Durch die Akkreditierung der Universität Wien konnte ich dieses Jahr das erste Mal als Gast an der Berlinale, dem wichtigsten internationalen Filmfestival innerhalb Deutschlands, teilnehmen. Hierbei ist dies zwar nicht das erste Filmfestival, dass ich je besucht habe, zumindest jedoch das prestigeträchtigste, auf dem ich je war. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf, habe ich nun also versucht in guter Vorbereitung und Recherche der ausgewählten Festivalfilme, so viele wie nur möglich in mich aufzusaugen, ohne den Überblick über die schier unendlich erscheinende Auswahl am divers aufgestellten Programm zu verlieren. Wenn ich nun zurückblicke und schon zu Beginn dieses Berichts ein kleines Resumé meiner Erfahrung während, und nun auch in Reflexion nach kurzer verstrichener Zeit, nach dem Event ziehen kann, so muss ich jedoch feststellen, dass das Festival weniger gewagt hat als es vielleicht hätte tun können und leider die Notwendigkeit gesehen hat, sich bei jeder Gelegenheit für sich selbst und die diesjährige Ausgabe des Events entschuldigen zu müssen. Zunächst ist da jedoch der große Elefant im Raum, den es der Festivalleitung nach anscheinend von Beginn an bereits galt anzusprechen, um die Erwartungshaltung all jener Zuschauenden wie mir, wieder auf ein gesundes Minimum zu befördern. Um das oben beschriebene Phänomen und besagtes Tier im Raum genauer erläutern zu können muss ich jedoch zunächst etwas ausholen. Als ich zu Beginn des Festivals den ersten der mich erwartenden 24 Filme sehen kann, sitze ich bereits 15 Minuten vor Beginn voller Vorfreude in meinem Sitz des Friedrichsstadt-Palastes um mich auf den Film und die kommenden Tage einzustimmen. 24 Filme kommen hierbei so zustande, da es während des Festivals meist drei bis vier feste zeitliche Slots pro Tag gibt in denen die einzelnen Lang- oder auch thematisch zusammenhängende Kurzfilme gezeigt werden. Hierbei sind alle Filme in diverse Kategorien unterteilt, die sich vom klassischen Wettbewerb über experimentelle Filme, bis hin zu den besagten Lang- und Kurzfilmen erstrecken, die sich eher an ein jüngeres Publikum richten. Besonders die letzte Kategorie hat mich hierbei überrascht und fasziniert. Die Simplizität, in der die Filmschaffenden komplexe Themen innerhalb experimenteller und fast schon surrealer Metaphorik einem jungen Publikum vermitteln ohne eine Auflösung des etablierten aufgebauten Konflikts zu präsentieren, ist die Art von Freiheit und Präzision, die ich in denmeisten Wettbewerbsfilmen vermisst habe. So auch beim ersten dieser 24 Filme, der am Abend des 10. Februars auf mich wartete. So sitze ich also in meinem, in den vordersten Reihen des eigentlich als Konzerthalle gedachten Saals angebrachten Stuhls und erwarte mit Spannung das Vergehen der letzten Minuten vor Beginn. Ein wichtig aussehender Herr im Anzug tritt auf die Bühne und entschuldigt sich für die nun, durch seine Mitteilung unausweichlich auftretende Verspätung des folgenden Films. Als Grund nennt er eine Verzögerung im Ablauf im Berlinale Palast. Zu diesem Zeitpunkt kann ich dies zwar noch nicht einordnen, werde jedoch langsam und unbewusst schon an das Narrativ der Rechtfertigung herangeführt. Die Erklärung liefert wenig später meine Sitznachbarin, die mich darauf aufmerksam macht, dass die große Eröffnungszeremonie nach Beendigung im Berlinale Palast in unserem Kino vor dem eigentlichen Film gestreamt wird. Obwohl auch hier ein striktes und durchweg gut eingehaltenes Hygienekonzept ausgearbeitet wurde und somit der erste Kontakt zu fremden Zuschauenden vermeintlich einen unnötig verkrampften Gedankengang weiter entfernt scheint als ohnehin schon, dauert es nicht lange, bis ich durch erste, zunächst oberflächliche Gemeinsamkeiten der als Ausweis getragenen universitären Akkreditierung, ins Gespräch mit den Sitznachbar*innen treten kann. Die Verspätung ist zwar zunächst ein notwendiges Übel, wird jedoch durch den Aspekt, dass nun mehr Zeit bleibt sich mit anderen Menschen über seine hoffentlich geteilte Leidenschaft des Films austauschen zu können, wieder wettgemacht. So ist es vor allem dieser Aspekt, der mich in den kommenden Tagen immer wieder motivieren wird, zu möglichst vielen diversen Kategorien an Filmen zu gehen um möglichst viele Menschen diverser Interessen kennen zu lernen. Ob als rein zuschauende Person oder als Filmemacher*in ist es neben dem Rezipieren von Filme insbesondere wichtig über Filme zu diskutieren und stets inspirierend neue Seherfahrungen zu erschließen. Die Chance, so viel über Filme sprechen zu können, dadurch neue Filme aus anderen Nationen kennenlernen und eigene Erfahrungen teilen zu können, ist eine Gelegenheit, die einem Filmfestival in dieser Intensität inhärent und exklusiv bleibt und den Besuch allemal rechtfertigt. Rechtfertigt. Das Stichwort, was mich wieder zurück zur Premiere führt. Die Eröffnungspremiere der Berlinale, François Ozons Film Peter von Kant, der auf einem Fassbinder Stück basiert und gleichzeitig eine Überschreibung besagten Materials ist um so einen fokussierten Ausschnitt Fassbinders Lebens fiktional zu portraitieren versucht, ist für 21 Uhr angesetzt und soll nun mit 15 Minuten Verspätung beginnen. Der Saal ist voll. Ausverkauft heißt in dieser Zeit jedoch ein halb besetzter Kinossaal und eine im Schachbrettmuster angeordnete Sitzordnung. Nach dem Austausch mit meiner Sitznachbarinwird das Licht plötzlich gedimmt, bis es der Dunkelheit weicht. Der Vorhang zieht sich spannungsvoll auf. Das diesjährige Intro der Berlinale, dass mich in den kommenden Tagen als treuer Begleiter auf meinen Wegen zwischen Freud und Leid stets begleiten wird, offenbart sich das erste Mal in dieser Saison dem gebannten Publikum. Was danach folgt ist jedoch nicht der anderthalbstündige erwartete Film, sondern die Wiederholung der just zu ende gegangenen Eröffnungszeremonie der Berlinale im Berlinale Palast. Jener Ort, an dem sich zeitgleich alle Verantwortlichen des Festivals und eingeladenen internationale Berühmtheiten versammelt haben, um gemeinsam die Großartigkeit der kommenden Filme einzuleiten und die Leidenschaft für das Kino zu zelebrieren. Zumindest dachte ich das. Was uns hierbei jedoch erwartet, ist eine anderthalbstündige Entschuldigung der führenden Politiker*innen Berlins, ausgewählten Künstler*innen und der Festivalleitung, die bedauern, dass die nun folgende Berlinale eben nicht so toll werden wird wie die zuvor, dass man leider nicht so viele internationale Künstler*innen hat erreichen und einladen können wie zuvor, und dass die Erfahrung in den Kinos eben nicht so intensiv werden wird wie noch zuvor. Aber trotz all dieser Einschränkungen, und so der vermeintlich versöhnliche Tenor aller Redner*innen, kann man ja schließlich froh sein, dass man überhaupt irgendwas aufbauen konnte - das man wieder zurück im Kino sein kann. Bevor ich zurück auf die anfangs beschriebene Angst der Festivalleitung und der gefühlten Notwendigkeit einer Rechtfertigung zu sprechen komme, möchte ich die zu Beginn getätigte, erste Reflexion des Festivals nun noch einmal anpassen. Leider hatte ich bei vielen der gesehenen Filme immer wieder eine graue Wolke in meinem Kopf, die mir die klare Sicht auf die verhandelten Thematik verschließt. Hierbei sei natürlich stets ins Gedächtnis gerufen, dass sich diese Kritik nur an die Filme richtet, die ich tatsächlich gesehen habe, und auch hier der Anspruch auf Vollständigkeit fehlt. Dennoch sehe ich zumindest innerhalb der gesehenen Filme im Wettbewerb zunächst viele, die zwar höchst dramatisch aufgeladene Themen verhandeln, sich einer inhärenten filmischen Sprache und einem Neudenken jedoch verschließen. Zu oft habe ich viel von dem gesehen, dass ich bereits kenne. So hatte ich oft das Gefühl, dass das Symptom der Rechtfertigung und Entschuldigung auch in vielen Filmen wiederzufinden ist. So sind viele leider nur Mittelmaß. Aber es ist ja auch Corona. Besonders herausstellen möchte ich dann jedoch nochmals die Kategorien der Filme, die unter dem Namen der Generationsfilme liefen, sowie den experimentellen Film. Innerhalb dieser Kategorien habe ich viel Neues und Unerwartetes finden können. Filme, die sich nicht entschuldigen, die provokante neue Ideen haben und etablierte Strukturen anders denken. Auch wenn am Ende Verwirrung im Raum schwebt, so ist es besser als der große Elefant, der mir die Sicht auf die Leinwand versperrt. Somit komme ich also ein letztes Mal zurück auf die gefühlte Angst der Festivalleitung vor dem mehrfach angesprochenen großen Tier im Raum. Ja, ich verstehe, dass es ein komplexes Unterfangen ist ein Hygienekonzept zu entwickeln, dass den Ansprüchen aller offiziellen Stellen und Regularien gerecht wird und dass sich die Planung des Festivals um einiges schwieriger gestaltet und die Ausführung weniger imposant sein wird. Corona ist jedoch nicht erst seit ein paar Wochen unter uns. So gerne sie diese Situation in ihren Reden als Novum und sich selbst nun als Retter für das Kino dargestellt haben, so empfand ich diese wirklich viel zu lang geratene, gestreamte Eröffnungszeremonie als symptomatisch für das, was mich in den kommenden Tagen erwarten sollte. Die Probleme der aktuellen Situation anzusprechen sehe ich als grundsätzlich richtig und legitim an, sich jedoch dahinter zu verstecken und sich geschlossen für das anschließende Festival zu entschuldigen - “weil man kann in der jetzigen Zeit halt nichts besseres machen, aber Hauptsache wir haben irgendwas” - fühlte sich für mich falsch an. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Oder man lässt es einfach ganz bleiben. Es ist wundervoll, dass ein Festival unter solchen Umständen stattfinden kann und sich die Menschen gemeinsam zusammenfinden können um ihre Leidenschaft für den Film zu teilen. Jedoch lag der Fokus auf dem falschen Aspekt. Die Berlinale ist nicht der erste Kinobesuch, den ich seit zwei Jahren tätige. Es ist nicht die Wiedergeburt des Kinos und es ist nicht seine Rettung. Der gestreamte Saal des Berlinale Palasts applaudiert verhalten. In unserem Saal sind die Zuschauenden unruhig geworden und rutschen unkonzentriert auf ihren Stühlen herum. Die Leinwand wird schwarz. Es ist nun 22:45. Dann beginnt der Film. Leon Landsberg