Das Recht auf Urteil und die Pflicht zu posten

von Hannah Glatz

„Congrats Elena not just on your progress but also on your dedication and commitment!“ schreibt eine Zuschauerin der kalifornischen YouTuberin Elena Taber (Alice Giuditta, 2021).

Das dazugehörige Video befasst sich mit einem sportlichen Selbstexperiment und stereotypisch dazugehörigem Vorher-Nachher Vergleich.

I Tried 30 Days of F45 HIIT Classes & This Is What Happened! lautet der reißerische Titel in dem die junge Frau an verschiedenen Hiit Trainings teilnahm. Hiit, das bedeutet High Intensity Intervall Training und besteht, wie der Name bereits erahnen lässt, aus kurzen, intensiven Trainingseinheiten. Das alles wurde aufgezeichnet und für das von ihr veröffentlichte Video zu einem sportlichen Kurzfilm zusammengeschnitten. Die Kommentare des Videos loben ihren Erfolg, die Definition, die ihre Muskeln durch das Training erhalten haben und ihr Durchhaltevermögen. 

Dadurch wird eine Gesellschaft aufgezeigt in der nicht nur die Optik des Körpers in das Spektrum der Normschönheit passen muss, sondern das auch die eigene Einstellung bezogen auf die Leistung und die Arbeit am Selbst repräsentierbar und damit messbar und vor allem ersichtlich sein muss.

Diese Arbeit am Selbst ist dabei kein neues und auch kein durch Social Media hervorgerufenes Phänomen. Es wäre zu einfach zu behaupten, dass die Körper weiblich gelesener Personen nur im Internet unter Beobachtung stehen und damit einer Wertung ausgesetzt werden. 

Da eine Eingrenzung von Nöten ist, möchte ich mich dennoch auf soziale Medien beschränken. 

Hashtags

Hashtags bieten die Möglichkeit Posts und damit Inhalte auf Seiten wie Instagram zu verorten und somit eine Einordnung des Inhalts der geposteten Bilder, oder Texte zu ermöglichen. So ist es möglich beispielsweise unter #progresspictures Bilder zu finden, die, wie im eingangs erwähnten Video, einen Erfolg abzeichnen. Erfolg ist dabei als Gewichtsabnahme zu verstehen. 

In der Folge We Care: Körper des feministischen taz Podcasts wurde dabei ein Kommentar und vermeintliches Kompliment aufgedeckt, welches sich um die Gewichtsreduktion dreht. Dort wird die Frage  „Hast du abgenommen?“ diskutiert, da diese häufig als Kompliment verortet wird, wobei es auch hier nicht nur um die bloße Optik geht, sondern auch Bewunderung um die Disziplin der kommentierten Person mitschwingt. Dabei muss unterschieden werden in welchem Kontext diese Frage, oder derartige Komplimente zur Gewichtsabnahme getätigt werden. 

Auf Familienfeiern kann diese Frage, sowie jeglicher Kommentar zum Körper anderer Personen übergriffig und bisweilen gegen den bodypositivity, sowie den bodyneutrality Trend gehen. Doch wie können Kommentare unter #progresspictures gelesen werden?

Progress bietet eine klare Lesart. Erfolg bei der Arbeit am Selbst, der geteilt wird und von den postenden Personen dadurch frei gegeben wird, um kommentiert zu werden, oder um Interaktion hervorzurufen.

Eine Möglichkeit diese Hashtags zu betrachten wäre sie als Safespaces zu sehen. Katrin M. Kämpf versucht in ihrem Text zu Netzfeminismus zu definieren, was einen Safespace als solchen ausmacht und kommt dabei auf eine für sie unbefriedigende, jedoch noch am treffendste Definition, eines Raums mit weitestgehender Diskriminierungsfreiheit (vgl. Kämpf 2014). Diese Erklärung wird auch hier im weiteren  als Definition dafür angenommen.

Zwar schützen Hashtags nicht vor negativen Kommentaren, sie bieten jedoch einen, von den postenden Personen, definierten Interpretationsraum wie gewisse Inhalte betrachtet werden sollen. Möglich wäre dabei sich vorzustellen wie Bilder von übergewichtigen Frauenkörpern und von Körpern weiblich gelesener Personen wahrgenommen werden, mit dem Vermerk unterschiedlicher Hashtags. Unter #bodypositivity markierten Posts finden sich immer noch Kommentare, die unter einem vermeintlichem Gesundheitsaspekt aufzeigen wollen, wie schlecht es ist sich nicht innerhalb des als „normalgewichtigen“ deklarierten BMI Spektrums zu befinden. Dagegen bietet #progresspictures einen Raum, in dem sich solche Kommentare nicht finden  lassen (würden), da durch den Vermerk mithilfe des einschlägigen Hashtags klar gemacht wird, dass bereits an sich und dem („übergewichtigen“) Körper gearbeitet wird. 

Der Vergleich, der mit dem Spiel und Raum von Hashtags einhergeht, könnten dabei die auf Tumblr bekannten und häufig gegründeten Pro-Ana Foren sein. Pro Ana bildet dabei eine Abkürzung für Pro Anorexie, also Gruppen die sich gegenseitig in ihrer Essstörung, genauer gesagt Magersucht, bestärken. Auch diese Bubble hat ihre Abkürzungen und ihre Orte, an denen sie sich untereinander findet. Daher bleibt der Gedanke nicht aus, dass unter Fitness, sowie Abnehmhashtags auch eine Community an Personen mit Essstörungen mitmischt. Die Sucht abzunehmen und zu trainieren wird gegenseitig mit motivierenden Sprüchen und Tipps verstärkt, das ähnelt den Hashtags, die bei Fitness-Posts zum Einsatz gelangen. Challenges verstärken den Faktor der Gameification und machen das Posten und Teilhaben zu einem Spiel und weniger zur Veränderung und gegebenenfalls Verschlechterung des Selbst, sowie des fleischgewordenen Selbst in Form des Körpers. 

Dieses Spiel wird natürlich auch außerhalb sozialer Medien gespielt. Um Teilzuhaben muss ein gewisses Maß an Normschönheit mitgebracht werden. Nicht nur im Dating-Game, ebenso bei Bewerbungsgesprächen zeigt es von Willensstärke und Durchhaltevermögen, wenn Personen an Wettbewerben und damit in einer Leistungsgesellschaft bestehen können.

Safespaces bieten mit und auch außerhalb der Hashtags die Möglichkeit teilzuhaben, an einer Fitnesswelt die häufig männlich dominiert ist. So können weibliche gelesene Personen abseits von Fitnessstudios, die als nicht sicher wahrgenommen werden, teilhaben, an einem Trend, als auch an der rein sportlichen Betätigung. Was neben der nicht vorhandenen Sicherheit ebenso wegfällt, ist die Überwachung in Fitnessstudios, in Situationen die eine:r nicht der Öffentlichkeit preisgeben möchte. Während in Gyms an jeder Bewegung und Übung von Peers teilgehabt werden kann, ist das Foto, das auf Instagram verbreitet wird ein selbstgewählter Ausschnitt. Nicht nur kann dieses bearbeitet werden, auch die Pose kann eigenständig gewählt werden. Häufig sind dabei die Gewinner:innenposen mit einer Faust nach oben gestreckt (und die andere Hand mit dem Handy in der Hand Richtung Spiegel). Dieses Gefühl des Gewinnes kann durch das Training zu Hause und das anschließende Posten einfacher aufrechterhalten werden als an einem Ort, der keinen Safespace bietet.

Die Top-Kommentare des eingangs angeführten Videos, die nicht nur von anderen User:innen geliket und upgevotet werden, sondern auch von Elena Taber, der Erstellerin des Videos, kommentiert und favorisiert werden, erscheinen auf den ersten Blick durchwegs positiv. Wie bereits erwähnt, finden sich auch hier viele Anmerkungen, die sich auf ihr Äußeres beziehen und die Verbesserung davon be- und positiv anmerken. An dieser Stelle ist zu vermerken, dass die Influencerin sich vor dem Start ihres Challengemonats als junge weiße Frau bereits auf dem Spektrum der Normschönheit befunden hat. Das ist keine Überraschung, da sie als Lifestyle Vloggerin einem Bild entsprechen muss, das sich gesamtgesellschaftlich großer Beliebtheit erfreut. 

Die vermeintliche Freiwilligkeit an ihrem Körper zu arbeiten wird dadurch etwas getrübt. Sie selbst beschreibt ihren Job und sich als Content Creatorin, als solche ist ihr Körper und ihr Sein das Kapital, mit dem sie ihre Lohnarbeit aufrecht erhält. Die Verwirtschaftlichung ihrer Selbst macht es damit schwierig sich darüber zu unterhalten, ob sie und ihr Körper als Produkt gesehen und damit kommentiert werden dürfen, oder ob es sich bei der Form und dem Aussehen um eine private Entscheidung handelt. 

Wenn der Körper als Produkt auf einem Markt zur Schau gestellt und veröffentlicht wird, darf dieser dann abwertend kommentiert und negativ bewertet werden? Oder wird im Influencer:innen-sein lediglich ein kapitalistischer Gedanke auf die Spitze getrieben indem Hobbys nachgegangen wird, aus denen Geld erwirtschaftet werden kann? Die Gründe für das Zeigen können vielfältig sein. Einer davon könnte auch das bloße Zeigen-Wollen sein. Exhibitionistische Lüste, die nichts mit einer sexuellen Neigung, sondern lediglich mit einem Gesehen werden wollen zu tun haben. 

Aber legitimiert einer dieser Gründe das Kommentieren?

Oder wird hier mit der selben Intention kommentiert wie bei dem bereits genannten Beispiel des  Familienfests? 

Beziehungen

Am einfachsten wäre das wohl mit parasozialen Beziehungen zu beantworten. 

Diese Art von Beziehungen finden ihren Platz am Beziehungsspektrum seit es das Fernsehen gibt. 

„Das Phänomen wurde beobachtet, als das Fernsehen Mitte der 50er Jahre zum Alltagsobjekt wurde, denn Talkshowformate wurden von Anfang an so konzipiert, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sich als Teil der Sendung fühlen konnten (Stangl 2022).“

Wird dabei zum Beispiel an das früh aufkommende und beliebte Fernsehformat der Quizshows gedacht, ist es ganz klar, dass diese Beziehungsform Einzug gehalten hat. Moderator:innen sprechen zu den Zuschauer:innen zu Hause vor den Bildschirmen. Sie stellen Fragen und lassen Zeit, damit diese im Kreis der Familie im heimatlichen Wohnzimmer, beantwortet werden können. Dabei ist zu Beachten, dass nicht miteinander gesprochen wird, sondern die einzelnen Personen mit den Akteur:innen im Fernsehen kommunizieren. 

Unterschieden werden muss dabei auch noch im Interaktionsraum. Plattformen wie Instagram treiben dieses Interagieren dabei auf die Spitze. So geschieht es mit Influencer:innen ähnlich wie bei Quizshows. Diese stellen Fragen an ihr Publikum woraufhin es antworten kann. Der Unterschied liegt jedoch in den Möglichkeiten. In Storyfunktionen kann direkt abgestimmt und kommentiert werden. Während der:die Influencer:in jedoch nicht weiß wer auf der anderen Seite der Bildschirme antwortet und es bisweilen auch nicht von Bedeutung ist, hat der:die Zuschauer:in  oder hier, der:die User:in das Gefühl direkt mit einer einzelnen bekannten Person zu interagieren. 

Das macht parasoziale Beziehungen im Kern aus: einseitige Interaktionen. Diese können zwar mitbekommen werden, allerdings ist es nur für eine der beiden Personen ein persönliches Kommunizieren. Ersichtlich könnte das ebenso werden bei YouTube Videos und den dazugehörigen Kommentaren. 

„Seems like everyone around me is getting fit lol“ schreibt ein:e User:in unter dem anfangs besprochenen Fitnessvideo (Lil Peachy subs 2021). Dieser Satz mit dem geschriebenen around me, ist ein Beispiel für die Wahrnehmung, die Influencer:innen auslösen, wenn Zuschauer:innen in einer parasozialen Beziehung zu ihnen stehen. Das wird natürlich so angenommen ohne das Wissen zu besitzen, ob Lil Peachy subs mit Elena Taber befreundet ist.

Zurück zum Familienfest. 

Eine für mich mögliche Erklärung wäre die Selbstverständlichkeit der Annahme, Kommentare zu Körpern anderer Personen abgeben zu dürfen und zu müssen. Ähnlich wie bei einem Familienfest, die Annahme ist hierbei, dass nicht nach der Meinung zu Gewicht und Optik gefragt wurde, wird durch die vermeintliche Nähe, die durch die parasoziale Beziehung aufgebaut wird, angenommen, dass dadurch eine Legitimation hergestellt wird einen Kommentar schreiben zu können. 

Body Positivity

Doch neben den Kommentaren muss auch der Blick auf die Gründe für geteilte Beiträge geworfen werden. Franziska Kaul schreibt über eine Werbekampagne, die durch Adidas beauftragt wurde (vgl. Kaul 2022) Nackte Frauenoberkörper, und damit auch deren Nippel, wurden fotografiert und unzensiert abgebildet. 

„Wird der Post einerseits gelobt und ihm body positivity attestiert, sind unter dem Tweet letztlich vor allem negative Kommentare zu lesen. Der Frauenkörper, so der Vorwurf, werde objektiviert und schamlos für Verkaufszwecke eingesetzt (Kaul 2022).“

Diese Kommentare wurden von außenstehenden Personen getätigt. Doch was passiert wenn solche Fotografien von einzelnen Frauen selbst gepostet werden? 

Bevor ich auf diese Frage eingehen möchte, sind noch zwei Dinge anzumerken. Zum einen möchte ich auf den bereits gefallenen Begriff der body positivity eingehen, zum anderen auf die Objektivierung, sowie die oben als Argument verwendeten Verkaufszwecke. 

Body positivity: Liebe dich selbst mit all deinen Abweichungen von der Norm. 

Eigentlich ein Safespace, ein Raum ohne Diskriminierung und damit dennoch ein diskutierbarer Begriff. 2015 wurde durch eine US-amerikanischen Bloggerin ein neuer Begriff ins Leben gerufen der seitdem immer wieder als Gegenströmung zu positivity genannt wird. Melissa Fabello beschreibt body neutrality als einen Nullpunkt an dem ausgehend durch das Selbst weder positive, noch negative Gefühle der eigenen Körperhülle entgegengebracht werden. Seither wurde der Begriff vielfach verwendet und auch neu und zu verschiedenen Zwecken definiert. 

Einer der großen Argumente für diesen neuen Begriff ist es, dass Selbstoptimierung nur angewandt werden sollte um das Innere zu gestalten, nicht jedoch um eine äußerliche Veränderung (oder gar „Verbesserung“) zu erwirken.

„Dies führt dazu, dass im Sinne von Bodyneutralität Bewegung und Sport nur zum Selbstzweck betrieben werden sollen, aber nicht aus Fitnessgründen (Birk/Mirbek 2021).“

Der zweite Punkt wäre die Objektivierung, sowie die Verkaufszwecke. Nicht erwähnt wird hierbei, wer die Kommentator:innen waren durch die diese Kritik und Vorwürfe Adidas gegenüber ausgedrückt wurden. Beide Argumente können aus verschiedenen Blickwinkeln eingesetzt werden. Einerseits aus einer feministischen Idee heraus, dass eine Firma, der es rein um ihr Kapital geht, nicht mit Frauenkörpern werben sollte, da es dabei weder um Ermächtigung noch medienwirksames Erkämpfen des weiblichen Nippels geht, andererseits kann eine Kritik daran auch aus einer konservativen Richtung stammen. Ähnlich der Meinungen zu Body Positivity, bezogen auf übergewichtige Personen, gibt es auch hier die Möglichkeit, dass es um einen vermeintlichen Schutz geht. Sei es dabei der Schutz der Frauen, zu denen diese Brüste gehören, oder der Schutz der Kinder, die diese Plakate sehen werden. Frauenkörper und die Körper weiblich gelesener Personen werden durch diese Blickweise sexualisiert, davon sind diese weder in Marketingkampagnen, noch als Influencer:innen geschützt.

Empowerment

Zurück zu der Frage, ob es Auswirkungen hat, wenn Influenzier:innen als Einzelpersonen außerhalb einer großen Werbeschaltung derartige Bilder, oder Inhalte teilen. Hier kann ebenfalls mit Selbstermächtigung argumentiert werden. Wird jedoch am Beispiel der zu Beginn angeführten Vloggerin darüber nachgedacht, fällt es schwer Empowerment als Grund, oder als Möglichkeit für einen Postinggrund zu sehen. Annekathrin Kohout schreibt über die Veränderung, die Empowerment als Definitionsbegriff durchgemacht hat. Während zu Beginn der deutschen Begriffsverwendung der Aufbau einer strukturell diskriminierten Gruppe im Vordergrund stand, wird das Wort heute allgegenwärtig für viele verschiedene Unterbegriffe verwendet, wobei diese nicht selten stark voneinander abweichen können. Hier wird Empowerment als ermutigend verwendet. Kann also Tabers Video als empowernt begriffen werden? Im ursprünglichen Sinn: Nein. Eine junge weiße Frau, die bereits vor ihrer Fitness-Challenge einen normschönen Körper hatte, will sich nun noch schöner machen. Doch auch mit der neueren Definition fällt es schwer ihr diese Begrifflichkeit umzuhängen. Kann etwas empowernt sein, wenn es ausschließlich als Ziel hat etwas am eigenen Körper, an seinem Äußeren, zu verändern, gar zu „verbessern“? Oder wird hier Identität aus der Veränderung und damit der Verschönerung gezogen? Wird davon ausgegangen, dass es Taber nicht um eine optische Veränderung geht (was durch die im Video gezeigten Vorher-Nachher Bilder jedoch klar im Vordergrund steht) könnte sich gefragt werden, warum sie ein Video davon macht. Sport aus dem Grund der body acceptance heraus, also rein für das innerliche Wohlbefinden, müsste doch eigentlich nicht veröffentlicht werden. 

Neben YouTube gibt es auch auf Instagram Influencer:innen, die Workouts teilen und damit einen Fitness-Lifestyle verkörpern. Der Podcast Sternstunde Philosophie hat in der Folge Ich poste, also bin ich – Leben in der Influencer [Anm.:innen] – Gesellschaft thematisiert ab wann Personen denn als Influencer:innen gelten. Nach deren Definition reicht es nicht aus eine große Reichweite zu haben, sondern es ist notwendig eigene Produkte, in welcher Form auch immer, zu verkaufen. Es wird die These aufgestellt, dass durch das Handy die Produktionsmittel in den Händen der Akteur:innen liegen und der Zwischenschritt der Produktionsstätte entfällt. Dadurch wird die Unnahbarkeit genommen, die es beispielsweise bei Stars mit wenig persönlichem Onlineauftritt gibt.

Diese Art der genommenen Unnahbarkeit kommt auch der Bildung parasozialer Beziehungen zu Gute. Aus der Fitfluencer:innen Kategorie würde sowohl in die Definition der produktverkaufenden Influencer:innen, als auch die der gefühlten Nahbarkeit auf Pamela Reif treffen. Diese vermarktet verschiedene Lifestyle-Produkte, ursprünglich wurde sie allerdings durch ihre Workout-Videos bekannt. 

Postinggewohnheiten

Auf Instagram, sowie auf YouTube ist der Algorithmus stark mit der Häufigkeit, und vor allem der Regelmäßigkeit, der geteilten Inhalte verknüpft. Dadurch ist es für Personen, die ihr Influencer:innensein als Lohnarbeit ausführen von Wichtigkeit regelmäßig Bilder und Videos zu teilen um damit weiterhin im Algorithmus der angezeigten Beiträge von Bedeutung zu sein. Diese Verbundenheit an verschiedene Programme und Zeitpläne gibt laut Anna Miller, einer der Gästinnen im oben erwähnten Podcast Sternstunde Philosophie, den User:innen, die Influencer:innen auf sozialen Medien folgen, Gewohnheit und damit Sicherheit. Der Vergleich zwischen Religionen/Ritualen und der Praxis der sozialen Medien wurde bereits häufiger gezogen. Die Vorhersehbarkeit, dass an bestimmten Tagen ein Video hochgeladen wird, bringt sowohl einen Spannungsbogen, der gegen das, durch Netflix aufgekommene, Bingewatchen geht, als auch die Gewissheit, dass etwas in regelmäßigen Abständen erscheint. Trotzdem wird auch erwähnt, dass diese Sicherheit Langeweile aufkommen lassen kann. Wenn Influencer:innencontent gesehen wird um etwas zu erleben, dass im eigenen Leben nicht stattfindet, darf es auch nicht zu viel Gewohnheit bieten, da das an den Alltag erinnert dem mit dem Sehen entflohen werden möchte. Eine gute Möglichkeit sind dabei für Creator:innen Challenges, auch wenn sie von den Zusehenden nicht selbst ausgeführt werden bieten diese einen Ausgleich zwischen Sicherheit und Freiheit. 

Diese Planbarkeit bringt allerdings auch Kontrolle durch und Erwartungen der Zuschauer:innen mit sich. So finden sich unter Pamela Reifs Videos einige Kommentare die darauf schließen lassen, dass ein Video nicht pünktlich erschienen ist. 

„Das Wohnzimmer war heute meine Bühne und das Warten hat sich gelohnt.“ schreibt Natalja Campell. Zwar lässt dieser Kommentar nicht auf Ärger, oder negative Gefühle der YouTuberin gegenüber schließen, dennoch kann dabei raus gelesen werden, dass das Video nicht zum erwarteten Zeitpunkt veröffentlicht wurde.

Diese Kontrolle kann auch in eine negative Richtung einschlagen. So vergleicht Miller das ausbleiben von Likes und Interaktion mit einer Gemeinschaft, in der das schwächste Mitglied ausgeschlossen wird und nichts mehr zu Essen erhält. Dabei wird explizit erwähnt, dass der Ausschluss aus einer Gruppe den sicheren Tod bedeutet. Sowohl das Verhungern durch den Nahrungsmittelentzug, als auch die Bestrafung, also das Verhungern durch Like-Entzug, oder durch ausbleibende Interaktion. 

Diese Bestrafung kann als großer Punkt der Einflussnahme der fremd bestimmten Führung, denen Influencer:innen folgen müssen, gesehen werden. Neben der Pflicht Inhalt zu generieren, ist es ebenso wichtig einer Vorstellung zu genügen. Doch obwohl diese Kraft von Außen einwirkt, ist es dennoch die Arbeit am Selbst, die dabei im Vordergrund steht. Die Wechselwirkung die daraus entsteht, bedeutet, dass eine Einzelperson einer Masse gefallen möchte und muss und sich dadurch beeinflusst fühlt und diese Masse sich wiederum durch diese Person beeinflussen lässt. 

Literatur

Barberi Mag. Dr. phil., Alessandro, „2 SE Michel Foucault“, YouTube-Playlist, https://youtube.com/playlist?list=PLdYwgqSNHiZVviBQLXcZsIZH8hUIstmSH, 29.10.2021 (Zugriff 15.08.2022).

Birk, Frank Francesco/Sandra, Mirbek (2021): Bodyshaming, Bodypositivity, Bodyneutrality und Bodydiversity. Körperlichkeit als zentrale (Anti-)Diskriminierungsthematik, körper tanz bewegung 03/2021, https://www.reinhardt-journals.de/index.php/ktb/article/view/153575 (Zugriff 04.09.2022).

Duttweiler, Stefanie (2016): Nicht neu, aber bestmöglich. Alltägliche (Selbst)Optimierung in neoliberalen Gesellschaften. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Der neue Mensch, APuZ 37–38/2016, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/233468/nicht-neu-aber-bestmoeglich/ (Zugriff 04.09.2022).

Fabello, Melissa A. (2015): What If Body Acceptance Doesn’t Work? How About Body Neutrality? In: ravishly. Because life is easier when you’re not alone, https://ravishly.com/2015/08/21/what-if-body-acceptance-doesnt-work-how-about-body-neutrality (Zugriff 02.09.2022).

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Kaul, Franziska (2022): Invective Gaze. In: Zfm. Zeitschrift für Medienwissenschaft, https://zfmedienwissenschaft.de/online/besprechung/invective-gaze (Zugriff 02.09.2022).

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Lemke, Thomas (2000): „Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien.
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Schmitz, Justine (2015): Die Arbeit am Körper – Die Produktion der Seele. In: POP-Zeitschrift, https://pop-zeitschrift.de/2015/08/21/die-arbeit-am-koerper-die-produktion-der-seelevon-justine-schmitz21-8-2015/ (Zugriff 15.08.2022).

Taber, Elena „I Tried 30 Days of F45 HIIT Classes & This Is What Happened!“, YouTube-Video, https://www.youtube.com/watch?v=IFfGxU9z7z8, 14.04.2021 (Zugriff 25.08.2022).

We care! – Der feministische taz Podcast: „We care about: Körper“, Spotify-Podcast, https://open.spotify.com/episode/1000mCigFH6MfVTFL8SjaX?si=b47cd679a6ed4831, 03.06.2022 (Zugriff 15.08.2022).