Intersektionale Comedy auf Netflix

von Gerald Broos

Als Intersektionalität versteht man den Schnittpunkt mehrerer Formen von Ungleichheit und Differenz, wie Gender, Race, Klasse etc., in der Gesellschaft. Die Forschung analysiert deren Wechselwirkung und die auftretenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse, welche einige dieser Kategorien privilegieren und andere diskriminieren. [1] „Im wissenschaftlichen Kontext kann das Konzept Intersektionalität auch als Sensibilisierungsstrategie betrachtet werden.“ [2] Aufbauend auf diesem Wissen soll in diesem Essay nun dargelegt werden, inwiefern Comedy-Shows als diskursiver Vermittler und Aufklärungsapparat fungieren.

„Krassismus“ von Enissa Amani

Lautes Gelächter, tosender Applaus und Standing Ovation am Sonntagabend, dem 03. November 2019, im Theater Akzent in Wien. Enissa Amani betritt die Bühne und mit ihr, Diskurse und Fragen zu gesellschaftlichen Unterschieden, Intersektionalität und der damit verbunden Begrifflichkeitsnutzung der überwiegend westlichen Gesellschaft. 

[3] Abb. „Enissa Amani Ehrenwort“

Enissa Amani ist die Tochter eines iranischen Literaturprofessors und einer Ärztin. Da ihre sozialistisch eingestellten Eltern politisch verfolgt wurden, floh die Familie mit der 2-Jährigen nach Frankfurt am Main. Es folgte ein abgebrochenes Jura Studium und Studium der Literaturwissenschaften, bis Amani 2013 mit Stand Up Comedy im deutschsprachigen Raum begann. Es folgten zahlreiche Comedy-Preise und öffentliche Auftritte, unter anderem in der RTL-Show Let’s Dance [4]. Im Nachhinein sollte Sie diese bereuen, was Amani während der Comedy-Show mit dem Standpunkt „Frauen werden in solchen Shows sexiert“ begründete. Aus diesem Grund nimmt sie nicht mehr an solchen Veranstaltungen teil. Seit 2018 hat sie neben ihren ausverkauften Comedy-Veranstaltungen in Deutschland, Österreich, London und den USA, ein Comedy-Special auf Netflix mit dem Titel „Ehrenwort“ und seit 2019 ein Special der Netflix Reihe „Comedians der Welt“. Sowohl in den beiden TV-Auftritten, im Tour-Programm, als auch auf ihren Social-Media-Kanälen spricht sie hauptsächlich die sozialen Unterschiede und die Umgangsformen unserer Gesellschaft an. 

Enissa Amani bezeichnete sich selbst, während der zweistündigen Veranstaltung unter dem Motto „Krassismus“, häufig als „POC“ (People of Color) und „Kanake“. Letzteres wird im deutschsprachigen Raum verwendet, um Menschen ausländischer Abstammung (meist aus dem arabisch-persischen Raum) entweder zu beschimpfen oder/und es wird als Selbstbezeichnung gebraucht. [5] Sie selbst ist häufig sexistischen und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Amani legte relativ zu Beginn ihrer Show den Diskurs der korrekten Verwendung von Begriffen zu Randgruppen fest. Sie selbst unterzog sich einer Veränderung ihrer Wortwahl im privaten und öffentlichen Raum. Bei früheren Auftritten verwendete Enissa Amani oftmals Worte wie „behindert“, welche beleidigende Funktionen einnahmen. Während der Show sprach Amani offen darüber, dass sie sich zuerst mit behinderten Menschen unterhalten musste, um ihr Bewusstsein zu schaffen, solche Begriffe nicht als Bindemittel zwischen Beleidigung und Humor zu verwenden. Es ist ihr wichtig klarzustellen, dass sie weiterhin Witze über Afroamerikaner*innen machen darf, da sie selbst zur POC-Gruppe gehört.  Durch die Art und Weise, wie sie sich auf der Bühne und in den sozialen Netzwerken präsentiert, schafft sie mittels Humors Aufklärung bezüglich sozialer Minderheiten. 

Intersektionale Comedy

„Medien [sind] durch ihre Inhalte in der Lage, Zuschreibungen sozialer Rollen sowie gesellschaftlicher Gruppen festzulegen und ein normatives Bild von Sein in sozialen Bezügen zu entwerfen“ [6] 

Der Comedy-Bereich kann einen bedeutenden Beitrag leisten, die Aufklärung von Intersektionalität – innerhalb eines besonderen Rahmens – voranzutreiben.  Besonders Netflix kann hier, mit mehr als 158 Millionen Nutzer*innen weltweit [7], eine gesellschaftlich relevante Rolle zur Bewusstseinsbildung einnehmen. Das gemeinsame Lachen verbindet Menschen weltweit und kann hierfür als Waffe gegen Diskriminierung eingesetzt werden.

In der Vergangenheit wurden vor allem in der Comedy-Branche Randgruppen zu Symbolträgern für Witze, häufig unter dem Deckmantel der Parodie. Da die Rezipient*innen sich amüsierten, wurde das im gesellschaftlichen Kollektiv aufgenommen und mitgetragen. Heutzutage bedient sich auch der Comedy-Bereich neuen Räumen, wie den sozialen Netzwerken, Ted-Talks, oder Streaming-Anbietern wie Netflix, Amazon Prime oder Hulu.  Es ist eine andere Form von Comedy, in welcher Künstler*innen ihre Performance runter von der Bühne, direkt zum Menschen bringen. Die Strategie ist es durch Aktivismus und Wissenschaft normativ weiße Räume zu untergraben und so für intersektionale Präsenz zu sorgen. So werden unter anderem noch unterschiedlichere Zielgruppen erreicht. Die Comedy nimmt also eine neue Rolle ein, wo nicht nur der soziale Wandel kommentiert wird, sondern wo er vielmehr (absichtlich) ausgelöst und beschleunigt werden soll. Künstler*innen können das auf zwei unterschiedliche Ebenen transportieren; einerseits durch Sensibilisierung und Aufklärung und andererseits durch den bewussten Einsatz von Witzen, die Strukturen infrage stellen. [8]

Intersektionale Comedy auf Netflix

[9] Abb. „Comedians of the world“

Im Netflix-Special „Comedians of the world“, welches seit dem 01.01.2019 auf der Streaming-Plattform für alle Länder weltweit zugänglich ist, treten insgesamt 47 Komödiant*innen auf. Sie stammen aus 13 internationalen Ländern (Indien, Deutschland, Brasilien, Frankreich, USA, Australien, usw.), sprechen acht unterschiedliche Sprachen und weisen eine bedeutende Intersektionalität. Alle der 47 Komödiant*innen sprechen durch die Bank eine individuelle Form von Intersektionalität an. Einige von ihnen selbst sind im Laufe ihres Lebens einer oder mehrerer sozialer Vorverurteilungen zum Opfer gefallen und Ungleichheiten zugewiesen worden. [10] Die Serie ist nicht nur die erste international verflochtene Ansammlung von Stand-Up-Auftritten, sie schafft es außerdem duch die Bandbreite and behandelten Themen einen offenen und gesellschaftlichen Dialog in Gang zu setzten.

Auf Netflix findet man eine große Variation an Aufzeichnungen von internationalen Stand-Up-Auftritten, die zahlreiche unterschiedliche Formen von sozialer Ungleichheit ansprechen. Dazu gehören auch Programme wie Ali Wong (Feminismus und asiatisch-amerikanische Gesellschaft), Naomi Ekperigin (weiße/poc women und Race), Hannah Gadsby (Intersektionalität, Kunst der Comedy, Feminismus), Katherine Ryan (Geschlecht und Feminismus), Iliza Shlesinger (Feminismus und Sexualität), uvm. [11] Einen großen Beitrag zur Aufklärung leisten, aber auch einige Serien, wie Dear white People (Rassismus, Feminismus und Klasse), Orange is the new black und Sense 8 (Queer, Feminismus, Rassismus und Klasse), Astronomy Club (Race und Klasse), Sex Education (Queer, Sexualität und Disability), uvm. Comedy-Serien weise, vor allem für ein junges Publikum, enorm großes Potential zur Aufklärung und Sensibilisierung von Intersektionalität auf. 

[12] Abb. „Hannah Gadsby“

Hannah Gadsbys Stand-Up-Auftritt „Nanette“ ist auf Netflix eines der besten Beispiele für Intersektionalität und Comedy. Mit ihrem Programm hinterfragt sie nicht nur die Comedy-Welt an sich, viel mehr deklassiert sie viele bisherigen Programme ihrer Kolleg*innen. Gadsby macht klar, wie sehr es auf das korrekt gesprochene Wort und dessen Bedeutung ankommt. So schafft sie Bewusstsein für die Witze-Trigger unserer Gesellschaft, als auch eine generelle Aufklärung von Intersektionalität im Publikum und bei den Rezipient*innen vor den Bildschirmen zu Hause. Indem Gadsby die Regeln der Comedy umwirft, ruft sie für allgemeinen Respekt aller gesellschaftliche Gruppierungen auf. Ihre Witze stehen oft in Verbindung mit sexistischen oder homophoben Diskursen, der #MeToo Bewegung, uvm. Gadsby fügt dem Ganzen aber auch eine persönliche, emotionale Note bei, indem sie von privaten Geschehnissen, wie ihren eigenen Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch, erzählt. So schafft sie es die Wichtigkeit des Themas hervorzuheben. Des Öfteren meint Gadsby den Comedy-Bereich verlassen zu müssen, da dieser sich nicht verändert und sie so bleibt wie sie ist. Der einzige Ausweg, ihrer Meinung nach, ist es, ihre Geschichte zu verbreiten, um so Partizipation zu schaffen. [13] 

„I believe we could paint a better world if we learned how to see it from all perspectives, as many perspectives as we possibly could. Because diversity is strength. Difference is a teacher. Fear difference, and you learn nothing.“ [14]

Mit diesem Zitat von Hannah Gadsby wird nochmals auf die Notwendigkeit hingewiesen, so viele Perspektiven wie nur möglich kennenzulernen, um seinen eigenen Horizont laufend zu erweitern. Die Comedy als Kommunikationsform, gepaart mit Netflix, einer der allgegenwärtigsten, ist als Sensibilisierungsmethode der Konzepte von Intersektionalität sehr geeignet. Am Ende bleibt es jedoch jedem*r Rezipient*in selbst überlassen, das Angebot anzunehmen, über die besprochenen Themenfelder nachzudenken und sich selbst dahingehend zu hinterfragen. 


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[1] Walgenbach, Katharina (2017): Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft. UTB. S. 54-56.

[2] https://gender-glossar.de/glossar/item/25-intersektionalitaet(zugriff am 22.03.2020)

[3] Abb. „Enissa Amani: Ehrenwort“, Enissa Amani, 2018. Netflix. Online unter: https://www.netflix.com/at/title/80217772(zugriff am 10.12.2020)

[4] https://www.daserste.de/unterhaltung/comedy-satire/satire-gipfel/sendung/sendung-10032014-100.html(zugriff am 20.03.2020)

[5] Amirpur Donja: Sprachvariationen in deutschen Ghettos. Online unter: https://web.archive.org/web/20091010164910/http://www.migration-boell.de/web/integration/47_1095.asp. (zugriff am 10.12.2019)

[6] Wegener, C. (2010): Identität. In: Vollbrecht & Wegener (Hg.): S.61

[7] https://www.mediadb.eu/de/datenbanken/internationale-medienkonzerne/netflix(zugriff am 21.03.2020)

[8] „Gelächter gegen Gewalt? Warum wir über Comedy reden“, Rebell Comedy. YouTube. Online unter: https://www.youtube.com/watch?time_continue=110&v=44ku3UZBMwA&feature=emb_title(zugriff am 21.03.2020)

[9] Abb. „Comedians of the world“, 2019. Netflix. Online unter: https://www.netflix.com/at/title/81008236(zugriff am 20.03.2020)] 

[10] „Comedians of the world“, 2019. Netflix. Online unter: https://www.netflix.com/at/title/81008236(zugriff am 20.03.2020)

[11] https://i-d.vice.com/en_us/article/mbmnyx/call-me-by-your-name-sequel-find-me-review(zugriff am 22.03.2020)

[12] Abb. „Nanette“, Gadsby Hannah, 2018. Netflix. Online unter: https://www.netflix.com/at/title/80233611(zugriff am 20.03.2020)

[13] „Nanette“, Gadsby Hannah, 2018. Netflix. Online unter: https://www.netflix.com/at/title/80233611(zugriff am 20.03.2020)

[14] Ebd.