Fairplay? Sportpolitische Entscheidungen in medialer Öffentlichkeit

von VK

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat am 15. Juni 2018 basierend auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Dritte Geschlecht beschlossen.[1] Dieses Recht gilt seitdem ebenfalls für Sportler*innen, die Sportpolitik sieht das allerdings etwas anders und hält an bisherigen, alteingesessenen Regelungen fest. Wenn es zur Thematisierung rund um das Dritte Geschlecht oder Intersexualität im Sport kommt, spricht die Öffentlichkeit mit und präsentiert medial ihre Meinungen darüber. Diese sportpolitische Problematisierung von Intersexualität und Sexual Diversity im Hochleistungssport kam in den letzten Jahren vor allem durch eine Person auf die Titelseite – die südafrikanische Weltmeisterin im 800m-Lauf –, Caster Semenya. 

Beispiel für mediale Berichterstattung über Caster Semenya.

Im Fall von Semenya hat die mediale Kontextualisierung zur Darstellung der Debatte um Geschlechtstests und das Eingreifen in eigentlich private Befindlichkeiten rund um die sexuelle, sowie biologische Identität, stark beigetragen. Das Ausnahmetalent musste sich auf Verdacht einer „Unstimmigkeit im weiblichen Geschlecht“, einem Gender Verification Test unterziehen, nachdem ihre Dopingtests negativ ausgefallen sind. Der Grund? Ihre tiefe Stimme, eine „zu männliche“ Statur und ihr großer Vorsprung gegenüber ihren Mitstreiterinnen. Das Ergebnis dieses Geschlechtstests wurde nicht veröffentlicht, mit Ausnahme ihres Testosteronwertes, der deutlich über der, einer sogenannten „normalen Athletin*“, liegt. Die IAAF, International Amateur Athletics Federation (heute WorldAthletics), richtete sofort eine neue Testosteron-Regelung ein, die Semenya zu einer invasiven Hormontherapie zwingen würde, ansonsten wäre ihr der Start bei den Frauen über ihre Paradedistanz untersagt.[2]Historisch gesehen war die IAAF und das IOC, International Olympic Comitee, schon immer bedacht auf die „Weiblichkeit“ einer Athletin in der Leichtathletik. Seit Beginn der Startberechtigung der Frauen musste eine Frau beweisen können, nicht „zu männlich“ zu sein und sich gewissen femininity testings unterziehen lassen. Angefangen bei den sogenannten „naked parades“, wo Athletinnen gelegentlich auf ihre äußerlichen und teilweise innerlichen Geschlechtsmerkmale untersucht wurden, deren Vorhandensein, oder eben Nicht-Vorhandensein, die nötige Startberechtigung erteilte. [3]

Begründet war diese Untersuchung auf das weibliche Geschlecht damit, dass man etwaige männliche Betrüger, die sich als Frau ausgebend, teilnehmen und somit unfaire Vorteile gegenüber den Mitstreiterinnen hätten. In der gesamten Gender-testing-Geschichte wurde allerdings ein einziger Fall eines solchen Betruges aufgedeckt. Wobei die Umstände um besagte Person dazumals medial ebenfalls verfälscht dargestellt wurden. Aus ihm wurde ein politischer Großverbrecher gemacht, wobei in seiner persönlichen Geschichte ein Missverständnis und Fehlverhalten gegenüber Geschlechtsungenauigkeit vorlag. [4] Später wurden zwei Tests eingesetzt, die auf den Chromosomensatz der Teilnehmerinnen abzielte und somit Schwierigkeiten für Athletinnen mit DSD (Differences in Sex Developement)  erzeugten. Es gab eine Zeit, in der eine Frau nur am Wettkampf teilnehmen durfte, wenn sie ihre sogenannte „FEM CARD“ vorweisen konnte. Man könnte meinen solch mittelalterliche Vorgehensweisen lägen der Vergangenheit an, dem ist leider nicht so. Auch wenn routinemäßige Untersuchungen auf das Geschlecht einer Athletin verboten sind, so darf sich die IAAF auf „verdächtige Anzeichen“ hinaus eine verpflichtende Vorschreibung zur Untersuchung anmaßen. [5]

Und genau das, war bei Caster Semenya der Fall. Auf ihre gender verification Untersuchung hinaus entstand weltweit eine große Debatte um ihre Person und das sportpolitische Eingreifen in das Leben einer Athletin*. Eine Untersuchung des natürlichen Hormonhaushalts, sowie des biologischen Geschlecht eines Athleten*, der in der Kategorie Mann startet, ist übrigens im Regelwerk nicht verzeichnet. Die Weltmeisterin wurde also zu einer polarisierenden Figur, über die nicht nur in der Sportwelt, sondern auch in alltäglichen Berichterstattungen mit starken Meinungen diskutiert wurde. Titel wie „Zur Kastration geraten“ (Süddeutsche Zeitung) [6], „Nicht Mann, nicht Frau“ (Zeit Online) [7] oder „Caster Semenya: Frau oder Mann?“ (Die Presse) [8]– aus 2009 ebenso wie 2019 –platzierten ihre Person und ihre sexuelle Identität skrupellos in eine Thematik, die sie ablehnt, vor allem da sie sich selbst eindeutig als Frau definiert. Doch was eine einzelne Person über ihre eigene Identität und Privatsphäre zu sagen hat, ist nicht immer gleichgesetzt mit der medialen Repräsentation jener Thematik. Eben solche medialen Statements, verwendete Begrifflichkeiten eingebettet in eine meist einseitige Betrachtungsweise, sprechen Semenya ihr Recht auf ein „Frausein“ ab, durch das Hinterfragen ihrer Geschlechtlichkeit und ihrer „geschlechtlichen Zugehörigkeit“ im binären Sportsystem. Artikel, die sie als Zwitter bezeichnen, oder als Frau mit männlichen Geschlechtsmerkmalen werden veröffentlicht, ebenso wie andere Äußerungen, deren Richtigkeit weit weg von der persönlichen Wahrheit dieser Frau liegen, die sich aber in Medien einer großen Aufmachung und Aufregung bedienen. So schrieb die Kronen Zeitung zum Beispiel „DSD, wie auch Semenya eine ist, verfügen etwa nicht über einen XX-Chromosomensatz, wie die allermeisten Frauen, sondern über XY-Chromosomen, was die Ausschüttung von vermännlichenden Hormonen wie Testosteron ankurbeln kann.“ [9]

Zum Ersten wird der Begriff DSD fehlerhaft verwendet. Dieser medizinische Zustand umfasst eine große Zahl an Veränderungen des Fortpflanzungssystems. Der Begriff umfasst nicht nur wie oben angeführt Frauen* mit einem XY-Chromosomensatz, sondern zum Beispiel auch jene mit einem Mehrfachchromosomensatz oder mit Hyperandrogenämie. DSD ist der medizinische Überbegriff für eine Vielzahl an biologisch geschlechtlichen Individuen. [10] Zum Zweiten definiert diese Aussage Semenya öffentlich als eine Frau*, die einen XY-Chromosomensatz hat, wobei ihre biologische Geschlechtszusammensetzung niemals offiziell von ihr oder irgendeiner anderen Institution veröffentlicht wurde. Oft wird ihre Persona medial in eine Opferrolle gezwängt, die affektiv mit einer Mitleidstrategie spielt und ihr somit ihr Recht auf Selbstbestimmung und öffentlich identifizierbarer Selbstdarstellung abnimmt. An dieser Stelle möchte ich den Begriff „perverse Solidarity“ des amerikanischen Theoretikers Robert McRuer eingehen, der in dieser Medialität zu tragen kommt. McRuer bezeichnet damit eine Art falscher Solidarität, die die betreffende Person in ein bestimmt kontextualisiertes Licht rücken soll. In Semenyas Fall wird eben mittels bestimmte gewählter Aussagen Mitleid erzeugt, das sie teilweise öffentlich in einen Standpunkt zwängt, die sie selbst nicht wählen würde, und auch ihrem Agenda nicht unbedingt guttut. McRuer sagt nämlich, dass durch affektiv erzeugte Sentimentalität, die Position der betreffenden Person „unterhalb“ der Position des Publikums, oder hier Lesers*ins platziert werde. Der Fehler dabei sei, die Verschiebung der Ebenen, die in diesem Fall Semenya nicht in eine ebenbürtige, egalitäre und gleichberechtigte Lage platziert. Mit dieser „gut gemeinten“ Positionierung verliert die eigentliche Thematik an Relevanz und wandert von einer ernst zu nehmenden, solidarisch denkenden Problematik hin zu einem bemitleidenden Hilfsprojekt. [11] Die Medien stellen sich in eine Position, die allwissend erscheint, mit einer genauen Definition und Auslegung der Testergebnisse, die ohne weitere Hinterfragung eins zu eins an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Wer darüber hinaus selbst etwas Recherche betreibt, wird schnell zu dem Entschluss kommen, viele dieser Artikel in die Abteilung „fake news“ zu deponieren. 

Semenya änderte den fragwürdigen Diskurs durch ihre Urteilsanfechtung gegen die neue Testosteron-Regelung der IAAF. Der Fall wurde verloren und besagte Regel blieb im Regelwerk bestehen. [12] „Wenn ich diese Sache weitergehen lasse, was passiert dann mit der nächsten Generation. Es wird sie auslöschen. Wir müssen diese Sache bekämpfen. Genug ist genug.“, so Semenya in einem Interview kurz vor dem Prozess. [13] Ihre Persönlichkeit in den Medien und ihre eigenen Worte zu ihrem Standpunkt beeinflussten die Berichterstattung der Sachlage, vor allem durch eine breitere Anschauungsweise und einem Standpunkt aus einer queeren, feministischen Rahmung. Einige wissenschaftliche Texte sind zu dieser Zeit entstanden, die die sportliche Herangehensweise mit Intersexualität und Frauen mit DSD hinterfragen in einem sozialwissenschaftlichen, feministischen oder auch rein medizinischen Feld.  

„Intersexuality is primarily a problem of stigma and trauma, not gender“, so äußert sich zum Beispiel die südafrikanische Professorin der Soziologie Zine Magubane in ihrem Text über „Spectacles and Scholarship“, die auch eine große Problematik in der medialen Ignoranz gegenüber ihrer Herkunft und historischen Zusammenhängen zwischen Südafrika und Eingriffe in die sexuelle Identität anspricht. Gerade im Vergleich zu den USA oder Europa, sei Südafrika in diesem Diskurs mit Berücksichtigung auf einen kontextualisierten Hintergrund von Poststrukturalismus, Postkolonialismus und Intersektionalität, anders aufgestellt. Speziell fokussierend auf medizinische Eingriffe oder Behandlungen sei Südafrika historisch betrachtet vorbelastet, da diese meistens nur im Zusammenhang mit einer Erhaltung der Privilegien einer weißen heteronormativen Gesellschaft gehandhabt wurde. Magubane erklärt außerdem, dass Studien zu Intersexualität vor allem weiße Patienten*innen umfassen. Somit sind race differences historisch gesehen, und heute nachwirkend, noch eindeutig vorhanden im Umgang mit dem Thema Intersexualität und Sexual Diversity.[14]Ein Videobeitrag der Sportschau greift ebenfalls diese Thematik im Zusammenhang mit Afrika und afrikanischen Athlet*innen auf, da die weibliche Bevölkerung Afrikas anscheinend einen hohen Bestandteil an medizinisch-geschlechtlichen Individuen aufweist. Mindestens 3 von 9 Athlet*innen mit geschlechtsspezifischen Abweichungen sind afrikanische Sportler*innen. [15]

Somit sieht die öffentliche Repräsentation von Semenya weit über den Tellerrand der Sportpolitik hinaus, und greift nicht nur eine sportliche Debatte über den Umgang mit Intersexualität in einem heteronormativen Patriachat auf, sondern auch über Queere Agency und die Berücksichtigung von Race in feministischen Theorien. Die Medientheoretikerin Lori Kido Lopez vertritt die Meinung, lautend: „race is a social construction rather than a biological category“, die sich immer mehr durch kritische race studies herausgebildet hat. Dabei wirft sie auf, dass in einer postracial Zeit, gedacht werde, die Debatte über racial differences sei längst fortgeschritten und damit abgehakt. Dabei sei heutzutage racism noch genauso an der Tagesordnung, wie damals, vielleicht in einer etwas anderen Form und in anderen diskursiven Formationen, aber dennoch deutlich vorhanden im alltäglichen Geschehen. [16]        

Gibt es eine faire Antwort auf die von der Sportpolitik produzierte Problematik? Wo liegt die Grenze zwischen subjektiver Befindlichkeiten und politischer Entscheidungsmacht?

Gender Verification war in der Elite der Leichtathletik schon seit Beginn der Startberechtigung der Frauen ein immerwährendes Thema. Diese historischen Verfahren im Sinne eines binären Geschlechtersystems sind anscheinend bis heute noch stark verinnerlicht. Auch wenn in vielen Bereichen der Gesellschaft ein queeres Denken voranschreitet und adäquat diskutiert wird, steht die sportpolitische Kompetenz der sozial-öffentlichen Kompetenz noch um einiges nach. Die jetzige Sportpolitik benötigt definitiv eines feministischen, queeren und humanitären Aufputz. 


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 [1] Vgl. VfgH, Verfassungsgerichtshof Österreich, https://www.vfgh.gv.at/medien/Personenstandsgesetz_-_intersexuelle_Personen.php, Zugriff: 12.12.2019.

[2] Vgl. IAAF, International Association of Athletics Federations, https://www.iaaf.org/news/press-release/eligibility-regulations-for-female-classifica, Zugriff: 28.01.2020.

[3] Vgl. Sullivan, Claire F., „Gender Verification and Gender Policies in Elite Sport: Eligibility and ‘Fair Play”’, in: Journal of Sport and Social Issues, Volume 35(4), November 2011, https://journals-sagepub-com.uaccess.univie.ac.at/doi/full/10.1177/0193723511426293, S. 403ff, Zugriff: 21.01.2012.

[4] Vgl. Heggie, Vanessa, „Testing sex and gender in sports; reinventing, reimagining and reconstructing histories“ in: Endeavour, Volume 34 (4), Dezember 2010, https://obv-at-ubw.userservices.exlibrisgroup.com/view/action/uresolver.do?operation=resolveService&package_service_id=14872190520003332&institutionId=3332&customerId=3330 ,Zugriff: 30.06.2019, S. 157ff.

[5] Vgl. McGill und Xavier, „Hyperandrogenism and Intersex Controversies in Women’s Olympics“, S.39302ff.

[6] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 28.06.2019, https://www.sueddeutsche.de/sport/leichtathletik-caster-semenya-iaaf-1.4502280, Zugriff: 17.01.2020.

[7] Vgl. Die Zeit Online, 11.09.2009, https://www.zeit.de/sport/2009-09/semenya-zwitter-iaaf-geschlecht, Zugriff: 17.01.2020.

[8] Vgl. Die Presse, 20.08.2009, https://www.diepresse.com/503174/caster-semenya-frau-oder-mann, Zugriff: 17.01.2020.

[9] Vgl. Kronen Zeitung, 19.06.2019, https://www.krone.at/1944293, Zugriff: 05.02.2020.

[10] Vgl. Sullivan, Claire F., „Gender Verification and Gender Policies in Elite Sport: Eligibility and ‘Fair Play”’, S. 400-406, Zugriff: 21.01.2012.

[11]Vgl.McRuer, Robert, „Any Day Now: Queerness, Disability, and the Trouble with Homonormativity”, in: Disability Media Studies, Elizabeth Ellcessor/Bill Kirkpatrick (Hg.), New York: Univ. Press 2017, S. 821f.  

 [12] Vgl. IAAF, International Association of Athletics Federations, https://www.iaaf.org/news/press-release/eligibility-regulations-for-female-classifica, Zugriff: 28.01.2020.

[13] Vgl. „Der Fall Semenya: Chancengleichheit um jeden Preis?“, SportschauDas Erste, 24.02.2019, 05’59“ Min., https://www.sportschau.de/weitere/leichtathletik/video-der-fall-semenya-chancengleichheit-um-jeden-preis-100.html, 00’39“-00’56“,Zugriff: 28.01.2020.

[14] Vgl. Magubane, Zine, „Spectacles and Scholarship: Caster Semenya, Intersex Studies, and the Problem of Race in Feminist Theory“, in: Signs, Volume 39(3), März 2014, https://www-jstor-org.uaccess.univie.ac.at/stable/10.1086/674301?seq=1#metadata_info_tab_contents,S. 775,  Zugriff: 29.01.2020.

[15] Vgl. „Der Fall Semenya: Chancengleichheit um jeden Preis?“, Sportschau, Das Erste, 24.02.2019, 05’59“ Min., https://www.sportschau.de/weitere/leichtathletik/video-der-fall-semenya-chancengleichheit-um-jeden-preis-100.html, 01’37“-02’12“,Zugriff: 28.01.2020.

[16] Vgl. Lopez, Lori Kido, „How to Stare at Your Television: The Ethics of Consuming Race and Disability on Freakshow“, in: Disability Media Studies, Elizabeth Ellcessor/Bill Kirkpatrick (Hg.), New York: Univ. Press 2017, S. 113ff.