Phantom Beard

R: Monira Al Qadiri, Schauspielhaus, 17. Mai 2019

Unfassbar (A.R.)

Ein winziger Lichtpunkt erscheint auf der rückwärtigen Wand des abgedunkelten Bühnenraumes. Die Projektion wird rasch größer, ist stetig in Bewegung und wird als amorph strukturierte Form erkennbar. Ein Gehirn? Eine Nussschale? Eine Zelle? Ein Bakterium? Ein Meteorit? Ein Sandkorn? Es lässt sich nicht ganz erfassen.
Im nächsten Szenenbild tauchen auf derselben Videowand nach und nach flackernde Tropfen auf, die sich schließlich in Spermien verwandeln und quer über Fläche hin und her schießen. Davor wurden inzwischen unförmige, haarige Häufen platziert, deren Beschaffenheit im Halbdunkel nicht ganz auszumachen ist. Auch die Künstlerin Monira Al Qadiri hat nun die Bühne betreten – in Japanisch anmutenden Schritten schwebt sie zwischen den Hügeln nach vor und zurück, während sie verbal der Faszination für Männer und Männlichkeit sowie der Sehnsucht nach den damit verbundenen, für sie als Frau unerreichbaren Vorzügen Ausdruck verleiht. Der Begriff Phallusneid kommt mir in den Sinn – vielleicht liegt das aber auch an der örtlichen Nähe zur Berggasse? Könnte Phantom Beard demnach also im Sinne eines Phantomschmerzes verstanden werden? Es lässt sich nicht ganz erfassen.
Um der bewunderten Virilität habhaft zu werden schlüpft die Performerin im nächsten Aufzug in arabische Männerkleidung. In dieser Aufmachung beginnt sie minimalistische, ein wenig grotesk wirkende Tanzbewegungen auszuführen. Auf der Leinwand hinter ihr formiert sich eine Schar arabischer Männer, die sich den rhythmischen Bewegungen Al Qadiris anschließt. Die geisterhaften Wesen sprechen von „Sippe“, „Schicksal“, „Erbe“ und fordern Rache: „Monira, der Tag der Abrechnung ist gekommen.“ Sind es Phantome von denen die Künstlerin heimgesucht wird? Geister der Vergangenheit? Ihre Vorfahren? Es lässt sich nicht ganz erfassen.
Monira Al Qadiris Arbeiten sind geprägt von der Zusammenführung von Elementen aus unterschiedlichen Kulturtraditionen, was sich aus ihrer Biographie erklären lässt: Sie wurde im Senegal geboren, wuchs in Kuwait auf und studierte intermediale Kunst in Japan. Auch in der Performance Phantom Beard sind japanische Einflüsse in den Bewegungsmotiven und in der Ästhetik der Visuals auszumachen. Dennoch scheint es der Künstlerin in diesem Werk weniger um das Aufeinandertreffen von Kulturen zu gehen, als um eine Auseinandersetzung mit Geschlechtsidentitäten in der männlich dominierten Geschichte ihrer Familie bzw. des arabischen Kulturkreises.
Für die Schlussszene wird Monira Al Qadiri ganz in Gold gekleidet und in einem Glaskubus sitzend, welcher auf einem diesmal größeren haarigen Haufen (ah, es sind natürlich Bärte!!) platziert ist, auf die Bühne geschoben. Dahinter auf der Videowand saust ein männlicher Kopf in Pac-Man-Manier über die Fläche und konfrontiert die Künstlerin – auch ihr animierter Kopf jagt später rückwärts über die Bildwand – mit ihrem Wohlstand und ihrer privilegierten sozialen Situation. Ein gesellschaftskritischer Verweis auf soziale Reproduktion oder Kritik am Abstammungsprinzip? Es lässt sich nicht ganz erfassen.

Einem Phantom nachjagen (Mauser Caroline)

Am Anfang war das dunkle Nichts, bis ein kleiner Punkt auf einer Leinwand erschien. Und dieser wurde immer größer bis er sich schließlich als ein blaues Etwas entpuppte. Damit hat die Uraufführung von Phantom Beard im Schauspielhaus begonnen. Die Bühne wird erweitert, es kommen drei Haarhaufen in den dunklen Raum hinein. Sie wirken in der Dunkelheit allerdings mehr wie Steine. Auf der Leinwand wird das blaue Etwas durch weiß-blaue Feuerlichter ersetzt. Wie Seelenflammen bringen sie dem gesamten Raum eine mystische Atmosphäre. Eine Person in einem Kimono tritt ein, mit einer schwarzen Perücke, die das Gesicht verdeckt. Schließlich erzählt eine Off-Stimme auf Japanisch von Männern in weißer Kleidung, die sie heimgesucht hatten. Die Stimmung im Saal gleicht der einer Geistererzählung. Die Stimme als Erzähler*in, das Publikum in der Rolle des hellhörigen Kindes. Die Figur geht ab, die Flammen verwandeln sich in Spermien. Auftritt einer erneut verdeckten Person, diesmal mit Wäschebündel in der Hand. Gesprochen wird wieder von Männern, in ihren weißen Robben und ihren dunklen Bärten. Doch diesmal auf Arabisch. Die Wäsche fällt, Monira erscheint. Schnell hüllt sie sich in ein Gebetsgewand und verkleidet sich. Als Teil der Männerwelt gestikuliert sie mit, zu einem religiösen Gesang. Als das Gebet zu einem rhythmischen Lied mit Beat wechselt, entspringt in Monira eine wahre Tänzerin. Im Hintergrund sind auch männliche Geister zu sehen, die ebenfalls mit der Musik mitwippen. Dieser Moment bringt Schwung in die gesamte Performance, doch so schnell dieser Höhepunkt gekommen ist, so schnell ist er wieder verschwunden. Nun erzählen die Geister ihr von Unrecht, Mord und Leid. Monira wird mit Vorwürfen beschuldigt und gleichzeitig als Erbin gepriesen. Nur sie könne ihre Ahnen erlösen, sie möchte davon aber nichts wissen. Ständig wirft sie die Frage nach ihrer Rolle auf und dass doch alles eine Verwechslung sei. Die Geister ihrer Vergangenheit verschwinden und so geht auch Monira von der Bühne ab. Im letzten Bühnenbild wird Monira in einem goldenen Overall wie ein Schmuckstück in einem Glaswürfel ausgestellt. Im Hintergrund bewegen sich ihr eigener Pixelkopf so wie der eines Ahnen, wie zwei DVD-Logos auf der Projektionsleinwand. Erneut wird sie mit Vorwürfen bombardiert, diesmal für ihren Wohlstand. Auch sei Tag der Abrechnung gekommen. Monira möchte nichts mehr davon hören, würgt das Gespräch ab und damit auch die gesamte Performance.
Die Regisseurin Monira Al Qadiri scheint ihre Biografie in einem kulturellen Mix präsentieren zu wollen. Und das zurecht, immerhin ist sie in Senegal geboren, in Kuwait aufgewachsen und hat in Japan ihre Kunstausbildung absolviert. Kitschiger Pop soll hier präsentiert werden, wie der Text im Festwochenprogramm suggeriert. Doch fehlt davon jede Spur. Denn so sehr Al Qadiri versucht die beiden Kulturen zu vereinen, der rote Faden der gesamten Performance ist nicht gelungen. Spekulieren lässt sich nur, was sie mit der Verbindung der beiden Kulturen aussagen möchte. Ist es der Testosteronvorteil? Männer scheinen bevorzugt zu sein, Frauen wird vieles untersagt. Kein Wunder, dass sich Monira Al Qadiri wünscht Teil dieser Welt zu sein. Endlich ein Mann sein, mit den schönen Bart, der sie Macht spüren lässt. Und doch redet sie mit ihren Vorfahren von sich selbst als Frau, jeder der Männer bestätigt dies mit den Worten „Du bist die Erbin!“. Der philosophische Dialog zwischen Monira und ihren Ahnen ist derart groß, dass der Text aufgrund der gewaltigen Menge nach einiger Zeit an Reiz verliert und der Inhalt bald nur noch lose dahin hängt. Bloß die Abrechnung wird nochmals betont. Was dieser allerdings im Kontext zur gesamten Performance bedeutet, kann nur Monira Al Qadiri selbst wissen.
Diese Vorstellung brachte viel Potenzial mit sich. Allein der Weg nach Japan, ihre Vorliebe zu Anime und Manga, sowie ihre Herkunft hätten als faszinierende Mischung mit ihrer Herkunft für eine spannende Vorstellung verwendet wären können. Doch leider wurde die bestehende Erwartungshaltung enttäuscht. Besonders was Japan betrifft hätte Al Qadiri mehr herauskitzeln können, betont seien dabei Animes und Mangas, die sich an Klischees und extravaganter Dramasträngen nur so bedienen. Diese Aspekte hätten der gesamten Performance mehr Leben eingehaucht. Auch der suggerierte Pop hätte den Projektionen mehr Farbe verliehen.
Auch der Sinn dieser Vorstellung ist nicht ganz klar. Soll es eine reine Biografie sein, schön anzusehen im Schein von Projektionen, oder möchte sie ein politisches Statement abliefern, das in all dem metaphysischem Gerede versteckt ist? Handelt es von neu entdeckter, sexueller Identität oder geht es um das Aufarbeiten der Vergangenheit? In „Phantom Beard“ kommen mehr Fragen auf als eigentlich beantwortet werden. Monira Al Qadiri wagt einen dynamischen Schritt mit der Vereinigung von japanischer und arabischer Kultur. Die Vorstellung macht, auch in der Verwendung von Lichtprojektionen davon einen interessanten Gebrauch. Und doch waren diese Lichtanimation leider die einzigen Phantome, die diese Performance spannend gemacht haben.