Gewalt unter dem Schleier der Romantik

Die Normalisierung sexualisierter Gewalt und der female gaze im Film.
Ein Essay von Valentina Seidl.


Abb. 1: Breaking Dawn – Part 1, R.: Bill Condon, US 2011, 01:18:02.

Ein Genre, welches immer wieder Gewalt verhandelt, ist das Vampirgenre. Auffallend ist jedoch, dass die gezeigte Gewalt gegen Frauen nicht nur patriarchale Werte befürwortet, sondern diese auch gebilligt wird und daher Gewalt alles andere als kritisch dargestellt wird. In manchen Fällen, so behaupten Renae Franjuk und Samantha Scherr, wird sogar so weit gegangen, dass versucht wird für den Täter und nicht etwa für das Opfer Sympathie hervorzubringen.[1] Die Rollen teilen sich in diesem Fall klar in den männlichen Helden und das weibliche Opfer. Problematisch wird allerdings die romantische Komponente, die Gewalt in Beziehungen oft erotisch zur Schau stellt und so verharmlost – genau diese soll in den folgenden Absätzen thematisiert werden.

Die sowohl zum Vampirgenre als auch zum Romantikgenre zugehörige Twilight Saga hat sich durch ihre zahlreichen Fans zu einer medialen Franchise entwickelt. Die vier Bücher und fünf Filmadaptionen fanden nicht nur bei einigen jungen Mädchen Anklang, sondern auch bei einem Teil von erwachsenen Frauen. Genau jene traditionelle Inszenierung von romantischen und genderspezifischen Konventionen, die Kritikpunkte für die Medien und die Wissenschaft aufmachen, kommen auch bei einem Teil des weiblichen erwachsenen Publikums gut an. Die laut Kritiker*innen anti-feministische Darstellung der unterwürfigen, tollpatschigen Protagonistin Bella und dem kontrollsüchtigen Vampir Edward wird innerhalb eines intensiven romantischen Beziehungsgeflechts porträtiert.[2] Die Liebe der Hauptcharaktere steht, gemäß der Definition für romantische Romane der Romance writers of America, im Mittelpunkt und gipfelt in einem zufriedenstellenden Ende.[3]

Stephenie Meyers Saga verfolgt das Leben der High School Schülerin Bella Swan, die sich sowohl in den Vampir Edward Cullen als auch in den Werwolf Jacob Black verliebt. Die Romantik ist dabei immer gezeichnet von physischer als auch emotionaler Gewalt.[4] Edward misshandelt Bella vor allem auf psychischer und emotionaler Ebene, indem er ein Verhalten an den Tag legt, welches an „coercive control“ erinnert.[5] „[C]oercive control typically complements frequent, but often minor, assaults with tactics to intimidate, isolate, humiliate, exploit, regulate and micromanage women’s enactment of everyday life.”[6] Beispielsweise verunsichert Edward Bella, da sein Verhalten unvorhersehbar und sein Gemüt schwer interpretierbar ist. Alles läuft darauf hinaus, dass Bella versucht, sich so gut wie möglich an das von ihm gewünschte Verhalten anzupassen. Durch sein Vampirgehör ist es ihm beispielsweise möglich jedes Gespräch von Bella mitzuverfolgen und da sie stets weiß, dass er zuhört, nimmt das Einfluss auf den Inhalt ihrer Gespräche. Seine Demonstration der Autorität bewegt Bella schlussendlich dazu sich von ihrem sozialen Umfeld zu distanzieren.[7] In romantischen Romanen wird Aggressivität mit Männlichkeit assoziiert und gleichzeitig erotisiert durch die Dynamik zwischen Dominanz und Submission.[8] „The female character is typically described as being overcome with passion by the man´s domineering behaviour.”[9]

Gewalt lässt sich nicht nur an den Beziehungen der Hauptcharaktere ablesen, sondern auch an solchen, die eine untergeordnete Rolle spielen, wie die von Emily Clearwater. Emily wurde von ihrem Freund, dem Werwolf Sam Uley, im Gesicht entstellt als dieser sich durch einen Wutanfall in seine Wolfsgestalt verwandelte. Trotz der schweren Verletzung, die Emily erleiden musste, wird ihre Beziehung zu Sam als hoch romantisch und harmonisch inszeniert. Die immer präsente Gefahr, dass es jederzeit wieder zu einer gewaltvollen Ausschreitung auf Emilys Kosten kommen könnte, wird in den Schleier der ‚wahren Liebe‘ gehüllt. Durch diese Verhüllung wird Sams Tat verharmlost, was auch unterstrichen wird durch die Wiedererzählung der Tat im Film, welche die Schuld für die Gewalt Emily zuschreibt – eine Tatsache, die sehr an Diskussionen über victim blaming erinnert, bei dem den Opfern selbst die Schuld für das sie aufsuchende Elend gegeben wird.[10] „[V]ictims are blamed for provoking abuse because of their behaviour, the actions of the abusers are blamed on external factors.”[11]

Dabei wird Gewalt auch als ‚sexy‘ empfunden:[12] „In The Vampire Diaries and in Twilight, sex and violence are closely associated.”[13] In beiden Adaptionen erhöht sich das Gefahrenpotential für die menschliche Figur durch die sexuelle Erregung des vampirischen Partners. Bei Stefan aus der Serie The Vampire Diaries („Under Control”, The Vampire Diaries 1/18) erröten seine Augen, wenn er Elena küsst, derartig, dass er schließlich abbrechen muss, um sich wieder zu sammeln. Auch in Twilight (Twilight, R.: Catherine Hardwicke, US 2008) ist Edward sehr zurückhaltend aus Angst, dass der Drang Bella zu töten zu groß werden könnte, wenn er sie küsst. Als sie sich im ersten Teil schließlich küssen, reißt sich Edward abrupt von Bella los und knallt rückwärts an ihre Zimmerwand. Der Beschützerinstinkt der vampirischen Partner wird unterstrichen durch ihre Bereitschaft auf Sex zu verzichten, um ihre Partnerinnen vor sich selbst zu schützen. Trotz der immerwährenden Gefahr ist Bella nicht von der Idee, Sex mit Edward zu haben, abzubringen und in Breaking Dawn (Breaking DawnPart 1, R.: Bill Condon, US 2011) bringt sie ihn schließlich dazu in der Hochzeitsnacht mit ihr zu schlafen. Als sie am Morgen danach aufwacht, ist ihr Körper übersäht mit Blutergüssen. Warum also ist das weibliche Publikum trotz der immerwährenden Gefahr für die menschlichen Frauen in solchen Formaten begeistert von diesem Genre und verfällt nicht in Angst? Die These von Jessica Taylor ist, dass die Melodram-Genrekonventionen die Gewalt der Männer unter dem Deckmantel der Romanze verharmlosen. Sie beschreibt außerdem:

“While the romance conventions may re-code the violent behaviour of the heroes as reassuring, an examination of how an emergent female gaze interacts with these texts can further suggest why these male characters are deemed desirable, and why the series is so popular for a contemporary female audience.”[14] 

Mit dem eben erwähnten female gaze versuchen Filmschaffende die Dynamik des male gaze umzudrehen. Es handelt sich dabei um einen Rollentausch zwischen der passiven Frau und dem aktiven Mann. Der von Laura Mulvey geprägte Begriff male gaze, welcher die Frau zum Spektakel und den Mann zum scopophilischen, objektifizierenden Zuseher macht, wird umgekehrt.[15] Männer werden unter Anbetracht ihrer vermeintlich natürlichen Dominanz in Form von Körpergröße und Muskelmasse objektifiziert. Erkennbar wird dies vor allem durch Jacob, dessen körperliche Entwicklung sowohl im Buch als auch im Film (New Moon, R.: Chris Weitz, US 2009) betont wird. Das Konzept der „to-be-looked-at-ness“ von Mulvey wird in diesen Fällen auf den Mann angewandt.[16]  Edward und Jacob werden durch ihre Körper und Fähigkeiten so in Szene gesetzt, dass das Publikum den mächtigen, gefährlichen, gewalttätigen Mann als begehrenswert sieht. Die Kamera verweilt unzählige Male auf Jacobs nacktem Oberkörper und erkennt das Verlangen der heterosexuellen Frau an.[17]

“This intense […] focus on the hyper-desirabilty of the bodies of Edward and Jacob suggests the importance of critiquing the way the potentially violent male body is re-coded to be desirable.“[18]

Diese Kritik ist insofern wichtig, da die Repräsentation von Partnerschaft und Männlichkeit in diesen Formaten problematische Werte vermittelt und toxisches Verhalten normalisiert. Es wird vollkommen außer Acht gelassen, dass nicht nur alte Genderstereotypen, wie männliche Dominanz und weibliche Unterwerfung, sondern auch eine Assoziation von Männlichkeit mit Gewalt normalisiert wird. Laut Scherr und Franjuk gibt es bereits Studien, die implizieren, dass die Darstellung der gewalterfüllten Beziehungen, wie sie unter anderem im Vampirgenre zu finden sind, zu mehr Akzeptanz von Gewalt in Beziehungen führen könnte – sowohl von Seiten der Frauen als auch der Männer. [19]

Direktnachweise

[1] Renae Franjuk / Samantha Scherr, “The Lion Fell in Love with the Lamb”, Feminist Media Studies, 13(1), 2013, S. 14–28, hier S. 15ff.
[2] J.S. Aubrey et al., “The Twilight of Youth”, Psychology of Popular Media Culture, 7(1), 2008, S. 61–71, hier S. 61f.
[3] Rosalind Gill / Elena Herdieckerhoff, “Rewriting The Romance”, Feminist Media Studies, 6(4), 2006, S. 487-504, hier S. 490.
[4] J. Taylor, “Romance and the Female Gaze Obscuring Gendered Violence in The Twilight Saga”, Feminist Media Studies, 14(3), 2014, S. 388–402, hier S. 388f.
[5] Vgl. ebd., 391.
[6] Evan Stark, Coercive Control: How Men Entrap Women in Personal Life, Oxford: University Press 2007, S. 171 .
[7] Vgl. J. Taylor, “Romance and the Female Gaze Obscuring Gendered Violence in The Twilight Saga”, S. 391f.
[8] Vgl. Renae Franjuk / Samantha Scherr, “The Lion Fell in Love with the Lamb”, S. 15f.
[9] Ebd., S. 16.
[10] Vgl. J. Taylor, “Romance and the Female Gaze Obscuring Gendered Violence in The Twilight Saga”, S. 388ff.
[11] Ebd., S. 390.
[12] Vgl. Renae Franjuk / Samantha Scherr, “The Lion Fell in Love with the Lamb”, S. 22.
[13] Ebd.
[14] J. Taylor, “Romance and the Female Gaze Obscuring Gendered Violence in The Twilight Saga”, S. 397.
[15] N. Perfetti-Oates, “Chick Flicks and the Straight Female Gaze. Sexual Objectification and Sex Negativity in New Moon, Forgetting Sarah Marshall, Magic Mike, and Fool’s Gold”, Gender forum, (51), 2015, S. 1.
[16] Laura Mulvey, “Visual Pleasure and Narrative Cinema”, in: The Sexual Subject: A “Screen” Reader in Sexuality, hg. v. John Caughie / Annette Kuhn, London: Routledge 1992, S. 22-34.
[17] J. Taylor, “Romance and the Female Gaze Obscuring Gendered Violence in The Twilight Saga”, S. 397ff.
[18] Ebd., S. 397.
[19] Vgl. Renae Franjuk / Samantha Scherr, “The Lion Fell in Love with the Lamb”, S. 24.

Quellenverzeichnis

Aubrey, J. S., et al., “The Twilight of Youth”, Psychology of Popular Media Culture, 7(1), 2008, S. 61–71. DOI: 10.1037/ppm0000127.

Franjuk, Renae / Scherr, Samantha “The Lion Fell in Love with the Lamb”, Feminist Media Studies, 13(1), 2013, S. 14–28, DOI: 10.1080/14680777.2011.647966.

Gill, Rosalind / Herdieckerhoff, Elena, “Rewriting The Romance”, Feminist
Media Studies
, 6(4), 2006, S. 487-504, DOI: 10.1080/14680770600989947.

Mulvey, Laura, “Visual Pleasure and Narrative Cinema”, in: The Sexual Subject: A “Screen” Reader in Sexuality, hg. v. John Caughie / Annette Kuhn, London: Routledge 1992, S. 22–34.

Perfetti-Oates, N., “Chick Flicks and the Straight Female Gaze. Sexual Objectification and Sex Negativity in New Moon, Forgetting Sarah Marshall, Magic Mike, and Fool’s Gold”, Gender forum, (51), 2015, S. 1.

Stark, Evan, Coercive Control: How Men Entrap Women in Personal Life, Oxford: University Press 2007.

Taylor, J., “Romance and the Female Gaze Obscuring Gendered Violence in The Twilight Saga”, Feminist Media Studies, 14(3), 2014, S. 388–402, DOI: 10.1080/14680777.2012.740493.