Zur medialen Produktion von Wissen über automatisierte Fahrzeugsysteme
von Gerhard Schindler
Gegenwärtig scheint es keine Lebenssituation, keine Branche und keinen politischen Diskurs zu geben, der nicht von der Debatte um den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) betroffen wäre. Die entsprechenden Diskussionen sind omnipräsent. In dem vorliegenden Essay wird der aktuelle Stand der künstlichen Intelligenz in der Automobilindustrie erörtert. In diesem Zusammenhang wird ein besonderer Fokus auf die Schnittstellen zwischen künstlicher Intelligenz und den Lenker:innen von privaten Kraftfahrzeugen gelegt. Im weiteren Verlauf wird auf Grundlage aktueller Studien untersucht, inwiefern Medien und individuelle Informationspräferenzen die Wahrnehmung automatisierter Fahrzeugsysteme beeinflussen, mit besonderem Fokus auf dem Verhältnis von subjektivem Vertrauen, objektivem Wissen und der Wirkung medialer Kommunikationsformen.
Medienberichte konzentrieren sich, getrieben durch die Kräfte der Aufmerksamkeitsökonomie, auf affektive Themen wie etwa selbstfahrende Taxis der Google-Schwesterfirma Waymo [1]. Um die 80% des KI-Eisbergs, der unter dem Beobachtungsradar liegt, zu identifizieren, ist eine Differenzierung der KI in starke und schwache Ausprägungen hilfreich. Der Terminus „schwache KI“ bezeichnet Systeme, die für die Ausführung einer spezifischen Aufgabe programmiert wurden und außerhalb dieses engen Rahmens keine Intelligenz zeigen [2, S. 188]. Demgegenüber zielt „starke KI“ auf die Erreichung einer menschenähnlichen Kognition und eines menschenähnlichen Bewusstseins ab, wobei diese Zielsetzung derzeit weder technisch noch theoretisch realisiert ist.
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung im Automobilsektor erfahren Fahrerassistenzsysteme (Advanced Driver Assistance Systems – ADAS) eine zunehmende Relevanz. Assistenzsysteme in modernen Automobilen umfassen eine Vielzahl von Funktionen, darunter Spurhalte- und Notbremsassistenten, Abstandsregeltempomaten, Verkehrszeichenerkennungssysteme und Einparkhilfen [3, S. 199]. Die Analyse und Bewertung von Fahrsituationen sowie die daraus resultierende Vorschläge oder Einleitung entsprechender Handlungen erfolgt durch die Verwendung von Systemen, die auf Sensorik (Radar, Kameras, Lidar), Aktoren und Steueralgorithmen basieren. Fahrerassistenzsysteme bieten eine spezialisierte Problemlösung, indem sie autonom auf Umgebungsbedingungen reagieren, Daten durch maschinelles Lernen verarbeiten und unter bestimmten Bedingungen selbstständig agieren. In Anbetracht der vorliegenden Merkmale können Fahrerassistenzsysteme, in Abhängigkeit vom jeweiligen Technologiestand, als schwache KI klassifiziert werden. Mit zunehmender Komplexität dieses Prozesses verstärkt sich dieser Trend, wobei die Grenze zur bloßen Automatisierung technisch und konzeptuell fließend bleibt.
Die Analyse der Funktionalitäten sowie die Zuschreibung zu einer KI-Kategorie stellen lediglich eine technologische Perspektive des Themenkomplexes dar. Die Relevanz der Implementierung einer Lösung sowie deren Nutzung durch die Lenker:innen ist signifikant höher zu gewichten. Die positiven Auswirkungen auf den Straßenverkehr sind dabei zu berücksichtigen. In diesem Kontext ist festzustellen, dass die Rolle der Medien in der Vermittlung von Wissen und Akzeptanz KI-gestützter Fahrerassistenzsysteme eine hohe Bedeutung zukommt.
Evident ist, dass sich – trotz des hohen Entwicklungsgrades der Technologie und der Durchführung umfangreicher Investitionen – das Vertrauen in die zugesagten Vorteile, wie beispielsweise die Reduktion von Verkehrsunfällen, die Entlastung der Fahrerin oder die langfristige Transformation individueller Mobilität, in der Bevölkerung als begrenzt erweisen hat [4, S. 719]. Dies wirft die Frage auf, inwiefern Medien – verstanden als Kanäle der Informationsvermittlung von traditionellen Massenmedien bis hin zu sozialen Netzwerken – eine Schlüsselrolle in der Meinungsbildung, Wissensverbreitung und damit auch in der Akzeptanzbildung spielen.
Mediale Informationsquellen und ihre Wirkung auf das Verständnis
Die Analyse von Pamela Greenwood und Carryl Baldwin zeigt deutlich, dass Alter und Geschlecht bedeutsame Einflussfaktoren für die Auswahl der Informationsquellen sind [5, S. 2]. Während jüngere Männer sich häufiger für soziale Medien, Online-Videos oder Markenwebsites entscheiden, ziehen ältere Erwachsene fundierte Quellen wie Bedienungsanleitungen, Autozeitschriften oder persönliche Beratung vor [5, S. 3]. Auffällig ist, dass sich diese Unterschiede auch in der Qualität des Wissens widerspiegeln. Trotz subjektiv höherer Technikaffinität überschätzen insbesondere junge männliche Fahrer ihr Wissen über ADAS erheblich, was in kritischen Verkehrssituationen gefährlich werden kann. Objektive Tests zeigen, dass diese Gruppen nur bedingt über die Funktionsweise und die Grenzen der Systeme informiert sind [5, S. 6].
Ein zentrales Problem ist zudem die Terminologie. Chaiwoo Lee et al. zeigen, dass ein erheblicher Anteil der Befragten glaubt, vollständig autonome Fahrzeuge seien bereits auf dem Markt erhältlich – ein Irrtum, der maßgeblich auf mediale Begriffsverwirrung zurückzuführen ist [6, S. 1396]. Begriffe wie ,Autopilot‘ oder ,self-driving‘ werden oft ohne technische Präzision genutzt, was zu einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität führt. Die daraus entstehende Desinformation führt nicht nur zu falschen Annahmen über die Technologie, sondern kann auch das Vertrauen in reale Sicherheitsgewinne untergraben.
Vertrauen und Akzeptanz durch mediale Kommunikation
Die Wirkung der Medien geht jedoch über Informationsvermittlung hinaus – sie beeinflusst Vertrauen und Akzeptanz auf emotionaler Ebene. Marketingstrategien, die ADAS als vollständige Autonomie darstellen, erzeugen unrealistische Erwartungen. Greenwood, Lenneman und Baldwin belegen, dass Personen, die ihre Informationsquelle auf realitätsnahe, erfahrungsbasierte Kanäle stützen (z. B. Testfahrten, Crashtests), ein fundierteres und kritischeres Technikverständnis entwickeln [7, S. 132]. Im Gegensatz dazu neigen Nutzer:innen, die sich auf markengetriebene oder visuell ansprechende Darstellungen verlassen, eher zu Fehlinterpretationen. Diese Gruppen bewerten ästhetische Aspekte (z. B. Fahrzeugdesign) oftmals höher als funktionale Sicherheitsmerkmale.
Altersspezifische Wahrnehmung und Mediennutzung
Die Altersgruppe spielt nicht nur bei der Auswahl der Medien eine Rolle, sondern auch bei der Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und gewichtet werden. Ältere Fahrer:innen, die mit jahrzehntelanger Fahrpraxis vertraut sind, messen der Kontrolle über das Fahrzeug größere Bedeutung bei und zeigen Vorbehalte gegenüber Systemen, die eigenständig handeln. Greenwood et al. und Lee et al. zeigen übereinstimmend, dass ältere Personen zwar weniger offen für vollständige Automatisierung sind, sich jedoch positiver gegenüber Assistenzsystemen äußern, sofern diese verständlich erklärt werden [5, S. 3], [6, S. 1397]. Das spricht für eine zielgruppenspezifische mediale Ansprache.
Conclusio
Die Rolle der Medien bei der Vermittlung von Wissen über den Einsatz künstlicher Intelligenz ist ambivalent: Einerseits ermöglichen sie den Zugang zu Informationen, andererseits fördern sie aber auch Missverständnisse, insbesondere durch die uneinheitliche Verwendung von Begriffen wie „assistiv“ und „autonom“. Besonders problematisch sind hier der Einfluss populärer Medien und die Marketingkommunikation der Hersteller, die das Verständnis von Technik mitunter überfordern.
Um die gesellschaftliche Integration automatisierter Systeme zu fördern, sind daher faktenbasierte, transparente und zielgruppengerechte Medienformate essenziell. Nur durch Aufklärung, differenzierte Kommunikation und Einbindung realer Nutzererfahrung kann die Akzeptanz dieser Zukunftstechnologien gesteigert werden. Die Erkenntnisse legen nahe, dass eine einheitliche Medienstrategie zur Vermittlung von ADAS nicht zielführend ist. Vielmehr bedarf es einer differenzierten Kommunikation, die sowohl alters- als auch bildungsspezifische Informationsbedürfnisse berücksichtigt.
Literatur
[1] Austria Presse Agentur, „Waymo-Robotaxis machen mehr als 250.000 Fahrten pro Woche“, Austria Presse Agentur – Science, 25.04.2025, https://science.apa.at/power-search/11337405030415964907, 06.06.2025.
[2] Sebastian Rosengrün, „Künstliche Intelligenz“, Digitalität von A bis Z, hg. v. Florian Arnold et al., Bielefeld: transcript 2024, S. 185–193.
[3] Sven Beiker, „Einführungsszenarien für höhergradig automatisierte Straßenfahrzeuge“, Autonomes Fahren, hg. v. Markus Maurer et al., Berlin, Heidelberg: Springer 2015, S. 197–218.
[4] Johannes Kraus et al., „The More You Know: Trust Dynamics and Calibration in Highly Automated Driving and the Effects of Take-Overs, System Malfunction, and System Transparency“, HUMAN FACTORS, Vol. 65, No. 5, August 2020, S. 718–736.
[5] Pamela Greenwood/Carryl Baldwin, „Preferred Sources of Information, Knowledge, and Acceptance of Automated Vehicle Systems: Effects of Gender and Age“, Frontiers in Psychology, Bd. 13, Mai 2022, S. 1–14.
[6] Chaiwoo Lee et al., „Consumer Knowledge and Acceptance of Driving Automation: Changes Over Time and Across Age Groups“, Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society Annual Meeting, 65(1), 2021, S. 1395–1399.
[7] Pamela Greenwood et al., „Advanced driver assistance systems (ADAS): Demographics, preferred sources of information, and accuracy of ADAS knowledge“, Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour, Bd. 86, 2022, S. 131–150.