Die Neuentdeckung von Jennifer’s Body im queerfeministischen Filmkanon

Ein Essay von Florian Frenkenberger.

Seit einiger Zeit kommt es, zumindest meiner Beobachtung nach, vermehrt zur Reevaluierung von Filmen vergangener Jahre. Insbesondere fallen dabei Filme aus den 1990ern und 2000ern auf. Hierbei geht es um Filme wie Legally Blonde (R.: Robert Luketic, US 2001) [1] , The Craft (R.: Andrew Fleming, US 1996) [2] oder auch D.E B.S. (R.: Angela Robinson, US 2004) [3] , welche zum Zeitpunkt ihres Releases nicht unbedingt die größten Lieblinge der Kritiker*innen waren, heute jedoch in einem neuen Licht als die feministischen und/oder queeren Meilensteine gesehen werden, die sie sind. Eines der prominentesten und interessantesten Beispiele ist der Kultfilm Jennifer’s Body (R.: Karyn Kusama, US 2009) geschrieben von Oscar-Preisträgerin Diablo Cody und entstanden unter der Regie von Karyn Kusama. Der Film hat noch heute durch damals entstandene Kritiken durchgehend mittelmäßige bis schlechte Rezensionen auf Review-Aggregator-Seiten wie Rotten Tomatoes, metacritic und imdb.

Filmkritiker Roger Moore begann seinen Artikel zu Jennifer’s Body für den Chicago Tribune wie folgt:

„Megan Fox, queen of cut-off jeans, lip gloss and hair toss, Fandango bait to the fanboys in the ‚Transformers‘ movies, makes a mess of herself in a teasing mess of a movie titled ‚Jennifer’s Body‘.“ [4]

Dabei fällt direkt die Reduzierung von Megan Fox auf ihre Körperlichkeit, ihre Optik und ihr Sex-Appeal auf.
Scott Tobias schrieb im A.V. Club über den Film unter anderem diese Zeilen:

„Another major problem: Neither Megan Fox nor Amanda Seyfried can handle the wordplay like Ellen Page did. As they play best friends on opposite sides of the popularity divide, Fox rips into her line-readings with lusty overconfidence, while Seyfried timidly pushes them across, as if they were written in a second language. The mayhem begins when the gleefully reckless Fox ropes Seyfried into going to the local roadhouse to see a touring emo band, because she has designs on the lead singer. (Adam Brody, as the diabolical frontman in question, handles the Cody-isms with hilarious aplomb.)“

In diesen Zeilen sticht besonders die unterschiedliche Rezeption der Schauspielleistungen anhand des Geschlechts der Performer*innen heraus. So wird einerseits Fox als zu selbstbewusst und lustvoll im Rezipieren ihres Textes kritisiert, während Brody, laut Kritiker, mit unterhaltender Sicherheit auftritt.

Zwar ist Fox tatsächlich zumeist sehr lustvoll und attraktiv in Szene gesetzt, ganz nach Mulvey und ihrer freud’schen Theorie des Voyeurismus,[5] und performt dementsprechend auch ihren Text mit bewusst spielerischer Arroganz. Dass diese Inszenierung aber nicht rein der Objektifizierung dient, sondern Teil der subversiven Story ist, spricht der Kritiker nicht an. Fox‘ Charakter Jennifer bedient sich ihrer Attraktivität und nutzt diese als Waffe gegen Männer.

Es spricht Bände über die patriarchal geprägte Lesart und die Selbstverständlichkeit der Objektivierung weiblicher Protagonistinnen durch vorwiegend männlicher Filmkritiker, welche diesen Teil des Filmes nicht verstanden haben zu scheinen. Liest man allerdings Berichte weiblicher Filmkritikerinnen aus der Zeit des Filmstarts, so wird schnell klar, dass sich nicht allen die feministische Grundbotschaft aus dem Film verschlossen hat, weil etwa Fox‘ Körper zu ablenkend war oder falsche Erwartungen herrschten.

So schrieben beispielsweise Dana Stevens für Slate und Carrie Rickey für den Philadelphia Inquirer folgendes:

„But ultimately Jennifer’s Body functions best as an allegory about female friendship, with all its attendant cross-currents of envy, competition, loyalty, and betrayal.“[6]

„As a horror movie, Jennifer’s Body doesn’t fully deliver. But as a comic allegory of what it’s like to be an adolescent girl who comes into sexual and social power that she doesn’t know what the heck to do with, it is a minor classic.“[7]

In diesen Zitaten wird der andere Zugang zum Film klar ersichtlich. So interpretiert Stevens den Film als Allegorie für weibliche Freundschaften und deren Probleme, während Rickey in Jennifer’s Body eine Aufarbeitung dessen sieht, was es für eine junge Frau bedeutet, erwachsen zu werden. Jennifer selbst wird in den Rezensionen nicht auf ihr bloßes Erscheinungsbild reduziert und die Kritikerinnen können ihre eigenen Erfahrungen im Film wiedererkennen.

Diesen ambivalenten Kritiken stehen in der heutigen, für queerfeministische Thematiken viel empfänglicheren Gesellschaft deutlich positivere Meinungen gegenüber. Damit soll hier schlussendlich der eigentliche Entstehungspunkt dieses Essays angesprochen werden:
die heutigen Reflexionen auf den Film, welche im Vergleich zu früher um vieles besser ausfallen. In vielen Rückblicken und heute entstehenden Kritiken (so etwa gerade von jüngeren Generationen, insbesondere Frauen, auf Filmcommunityseiten wie letterboxd) wird Jennifer’s Body zumeist als
moderner Kultklassiker und feministischer Horror bezeichnet.

Besonders interessant sind im Zuge dieser Neubetrachtung etwa kritische Essays wie Desiring Monsters: Femininity, Radical Incontinence, and Monstrous Appetite in Ginger Snaps, Jennifers Body, and Deadgirl von Deborah Wills und Toni Roberts. Um die beiden Autor*innen zu zitieren:

„[A]nd since long before her demonic transformation, her will to consume is portrayed as monstrously destructive. […] Inverting the tradition that identifies men with personhood and women with ‚the non-subject‘, when her friend Needy asks if Jennifer is eating people, she replies, ‚No. I’m eating boys.‘“[8]

Dabei wird in ihrer Arbeit unter anderem die kritische Subversion von gegenderten Rollen in Horrorfilmen untersucht, wobei laut beiden Jennifer zur Person wird und stattdessen Jungen die Rolle der Lustobjekte beziehungsweise Non-Subjekte zukommt.

Auch verweigert sich die Darstellung von Jennifer gegen eine typische Portraitierung der Frau, wie sie mithilfe der Psychoanalyse von der Autorin Laura Mulvey im klassischen Hollywoodkino beschrieben wird. Sie wird zwar durch die Kamera (welche auch von einem Mann, M. David Mullen, geführt wurde) zum Betrachtungsobjekt, allerdings wird sie weder innerhalb der Story noch in Form der Darstellung entmachtet, um dem männlichen Zuseher die Angst zu nehmen. Kaplans Beschreibung der Sexualisierung und Objektifizierung als Form der Entmachtung stößt hier also auf eine Grenze. (Anm.: Im Bereich der Psychoanalyse wird die Sexualisierung nicht nur als erotisches Mittel, sondern auch als Mittel zur Aufhebung der Bedrohung durch die Frau bezeichnet.) [9]

Wie aus dem Zitat von Wills und Roberts oben bereits hervorgeht, ist es Jennifer, die die volle Handlungsmacht besitzt und sich nimmt, was und wen sie will. Es kommt also zu etwaigen Widersprüchen zwischen Handlung und Bildsprache, da Jennifer zwar stets voyeuristisch inszeniert wird, womit laut Mulvey eine befriedigende Sensation für das männliche Publikum einhergehen sollte, [10] sich jedoch all ihre Aktionen gegen die Verharmlosung und Degradierung ihrer Person verwehren.

Dieses Spiel mit dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Optik und Inhalt ist eventuell mit einer der Gründe für die gemischten Rezeptionen. Ähnlich wie in den 1980er-Jahren viele männliche Kritiker nicht wussten, wie sie mit Ewa Partums Performancekunst umgehen sollten, da sie oft nackt auftrat, [11] fiel es möglicherweise vielen Kritiker*innen schwer, die Inszenierung von Jennifer’s Body als bewusst eingesetztes Stilmittel zu erkennen und die queerfeministischen Motive des Filmes wahrzunehmen.

Hinderlich bei der Reaktion auf den Film damals war auch das Blacklisting von Megan Fox, welche sich zu der Zeit vor dem Filmrelease, zugegebenermaßen etwas hyperbolisch, gegen das Verhalten von Michael Bay bei den Dreharbeiten zu Transformers beschwerte. Daraufhin wurde sie von Presse [12] und Exkollegen [13] gleichermaßen beleidigt. Hinzu kam das fehlgeleitete Marketing zu Jennifer’s Body, worauf Regisseur*innen bzw. Drehbuchautor*innen selten Einfluss haben und welches zumeist von Studioseite aus geplant wird: Im Interview mit IndieWire verwies Kusama etwa auf ihren von Fox ignorierten Hinweis, den Film nicht mithilfe von Megan Fox‘ Sex-Appeal zu vermarkten, wodurch beim Publikum andere Erwartungen entstanden. [14]

Diablo Cody, die Drehbuchautorin von Jennifer’s Body, reflektierte im selben Interview folgendes:

„Because of the way the film was marketed, people wanted to see the movie as a cheap, trashy, exploitative vehicle for the hot girl from Transformers. That’s how people insisted on seeing the film, even though I think when you watch it, it’s pretty obvious that there’s something else going on.“ [15]

Doch obwohl die Reaktionen der Zuschauer*innen durch das Marketing des Films unpassend vorkodiert wurden, kann die Rezeptionsgeschichte von Jennifer‘s Body viel über die strukturell antifeministischen Mechanismen der Filmindustrie und ihrer Rezipient*innen erzählen. Dass der Film heute einen beinah ikonischen Status innerhalb der Horrorszene und dem queerfeminist movie canon hat, ist für die Filmemacherinnen sowie Megan Fox hoffentlich ein kleiner Trost für ihren einst missverstandenen modernen Horrorklassiker.

Direktnachweise

[1]Nicole Haynes, „Elle Woods: the Underdog Feminist Icon“, Redbrick, 17.11.2020, https://www.redbrick.me/elle-woods-the-underdog-feminist-icon/, Zugriff am 22.12.2020.
[2]Lisa Lagace, „How ‚The Craft‘ Changed the Game for Female-Driven Teen Films“, marie claire, 27.10.2016, https://www.marieclaire.com/culture/news/a23254/the-craft-female-driven-teen-films/, Zugriff am 22. 12. 2020.
[3]Kyle Turner, „10 Queer Camp Films That Have Left an Impact on Film History“, hyperallergic, 27.06.2019, https://hyperallergic.com/506573/queer-camp-film-roundup/, Zugriff am 22.12.2020.
[4]Roger Moore, „’Jennifer’s Body’“, Chicago Tribune, 16.09.2009, https://www.chicagotribune.com/zap-review-jennifers-body-story.html, Zugriff am 22.12.2020.
[5]Laura Mulvey, „Visuelle Lust und narratives Kino“, Gender & Medien-Reader, hg. v. Kathrin Peters/Andrea Seier, Zürich/Berlin: Diaphanes 2016, S. 45-60.
[6]Es sei an dieser Stelle dazu gesagt, dass hier ausgewählte Kritiken im Dienste der Thematik zitiert werden und es sicherlich sowohl männliche Kritiker gab, welche das Meta-Narrativ, die Subversion und die quuerfeministische Botschaft von Jennifer’s Body klar verstanden haben, als auch weibliche Kritikerinnen, welche dies nicht taten oder dachten, dass die Art und Weise, wie Cody und Kusama die Thematik handhabten, unangemessen fanden und sich, wenn auch bewusst, in ihrer Inszenierung vielleicht zu sehr einem male gaze bedienten. Stevens, Dana, „Jennifer’s Body. One of the most purely pleasurable movies of the year so far.“, Slate, 17.09.2009, https://slate.com/culture/2009/09/jennifer-s-body-is-impossible-to-stop-watching.html, Zugriff am 23.12.2020.
[7]Carrie Rickey, „Horror-comedy with feminist bite“, The Philadelphia Inquirer, 17.09.2009, https://www.inquirer.com/philly/entertainment/movies/20090918_Horror-comedy_with_feminist_bite.html, Zugriff am 23.12.2020.
[8]Deborah Wills / Toni Roberts, „Desiring Monsters: Femininity, Radical Incontinence, and Monstrous Appetite in Ginger Snaps, Jennifers Body, and Deadgirl.“, Reconstruction: Studies in Contemporary Culture 17/2, 2017, S. 9.
[9]Kaplan, E. Ann, „Ist der Blick männlich?“, Frauen & Film 36, S. 45-60, hier S. 46f.
[10]Ebd., S. 47.
[11]Ewa Majewska, „Feminist Art of Failure. Ewa Partum and the Avant-garde of the Weak“, View. Theories and Practices of Visual Culture 16, 2016, S. 1-28., hier S. 11.
[12]Missy Schwarz, „Crazy s— Megan Fox has said: Starring Michael Bay as Hitler!“, Entertainment Weekly, 04.09.2009, https://ew.com/article/2009/09/04/crazy-s-megan-fox-has-said-starring-michael-bay-as-hitler/, Zugriff am 27.12.2020.
[13]Nicole Pedersen, „Some Michael Bay Crew Members REALLY Dislike Megan Fox!“, Collider.com, 13.09.2009, https://collider.com/some-michael-bay-crew-members-really-dislike-megan-fox/, Zugriff am 27.12.2020.
[14]Sharf, Zack, „Karyn Kusama: Watching ‘Jennifer’s Body’ Only Get Marketed to Teen Boys Was Painful“, IndieWire, 10.12.2018, https://www.indiewire.com/2018/12/karyn-kusama-jennifers-body-marketing-misogynistic-1202026860/, Zugriff am 27.12.2020.
[15]Ebd.

Quellenverzeichnis

Ebert, Roger, „Popular girl goes bad, begins to devour teen flesh“, 16.09.2009, RogerEbert.com, https://www.rogerebert.com/reviews/jennifers-body-2009, Zugriff am 23.12.2020.

Haynes, Nicole, „Elle Woods: the Underdog Feminist Icon“, Redbrick, 17.11.2020., https://www.redbrick.me/elle-woods-the-underdog-feminist-icon/, Zugriff am 22. 12. 2020.

Kaplan, E. Ann, „Ist der Blick männlich?“, Frauen & Film 36, Februar 1984, S. 45-60.

Lagace, Lisa, „How ‚The Craft‘ Changed the Game for Female-Driven Teen Films“, marie claire, 27.10.2016, https://www.marieclaire.com/culture/news/a23254/the-craft-female-driven-teen-films/, Zugriff am 22.12.2020.

Majewska, Ewa, „Feminist Art of Failure. Ewa Partum and the Avant-garde of the Weak“, View. Theories and Practices of Visual Culture 16, 2016, S. 1-28.

Moore, Roger, „’Jennifer’s Body’“, Chicago Tribune, 16.09.2009, https://www.chicagotribune.com/zap-review-jennifers-body-story.html, Zugriff am 22.12.2020.

Mulvey, Laura, „Visuelle Lust und narratives Kino“, Gender & Medien-Reader, hg. v. Kathrin Peters / Andrea Seier, Zürich/Berlin: Diaphanes 2016, S. 45-60.

Pedersen, Nicole, „Some Michael Bay Crew Members REALLY Dislike Megan Fox!“, Collider, 13.09.2009, https://collider.com/some-michael-bay-crew-members-really-dislike-megan-fox/, Zugriff am 27.12.2020.

Rickey, Carrie, „Horror-comedy with feminist bite“, The Philadelphia Inquirer, 17.09.2009, https://www.inquirer.com/philly/entertainment/movies/20090918_Horror-comedy_with_feminist_bite.html, Zugriff am 23.12.2020.

Schwartz, Missy, „Crazy s— Megan Fox has said: Starring Michael Bay as Hitler!“, Entertainment Weekly, 04.09.2009, https://ew.com/article/2009/09/04/crazy-s-megan-fox-has-said-starring-michael-bay-as-hitler/, Zugriff am 27.12.2020.

Sharf, Zack, „Karyn Kusama: Watching ‘Jennifer’s Body’ Only Get Marketed to Teen Boys Was Painful“, IndieWire, 10.12.2018, https://www.indiewire.com/2018/12/karyn-kusama-jennifers-body-marketing-misogynistic-1202026860/, Zugriff am 27.12.2020.

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Wills, Deborah / Roberts, Toni, „Desiring Monsters: Femininity, Radical Incontinence, and Monstrous Appetite in Ginger Snaps, Jennifers Body, and Deadgirl.“, Reconstruction: Studies in Contemporary Culture 17/2, 2017, S. 9.