von Natascha Tonar
Kaum ist Weihnachten vergangen, steht auch schon Ostern vor der Tür. Beide Festlichkeiten bieten einen willkommenen Anlass, an das Mitgefühl der Menschen zu appellieren und so verwundert es kaum, dass auch der VDMFK besonders zu diesen Zeiten verstärkt Werbeaussendungen verschickt. Dass der Verlag, der Mund- bzw. Fußmalereien von Künstler*innen mit Disabilites vertreibt, seine Produkte bewirbt, erscheint zunächst legitim. Doch das Format wurde bereits Gegenstand für scharfe Kritik. So flattert meist ein Kuvert inklusive Postkarten ins Haus, dem ein Brief mit der Bitte um eine Spende für Erhaltenes beiliegt. Obligatorischer Weise wird dabei im Kleingedruckten darauf hingewiesen, dass kein Kaufzwang besteht und der Brief auch nicht zurückgesendet werden muss. Wenngleich dieses Vorgehen zwar ökologisch gesehen problematisch ist, scheint es doch marketingtechnisch nicht außergewöhnlich zu sein. Kritiker*innen wie Uwe Ritzer (Journalist der Süddeutschen Zeitung), Burkhard Wilke (Leiter des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen), Helmut Lorscheid (freier Journalist) und Otto Dobbeck (Rechtsanwalt) verweisen darauf, dass der VDMFK keine unabhängige Selbsthilfeorganisation im Sinne einer edelmütigen karitativen Organisation sei, sondern es sich vielmehr um ein undurchsichtiges Wirtschaftsunternehmen par excellence handle.[1] Um die Produkte des Verlags möglichst effizient zu vermarkten „wurde das Etikett ‚behindert‘ draufgeklebt“, so Dobbeck.[2] Der VDMFK verweist im Kleingedruckten zwar darauf, dass er keine karitative Einrichtung im klassischen Sinne sei[3], jedoch führt die mitleiderregende Aufmachung des gesamten Marketings so manche Spender*innen in die Irre. Kritik hagelte es auch auf Grund der Intransparenz bezüglich der Finanzen. Die unverhältnismäßig hohen Honorarnoten des ehemaligen Treuhänders des VDMFK, Herbert Batliner, sowie die enormen Mietkosten, welche seine Tochter Angelika Moosleithner-Batliner dem VDMFK verrechnete (240000 Schweizer Franken), seien Beispiele dafür, dass die fehlende finanzielle Transparenz, dazu führe, dass ganze Familien, wie etwa die bereits genannte, das vermeintlich an disabled Künstler*innen gespendete Geld in ihre eigenen Taschen wandern lassen.[4] Von Journalist*innen aufgedeckte Fakten wie diese sorgen schon seit Jahrzehnten für negative Schlagzeilen. Trotz allem scheint die Echauffiertheit darüber nicht groß genug zu sein, denn der Verlag schreibt weiterhin schwarze Zahlen. All jene Ungereimtheiten haben die Aufmerksamkeit der Gesellschaft verdient, doch eine mindestens ebenso relevante Sache wird trotz der medialen Aufmerksamkeit komplett vergessen: die Perspektive der disabled Künstler*innen. Von Interesse sollte sein, wie dieses Vorgehen den disabled Künstler*innen schadet bzw. warum viele sich trotz des Wissens darum, dazu entscheiden, Teil davon zu sein. Folgende selbstauferlegte Ziele gibt der VDMFK auf seiner Homepage an: so viele Mund- und Fußmaler*innen wie möglich zu vernetzen, die Wahrung und Förderung der Interessen der Mund- und Fußmaler*innen, die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen, die Förderung und Verbesserung ihrer künstlerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, insbesondere durch Förderung der kommerziellen Nutzung ihrer Werke, sowie der Abschluss und die Verhandlung von Verträgen mit Verlagen in Ländern auf der ganzen Welt; ferner würden Stipendien zur Förderung der Entwicklung von Mund- und Fußmaler*innen und die Organisation von Ausstellungen, sowie die Sammlung, Katalogisierung und Verwaltung von Werken gewährleistet.[5] Liest man diese selbsterklärten Ziele ohne Kenntnis bzw. auch Zugang zu diversen, bereits angesprochenen, Kritiken lässt sich nachvollziehen, warum die Mitgliedschaft in Erwägung gezogen wird.Bedenkt man dabei, dass disabled Personen kaum der Zugang zur Kunst ermöglicht wird bzw. sie kaum die Möglichkeit haben, künstlerisch tätig zu sein, ergibt sich eine neue Perspektive, die zunächst Selbstermächtigung verspricht.
Wie Soshana Magnet und Amanda Watson bereits in ihrem Text How to Get through the Day with Pain and Sadness: Temporality and Disability in Graphic Novels verdeutlicht haben, existiert, besonders in kapitalistischen Ländern, der Wunsch, ein produktiver Teil der Gesellschaft zu sein.[6] Dieser geht einher mit der Sehnsucht nach – nicht nur finanzieller – Unabhängigkeit und Anerkennung. Als ein solches Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen zu werden ist vielen Personen auf Grund von Disability-, aber auch Ilness-, Gender-, Race- oder Class-bezogener Diskriminierung verwehrt. Wie Ulrike Bergmann in ihrem Text Verletzbare Augenhöhe feststellte, ist das „Anerkannt sein als ein Subjekt, das sprechen und handeln kann, […] eine umstrittene und komplizierte Angelegenheit“.[7] Die Veranderung (othering) von Mund- und Fußmaler*innen ist ebenso komplex. Einerseits ermöglicht die Wahrnehmung des anders seinseinen Blick des Staunens über die Fähigkeiten der disabled Personen, doch zugleich wird die Kunstfertigkeit selbst nur auf Grund der Disability zugestanden. Mitleid bedingt oft die Handlung der Spende. Der VDMFK nutzt dies für seine Zwecke. Da er aber einer selektierten Gruppe von disabled Personen nicht nur die Möglichkeit, Teil der kapitalistischen Gesellschaft zu sein, sondern durch die künstlerische Tätigkeit auch die Rückgewinnung einer individuellen Ausdrucksmöglichkeit offeriert, wächst die Anzahl der Mitglieder jährlich. Der Preis, den die Künstler*innen dafür zahlen, ist enorm. Stipendien sowie die Mitgliedschaft sind daran gebunden, dass die Künstler*innen die Vervielfältigungs-, Reproduktions-, Verbreitungs-rechte bis 5 Jahre nach Austritt bzw. über das Ableben hinaus an den Verlag abtreten.[8] Des Weiteren werden für die entstehenden Malereien Motivwünsche geäußert und ästhetische Uniformierung gefordert, was, je nachdem wen man fragt, verpflichtende Produktionsvorgabe ist oder nicht. Betrachtet man die auf der Homepage ausgestellten Malereien, sind vor allem Landschaftsmalereien, florale Motive, Tier- und Fest-Motive vertreten.[9]
Im europäischen Raum werden die Künstler*innen zusätzlich dazu angehalten, christliche Motive aufzunehmen, da diese die Verkaufszahlen zu diversen Festlichkeiten steigern. Dabei sollen die Malereien eine gewisse ,Schönheit‘ ausstrahlen [Abb. 1.], das heißt, dekorativ sein und zum Träumen einladen. Jedenfalls gilt es scheinbar eine positiv besetzte Motivsprache zu verfolgen, um Empfänger*innen möglichst auf einer emotionalen Ebene anzusprechen. Gewünscht wird ein ‚Weichzeichnen‘– die Realität hat in den Bildern nichts verloren. Kunstwerke, die eine kritische Perspektive auf das politische Geschehen, das Selbst oder aber auch auf andere aktuelle Thematiken eröffnen, werden vom Verlag nicht in den Katalog aufgenommen bzw. nicht vertrieben.[10]Die geforderte uniformierte Ästhetik der Malerei verweist die vermeintlich offerierte Selbstverwirklichung zurück in den Bereich des Privaten. Das bestehende Ziel, den Stipendiat*innen große technische Fertigkeiten beizubringen, lässt sich dahingehend verorten, dass der Wunsch besteht, die uniformierte Ästhetik der Gesellschaft in einer Form darzubieten, die den Sehgewohnheiten der Käufer*innen entspricht. Die Künstler*innen bezahlen demnach die Möglichkeit der (Rück-)Gewinnung der persönlichen Ausdrucksmöglichkeit mit der Einschränkung dieser, sowie der Ausbeutung durch das kapitalistische System.
Die anscheinende Akzeptanz der Künstler*innen gegenüber der vorherrschenden Machtstruktur des VDMFK, lässt sich dahingehend verorten, dass es abgesehen von der Selbständigkeit keine Alternativen für disabled Personen, welche im Bereich der Malerei tätig sein möchten, gibt. Der Konzern ist weltweit tätig und außer jeder Konkurrenz. Aus der Perspektive der betroffenen Künstler*innen gleicht die problematische Vorgehensweise des Verlags einer bitteren Pille, die es zu schlucken gilt, um in der von Kapitalismus geprägten Gesellschaft mehr Selbständigkeit und Selbstverwirklichung zu erlangen. Denn durch die Vermarktung der Disability wird genug lukriert, um als ein produktiver Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, dem scheinbar Wertschätzung und Anerkennung zu Teil wird. Die angesprochene berufliche Selbständigkeit ist objektiv gesehen nur für einen Bruchteil der Betroffenen eine Option, denn die damit einhergehenden Schwierigkeiten, sei es in Bezug auf Finanzielles oder aber auch Organisatorisches, sind enorm und nur in Ausnahmefällen bewältigbar. Würde eine finanzielle Transparenz beim VDMFK bestehen, die bestätigte, dass das Geld bei den Künstler*innen landet, könnte man argumentieren, dass die Organisation ermächtigend agiere, in dem Sinne, dass disabled Personen ihre Behinderung bewusst vermarkten, um an der kapitalistischen Maschinerie in für sie für profitabler Weise teilzuhaben. Da diese aber nicht existent ist, mutet das Vorgehen eher wie ein (Selbst-)Missbrauch einer ohnehin schon marginalisierten Gruppe an. Aus einer intersektionalen Perspektive ist es bedenklich, dass der VDMFK durch die finanzielle Ausbeutung und durch das Anleiten zur Selbstrepräsentation bzw. Selbstvermarktung von Disability, den Machtstrukturen der kapitalistischen Gesellschaft in die Hände spielt. Hinzu kommt, dass nur einer selektierten Gruppe die Mitgliedschaft ermöglicht wird. So werden disabled Mund- und Fußmaler*innen, welche nicht unbescholten sind oder mit Hilfsmitteln wie Armstulpen, Kopfhaltern oder ähnlichen malen können, komplett ausgeschlossen. Des Weiteren werden die künstlerische Begabung und Entwicklung der Fertigkeiten pseudoakademisch bewertet und sodann Entscheidungen darüber getroffen, inwiefern eine Förderung oder die Aufnahme als Mitglied gewährt werden soll.[11] Dass dazu keine Richtlinien vorliegen, lässt vermuten, dass auch in diesem Bereich eine gewisse Willkür regiert. Ausgrenzung, unabhängig davon wo sie stattfindet, führte bisher noch nie zu einer positiven Wende in der Gesellschaft und bleibt somit auch zu kritisieren. Es zeigt sich, der VDMFK ist trotz seiner vermeintlich positiven Intentionen, ein Negativbeispiel, wenn es um die Inklusion von disabled Personen im Kunstbereich geht. Zu hoffen bleibt, dass dieser Artikel die Echauffiertheit weiter steigert und so zu einer weiteren Auseinandersetzungen mit der unbequemen Wahrheit führt.
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[1] Vgl. Ritzer, Uwe, „Das Geschäft mit dem Mitleid“, Süddeutsche Zeitung 8. Dezember 2018, 6:40 Uhr, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geschaeft-mitleid-1.4243331-0, Zugriff: 07.02.2020; vgl. Lorscheid, Helmut, „Alle Jahre wieder… …verdient die Familie Batliner an den Mund- und Fußmalern“, Telepolis, 24. Dezember 2004, https://www.heise.de/tp/features/Alle-Jahre-wieder-3437843.html, Zugriff: 07.02.2020.
[2] Ritzer, „Das Geschäft mit dem Mitleid“.
[3] Vgl. o.N.,“FAQ“, o.J., VDMFK. Vereinigung der mund- und fussmalenden Künstler in aller Welt e.V., https://vdmfk.com/faq/, Zugriff: 07.02.2020.
[4] Vgl. Ritzer, „Das Geschäft mit dem Mitleid“.
[5]Vgl. o.N., „Statuten- Der Verein bezweckt:“, o.J., VDMFK. Vereinigung der mund- und fussmalenden Künstler in aller Welt e.V, https://vdmfk.com/ueber-uns/statuten/Zugriff: 07.02.2020.
[6] Vgl. Magnet, Shoshana / Watson, Amanda, „How to Get through the Day with Pain and Sadness: Temporality and Disability in Graphic Novels“, in: Disability Media Studies, Hg. Elizabeth Ellcessor/Bill Kirkpatrick, New York: Univ. Press 2017, S.247–271.
[7] Bergermann, Ulrike, „Verletzbare Augenhöhe. Disability, Bilder und Annerkennbarkeit“, in: Andere Bilder: Zur Produktion von Behinderung in der visuellen Kultur, Hg. Beate Ochsner/Anna Grebe, Bielefeld: Transcript 2013, S.296.
[8] Vgl. o.N.,“Statuten. Auszug aus den Statuten“, o.J., VDMFK. Vereinigung der mund- und fussmalenden Künstler in aller Welt e.V,https://vdmfk.com/ueber-uns/statuten/, Zugriff: 07.02.2020.
[9] Vgl. o.N., „Galerie“,o.J., VDMFK. Vereinigung der mund- und fussmalenden Künstler in aller Welt e.V,https://vdmfk.com/galerie/, Zugriff: 12.02,2020.
[10] Vgl. Ebenda.
[11] Vgl. o.N.,“ Informationsbroschüre für Stipendiaten“, o.J., VDMFK. Vereinigung der mund- und fussmalenden Künstler in aller Welt e.V https://vdmfk.com/informationsbroschuere-fuer-stipendiaten/, S.1. Zugriff: 07.02.2020.