Inszenierung des subjektiven Blicks in Vlogs, anhand des kulturellen Bildrepertoires

Ein Essay von Anna Sagmüller.

„You can tell a great deal about how the picture works as a discourse, and what it means, by following the orchestration of looking – who is looking at what or whom. Our look – the eyes of the person looking at the picture, the spectator – follows the relationships of looking as represented in the picture.”[1]

In diesem Zitat beschreibt Stuart Hall die verschiedenen Blickstrukturen in Bildern und wie anhand dessen, wie innerhalb dieser Bilder geblickt wird, bereits viel über die verschiedenen Strukturen und Hierarchien innerhalb eines Raumes ausgesagt werden kann. Wie Menschen ein Bild sehen ist immer auch davon beeinflusst, wie die in ihm handelnden Subjekte agieren, sich selbst repräsentieren und infolgedessen wie sie auf sich selbst blicken und sich selbst inszenieren. Wie Menschen sich und andere sehen sagt wiederum viel über die Vorstellungen und Erwartungen einer Gesellschaft aus. Die Posen, in denen wir uns darstellen, erfinden wir dabei nicht selbst, sondern nehmen sie aus dem kulturellen Repertoire der uns umgebenden Einflüsse und Vorstellungen. Wobei Posen durchaus nicht nur als die ‚statische Pose‘ begriffen werden muss, sondern auch als das ‚sich in Pose setzen‘, eine bestimmte kulturelle Haltung einnehmen.[2] Kaja Silverman, eine Filmkritikerin, Kunsthistorikerin, Autorin und Feministin beschreibt dieses ‚Posen einnehmen‘ folgendermaßen: Innerhalb eines begrenzten Raums könnten nur bestimmte Rollen eingenommen werden, nämlich jene, die bereits im „Bildrepertoire“ der jeweiligen Gesellschaft verankert seien. [3]

Ein Bild, das Person, darstellend enthält.

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Abb. 1: BibisBeautyPalace, „Riesige Überraschung für meine Mama ! 😍😳“, R.: BibisBeautyPalace, youtube.com, 28.12.2020,
https://www.youtube.com/watch?v=Jsx_bz2oBn0.

Mit der Analyse zweier zeitgenössischer YouTuber*innen möchte ich diese Aussage prüfen. Es soll analysiert werden, wie das Einnehmen von Rollen innerhalb des vorgegebenen Bildrepertoires auf jeweils unterschiedliche Weise möglich werden kann.  In Betrachtung des Vlogs „Riesige Überraschung für meine Mama ! 😍😳“ der deutschen Youtuberin BibisBeautyPalace fallen bereits mehrere Aspekte von Selbstinszenierungen anhand des kulturell vorgegebenen Bildrepertoires auf. Zum Beispiel filmt Bibi meist mit einer leichten Aufsicht – einer Kameraperspektive, die auch bei Selfies oft zu sehen ist. Doch was möchte BibisBeautyPalace mit dieser bestimmten Inszenierung ihrer Selbst in ihrem Vlog vermitteln, wie möchte sie gesehen werden? In dem Video geht Bibi mit ihrer Mutter shoppen und kauft ihr einige Dinge bei Louis Vuitton und Swarovski. Dabei ist es nicht egal, wo die Vloggerin einkaufen geht, denn wie Stuart Hall in seinem Text schreibt, produziert jeder Diskurs bestimmte Vorstellungen von Subjekten und somit werden Subjekte erst anerkannt, wenn sie „subjects of its [des Diskurses, Anm.] power/knowledge“ werden und nach den Werten eines gewissen Diskurses handeln.[4] Was vermittelt also der Kauf bestimmter Marken? Bibi sagt selbst in ihrem Video: „Ich habe einfach das unfassbare große Glück, dass ich so ein freies Leben habe, dass ich mir oft sehr sehr tolle Dinge leisten kann“,[5] aber auch, dass es ihr unglaubliche Freude mache diese Dinge mit den Menschen zu teilen, die sie liebt. Großzügigkeit und Erfolg sind hoch angesehene Eigenschaften in unserer Gesellschaft – Eigenschaften, die Bibi in ihrem Video alle, direkt oder indirekt, zum Ausdruck bringt. Die Preise von Louis Vuitton oder Swarovski verbildlichen vornehmlich das Statussymbol der Luxusmarken und damit die Weise, wie man von anderen gesehen werden möchte.

Wir würden uns dem Blickregime, welches stets von der uns umgebenden Kultur und den unterschiedlichsten Erwartungen festgelegt wird, meist auf eine Weise präsentieren, die unsere eigenen Wunschdarstellungen zum Ausdruck bringen, schreibt Silverman.[6] Silverman greift damit den Punkt auf, wie sehr Menschen davon abhängig seien, was andere von ihnen denken und wie sehr sie sich in ihrer Selbstdarstellung an den Konventionen einer Gesellschaft orientieren um dazuzugehören.[7] Menschen tun plötzlich Dinge, weil sie glauben, dass diese oder jene Handlung gut bei anderen ankommen wird. Ein paar Beispiele dazu, unter anderem anhand der Vlogs von BibisBeautyPalace und Annikazion, ebenfalls eine bekannte deutsche YouTuberin: Trägt Bibi Markenkleidung, weil sie ihr wirklich gefällt oder weil damit ein Statussymbol vermittelt wird? Rasieren sich viele Frauen die Beine, weil es ihnen ein persönliches Bedürfnis ist, oder weil sie nicht als ‚ungepflegt‘ angesehen werden wollen und ‚unrasiert sein‘ nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht? Sind wir freundlich und höflich, obwohl wir vielleicht gerade respektlos behandelt wurden? Sagen wir, dass dieses oder jenes Produkt super ist, weil, wie so oft in Vlogs, vielleicht eine Kooperation mit einer Marke besteht – oder auch einfach um ein gewisses Bild aufrecht zu erhalten? Wie wirkt sich dieser Wunsch des Menschen, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden, darauf aus, wie das Leben in Vlogs inszeniert wird?

Ein Bild, das Text, drinnen, Wand, Tisch enthält.

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Abb. 2: , „Ich bekomme mein Leben wieder in den Griff.“, R.: Kommunikazion youtube.com, 10.12.2019, https://www.youtube.com/watch?v=SEVAJiAX7Vg.

Es gibt natürlich verschiedene Arten von Vlogs, in denen die gesellschaftlichen Erwartungen unterschiedlich zum Ausdruck kommen. In dem Vlog „Ich bekomme mein Leben wieder in den Griff“ der YouTuberin Annikazion versucht Annika zwei Wochen lang gesünder zu leben indem sie früher aufsteht, mehr Sport macht, kalt duscht und sich vegan ernährt. Vegane Ernährung ist gerade in den letzten Jahren verstärkt zum Symbol gesunder Lebensweise geworden und verkörpert somit auch eine Form von Selbstdarstellung.[8] Gesundheit, Fitness und Disziplin sind alles durchaus erstrebenswerte Eigenschaften. Doch auch eine Selbstinszenierung entgegen der gängigen Erwartungen ist eine bewusst subjektive Inszenierung des eigenen Lebens – eine Form der Inszenierung die bei Annikas Vlog, aber auch bei ihren anderen Videos, immer wieder auftaucht. Oft beginnt Annika ihre Vlogs morgens, wenn sie noch ziemlich verschlafen aussieht und nicht fertig gestylt ist. Sie hat auch mal fettige Haare, erwähnt, dass sie mal wieder verschlafen habe und auch ihre Kameraperspektive ist nicht immer aus der typischen Aufsicht gefilmt. Doch was ist die Intention hinter einer Inszenierung entgegen den Vorstellungen einer bestimmten Gesellschaft? Möglicherweise schaffen ihre Ehrlichkeit und Natürlichkeit eine Nähe zu ihren Zuschauer*innen. Eine Annahme, die sich in den Kommentaren unter dem Vlog „Ich bekomme mein Leben wieder in den Griff“ durchaus bestätigt, denn es gibt viele Komplimente und Dankbarkeit für ihre Ehrlichkeit und ihre Natürlichkeit. Dafür, dass sie, wie jeder Mensch, manche Dinge gut kann und andere ihr wiederum nicht gelingen und sie das auch offen kommuniziert. Annika sagt in ihrem Vlog als Fazit der ersten Woche ihres zweiwöchigen Experiments, in der es nicht so gut lief, wie sie es sich gewünscht hätte:

„Es ist so unangenehm, das zu sagen, dass man halt auch mal failed quasi. Aber ich will auch keine Ausrede dafür suchen oder so. Ich bin einfach undiszipliniert beziehungsweise halt schwach Sachen so krass durchzuziehen. Und das will ich halt auch mal offen sagen. Weil ich sehe halt echt auch immer nur Leute, die halt krass diszipliniert in ihrem Leben sind. Also ich finde es halt krass, weil ich das niemals so hinbekommen würde, deswegen will ich jetzt auch mal was ins Internet tragen, dass es nicht immer super geil einfach läuft.“[9]

Eine Aussage, die recht gut verdeutlicht unter welchem Druck Annika steht den gesellschaftlichen Erwartungen zu genügen.

Gesellschaftliche Erwartungen und Vorstellungen haben auf jeden Fall einen großen Einfluss auf die Selbstinszenierung in Vlogs, sowohl bei der eigenen Selbstwahrnehmung als auch dabei, wie wir von anderen gesehen werden wollen. Wie anhand dieser beiden Vloggerinnen deutlich wird, ist es dabei gleichgültig, ob diese Erwartungen von anderen gestellt werden oder von einem selbst kommen, ob wir in unserer Selbstdarstellung versuchen uns gegen die gesellschaftlichen Erwartungen und Vorstellungen zu wehren oder nicht. Abschließend lässt sich also durchaus behaupten, dass die von Hall formulierten Blickstrategien in der einen oder andern Form in jedem Vlog zu finden sind. Auf unterschiedliche Art und Weise, sind wir letztlich alle davon beeinflusst, wie wir angeblickt werden (wollen) und wie wir selbst blicken.

Direktnachweise

[1]Stuart Hall, „Representation, meaning and language”, Representation. Cultural Representations and Signifying Practices, hg. v. Stuart Hall, London: SAGE Publications Ltd 1997, S. 15–64.
[2]Kaja Silverman, „Dem Blickregime begegnen“, Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, hg. v. Christian Kravagna, Berlin: Edition 1D – Archiv1 1997, S. 41–64, hier S. 47.
[3]Vgl. Silverman, „Dem Blickregime begegnen“, S. 49f.
[4]Hall, „Representation, meaning and language”, S. 56.
[5]„Riesige Überraschung für meine Mama ! 😍😳 | BibisBeautyPalace”, R.: BibisBeautyPalace, Zugriff am 01.01.2021.
[6] Silverman, „Dem Blickregime begegnen“, S. 46.
[7] Vgl. Ebd., S. 49f.
[8] Vgl. Patrizia Flunger, „Der vegane Ernährungstrend und die sozialen Medien. Wie Kommunikationsstrategien und Inhalte von NGOs auf Facebook die Grundlage für die Meinungsbildung zur veganen Lebensweise bilden.“, M.A.-Arb., Univ. Wien 2016, S. 42f.
[9] „Ich bekomme mein Leben wieder in den Griff.“, R.: Kommunikazion, youtube.com, 10.12.2019, https://www.youtube.com/watch?v=SEVAJiAX7Vg, 30.12.2020. 

Quellenverzeichnis

Flunger, Patrizia, „Der vegane Ernährungstrend und die sozialen Medien. Wie Kommunikationsstrategien und Inhalte von NGOs auf Facebook die Grundlage für die Meinungsbildung zur veganen Lebensweise bilden.“, M.A.-Arb., Univ. Wien 2016.

Hall, Stuart „Representation, meaning and language”, Representation. Cultural Representations and Signifying Practices, hg. v. Stuart Hall, London: SAGE Publications Ltd 1997, S. 15–64.

Silverman, Kaja, „Dem Blickregime begegnen“, Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, hg. v. Christian Kravagna, Berlin: Edition 1D – Archiv1 1997, S. 41–64.