Identität und Moralität. Whistle-Blowing in „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“

von Nico Reiter | 15. Februar 2022 | Issue The Caring Media

„For my part, whatever anguish of spirit it may cost, I am willing to know the whole truth; to know the worst, and to provide for it.“

Patrick Henry

Nach diesem Zitat handelt auch die Figur von Mary Svevo im 2004 erschienenen Film Eternal Sunshine oft he Spotless Mind. Mary, die ursprünglich nur ein Nebencharakter ist, etabliert sich über den Film hinweg zu einer zentralen Figur, die den Handlungsausgang bestimmt. 

Die eigentlichen Hauptfiguren im Film sind das Paar Joel und Clementine. Clementine entschließt sich nach einer gescheiterten Beziehung von der Firma Lacuna Inc und Gründer Doktor Mierzwiak ihre Erinnerungen an Joel auslöschen zu lassen. Als dieser davon erfährt, beschließt auch er eigentlich den Prozess durchführen zu lassen, kämpft aber dann unterbewusst dagegen an und versucht sie in seinenErinnerungen zubehalten. In der Arztpraxis und während den Löschvorgängen kommt auch Empfangsdame Mary immer wieder vor. Parallel zu Joels Eingriff kommt es zum Kuss zwischen Mary und Doktor Mierzwiak, der danach enthüllt, dass die beiden bereits eine Affäre hatten. Marys Erinnerungen daran wurden mehr oder weniger freiwillig gelöscht. Stark getroffen davon, sich an nichts erinnern zu können kündigt Mary und beschließt die Patient*innenakten ihren Besitzer*innen zukommen zu lassen. Im ursprünglichen Skript und in einer gedrehten aber nicht inkludierten Szene erfährt Mary zudem, dass sie auch eine Abtreibung vergessen hat.

Video 1: Trailer zu „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“.

Mary, die in der ersten Hälfte des Filmes eher passiv wirkt und nur unter Anweisung von Doktor Mierzwiak agiert, wird über den Verlauf des Filmes immer mehr Tiefe gegeben. Sie zitiert Philosophen, die ihre gegenwärtige Meinung zur angebotenen Dienstleistung darstellen. Anfangs noch positiv, wie im namensgebenden Zitat für den Film aus dem Gedicht Eloisiato Abelard, und später zunehmend negativ, wie im oben erwähnten Zitat von Patrick Henry. [1] Interessanterweise ist auch Mary Svevos Name inspiriert vom italienischen Schriftsteller Italo Svevo, der Zenos Conscience geschrieben hat. Ein Roman der aus den fiktionalen Niederschriften eines Patienten besteht, der auf Anraten seines Psychoanalytikers seine Lebensgeschichte aufschreibt. 

Weibliches Whistle-Blowing

Mary agiert in der Rolle der Aufdeckerin oder Enthüllerin. Dies macht sie nicht aus einem neutralen Standpunkt, sondern als Frau, als Angestellte und auch als Betroffene. Die Daten mit denen in Eternal Sunshine of the Spotless Mindgearbeitet wird sind Erinnerungen. Diese werden durch Gegenstände und Audioaufnahmen der PatientInnen filmisch inszeniert. Da der Film ein fiktionales Zukunftsmedium behandelt, können auch die Daten, die untersucht werden nicht so in der Realität übernommen werden. Dennoch können Parallelen zu realen Vorfällen von Dataleaking und Whistle-Blowing gezogen werden, wenn etwa für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang veröffentlicht werden. 

Der Artikel „If truth was a woman: Leaky infrastuctures and the genderpolotics of truth-telling“ von Nanna Bonde Thylstrup und Daniela Agostinho beschreibt die Rolle des Geschlechtes bei der Praktik des Whistle-Blowings. Konzepte wie Aufdecken und Wahrheit würden, so die Autorinnen, oft durch Aspekte wie Gender, Sexualität, Klasse und Ethnizität beeinflusst und sind in bestimmte Infrastrukturen von Information eingebunden. Wahrheit ist ein zentraler Aspekt von Information, da sie nicht nur festlegt welche Inhalte aufgedeckt werden können, sondern auch die Rolle von Whistle-Blower*innenkonstruiert und darüber bestimmt, wie viel Gewicht deren Worten in bestimmten Netzwerken gegeben wird. [2]

Die Praxis des Wahrheitsprechens sei entsprechend problematisch gegendert. Linda Maxwell bezieht sich vergleichsweise auf Foucaults Vorträge zum Parrhesia. Dieser sagt aus, dass man um die Wahrheit zu sprechen als ‚entfernt von der Macht‘ dargestellt werden muss um glaubwürdig zu erscheinen, gleichzeitig aber auch einen kleinen Teil von Macht besitzen muss um signifikant zu wirken. Auch diese Ansicht ist bereits stark gegendert, da die Entfernung zu Macht immer stark mit Marginalisierung zusammenhängt. Zu Hinterfragen, wie diese Identitäten in Informationsstrukturen organisiert sind, erlaubt nicht nur zu untersuchen wie Informationen aufgedeckt werden, sondern auch, wem die Rolle des*der Whistle-Blower*in gegeben wird und wie viel Aufmerksamkeit ihnen in ihren Netzwerken geschenkt wird. [3]

Bonde Thylstrup und Agostinho beschreiben im Weiteren, wie besonders weibliche Whistle-Blowerinnen ignoriert oder übersehen werden. Gender spielt nicht nur für die ungleiche Verteilung von Autorität und Souveränität eine Rolle, sondern bereits in den Kommunikations- und Infrastrukturen, in denen Informationen mitgeteilt werden. Sarah Harrisson, Aktivistin der Website WikiLeaks und Mitwirkende im Fall Snowden, wurde häufig nur als seine Freundin oder Assistentin bezeichnet und nicht als aktives Mitglied angesehen. [4] In Eternal Sunshineist Mary tatsächlich ‚nur‘ die Assistentin von Doktor Mierzwack. Dieser scheint als Gründer die Oberhand über die Firma und somit auch über die Patient*innenakten zu haben. Dass Mary ebenso Zugang zu diesen Informationen hat und vertrauten Kontakt zu den Kund*innen aufbauen könnte, scheint Mierzwack zu unterschätzen. 

Video 2.: Mary zitiert das titelgebende Gedicht.

Organisationen arbeiten noch immer in einer heterosexuellen Matrix, die normative Genderrollen und sexuelle Identitäten zuschreibt aber auch limitiert, welche Subjektivitäten für welche Individuen verfügbar gemacht werden. Menschen außerhalb der heteropatriarchalen Norm werden feminisiert und dadurch entwertet und wenigerernst genommen. Die Konstruktion eines ethischen Subjektes der Whistler-Blowerin hängt nicht nur mit dem Enthüllen zusammen, sondern auch mit deren Subjektposition:

„[g]ender has to do not only with bodies, and power, but also with the politics of knowledge, andtherefore with organizations as containers of different bodies and sexualities, as areas of power/knowledge“ [5]

Nanna Bonde Thylstrup & Daniela Agostinho

Wenn Infrastrukturen ‚fehlerfrei‘ arbeiten, werden sie unsichtbar und unbemerkbar. Sie sind gemacht um hinter den Kulissen zu operieren. Eine kritische Analyse einer Infrastruktur beschäftigt sich demnach damit, das nach vorne zu holen, was versteckt bleiben sollte. Die optimale Funktionsweise ist oft mit der Art von Arbeit verbunden, die häufig Frauen und Arbeiter*innen mit niedrigem Status zugewiesen wird; unsichtbar, aufrechterhaltend, und im Hinterzimmer – als eine buchstäbliche Reproduktivarbeit. [6]

Diese Unsichtbarkeit kann aber auch zum Vorteil genutzt werden, weil es vielen Frauen und weiblich gelesenen Personen erlaubt unentdeckt in ihrer Tätigkeit zu bleiben. Gleichzeitig ist sie aber auch Nachteil, weil sie Ungerechtigkeiten, die ihnen wiederfahren, sowie deren Leistungen unsichtbar macht. [7] Auch Mary in Eternal Sunshine ist eine Figur, die für die Zuschauer*innen zu Beginn des Filmes eher unsichtbar ist. Sie ist zwar im Bild, hat aber wenig Handlungsmacht. Mit ihrer Präsenz auf der Leinwand, steigt auch ihre Wichtigkeit für den Verlauf des Filmes. Marys Aufdecken wird im Film nicht auf die Art inszeniert, die man von männlichen Hackern und Informanten in Science-Fiction-Filmen gewohnt ist. Die deletedscene in der sie ihre eigenen Akten entdeckt, inszeniert der Film sehr emotional und verletzlich. Sie macht die Akten auch nicht Publik, sondern schickt sie nur an ihre jeweiligen ursprünglichen Besitzer*innen zurück. Die Aufnahmen versieht sie mit einer Nachricht, in der sie sich vorstellt und auch sagt, dass sie die Fehler von Lacuna „korrigieren“ möchte. 

Bonde Thylstrup und Agostinho sprechen weiters vom Reclaiming von Hacking als positiven Eingriff, der gegenderte und normalisierende Infrastrukturen in Frage stellt und aufbricht. Daten können durch dieses Reclaiming genutzt werden um Unterstützung zu fordern, statt um Verletzlichkeiten auszunutzen. Indem Aspekte hervorgehoben werden, die kulturell eher weiblich konnotiert sind verändern sich Konversationen über Macht und Technologie. Auch das Vokabular mit dem über diese Praktiken gesprochen wird, verschiebt sich im Reclaiming zu Werten wie Inklusion, Fürsorglichkeit und Intimität. [8] Diese Eigenschaften zeigt auch Mary Svevo, die sich durch ihre eigene Involvierung in der gleichen Lage sieht, wie ihre Kund*innen und so aus sehr persönlichem Interesse und aus Sorge handelt. 

Moralität des Vergessens

Zudem ist Mary scheinbar die erste Person, die die Moralität des Unternehmens in Frage stellt. Über den Film hinweg wird nicht nur gezeigt wie Doktor Mierzwiak Marys Erinnerungen an ihn löscht um sein Leben zu vereinfachen; Auch Patrick, ein Junior Technician von Lacuna Inc, nutzt Celmentines Erinnerungen um sie dazu zu manipulieren eine Beziehung mit ihm einzugehen. 

Der Artikel „Eternal Sunshine of the Spotless Mind and the Morality of Memory“ beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Prozedur des Gedächtnislöschens überhaupt moralisch vertretbar ist. Nach Iris Murdoch ist das Ziel von Moral, Dinge richtig zu stellen. Das bedeutet nicht nur richtig zu handeln, sondern Dinge auch für das zu sehen, was sie sind. Nach dieser Definition wäre es auch moralisch wertvoll Dinge nicht nur gegenwärtig zu sehen, sondern auch nicht zu vergessen, was wir gesehen haben. Die Fähigkeit zurückzublicken und die Vergangenheit zu reflektieren ist Teil unserer größeren Verantwortung Klarheit über unsere Lebensrealität zu bekommen. Enteral Sunshine zeigt mehrmals, wie Charaktere, die sich dieser Verantwortung entziehen, in den Eskapismus flüchten. Der Film führt so den Vorgang des Gedächtnislöschens nicht als utopische Science Fiction vor, sondern auch als irreführend und gefährlich. Er kann sowohl der Betroffenen Person, als auch der gelöschten Person Schaden zufügen: der Betroffenen, indem sie eine wichtige Erinnerung nicht mehr besitzt – und der Gelöschten durch eine Missrepräsentation durch die Auslöschung. [9]

Auch, wenn Mary den Patient*innen vermutlich durch das Aufbringen der alten Emotionen erneut Leid zufügt, wird sie als Sympathieträgerin dargestellt. Mary versucht die Schäden von Lacuna Inc zu reduzieren und nimmt in Kauf, alte Wunden wieder aufzureißen um sie schlussendlich zu heilen, anstatt in den Eskapismus zu flüchten. Auch wenn der Film nicht den gesamten Ausgang ihrer Aufdeckung zeigt, sondern nur Joel und Clementines Reaktionen, scheint es trotzdem so, als sei ihre Handlung gerechtfertigt.Die beiden Hauptfiguren kommen zu ihrem Happy End und beschließen auch, obwohl sie durch ihre Tonbandaufnahmen auch die schlechten Seiten ihrer Beziehung kennen, diese trotzdem einzugehen. Auch sie kennen die ganze Wahrheit und sind bereit diese hinzunehmen und Sorge zu tragen. [10]

Eternal Sunshine of the Spotless Mind ist ein Gedankenexperiment, von dem aus sich viele Parallelen in die Realität ziehen lassen. Der ohnehin moralisch unklare Prozess des Gedächtnislöschens scheint besonders durch die Männer in Machtpositionen in der Firma Lacuna Inc zusätzlich zu deren Vorteil ausgenutzt zu werden. Marys Rolle als unsichtbare Assistentin fügt sich in heteronormative Machstrukturen. Aber wie viele Aufdeckerinnen schafft auch sie es vielleichtnicht nur trotz, sondern auch durchihre Identität eine alternative Art von Whistle-Blowing für Betroffene zu betreiben. 

zurück zum Inhalt dieser Ausgabe

Quellennachweise

[1] vgl. Mary Marinopoulou, „Alain Badiou’s Truth and Event in the character Mary Svevo in ‚Eternal Sunshine of a Spotless Mind‘“, in: Academia Edu, 2019, S. 5.
[2] vgl. Nanna Bonde Thylstrup Daniela Agostinho, „‚If truth was a woman‘: Leaky infrastructures and the gender politics of truth-telling“, in: Ephemera, Vol.19, 01.11.2019, S. 745–775, hier: S. 745.
[3] vgl. ebd., S. 746.
[4] vgl. ebd., S. 747.
[5] Ebd., S. 748.
[6] vgl. ebd., S. 751.
[7] vgl. ebd., S. 753.
[8] vgl. ebd., S. 758.
[9] vgl. Christopher Grau, „Eternal Sunshine of the Spotless Mind and the Morality of Memory“, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, 64, 1/01.2006, S. 119–133, hier: S. 127.
[10] vgl. ebd., S. 128.