Ivo Dimchev
Odeon Theater
Donnerstag, 29. Mai 2025

Hausmittelchen gegen Weltschmerz
Tom Kauth
“Flatrate an der Cocktailbar
Oh, wie schön ist Panama
Cluburlaub in der Karibik
Das Leben ist hier leicht, aber nüchtern sein ist schwierig.”
– Schnipo Schranke, “Cluburlaub” (2015)
Bereits der Aufbau des Odeon-Theater lädt zu einem gemeinsamen ‘auf der Bühne sein’ ein. Der zwar hohe, aber sonst recht simple Raum ähnelt einem langen Schuhkarton und versteckt damit keine Bühnen-Flächen oder etwa einen Backstage-Bereich, von dem aus das Bühnengeschehen für das Publikum unsichtbar orchestriert wird. In DI/STRAUSS TECHNIQUE geht vielmehr alles von Ivo Dimchev selbst aus. Neben in die Abläufe eingeweihter Saalregien gibt es sonst nur noch einen Licht- & Tontechniker, der eine PowerPoint-ähnliche Slideshow und die Lichtsituation unter stellenweise simultaner Korrektur von Dimchev brav und demütig adaptiert. Viel braucht es also nicht. Mit harter Hand und bestimmten Ton leitet Dimchev dann durch ein musikalisch-choreographisches Workout, dessen Hauptbestandteil die sogenannten healing-songs sind. Text, Musik und entsprechende Choreographie hat Dimchev entworfen. Die Abläufe sind “easy-peasy” und das sollen sie auch sein: Niederschwellig. Dimchev erinnert dabei stellenweise an einen Animateur aus einem All-Inclusive Club-Hotel. Wider der Verfassung des Publikums, oder besser: ungeachtet dieser, hebt er die Stimmung, versucht mitzureißen – und das gelingt.
Viel braucht es dafür nicht: Auf jedem Stuhl findet sich ein Beutel, der verschiedene “props” enthält, die in den Choreographien aufgegriffen werden. Außerdem eine kleine Vodka-Flasche. Vor dem ersten healing song, wird ein Schluck angewiesen, vor dem zweiten zwei und so weiter. Das wirkt und die Stimmung im Saal ist schnell ausgelassen, man ist betrunken und das darf und soll auch so sein bei Dimchev.
Denn die Songs und auch der ganze Abend dienen einem erklärten Ziel: Aufmunterung. Nach einer anstrengenden Arbeitsphase, einer zerfallenen Beziehung, oder aufgrund von weltgeistigem Schwermut: Diese Songs, ja diese DI/STRAUSS TECHNIQUE ist Dimchevs Angebot an uns. Ein Hausmittel für wenns mal wehtut. Thematisiert werden Masturbation, Selbstwert, Sex, Geld, toxische Beziehungen und alles, was einen hedonistischen Lebensstil sonst noch so betrifft oder diesem manchmal im Weg steht.
Am Ende entsteht ein ausgelassenes Gefühl. Dimchev hat einen ganzen Saal affiziert und an Johann Strauss erinnert nur seine Perücke und entfernt eine Melodie. Dimchev hat nach Signa sicherlich die zweitstärkste Wirkung auf unsere Festivalgruppe ausgeübt. Nach dem Theater ziehen wir als Gruppe weiter. Prost.
Die Technik der Befreiung
Fiona Bienhaus
Ivo Dimchev, bekannt für seine Performances aus Körperlichkeit, Intimität und Musikalität, lädt zu DI/STRAUSS TECHNIQUE in das Odeon Theater ein. In den 80 Minuten werden die Zuschauer*innen Teil eines musikalischen Workouts, welches zwar im Programmheft als schweißtreibend angegeben wird, eher aber ein entspanntes Tanzen ist.
Als Requisiten für die Teilnahme an DI/STRAUSS TECHNIQUE gibt es für jede und jeden auf dem Platz einen Stoffbeutel mit goldenen Pompons, einer roten Tanz-Ribbon, Feder-Fächer und einem kleinen Fläschchen mit Wodka. „Healing Songs“ nennt Dimchev seine neun Lieder. Thematisch irgendwo zwischen Selbstbefriedigung, finanziellen Engpässen, Sehnsucht und Sex. Die Melodien von Johann Strauss unterlegen die Texte. Diese werden groß auf eine Leinwand projiziert und von einer kitschig-schönen Berglandschaft untermalt. Dimchev, in Strauss-Perücke, exzentrischem Blazer und Hose, leitet sein Workout an. Kontrolle steht bei dem Workshop großgeschrieben. Erhoben auf einer kleinen Bühne gibt der Künstler vor was zu tun ist. Der Ablauf jedes Songs folgt einem Schema: Dimchev singt, das Publikum singt nach, es wird gemeinsam getrunken, dann kommt die jeweilige Requisite zum Einsatz, der passende Tanz wird einstudiert und ausgeführt. Nach jedem Tanz erhält das Publikum eine Minute der tänzerischen Freiheit, welche dann streng von Dimchev unterbrochen wird. Bei der Perfomance breiten sich Karaoke-Stimmung und kollektives Lachen aus, besonders, wenn man sich gemeinsam durch ein Lied über „glory holes“ singt oder auf dem Schoß des*der Sitznachbar*in landet. Zwischen den Songs wird es direkt: „Wer hat in den letzten 8 Stunden masturbiert?“ fragt Dimchev. Einige melden sich. Später will er wissen: „Wie ist euer Loch?“ Einige Lacher gehen durchs Publikum, aber die Frage bleibt hängen. Nicht nur, weil sie vulgär ist, sondern weil sie auf eine radikale Ehrlichkeit zielt, die dem Abend seinen Kern verleiht.
DI/STRAUSS TECHNIQUE ist keine klassische Performance, sondern ein kollektives Experiment. Es ist ein queerer Raum, in dem normative Körperbilder, bürgerliche Zurückhaltung und kulturelle Hierarchien für einen Moment außer Kraft gesetzt sind. Dimchev inszeniert nicht sich selbst, sondern die Gruppe. Die Zuschauer*innen werden gehorsamer Teil eines temporären Widerstands gegen Schwere, gegen Konformismus, gegen die Vereinzelung. Vielleicht ist das die eigentliche Technik, die Dimchev hier vorschlägt: eine Technik der Befreiung. Von Stress, von Unterdrückung, vom Elitismus der Strauß Melodien.
Ein Abend, der in Erinnerung bleibt, sei es wegen der erfolgreichen Enttabuisierung oder der gehorsamen Gruppendynamik der Zuschauer*innen. Auf jeden Fall ein Erlebnis der außergewöhnlichen Art in Wien, mit Wodka, Fächer und der Walzerseligkeit von Johann Strauß.
Karaokeabend mit Choreografie
Laura Lewandowski
Im Odeon Theater ist der Saal ungewohnt bestuhlt: Eine kleine Bühne, eine Tribüne, dazwischen aufgereihte Stühle und auf jedem liegt ein verknoteter Stoffbeutel.
Ivo Dimchevs Performance DI/STRAUSS TECHNIQUE ist ein provokantes Werk, das Körper, Stimme und Emotionen verbindet. Der bulgarische Künstler, bekannt für seine exzentrischen Darbietungen, kombiniert in dieser Performance eine Mischung aus Tanz, Gesang und Theater. In dem 80-minütigen „Workshop“ stellt Dimchev, der mit einer blonden Perücke und mit Gold verziertem Blazer beschmückt ist, neun seiner „Healing Songs“ vor. Die Musik von Johann Strauss bildet einen Bestandteil der Performance, da seine Melodien als Inspiration für die Lieder genommen werden. Die Texte zu den Songs sind sexuell und beinhalten Themen zu Masturbation, Sex, Liebe und Geld. Zwischen den Songs stellt Dimchev intime Fragen: Wann hast du zuletzt masturbiert? Wie würdest du dein Loch beschreiben? Die Grenzen zwischen Bühne und Publikum, zwischen Intimität und Inszenierung, verschwimmen. Durch das offene Ansprechen dieser Themen wirkt dies enttabuisierend und Schamgrenzen werden versucht aufzulösen. Der Versuch einen Raum zu schaffen mit Akzeptanz. Auch ein Queer Space wird geschaffen, in dem Körper und Lust keine Erklärung schuldig sind.
Zu den Songs gibt es jedes Mal auch eine Choreografie. Um die Choreografie noch interessanter zu gestalten, gibt es in dem Stoffbeutel unterschiedliche Gegenstände: rotes Band, Fächer mit Federn, zwei goldene Pompons und eine kleine Vodkaflasche. Dazu wird auf einer großen Leinwand der Text zu den jeweiligen Songs projiziert, zu denen man auch laut mitsingen soll, während man die kurz zuvor gezeigte Choreografie ausführt. Man tanzt, man singt, man schaut sich gegenseitig an, sodass sich ein Gemeinschaftsgefühl ausbreitet. Währenddessen trinkt man Schnaps und soll vor jedem Schluck zu seinen Sitznachbar*innen „Di/Strauss“ sagen.
Dimchev spielt währenddessen mit Kontrolle – seine über uns. Immer wieder kriegt man nach erfolgreicher Choreo ein paar Minuten Freiheit mit den jeweiligen Gegenständen aus dem Beutel zu spielen. Dimchev beendet jedoch immer wieder die ‚Freiheit‘ und fordert jede*n auf, die Sachen wieder in der Tasche zu verstauen. Auch anfangs steht eine wichtige Regel auf der Leinwand, bloß nicht die Stofftasche auf den Boden stellen! Während der ganzen Performance soll man die Henkel der Tasche über den Nacken gehängt haben. Und erst nach Aufforderung darf man die jeweiligen Sachen rausholen. Immer wieder greift Dimchev ein, unterbricht, ruft zur Ordnung. Wer spielt, tut es nach seinen Regeln. Hier wird nicht nur getanzt, sondern auch gehorcht.
DI/STRAUSS TECHNIQUE ist eine Erfahrung zwischen Karaoke und Körperlichkeit. Ivo Dimchev gelingt es, das Publikum nicht nur zu animieren, sondern es aktiv zum Teil eines poetischen Kontrollsystems zu machen, das Lust und Disziplin, Scham und Gemeinschaft zueinander in Beziehung setzt.
DI/STRAUSS TECHNIQUE: Ein queerer Karaoke Workshop
Ivana Himmelreich
Ich hatte keine Ahnung, was mich im Tanz- und Karaoke-Workshop von Ivo Dimchev erwarten würde; ich war sogar sehr nervös, wie unangenehm und fordernd dieser werden würde. Ich hatte mir sogar extra Sportkleidung besorgt, davon ausgehend, dass der Workshop übermäßig schweißtreibend werden wird. Aber es kam ganz anders.
DI/STRAUSS TECHNIQUE ist weniger ein körperliches Workout, wie auf der Website der Wiener Festwochen angekündigt, sondern ein Karaoke-Gesang auf Stühlen, mit verschiedenen Requisiten wie Pom-Poms, Fächer oder roten Bänder in der Hand. Dimchev hat in seinem Stück einige Strauss-Melodien verwendet, um Songs über Sex, Masturbation, Arschlöcher, Geld und Liebe mit uns zu singen. Er verwendet dabei einige bekannte Melodien, wie den Donauwalzer, den Kaiser-Walzer, die Tritsch-Tratsch-Polka und den Radetzky-Marsch.
Dimchev sieht Strauss als einen sehr elitären Künstler, der exklusiv und militärisch einen Nationalstolz vermitteln will. Dimchev eignet sich diese Lieder an und macht sie inklusiv, zugänglich, albern und queer. Er Di-Strausst das Publikum; laut Dimchev eine Technik der Befreiung von Stress, Unterdrückung und vom Elitismus. So sitzen 150 Menschen im Odeon Theater, wedeln mit Pom-Poms und singen gemeinsam „I’m a hot rich bitch“ oder „I can’t wait to masturbate“ oder „i want to fuck fuck fuck“. Zwischendurch nehmen alle noch einen Vodka-Shot. Alle sind plötzlich auf einer Augenhöhe, obwohl die Zuschauer*innen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich scheinen.
Verstärkt wird diese Wirkung, wenn Dimchev uns persönliche Fragen stellt, wie: „Wie würdet ihr euer Hole beschreiben?“, oder „Wer hat innerhalb der letzten 24 Stunden masturbiert?“. Durch Handzeichen oder durch verbales Einbringen antwortet die Zuschauerschaft, wodurch sich alle direkt etwas intimer kennen. Auch dass sich während einer Choreo die Hälfte der Gruppe auf den Schoß der anderen Hälfte setzen muss, kreiert ein umso stärkeres Band im Raum.
Dimchev ist es ein Anliegen, dass sich seine Karaoke-Gruppe öffnet und ihre Scham ablegt. Dass Musik nicht länger elitär, sondern verbindend ist. Dimchev sieht sein Projekt als eine sanfte, freundliche Revolution, in der auch das Vulgäre, Peinliche, Queere, und Sexuelle einen Platz in der Hochkultur findet. So sagt er: „In einer von Nationalismus, Angst und Konformismus besessenen Welt möchte ich Songs schaffen, die Waffen der Freude sind.“ Die Show sei ein Werkzeug, ein kleines Feuer, ein gemeinschaftliches Ritual des queeren Widerstands, verpackt in Selbstliebe und fluoreszierende Farben. Am Ende bietet Dimchev noch an, dass alle Selfies mit ihm machen können, umarmt seine Zuschauer*innen, und fragt sie liebevoll nach ihrem Lieblings-Song. Als letzten Akt stellt sich Dimchev so herunter von der Bühne, steht nicht länger auf einem Podest, sondern gehört zu uns, auf einer Augenhöhe.
DI/STRAUSS TECHNIQUE – Bisschen viel Phallus, bisschen wenig Lieblichkeit
Marie Josephin Handlechner
Ziemlich gehetzt kommen wir beim Odeon Theater an. Ich verschlinge noch ganz schnell meine Notfall-Fladerei-Flade und dann geht’s los. Erst frag ich mich was um alles in der Welt, sich die Festwochen Campus Kurration nur dabei gedacht hat Partizipationstheater direkt nach einem 24 Stunden Stück anzusetzen. Aber gut, ich glaub die meisten von uns haben eh schon aufgegeben. Und dann sitz ich da: Erste Reihe, Neon besprühten Stoffbeutel um den Hals und sehr schnell beschleicht mich das Gefühl, dass wir vielleicht eh schon alle so durch sind, dass das Partizipationstheater ganz wunderbar wurzeln kann. Der Ablauf schaut wie folgt aus: eine Person, die ich männlich und queer lesen würde, erzählt einen Schwank aus ihrem Leben, stellt ein paar Fragen, präsentiert ein Lied, lernt uns das Lied, wir trinken Wodka, lernen die Choreo und performen gemeinsam Lied plus Choreo. Die zentralen Themen: Ficken, Lieben, Geld, Masturbation.
Am Schluss habe ich drei mini Flaschen Wodka intus und gute Laune. War eh witzig die Nummer. Aber ein paar Dinge bleiben doch mit bisschen fahlem Beigeschmack bei mir Hängen. Wahrscheinlich fängts beim Singen über die Rich-Bitches an und hört beim Arsch-Fick wieder auf.
Vermutlich kann man schon davon ausgehen, dass Meschen die Zugang zu den Wiener Festwochen haben im grundgenommen Rich Bitches sind. Gleichzeitig sitz ich da drin und frag mich, ob ich wirklich „Financially Independent“ bin und bin mir unsicher, ob ich so eine ‚Besingung‘ meines finanziellen Zustands wirklich gebraucht habe. Bin ich auch diesen konstanten Fokus auf unseren am besten immer weiter ansteigenden Wohlstand auf den Rücken von Millionen Menschen ziemlich leid. Wenn man für Ivo Dimchev argumentiert, kann man auch sagen: ein produktiv vorgehaltener Spiegel, der funktioniert und mich zum Nachdenken gebracht hat.
Zum Arsch-Fick wäre dann noch zu sagen, dass ich queere Inhalte immer unterstützen mag, mir aber die Performance als queere Frau doch ein bisschen zu phallusorientiert ist. Dimechevs Verhandlung queerer Themen erscheint mir ein bisschen eindimensional, es kann gut sein, dass es außerhalb meines sozialen Umfelds noch ganz oft nötig ist über queeren Anal Sex zu sprechen, bis Gleichberechtigt herrscht. Gleichzeit glaub ich auch, dass man dem Publikum der Wiener Festwochen eine differenziertere Auseinandersetzung zumuten kann. Fazit: Ein bisschen weniger Phallus, ein bisschen mehr Lieblichkeit, vielleicht ein bisschen weniger auf Sesselreihen sitzen und bisschen mehr im Kreis liegen, aber wer weiß vielleicht spricht da auch noch einer der drei Wodka aus mir.