Das Hollywood-Kino als Produkt des patriarchalen Unbewussten

Ein Essay von Hazara Abdullah. 

Niemand kann den Einfluss von Filmen auf unser tägliches Leben leugnen. Filme müssen sowohl als Reflexion, sowie eine dynamische (Re)Konstruktion unserer sozialen Gegebenheiten und Normen betrachtet werden. So prägen die Bilder auf der Leinwand unter anderem auch jene Vorstellungen, die wir mit den geschlechtsspezifischen Kategorien Mann und Frau, sowie männlich und weiblich innerhalb einer Kultur verbinden. Im Hinblick auf die vergangene und auch teilweise noch heutige Filmlandschaft wird eine Struktur erkennbar, in der sich eine Hierarchisierung der Geschlechter konstruiert. Ein Hierarchisierungsprozess, der seit 1975 auch als male gaze bekannt ist und die Frau als ‚schwächeres, unterlegenes‘ Geschlecht darstellt.

Ausgehend von den Theorien über den male gaze soll dieser Essay jene filmische Methoden untersuchen, die diesen konstituieren. Zusätzlich soll die filmische Anwendung des male gaze auf seine modernen Erscheinungsformen und mögliche Gegenbewegungen untersucht werden.

Der männliche Blick:

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Abb. 1: male gaze in The Rear Window (1954) Shane Barr. Unit 11 – Auteur Theory and Wider Film Readings. http:/Shanebarr-nwrc.weebly.com/hnc-year-1-assignments/category/unit-11.

Laura Mulvey gilt als eine der bedeutendsten feministischen Filmtheoretikerinnen des 20. Jahrhunderts.[1] Sie löste mit ihrem Aufsatz ,,Visual Pleasure and Narrative Cinema“ 1975 eine neue Bewegung aus, welche versuchte, die vorherrschende Position der Frau im Film als Objekt männlicher Schaulust aufzuzeigen und zu verändern.[2] Die Autorin erläutert mit Hilfe der von Sigmund Freud geprägten Psychoanalyse, wie manifestierte stereotype Wahrnehmungsmuster dazu beitragen, die Faszination des Filmes zu verstärken. In patriarchalischen Gesellschaften wird die Frau nicht als eigenständige Entität definiert: „she first symbolises the castration threat by her real absence of a penis. Once this had been achieved, her meaning in the process is at an end.“[3]

„Women than stand in patriarchal culture as signifier [….] bearer of meaning, not maker of meaning“.[4]  Frauen sind dadurch den Männern unterlegen. Sie besitzen zwar eine eigene symbolische Kraft, deren Bedeutung wird ihnen jedoch von den Männern auferlegt. Die Frau wird vom Mann als ein Symbol inszeniert. Dieses weibliche Symbol, welches Verführung und Amüsement des Mannes repräsentiert, dient und gehorcht somit dem Blick des Mannes. Judith Butler beschreib die Unterscheidung in die geschlechtsspezifischen Kategorien und die damit verbundenen Charakteristiken als soziokulturelles Konstrukt, das die ganze Zeit produziert und reproduziert wird.[5] Nach Butler ist Geschlecht ein performatives Phänomen. Eine Frau wird daher nicht als Frau geboren, sondern vielmehr dazu geformt eine Frau zu sein.

male gaze im modernen Film am Beispiel Transformers (R.: Michael Bay, US 2007):

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Abb. 2: Megan Fox in Transformers (2007). [6]

Mulvey behauptet, dass es ein Ungleichgewicht in der Darstellung der Geschlechter im klassischen amerikanischen Erzählkino gebe, wodurch die Frauen in den meisten Rollen nur auf ihr körperliches reduziert werden. Männer dagegen, die an der Spitze der Pyramide stehen und Befehle erteilen, würden durch Stärke und Weisheit gekennzeichnet.[7] Mulvey weist auch darauf hin, dass diese Bilder und die Rollen, die den Frauen in diesen Filmen zugewiesen werden, Vorstellungen in der Gesellschaft verankern, in denen sich Frauen nur um ihr Äußeres kümmern und ihren Geist, ihre Ziele und Ambitionen vernachlässigen. 

Nach Mulvey steht die Frau daher „in der patriarchalischen Kultur als Signifikant für das männliche Andere […] nicht des Sinnproduzenten.“[8] 

In jenen Filmen werden Frauen als passiver Körper, der nur angeblickt wird, dargestellt, im Gegensatz zu Männern, die in prominenten Positionen sowie als die positive, aktive und dominante Figur gezeigt werden. Mulvey betont, dass die Frau im Film durch die Kamera, die den männlichen Blick leitet, entblößt und fokussiert wird, weil die meisten Männer auch diejenigen sind, die bei den Filmen als Regisseur den Blick vorgeben und bestimmen. Sie sind diejenigen, die hinter der Kameralinse stehen und es genießen auf die Körper der Frauen zu blicken, bewusst und unbewusst.[9]

Besonders im Blockbuster Transfomers (2007) des Regisseurs Michael Bay wird jene beschriebene Ausstellung von Frauen als Objekte deutlich. 

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Abb. 3: Szenenbeispiel – Male Gaze in Transformers (2007) Eyes On Mikaela Scene . Transformers (2007) – Movie Clip HD [1080p 60 FPS]“, R.: BestClips, youtube.com, 02.10.2017, https://www.youtube.com/watch?v=u0LVDsV7w0E&ab_channel=BestClips, Zugriff am 22.12.2020.

In einer markanten Szene des Films fokussiert die Kameralinse auf bestimmte Details des Frauenkörpers und zeigt das Vergnügen des Mannes beim Betrachten ihres Körpers .[10] Der Körper der weiblichen Figur, gespielt von Megan Fox, ist dabei im Bildvordergrund fokussiert. Die Schauspielerin wölbt ihren Rücken und macht erotische Bewegungen, während die Kamera dabei ihre Körperteile übersexualisiert, teilweise in Großaufnahmen, einfängt. (Abb.3) 

Für Mulvey nimmt das Kino als Institution und Mechanismus eine besondere Stellung innerhalb des patriarchalischen Systems ein. Das klassische Hollywood-Erzählkino verbreitet kontinuierlich das patriarchalische Unbewusste, wobei es ihm exzellent gelingt, die Lust am Schauen und den Blick sowohl zu strukturieren als auch zu koordinieren. Die Filme verwenden Voyeurismus und Fetischismus als Mechanismen um den männlichen Zuschauer und die Bedürfnisse seines Unbewussten zu konstruieren.

Umstellung spürbar?

Kaplan betont in ihrem Essay ,,Ist der Blick männlich?“, dass man dem male gaze nicht entgegenwirkt, wenn man die Männer ebenfalls zu Sexobjekten macht, da sich das Problem mit der Struktur der dominanten Unterwerfung des heteronomen Begehrens nicht von selbst auflöse.[11] Wenn man die aktuelle Filmlandschaft betrachtet, ist sicherlich eine Veränderung in Bezug auf die Repräsentation von Frauen im Film zu erkennen. Dennoch ist der Rückgriff auf stereotype Frauenrepräsentationen auch noch heute auf der Leinwand zu finden. Um jener negativen Bewegung aktiv entgegenzutreten, hat die Academy Of Motion Picture Arts and Sciences folgende Ansprüche für die Nominierungen aufgestellt: ,,30% of the general ensemble cast must be from at least two underrepresented groups (women, racial, ethnic, LGBTQ+, or people with disabilities); or the movie’s subject must concern one of those groups.“[12]

Jenes aktive Bemühen dem male gaze entgegenzutreten spiegelt sich auch in der modernen Filmlandschaft wider, wenn Frauen vermehrt als weise, führende und intelligente Charaktere gezeigt werden, wie zum Beispiel im Film Enola Holmes (Enola Holmes, R.: Harry Bradbeer, US 2020) aus dem Jahr 2020. Enola Homes handelt von der intelligenten und starken gleichnamigen Heldin und Schwester von Sherlock Holmes,[14] einer Figur, die für ihre Klugheit und clevere Rätsellösungen bekannt ist. Im Film werden Frauen in Situationen gezeigt, in denen sie gegen weibliche Stereotypen im viktorianischen London des Jahres 1884 kämpfen. Enola Holmes zeigt, dass Frauen mehr sind als nur hübsche Gesichter. Sie beweist, dass Frauen auch kluge und starke Persönlichkeiten im Film repräsentieren, anstatt stereotype Rollenbilder zu vertreten, die ihr ganzes Leben damit verbringen, Kinder zu gebären, in der Küche zu kochen oder andere traditionelle Rollen zu übernehmen, die den Frauen im Laufe der Geschichte auferlegt wurden. „Enola is the one who leads her and Tewksbury’s relationship, a stark contrast to traditional Victorian norms and even some expectations held of male-female relationship power dynamics today.“[15]

Der Eintritt von Frauen in den Bereich des Filmemachens hat auch zu jener Gegenbewegung beigetragen, welche Frauen aus der Macht des male gaze entreißt. Jene feministische Bewegung in der Filmbranche eröffnet neue Fragen um den weiblichen Blick und ob dieser dem männlichen Blick ähnelt oder sich anders konstituiert.

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass einer stereotypischen Rollenbesetzung von Frauen, als eine Hausfrau, ein Sexobjekt oder der passive und schwache Charakter des Films entgegengewirkt werden sollte. Dafür ist es wichtig Filme zu produzieren, die von Frauen gemacht werden. Auch von Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen, weil es meiner Meinung nach einen Unterschied gibt zwischen dem Blick einer Frau aus Österreich und einer Frau aus Saudi-Arabien. Wenn ein Film aus diesen beiden Ländern produziert wird, werden zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen dargestellt und auch verschiedenartige Blickweisen filmisch konstruiert. Es ist wichtig beide Blickrichtungen, auch wenn nur über die Leinwand, zu repräsentieren und wahrzunehmen.

Genauso wenig wie Frauen die Lebenswirklichkeit von Männern vertreten können, können Männer das für Frauen. Deshalb müssen die Frauen ihre Geschichten erzählen. Männliche Regisseure haben die Filmschaffung im Laufe der Geschichte dominiert, so dass sich wenig Veränderung in der Darstellung feststellen lässt. Die meisten Länder der Welt werden von einer männlichen Hegemonie dominiert, wodurch wir als Zuschauer*innen, und das beinhaltet, Frauen, Männer, LGBTQ+ und Transgender, Filme aus einer oftmals hegemonialen männlichen Sichtweise zu sehen bekommen. 

Die Einstellung von mehr Frauen in Rollen hinter der Kamera wird zu einer besseren weiblichen Repräsentation auf der Leinwand führen. Weibliche Führung ’sichtbar und normal‘ machen, lautet mein Appell, um dem male gaze entgegenzuwirken.

Direktnachweise

[1] Janet McGabe, Feminist Film Studies. Writing the Woman into the Cinema, London: Wallflower Press 2004, S. 38ff.
[2] Laura Mulvey, „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, Film Theory and Criticism. Introductory Readings, hg. v. Leo Braudy / Marshall Cohen, New York: Oxford University 1999, S. 833—844.
[3] Vgl. McCabe, Feminist Film Studies, S. 38ff.
[4] Vgl. ebd.
[5] „Judith Butler: Your Behavior Creates Your Gender | Big Think“, R.: Big Think, youtube.com, 06.06.2011, https://youtu.be/Bo7o2LYATDc,  Zugriff am 14.01.2021.
[6] Stefanie Forster, „Yes, there’s such a thing as a ‘female gaze.’ But it’s not what you think“, Medium, 12.06.2018, https://medium.com/truly-social/yes-theres-such-a-thing-as-a-female-gaze-but-it-s-not-what-you-think-d27be6fc2fed, Zugriff am 18.12.2020.
[7] Jo Yurcaba “Implicit Bias Study Reveals 75% of People Perceive Men to Be Smarter Than Women”, verywellmind.com, https://www.verywellmind.com/75-percent-of-people-see-men-as-more-intelligent-than-women-5078063, Zugriff am 22.12.2020.
[8] Vgl. McCabe, Feminist Film Studies, S. 38ff.
[9] Harriet Constable „Why aren’t there more women film directors?“, BBC, 29.11.2019, https://www.bbc.com/culture/article/20191129-why-arent-there-more-women-film-directors, Zugriff am 29.12.2020.
[10] „Eyes On Mikaela Scene . Transformers (2007) – Movie Clip HD [1080p 60 FPS]“, R.: BestClips, youtube.com, 02.10.2017, https://www.youtube.com/watch?v=u0LVDsV7w0E&ab_channel=BestClips, Zugriff am 22.12.2020.
[11] Vgl. E. Ann, Kaplan, „Ist der Blick männlich?“, Frauen & Film 36, Februar 1984, S. 45–60, hier S. 52f.
[12] Steve Rose , „The Oscars‘ new diversity rules are all well and good, but will they make any difference?“, The Guardian, 09.09.2020, https://www.theguardian.com/film/2020/sep/09/oscars-diversity-rules-hollywood, Zugriff am 25.12.2020.  
[14] Vgl. Ashley Morgan, „Sherlock Holmes and the case of toxic masculinity: what is behind the detective’s appeal?“, The Conversation, 16.12.2020, https://theconversation.com/sherlock-holmes-and-the-case-of-toxic-masculinity-what-is-behind-the-detectives-appeal-149561, Zugriff am 14.01. 2020.
[15] Vgl. https://thewildcattribune.com/10097/ae/enola-holmes-shows-that-women-are-more-than-just-pretty-faces/, Zugriff am 14.01.2020.
[16] Laura Döing , „Frauen-Förderung oder Männer-Diskriminierung? Die Frauenquote im Film“, DW, 15.11.2018, https://www.dw.com/de/frauen-f%C3%B6rderung-oder-m%C3%A4nner-diskriminierung-die-frauenquote-im-film/a-46286992, Zugriff am 14.01.2021.

Quellenverzeichnis

Constable, Harriet, „Why aren’t there more women film directors?“, BBC, 29.11.2019, https://www.bbc.com/culture/article/20191129-why-arent-there-more-women-film-directors, 29.12.2020.

Döing, Laura , „Frauen-Förderung oder Männer-Diskriminierung? Die Frauenquote im Film“, DW, 15.11.2018, https://www.dw.com/de/frauen-f%C3%B6rderung-oder-m%C3%A4nner-diskriminierung-die-frauenquote-im-film/a-46286992, Zugriff am 14.01.2021.

Forster, Stefanie, „Yes, there’s such a thing as a ‘female gaze.’ But it’s not what you think“, Medium, 12.06.2018, https://medium.com/truly-social/yes-theres-such-a-thing-as-a-female-gaze-but-it-s-not-what-you-think-d27be6fc2fed, Zugriff am 18.12.2020.

Kaplan, E. Ann, „Ist der Blick männlich?“, Frauen & Film 36, Februar 1984, S. 45–60.

McCabe, Janet, Feminist Film Studies. Writing the Woman into the Cinema, London: Wallflower Press 2004.

Morgan, Ashley, „Sherlock Holmes and the case of toxic masculinity: what is behind the detective’s appeal?“, The Conversation, 16.12.2020, https://theconversation.com/sherlock-holmes-and-the-case-of-toxic-masculinity-what-is-behind-the-detectives-appeal-149561, Zugriff am 14.01.2020.

Mulvey, Laura, „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, Film Theory and Criticism. Introductory Readings, hg. v. Leo Braudy / Marshall Cohen, New York: Oxford University 1999, S. 833—844.

Rose, Steve , „The Oscars‘ new diversity rules are all well and good, but will they make any difference?“, The Guardian, 09.09.2020, https://www.theguardian.com/film/2020/sep/09/oscars-diversity-rules-hollywood, Zugriff am 25. 12. 2020.

Terek, Ania, „6.5. COMPARISON OF TWO OLD THRILLER FILM AND TWO MODERN THRILLER FILMS“, Media, 19.01.2017, https://aniatk.wordpress.com/2017/01/19/6-5-comparison-of-two-old-thriller-film-and-two-modern-thriller-films/, Zugriff am 16.12.2020.

Wang, Jade, „’Enola Holmes’ shows that women are more than just pretty faces“, The Wildcat Tribune, 19.10.2020, https://thewildcattribune.com/10097/ae/enola-holmes-shows-that-women-are-more-than-just-pretty-faces/, Zugriff am 14.01.2020.

Yurcaba, Jo, “Implicit Bias Study Reveals 75% of People Perceive Men to Be Smarter Than Women“, verywellmind.com, https://www.verywellmind.com/75-percent-of-people-see-men-as-more-intelligent-than-women-5078063, Zugriff am 22.12.2020.