von David M. Jagella | 15. Februar 2022 | Issue The Caring Media
„Instagram ist politischer geworden“, stellt Franziska Setare Koohestani in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung fest und führt aus, dass diese Entwicklung an einem verstärkt politischen Content ehemaliger Lifestyle-Influencer*innen deutlich wird. [1] Eine der in diesem Zuge genannten Creator*innen ist Diana zur Löwen. [2] In der Betrachtung ihres Instagram-Profils, fällt schnell auf, dass hier Fragen der Politik thematisiert werden. Sie spricht beispielsweise über internalisierte Misogynie, [3] weiße Privilegien, [4] die Ungleichheit zwischen Geschlechtern sowie Kontexte von Dis/ability. [5, 6] Dabei klärt sie einerseits auf und schafft Awareness für diese relevanten Themen, andererseits verortet sie sich selbst als „weiße, heterosexuelle cis Frau“ mit „sehr vielen Privilegien“ in diesen Kontexten. [7] Die Beiträge sind, den Möglichkeitsbedingungen der Nutzung, welche die Plattform Instagram bereitstellt, entsprechend kurz und übersichtlich gehalten, was einerseits verkürzend erscheint, andererseits aber auch Verständlichkeit für eine breite Öffentlichkeit gewährleistet. Die Influencerin öffnet häufig Räume der Diskussion, indem sie ihre ca. eine Millionen Follower*innen nach deren Gedanken, Meinungen und Wünschen zu jenen Themen befragt und sie so dazu anhält, sich aktiv einzubringen. Sie plädiert für ein solidarisches Miteinander und ein Verbünden mit diskriminierten Gruppen:
„Ich kann ein Ally sein […] mich solidarisch zeigen, Betroffenen zuhören, mich aktivistisch engagieren und ich glaube das braucht es auch, um Veränderung zu schaffen. Also werde auch du ein Ally“. [8]
Dianazurloewen, 20.03.2021, Instagram
Sie, als privilegierte Person, möchte Verbündete sein und andere ebenfalls dazu bewegen. Diese Bemühungen der Influencerin könnte man in einem alltäglichen Verständnis als ein Sorgen um andere und die sie umgebenden Umwelten betrachten. Es scheint sich um einen Versuch zu handeln, sich für eine tiefgreifende Solidarität starkzumachen und damit gemeinsam Veränderungen zu verwirklichen.
Politisch?
Entgegen einer solchen Betrachtung argumentiert der Autor und Betreiber eines ideologiekritischen YouTube-Kanals Wolfgang M. Schmitt. Für ihn sind „als politisch geltende Influencer“, zu denen er Diana zur Löwen explizit zählt, nur „pseudo-politisch“. [9] Er führt aus, dass sie „bloß ihre gefilterte ,Personality‘ mit Lifestyle-Politik“ verknüpfen und sich dabei „neue Märkte und Geschäftsfelder“ zunutze machen. [10] In seinem gemeinsam mit Ole Nymoen verfassten ideologiekritischen Buch Influencerwird die Logik derartiger Argumentation fortgeführt: „Die gesellschaftlich relevanten Fragen sind für sie nur ein Vorwand, um sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken, kein Hashtag darf ungenutzt bleiben.“ [11] Mit einer solchen Betrachtungsweise wird das Engagement von Influencer*innen wie Diana zur Löwen von Beginn an abgewertet. Solche unterkomplex erscheinenden Zuschreibungen, welche versuchen, dieses Engagement rein auf eine ökonomische Basis zurückzuführen, möchte ich in diesem Essay vermeiden. Auch deshalb, weil eine derartige ideologiekritische Perspektive – vermutlich mit Rückgriff auf Verblendungszusammenhänge – verkennt, dass die Follower*innen das Handeln der Influencerin als politisch begreifen, die Thematisierung wertschätzen und den Anschein des Einsatzes für ein solidarisches Miteinander mittragen. Wird das Instagram-Profil von Diana zur Löwen als medienkultureller Text begriffen, wäre es nämlich sinnvoller zu fragen, welche Angebote in ihm angelegt sind, die es ermöglichen, das Engagement als solches zu sehen. Es scheint produktiv für die Analyse, abseits eigener Werturteile, das Handeln der Influencerin als einen Versuch zur politischen Veränderung zu betrachten – und ernst zu nehmen. Wird diese Perspektive eingenommen, ist interessant, dass die politischen Bemühungen von zur Löwen mit Beiträgen verknüpft werden, in denen sie über Aktien, Investitionen und Start-Ups spricht oder beispielsweise in einem Beitrag zur eigenen Einschlafroutine Diskurse neoliberal-achtsamer Lebensführung aufruft. [12] Dieses Spannungsfeld zwischen einem politischen Bemühen um Veränderung und der Reproduktion neoliberaler Narrative scheint allerdings durch den medienkulturellen Text des Instagram-Profils aufgelöst zu werden. Eine Frage, welche dies berücksichtigt, könnte daher lauten: Was ermöglicht es, dass hier ein politisches Engagement, das sich für Unterstützung und Solidarität starkmacht, mit neoliberalen Narrativen verknüpft wird? Jener Frage möchte ich in diesem als Versuch angelegten Essay nachgehen.
Selbstthematisierung
Zusammengehalten wird der medienkulturelle Text durch eine in westlichen Gesellschaften äußerst wirkmächtige Praktik – die Selbstthematisierung. Beinahe alle Beiträge gehen von einem Sprechen der Influencerin über sich selbst aus, das sowohl sprachlich, als auch visuell vollzogen wird. Das ständige Aufrufen des Ichs bildet eine Art Verbindung zwischen allen Beiträgen – alles basiert hier auf einem über sich sprechenden Selbst. Die Praktik der Selbstthematisierung, die Diana zur Löwen vollzieht, kann im Anschluss an Michel Foucault und Gerrit Fröhlich als eine Technologie des Selbst beschrieben werden. [13] Als eine von vielen
„techniques which permit individuals to effect, by their own means, a certain number of operations on their own bodies, on their own souls, on their own thoughts, on their own conduct, and this in a manner so as to transform themselves, modify themselves, or attain a certain state of perfection, of happiness, of purity, of supernatural power, and so on.“ [14]
Michel Foucault
Fröhlich führt in Bezug auf die von Foucault beschriebenen Techniken aus, dass diese immer schon zwei Komponenten besitzen. Selbstsorge und Selbsterkenntnis sind in den Technologien in unterschiedlicher Verhältnismäßigkeit angelegt. [15, 16]In Foucaults Ausführungen zur Gouvernementalität nehmen die Technologien des Selbst eine zentrale Stellung ein. Regierung wird hier nicht als einfaches Wirken von Zwang auf die zu regierende Person gedacht, sondern als ein wechselseitiges Ineinandergreifen von Herrschaftstechniken und Technologien des Selbst. [17] Unter dieser Gouvernementalitätsperspektive operiert also eine „Regierung durch Freiheit“. [18] Auch das Subjekt wird in einem nie abzuschließenden Subjektivierungsprozess in der Verwobenheit von Selbst- und Fremdführung konstituiert. [19] Über die Technik der Selbstthematisierung stellt sich die Influencerin hier als ein Subjekt her, das in modernen Gesellschaften immer auch schon in Regierungsrationalitäten eingebunden ist. Ich möchte daher die These vorschlagen, dass sie sich selbst im Geflecht des Neoliberalismus, als einer spezifischen Gouvernementalität, als Subjekt hervorbringt. [20] Und zwar als neoliberales Subjekt: also als ein Subjekt, dessen Techniken der Selbstsorge und -führung mit denen der Regierungsrationalität verknüpft werden. Auch deshalb, weil gerade durch die neoliberale Regierungslogik – „Regierung durch Freiheit des Marktes“ – die Selbstthematisierung „als handlungsleitendes Modell an Bedeutung“ gewinnt. [21] Besonders plakativ zeigt sich die von neoliberaler Logik strukturierte Subjektivität der Influencerin in einem Instagram-Beitrag. Sie spricht hier über ein Weiterbildungsprogramm, welches sie absolviert hat, und begründet dies damit, dass es sich immer lohnt „in Bildung und sich selbst zu investieren“. [22] Sie reproduziert damit eine grundlegende Anrufung, mit der Subjekte in neoliberalen Gesellschaften konfrontiert sind: die Anrufung, [23] wie ‚Unternehmer*innen ihrer Selbst‘ in deren Humankapital zu investieren und so die eigenen Chance zur Selbstvermarktung zu steigern. [24] Sie bietet damit ihren Follower*innen auch eine von neoliberaler Logik bestimmte Subjektposition an – die eingenommen werden kann oder nicht.
Strukturiertes Aufrufen des Ichs
Das Sprechen über sich, seine Gedanken, Gefühle und Umstände ist außerdem bei zur Löwen bereits vorstrukturiert. Denn erst die Plattform Instagram ermöglicht die Selbstthematisierung als Subjektkonstitution. Mit Bezugnahme auf das Affordanz-Konzept ließe sich sagen, die Plattform affordiert einerseits die Selbstthematisierung und strukturiert andererseits die Möglichkeiten des Über-Sich-Selbst-Sprechens vor. Affordanz meint hier mit Nicole Zillien den Prozess, in dem Eigenschaften von Medien das Handeln von Nutzer*innen formen und gleichzeitig jenes Handeln wiederum auf das Medium einwirkt. [25] Im Falle von Instagram lässt sich sagen, dass die Selbstthematisierung als Praktik von den Merkmalen der Plattform dadurch wahrscheinlich gemacht wird, dass beispielsweise die Struktur eines Profils, mit dazugehöriger „Biografie“, es bereits anbietet, sich selbst in gewisser Weise zu thematisieren. Außerdem wird hier immer schon ein Sich-Selbst-Zum-Thema machen ermöglicht, das in neoliberale Logiken der Gewinnsteigerung und Aufmerksamkeitsökonomie eingebunden ist.
Wobei diese medialen Strukturen – im Sinne des prozesshaften Affordanzkonzepts – auch wieder durch neue Nutzungsweisen der User*innen umjustiert werden könnten. Instagram spielt eine nicht unerhebliche Rolle bei jener Subjektivierung, welche von der Plattform über Angebote zur Selbstthematisierung ermöglicht wird. Die Selbstthematisierung, welche sich wie dargelegt in die Rationalitäten neoliberaler Regierung einfügt, ist auch Basis für jene Beiträge, in denen ein politisches Engagement, ein Versuch zur Veränderung der Welt, wie sie ist, betrieben wird. Die Selbstsorge und -führung über das Sich-selbst-zum-Thema-Machen scheint in einem ambivalenten Verhältnis mit den ausgedrückten Bemühungen zu stehen. Über die Praktik der gouvernementalen Selbstsorge kommen Versuche eines sich Sorgens um andere im Alltagsverständnis erst zum Ausdruck. Jenes Sorgen, welches bei Diana zur Löwen angelegt ist, hat allerdings mit Konzepten „,radikaler‘ Sorge“ wenig gemein. [26] Denn diese weisen, wie Jasmin Degeling und Maren Haffke ausführen „moderne westliche Individualisierung zurück“. [27] Die von Diana zur Löwen vollzogene Praktik der Selbstthematisierung verweist allerdings genau auf solche Prozesse der Individualisierung. Das Subjekt, welches hier (mit-)konstituiert wird, erscheint immer schon als ein autonomes, ein starkes, das durch eine Differenz zu anderen ausgezeichnet wird. Ideen einer Subjektivität, die auf Abhängigkeit und Interdependenz beruhen, haben dabei keinen Platz. Dies ermöglicht es, den Text des Instagram-Profils als kohärent zu lesen. Außerdem scheint es so, als würden die Bemühungen der Influencerin nicht nur auf einer derartigen Subjektivierung beruhen, sondern sich auch zu gewissen Teilen in Regierungsrationalitäten des Neoliberalismus einfügen. Das wirkt vor allem deshalb so, weil im medienkulturellen Text des Instagram-Profils von zur Löwen die Widersprüche zwischen neoliberalen Logiken und der Solidarität zu marginalisierten Gruppen nicht offensichtlich werden. Es erscheint hier so, als wäre eine andere Welt, welche von tiefgreifender Solidarität strukturiert wird, auch in einer neoliberalen Gesellschaft möglich. In diesem Sinne wird bei zur Löwen das Wertpapier-Investment zu einem ermächtigenden Gefühl und die Investition in ein Start-Up für Ökostrom zum Anstoß für die Bekämpfung des Klimawandels. [28, 29] Die Affirmation neoliberaler Logik wird hier zur Basis von Veränderungen. Damit wird eine wirkmächtige Idee (mit-)hergestellt, welche die intrinsisch-systemische Ungleichheit neoliberaler Strukturen ignoriert und damit die Logik eines „im Kern fairen“ Systems konstruiert. Auch das ermöglicht es, den medienkulturellen Text ihres Instagram-Profils als eine – trotz vermeintlicher Widersprüche – kohärente Einheit zu lesen. All die Solidarität, die sie einfordert, für die sie sensibilisiert, ist trotzdem nicht zu negieren und sollte ernst genommen werden. Vor allem ist ihr Einsatz hochpolitisch, denn an derartigen Orten, wie den Profilen von erfolgreichen Influencer*innen, finden die kulturellen Aushandlungen darüber statt, wie wir ein solidarisches Miteinander (auch zukünftig) strukturieren.
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Quellenverzeichnis
[1] Franziska Setare Koohestani, „Zwischen Politik und Produktplatzierung“, Süddeutsche Zeitung, 16.04.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/instagram-influencerinnen-zwischen-politik-und-produktplatzierung-1.5265784, 24.01.2022.
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. dianazurloewen, 21.08.2021, Instagram: https://www.instagram.com/reel/CS1EDCGjzJs/, 23.01.2022.
[4] Vgl. dianazurloewen, 18.07.2021, Instagram: https://www.instagram.com/p/CRdgMNUjDQe/, 23.01.2022.
[5] Vgl. dianazurloewen, 07.03.2021, Instagram: https://www.instagram.com/p/CMILnMIjNrv/, 23.01.2022.
[6] Vgl. dianazurloewen, 20.08.2021, Instagram: https://www.instagram.com/reel/CSyfW-yDuQs/, 23.01.2022.
[7] Dianazurloewen, 20.03.2021, Instagram: https://www.instagram.com/reel/CMokZfNjsBw/, 23.01.2022.
[8] Ebd.
[9] Wolfgang M. Schmitt, „Werden Influencer jetzt politisch?“, der Freitag. Die Wochenzeitung, 26.08.2021, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/werden-influencer-jetzt-politisch, 23.01.2022.
[10] Ebd.
[11] Ole Nymoen/Wolfgang M. Schmitt, Influencer. Die Ideologie der Werbekörper, Berlin: Suhrkamp2 2021, S. 143.
[12] Vgl. dianazurloewen, 07.01.2022, Instagram: https://www.instagram.com/reel/CYcKRpVp0ZR/, 23.01.2022.
[13] Vgl. Gerrit Fröhlich, Medienbasiere Selbsttechnologien 1800, 1900, 2000. Vom narrativen Tagebuch zur digitalen Selbstvermessung, Bielefeld: transcript 2018, S. 135-141.
[14] Michel Foucault, „Subjectivity and Truth. 17 November 1980“, About the beginning of the hermeneutics of the self. Lectures at Dartmouth College 1980, Chicago/London: The University of Chicago Press 2016, S. 20-52, hier: S. 25.
[15] Vgl. Fröhlich, Medienbasierte Selbsttechnologien 1800,1900, 2000, S. 23.
[16] Die Geschichte der unterschiedlichen Verhältnisse von Selbstsorge und Selbsterkenntnis hat Foucault in seinen Vorlesungen am Collège de France aus den Jahren 1982/1983 beschrieben. Von der antiken Sorge um Sich bis hin zur Pastoralmacht des Christentums. Vgl. dazu: Michel Foucault, Hermeneutik des Subjekts. Vorlesungen am Collège de France (1981/82), Frankfurt am Main: Suhrkamp42019.
[17] Vgl. Foucault, „Subjectivity and Thruth“, S. 25f.
[18] Fröhlich,Medienbasierte Selbsttechnologien 1800, 1900, 2000, S. 32.
[19] Vgl. Thomas Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, Hamburg: Junius32018, S. 170.
[20] Vgl. zum Neoliberalismus als einer spezifischen Gouvernementalität: Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, S. 170ff.
[21] Fröhlich,Medienbasierte Selbsttechnologien 1800, 1900, 2000, S. 34.
[22] Dianazurloewen, 20.12.2021, Instagram: https://www.instagram.com/reel/CXsskFYDnTP/, 23.01.2022.
[23] Vgl. dazu: Ulrich Bröckling, „Enthusiasten, Ironiker, Melancholiker. Vom Umgang mit der unternehmerischen Anrufung“, Mittelweg17/4, 2008, S. 80-86.
[24] Vgl. Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, S. 173ff.
[25] Vgl. Nicole Zillien, „Die (Wieder-)Entdeckung der Medien – Das Affordanzkonzept in der Mediensoziologie“, Sociologia Internationalis, 46/2, 2008, S. 161-181, hier: S. 177.
[26] Jasmin Degeling/Maren Haffke, „Medien der Sorge. Einleitung in den Schwerpunkt“, Zeitschrift für Medienwissenschaft, 24, 2021, S. 10-17, hier: S. 11.
[27] Ebd.
[28] Vgl. dianazurloewen, Instagram-Story Highlight: https://www.instagram.com/stories/highlights/18188994718114141/, 25.01.2022. [29] Vgl. dianazurloewen, 10.01.2022, Instagram: https://www.instagram.com/reel/CYiwKojJEa1/