentare und Bewertung zum Video größtenteils zu funktionieren:
Schlussendlich zeigt dieses Video eine äußerst verstrickte Form zweier Metaebenen auf, das überdies nur dann verstanden werden kann, wenn man die realen Hintergründe kennt. Dadurch dass Realität und Fiktionen hier so verworren ineinandergreifen, beginnen Zuschauer*innen Underwoods Performance und Aussagen noch ernster als im ersten Beispiel zu interpretieren, da das Video vom Schauspieler privat produziert und auf seinem persönlichen Channel veröffentlicht worden ist. Die zusätzliche Authentizität, die dieser Hintergrund um das erzeugt, wird einmal mehr in den Kommentaren seiner Rezipient*innen ersichtlich, in denen tiefere Bedeutungen in Underwoods Monolog diskutiert werden:
Anhand der Beispiele erwies sich die Arbeit mit Metalepsen und Direktadressierungen als Authentizitäts-bringend und nützlich für eine stärkere Einbindung der Rezipient*innen. Darüber hinaus können stärkere und schwächere Direktadressierungen mit Metaebenen verglichen werden, indessen der Metalepse immer ein merklicher Kontaktversuch der Autor*innen zu den Zuschauer*innen beiwohnt, um beispielsweise politische Aussagen oder gesellschaftskritische Kommentare zu vermitteln.
Direktnachweise
[1] Stefan Höltgen, „Metalepse“, Lexikon der Filmbegriffe, 08.02.2012, https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php? action=lexikon&tag=det&id=2582, Zugriff am 29.01.2021.
[2] Vgl. Jan-Noël Thon, Zur Metalepse im Film, http://www.janthon.de/texte/Thon_Metalepse_2009.pdf, Zugriff am 29.01.2021, S. 86.
[3] Vgl. Jörg Türschmann, „Die Metalepse“ in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 16 (2007), https://montage-av.de/pdf/162_2007/162_2007_Joerg-Tuerschmann_Die-Metalepse.pdf, Zugriff am 29.01.2021, S. 110.
[4] Ebd.
[5] Vgl. Alex Mell-Taylor, „Movies Hit Peak Fourth Wall, Audiences Aren’t Amused. Anymore“, Alex Mell-Taylor, 22.11.2019, https://alexhasopinions.medium.com/the-titanic-of-fourth-wall-breaking-humor-d705368e1b29, Zugriff am 29.01.2021.
[6] Vgl. Crystal Downing, Breaking the Fourth Wall: Salvation from the Screen, Routledge 2016, S. 76.
[7] Vgl. Crystal Downing, Breaking the Fourth Wall: Salvation from the Screen, S. 79.
[8] Vgl.Alex Mell-Taylor, „Movies Hit Peak Fourth Wall, Audiences Aren’t Amused Anymore“, 29.01.2021.
[9] Vgl. MLA (Modern Language Assoc.) Tom Brown, Breaking the Fourth Wall: Direct Address in the Cinema, Edinburgh University Press, 2012, S. 177.
[10] Ebd.
Quellenverzeichnis
MLA (Modern Language Assoc.) Brown, Tom. Breaking the Fourth Wall: Direct Address in the Cinema, Edinburgh University Press, 2012.
Türschmann, Jörg, „Die Metalepse“, in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 16 (2007), Nr. 2, S. 105–112.
Crystal Downing, Breaking the Fourth Wall: Salvation from the Screen, Routledge 12016.
Stefan Höltgen, „Metalepse“, Lexikon der Filmbegriffe, 08.02.2012, https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2582, Zugriff am 29.01.2021.
Jan-Noël Thon, Zur Metalepse im Film, http://www.janthon.de/texte/Thon_Metalepse_ 2009.pdf, Zugriff am 29.01.2021.
Türschmann, Jörg, Die Metalepse, in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 16 (2007), https://docplayer.org/63804584-Die-metalepse-1-grenzueberschreitung-joerg-tuerschmann.html, Zugriff am 01.03.2021.
Alex Mell-Taylor, „Movies Hit Peak Fourth Wall, Audiences Aren’t Amused. Anymore“, Alex Mell-Taylor, 22.11.2019, https://alexhasopinions.medium.com/the-titanic-of-fourth-wall-breaking-humor-d705368e1b29, Zugriff am 29.01.2021.