Analoge Frauenbildnisse als pornografische Projektionsfläche?

Scopophilie und Voyeurismus bei Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka.
Anonyme*r Autor*in.

Erotische Zeichnungen der Maler Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka wurden wegen ihrer Obszönität, als Verstoß gegen die Sittlichkeit, beschlagnahmt. Jene drei Maler wurden als Pornografen abgetan und angeklagt.
Sie arbeiteten die „Frauenfrage“, ein erstes Aufbrechen der damals vorherrschenden Gesellschaftsstruktur des Wiener 19. Jahrhunderts, fernab vom historisch typisierten Bildthema auf.[1]

Diese neuartigen Darstellungen von Frauen wurden zu einer Projektionsfläche eigener Befindlichkeiten, Schmerzen und Ängste.

Farbstimmungen und die akzentuierte Hervorhebung gewisser Körperteile verbildlichen den individuell gesetzten Fokus der Maler: Ihre eigene Sexualität wurde exhumiert, der Wunsch, aus moralischen Zwängen auszubrechen, wurde parabolisch festgehalten und auf die Modelle projiziert. Es wurde versucht etablierte Geschlechterstereotypen der weiblichen Darstellungen, darunter die Dreiteilung Hure, Mutter, Madonna, aufzubrechen. Frauen wurden fernab dieser Rollen abgebildet. Der Fokus lag jedoch auf der fetischisierten Erotisierung der Körper.

Das Belvedere Museum Wien widmete dieser Thematik 2015/2016 die Ausstellung KLIMT/SCHIELE/KOKOSCHKA UND DIE FRAUEN (22.10.2015-28.02.2016, Wiener Belvedere), welche chronologisch und thematisch in unterschiedliche Bereiche gegliedert wurde: (Liebes)-Paar, Mutter mit Kind und Akt. Da im historischen patriarchalen Raum den Frauen wenig Gestaltungsmöglichkeiten zugesprochen wurden, begegnete die Kuratorin Jane Kallir diesem Sachverhalt symbolisch, indem die Bildunterschriften jeweils mit Zitaten der abgebildeten Frauen versehen wurden. Anhand der illustrierten Blickstrukturen wird in den Skizzen von Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka den dargestellten Frauen ihr Subjektstatus abgesprochen und ihre Körper somit zu Objekten. In den Darstellungen von (Liebes-)Paaren und Akten lässt sich eine fetischisierte Darstellung der Frauenkörper erkennen. Fetischismus gründet in der sexualisierten Schönheit eines Objekts.[2] Ob dies die Intention der Maler gewesen ist, lässt sich nicht bestimmen. So könnten die Maler ihre hierarchische Stellung innerhalb des Blickregimes ausgekostet oder auch den Frauen individuelle Inszenierungsmöglichkeiten angeboten haben. 

In der Ausstellung wurden nicht nur fertige Gemälde gezeigt, sondern auch Skizzen. Da in den 1910er und 1920er Jahren Gemälde zumeist als Auftragsarbeiten entlohnt wurden, zeigen die beinahe privaten Skizzen das wahre Interesse, fernab von Entlohnung, der Künstler auf.
So stellt sich die Frage, ob sich ein ,Fortschritt‘ in der Darstellung der Frau in einem historischen Kontext festmachen lässt und somit der Blick auf dieses Geschlecht von analogem Bildmaterial zu digitalen Bewegtbildern verändert hat.

Dies wird in Bezugnahme zweier Texte der feministischen Filmwissenschaft aus den Jahren 1975 und 1984 versucht. Denn die Thesen der kinematografischen Blickstrukturen lassen sich ebenso auf analoges Bildmaterial der Jahre 1910 bis 1920 anwenden.

In den folgend erläuterten Skizzen stellen sich die Maler bewusst in die Position eines Voyeurs.

Um diese Position in der Analyse zu verdeutlichen bedarf es einer Erläuterung des Konzepts. Der Begriff Voyeurismus beinhaltet den skopophilischen Instinkt (in diesem verwendeten Sinne: Übertragung des männlichen Vergnügens am eigenen Geschlechtsorgan, anhand der Beobachtung anderer beim ,Nacktsein‘ oder beim Geschlechtsakt).[3] Diese Neugier ist laut Sigmund Freud ein angeborener Instinkt und bildet auch das Fundament für Laura Mulveys Visual Pleasure and the Narrative Cinema aus 1975.

Mulvey argumentiert, dass Frauendarstellungen, welche von Männern erzeugt werden, die visuelle Lust manipulieren. Die Erotik werde an eine patriarchale Ordnung angepasst und durch den männlichen Zuseher abermals reproduziert.[4]

E. Ann Kaplan bezieht sich im Jahr 1984 auf Mulveys Essay und stellt die Frage: „Ist der Blick männlich?“. Kaplan handelt in dieser Fragestellung ein patriarchales Blickregime ab, welches auf der Kinoleinwand visualisiert werde. Demnach hätten Frauen gelernt, dass ihre Sexualität durch den männlichen Blick beherrscht werde. Da der Objektstatus als erotisch empfunden werde, erfordere diese Rolle einen gewissen Grad an Masochismus. Wenn dieses aktiv-passive Lustprinzip nicht aufgebrochen werde, würde es zu einer anhaltenden Norm kommen. Demnach würde die Frau als passive Empfängerin männlicher Begierde gelten.
Jene visuelle Darstellung diene als Resultat des patriarchalen Unbewussten, eines phallozentrischen Diskurses.[5]

„Der Blick ist (buchstäblich) nicht unbedingt männlich, seine Sichtweise und die damit verbundene Aktivität ist jedoch, innerhalb unserer Sprache und der Struktur unseres Unbewußten, nur von einer männlichen Position aus möglich.“[6]

Sobald im Blicken eine Objekt-Subjekt-Beziehung-Dynamik ersichtlich ist, wird eine der beiden Partien unterdrückt. Anhand dieser These werden in den folgenden Bildanalysen normierte und klar definierte Geschlechterrollen verdeutlicht. Dieser sehr komplexe Apparat von Blicken privilegiert den Mann / den Maler; seinen Blicken ist historisch und auch sozioökonomisch ein Recht auf Macht, Aktion und ein Verlangen eingeschrieben.[7]

In der ersten Abbildung lässt sich eine lustvolle Blickdynamik festmachen, so scheint es als würde das Modell vor einem Spiegel stehen. Schiele porträtiert das Spiegelbild des Modells und sich selbst, da er nicht nur das Modell porträtiert, schreibt er eine phallozentrische Autorschaft in das Bild ein. Durch die gleichzeitige Darstellung von Subjekt und Objekt wirkt es so, als würde die Symbiose zwischen den beiden hinterfragt werden. Es scheint so als begreife sich der Maler wichtiger als das Modell, indem der Darstellungsversuch seiner Machtposition im Vordergrund steht. Dies wird auch im Titel „Schiele Drawing a Nude Model before a Mirror“ des Skizzenblatts ersichtlich, indem sich Schiele an erste Stelle stellt, obwohl das Modell zweimal erscheint. Als nennenswertes ästhetisches Mittel gilt die Aufgliederung der Blickstruktur in drei Instanzen. Die erste Instanz bildet der Blick des Malers auf das Modell, als zweite Instanz kann der Blick des Modells in den Spiegel beziehungsweise der Blick des Modells auf den Maler gedeutet werden. Die dritte Ebene obliegt den adressierten Betrachter*innen, welche durch die patriarchal geprägten, heterosexuellen Augen Schieles zu blicken scheint und diesen Blick damit reproduziert. Jene Blickstruktur in drei Instanzen lässt sich mit jener von Laura Mulvey in Einklang bringen. Demnach lässt sich der kinematografische Prozess ebenso heteronormativer männlicher Macht zuordnen.[8]

Klimt hingegen skizziert in Abbildung 2 ein Paar beim Akt. Der Maler gibt als außenstehender Betrachter, als Voyeur, einen intimen Moment anderer wieder. Hier wird der scopophilische Instinkt der Betrachter*innen angeregt. Andere beim ,Nacktsein‘ und beim Geschlechtsakt zu beobachten versetzt die Betrachter*innen in Vergnügen. Diese Absicht zeigt sich heute noch in Aktfotografie und Pornofilmen, welche den skopophilischen Instinkt der Betrachter*innen ansprechen soll.

Obwohl zwischen den analogen Frauenbildnissen und den Thesen Laura Mulveys und E. Ann Kaplan über digitale Kinematografie beinahe 50 Jahre liegen, lässt sich leider nur ein allzu schleppendes Aufbrechen der Binarität zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mann und Frau feststellen. Diese Binarität ließe sich aufbrechen, sobald Blicke, welchen ein historisch kodifiziertes Blickregime eingeschrieben ist, bewusster und behutsamer eingesetzt und somit reflektiert würden.

Abb. 1: EGON SCHIELE,
Schiele Drawing a Nude Model before a Mirror, 1910, Albertina, Vienna.
Abb. 2: GUSTAV KLIMT, Couple Facing Right, 1913, Ink on Japanese paper, 36,5 x 56,5 cm.

Direktnachweise

[1] Wrussnig, Kerstin Christin, „Wollen Sie Ein Mann Sein Oder ein Weiberknecht?: Zur Männerrechtsbewegung in Wien der Zwischenkriegszeit“, Dipl.-Arb., Univ. Wien 2009, S. 20f.
[2] Kaplan, E. Ann, „Ist der Blick männlich?“, Frauen und Film 36, 1984, S. 45-60.
[3] Ebd.
[4] Mulvey, Laura, „Visual Pleasure and the Narrative Cinema“, Screen 16/3, 1975, S. 6-18.
[5] Kaplan, E. Ann, „Ist der Blick männlich?“, S. 54.
[6] Ebd.
[7] Ebd., S. 45-60.
[8] Ebd., S. 46.

Quellenverzeichnis

Husslein-Arco, Agnes, et. al. THE WOMEN OF KLIMT; SCHIELE AND KOKOSCHKA, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, München: Prestel 2015.

Kaplan, E. Ann, „Ist der Blick männlich?“, Frauen und Film 36, 1984, S. 45-60.

Mulvey, Laura, „Visual Pleasure and the Narrative Cinema“, Screen 16/3, 1975, S. 6-18.

Wrussnig, Kerstin Christin, „Wollen Sie Ein Mann Sein Oder ein Weiberknecht?: Zur Männerrechtsbewegung in Wien der Zwischenkriegszeit“, Dipl.-Arb., Univ. Wien 2009, S. 20f.