Apart-ment

R: Keyvan Sarreshteh, Theater Nestroyhof, 14./15. Mai 2019

Schönheit in Vergänglichkeit (G.J.)

Beim Betreten des Saals wird das Publikum von dem einzigen Akteur begrüßt, welcher geduldig in der Mitte der Bühne steht und wartet, bis alle Plätze gefüllt sind. Ich bin an dieser Stelle nicht ganz sicher, ob der Begriff Akteur für Keyvan Sarreshteh überhaupt der Passende ist, denn hier wird nichts gespielt. Sein einziger Gefährte auf dieser kleinen Reise in seine Vergangenheit ist ein kleiner metallener Kübel, welcher mit Wasser gefüllt ist, in dem sich ein Schwamm befindet. Es geht los. Keyvan Sarreshteh beginnt von seiner frühen Kindheit und der Wohnung zu erzählen, in welcher er diese verbracht hat. Mithilfe des Schwammes beginnt er einen Grundriss auf den Boden zu zeichnen mit dessen Hilfe er sich durch die Räume bewegt. Seine Geschichten beinhalten persönliche emotionale Momente, welche von dem getriebenen Schabernack in seiner Kindheit bis zu schweren Krankheiten und Todesfällen reichen. Nach einiger Zeit zieht Keyvan Sarreshteh um. Das Spiel beginnt quasi von vorne. Jede neue Wohnung wird mit einer relativ detaillierten Ortsangabe und Beschreibung des Gebäudes vorgestellt. Erneut werden die Grundrisse der Räume auf den Boden gezeichnet. Immer weiter so voranschreitend begleiten wir Keyvan Sarreshteh durch seine Erinnerungen. Mit ihm erleben wir seine Schulzeit, sein Aufwachsen, den ersten Kuss (und alles, was damit zusammenhängt), den Tod von Freunden und Verwandten und schließlich sein Erwachsenendasein, bis das Geschehene quasi an die Gegenwart anknüpft. 

Das „Apart“ in „Apart-ment“ lässt den thematischen Fokus auf der Realität des Verlustes Platz nehmen. Die Erinnerungen von Keyvan Sarreshteh sind detailliert, aber nicht vollständig. Selbiges gilt für die Grundrisse, welche der Künstler auf den Boden zeichnet. Erinnerungen sind etwas Kostbares, und in Relation zu dieser Kostbarkeit ebenso vergänglich. Mit der Zeit werden sie lückenhaft, gespickt mit kleinen Verwechslungen, oder es wird ihnen schlicht weniger Relevanz zugeordnet. Ebenso verschwinden Keyvan Sarreshtehs Zeichnungen mit voranschreitender Dauer. Sich an Erinnerungen komplett festzuhalten ist genauso unmöglich wie ratsam, jedoch bilden sie einen der größten Reichtümer des menschlichen Verstandes. Doch irgendwann ist es Zeit fortzuschreiten, das Geschehene nicht zu vergessen, aber hinter sich zu lassen und weiterzuleben, es ist Zeit, umzuziehen. Trotz der Veränderung und Tragik, welche ein einziges Menschenleben zu ertragen hat, gehen wir weiter in die einzig mögliche Richtung, nach Vorne. Und auch wenn diese nicht die einzigen Bestandteile des Lebens darstellen, so sind sie doch vielleicht seine essentiellsten. Denn genau so wie diese Darstellung, ist das Leben und die Dinge darin nicht schön, weil sie auf ewig andauern, sondern irgendwann zu ihrem Ende finden müssen.

Spuren der Erinnerung (L.L.)

Keyvan Sarreshteh präsentiert erstmals sein Werk „Apart-ment“ außerhalb des Irans. Er spricht über das Zuhause, wie man es verliert, vermisst, wieder aufbaut und sich daran zurückerinnert. Genauer gesagt spricht er über die Wohnungen, in denen er mit seiner Familie gelebt hat, womit nicht immer ein Zuhause gleichgesetzt werden kann. Mit Hilfe eines Wassereimers und einem Schwamm zeichnet Sarreshteh die Grundrisse auf den Boden. Manche Erinnerungen scheinen stärker als andere präsent zu sein. Zudem tauchen durch das Wiederaufrufen der einzelnen Orte und Räume auch Personen auf, denen er in seinem Leben begegnet ist. Sie kommen und verschwinden wie die Spuren auf dem Boden. Genauso temporär stehen die Erinnerungen im Raum. Die gezogenen Wasserlinien werden teilweise von anderen, neu hinzugefügten überlagert.

Die Symbolik der verwendeten Mittel ist stark und löst die meisten Emotionen aus. Es sind nicht die Geschichten berührend, die erzählt werden oder wie sie erzählt werden. Sarreschteh verwendet eine unverblümte Sprache und berichtet stets in einem neutralen Ton. Manche Stellen der Erzählung bringen einen zum Schmunzeln oder stimmen einen traurig, weil man sich darin vielleicht selber wiedererkennt. Trotz der Trockenheit der Erzählung sind humorvolle Stellen in den Text hineingeschrieben. Wenn man etwa die „wandernde Waschmaschine“ aus den vorherigen Wohnungen schon kennt und sie in der Neuen wiederentdeckt, nur um dann eine Pflanze drauf gestellt zu sehen, die vor jedem Waschgang abgestellt werden muss. Diese Handlungen und Gegenstände passieren vor allem in den Vorstellungen der Zusehenden, die mit der Erzählung hervorgerufen werden. Doch die Tragik aller Handlungen wird in der Vergänglichkeit der Spuren wieder gespiegelt.

Der Abend zeigt eine sehr kurze Vorstellung, die auch relativ abrupt endet. Die wenigen Elemente, die verwendet worden sind, reichen aus, doch bleiben sie hinter ihrem Potential zurück. Ein einziges Mal darf der Schwamm mehr als nur zeichnen. Er wird ausgedrückt um die Flasche, die ins Klo geleert wird, noch bildlicher vor Augen zu führen. Solche Elemente hätten noch mehr Platz gehabt. Die Inszenierung hätte auch noch mehr Leerstellen vertragen, in denen die erschaffenden Bewegungen oder entstandenen Bilder für sich stehen.

Ohne der stimmlichen Erzählung würden die Handlungen einem sehr meditativen Rhythmus folgen. Diesen Rhythmus habe ich mir nach Hause genommen und ich labe mich an den Bildern meiner Erinnerung, die diese Wasserzeichen zurückgelassen haben.

Vergangenheitsbewältigung on Stage (Anna Reicht)

Mit seiner autobiographischen One-Man-Performance „Apart-ment“ ist der junge iranische Autor und Theatermacher Keyvan Sarreshteh erstmals außerhalb seines Heimatlandes auf der Bühne zu sehen. Ausgangspunkt für die Inszenierung ist einerseits seine persönliche Faszination für Erinnerungen und andererseits die Frage, ob und mit welchen Mitteln Theater etwas Ähnliches zu leisten vermag wie Literatur, nämlich die Vorstellungskraft in einer Art und Weise anzuregen, dass das eigentliche Werk bewusst in den Köpfen der Rezipientinnen entsteht und so jede/r am Ende seine/ihre eigene Version des Stückes imaginieren kann.
Während sich die Publikumstribüne im Theater Nestroyhof Hamakom langsam füllt, wartet Keyvan Sarreshteh – etwas verhalten und in schlichter Alltagskleidung – bereits auf der Bühne. Auch die einzigen Requisiten für sein Stück stehen parat: ein mit Wasser gefüllter Blecheimer und ein Schwamm, den er als Zeicheninstrument benutzen wird.
Der Künstler skizziert mit dem nassen Schwamm am Boden schemenhaft die Grundrisse der Apartments in Teheran, in denen er gewohnt hat. Darüber hinaus visualisiert er die insgesamt acht Wohnungen und ihr Inventar auch durch seine Bewegungen, Gesten und die Schilderung von Erlebnissen, die er mit den jeweiligen Quartieren verbindet. Den Orten wird also in der Vorstellung des Publikums Leben eingehaucht, indem Sarreshteh sie mit seinen Erinnerungen füllt – etwa an Kindheitsrituale, Zankereien mit der Schwester oder die erste Verliebtheit. Während er zeichnet, gestikuliert und erzählt beginnen die mit Wasser gezeichneten Linien bereits wieder zu verblassen. Ein Sinnbild für die Vergänglichkeit, ein Verweis darauf, dass Keyvan Sarreshteh nichts von den verschiedenen Wohnungen geblieben ist, als seine Erinnerungen daran.
Die ganze Performance über bleibt Sarreshteh sowohl in seinen erzählerischen als auch in den visuellen Ausführungen konsequent reduziert, wodurch sich unweigerlich Leerstellen auftun. Wohl eine bewusste Entscheidung des Künstlers, um Raum für die Imagination des Publikums zu lassen. Was dieser Logik nicht unbedingt entspricht, aber dennoch auffällt ist, dass er in seinen Ausführungen die Gründe für die vielen Umzüge ausspart. Nur für den Auszug aus dem ersten Zuhause, das er auch am detailliertesten beschreibt, nennt er den Anlass, nämlich die Rückkehr der eigentlichen Besitzer aus dem Ausland, die die Wohnung wieder für sich selbst nutzen wollen. Wie er im Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung verrät, war es in weiterer Folge immer der gleiche Grund: Die sich zunehmend verschlechternde finanzielle Situation seiner Familie machten die Wohnungswechsel notwendig. Obwohl Keyvan Sarrestheh diese Tatsache während der Performance nie explizit benennt, wird sie aus den Schilderungen der Apartments und ihrer Lage in der Stadt deutlich: Die Quartiere werden zunehmend kleiner und sind in weniger attraktiven Gegenden Teherans situiert. Gleichzeitig werden die Erinnerungsfragmente des Performers spärlicher und unschärfer, obwohl sie eigentlich immer weniger weit in der Vergangenheit liegen.
Keyvan Sarreshtehs verfolgt in all seinen Theaterarbeiten stets einen dokumentarischen Zugang. In diesem Selbstverständnis arbeitet der Künstler in Apart-ment zwar in erster Linie seine persönliche, durch die vielen Umzüge stark geprägte Lebensgeschichte auf – eine Geschichte von Entwurzelung und sozialem Abstieg. Gleichzeitig kann das Narrativ des Stückes aber auch stellvertretend für Lage der gesamten Mittelschicht in Teheran gelesen werden, deren Lebensstandard sich durch die hohe Inflation und die sich zunehmend verschärfende Wohnungssituation in jüngster Vergangenheit drastisch verschlechtert hat.

Die Kunst des Sich-Erinnerns (JW)

Erinnerungen sind der Kern des Abends, eigentlich geht es nur um sie. Wie lange kann man sich noch genau an die Räumlichkeiten der Wohnungen erinnern, in welchen man gewohnt hat? Keyvan Sarreshteh erinnert sich sehr genau – von der Wohnung, in der er die ersten 13 Jahre seines Lebens verbracht hat kennt er den Grundriss und weiß auch noch genau, wo der Erste-Hilfe-Schrank im Bad hing.
Das autobiographische Stück erzählt anhand der verschiedenen Wohnungen verschiedene Episoden aus dem Leben eines Mannes, angefangen bei Erinnerungen aus der Kindheit, als man sich unter dem Esstisch versteckte, über die Streitereien mit der Schwester bis hin zu Tod und Liebe. Der Abend deckt gewissermaßen eine ganze Bandbreite ab, und das, obwohl das Stück nur gut eine dreiviertel Stunde dauert.
Sehr bestechend ist, wie exakt die Erinnerungen sind, die Sarreshteh mit uns teilt, und er tut dies mit einer solchen Nüchternheit, dass es fast schon schockierend ist. Banale Geschichten vermischen sich mit tragischen Episoden, werden eingereiht in ein Sammelsurium aus Erlebnissen, ohne hervorgehoben zu werden.
Die vielen Umzüge waren prägend für Sarreshteh, er schaffte es nicht, eine entstehende Desorientierung abzuwenden und klammerte sich an den alten Wohnungen fest, die alle mit Erinnerungen gefüllt waren. Jedes Erlebnis ist schließlich auch an einen Ort geknüpft.
Vielleicht geht es bei diesem Abend um die Vergänglichkeit, um das unaufhaltsame Weiterschreiten der Zeit, und die einzige Waffe, die der Mensch dem entgegenhalten kann ist das Sich-Erinnern. Vergänglich sind nämlich auch die Wasserzeichnungen, welche Sarreshteh mit einem Schwamm auf die, bis auf einen Kübel leere, schwarze Bühne zeichnet. Teilweise halten seine Wohnungsumrisse und die Inneneinrichtung nicht einmal die aktuelle Geschichte durch und verblassen schon lange, bevor sie durch Neue ersetzt werden.
Es wird nie direkt angesprochen, und dennoch ist die Entwurzelung ein ganz großes Thema. In jeder Wohnung finden sich die gleichen Einrichtungsgegenstände wieder – besonders prägend sind die drei Bücherregale, meist zu einem Dreieck formiert, sowie die Waschmaschine und die Pflanzen seiner Mutter – und man könnte deshalb meinen, dass sich schnell ein Heimatgefühl breitmachen sollte. Aber Sarreshteh öffnet genau damit eine große Frage: Was ist eigentlich das Zuhause? Nach dem Abend ist das einerseits sehr schwer zu beantworten, andererseits auch wieder recht einfach: Zuhause muss letztendlich kein Ort sein, es reicht, wenn es ein Gefühl ist.

Die Schatten der Vergangenheit (D.K.)

Keyvan Sarreshteh zeichnet mit einem Schwamm Wasserstriche auf den grauen Boden der Bühne. Sichtbar werden die Grundrisse von Wohnungen, in denen der Künstler in seiner Vergangenheit gelebt hat. Es sind Zeichnungen direkt aus den Erinnerungen des Performers, der, nur mit einem Schwamm bewaffnet und der Unterstützung eines auf der Bühne stehenden Eimers Geister der Vergangenheit zum Leben erweckt.
Immer wieder zeigt er uns auf einer imaginären Karte in der Luft, wo er und seine Familie gerade hingezogen sind. Dabei geht er jeweils vom vorher erläuterten Standort aus. Es scheint fast, als öffne er Google Maps vor sich, worauf er den Zuschauern gut nachvollziehbar den Standortwechsel aufzeigt. Der Einsatz von Medien bleibt minimal. Neben dem Künstler, dem Eimer und dem Schwamm sind die Übersetzungen auf Deutsch und Englisch, die oben eingeblendet werden die einzigen Mittel zur Darstellung des Erzählten. Manchmal erweist es sich schwierig, gleichzeitig den Handbewegungen des Performers zu folgen und dennoch die Surtitles zu lesen, doch die Gesten sind einfach und klar, so wie alles, was auf der Bühne geschieht. Die Einfachheit der Darstellung unterstreicht die Erzählungen und ihre jeweilige Tragik, beziehungsweise den Effekt, den sie auf den Künstler zur erzählten Zeit hatten.
Sarreshteh erläutert in chronologischer Reihenfolge, angefangen von der ersten Wohnung, in der er mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester gelebt hat, welche Erinnerungen mit den verschiedenen Wohnungen verbunden sind. Die mit den Erlebnissen zusammenhängenden Emotionen spielen dabei immer wieder eine Rolle, auch wenn sie nicht direkt angesprochen wurden. Neben witzigen Anekdoten beschreibt er auch Schicksalsschläge und erzählt nebenbei von seinem Bett, wo er sich das erste Mal verliebt, das erste Mal jemanden geküsst und noch andere Erinnerungen gesammelt hat. Bei jeder Erwähnung wird der Umriss des Bettes größer.
Immer wieder wird Verlust thematisiert, sei es der Verlust der Haare, den Sarreshteh wegen seiner Alopezie schon sehr jung erlebt, der Tod von Familienmitgliedern, oder der Abschied eines Zuhauses, von dem man dachte, es wäre für immer ein sicherer Ort, oder an den man sich nur langsam gewöhnt hat, nur um wenige Monate später wieder weiterziehen zu müssen.
Einige Linien, die gerade erst mit dem Schwamm gezogen wurden, verblassen noch bevor der Künstler mit seiner Zeichnung und den dazugehörigen Erklärungen fertig ist. Trotzdem bewegt er sich mit beachtlicher Sorgfalt in dem Raum und läuft um Tische und durch Flure, die nur in seiner Fantasie existieren. Er bewegt sich im Raum als wäre es seine ehemalige Wohnung, bleibt mit dem Rücken zum Publikum stehen weil dort hinten ein Fenster ist, zeigt in einem anderen Raum, wie man durch das Fenster schauen musste um die Berge zu sehen und nimmt dabei immer Rücksicht auf die jeweiligen baulichen Gegebenheiten der jeweiligen Wohnung. Dadurch holt er die Räume auf die Bühne und die Zuschauenden erleben eine Führung durch die Zimmer, aus denen der Künstler durch verschiedene Umstände vertrieben wurde.
Es ist eine Reise durch die Vergangenheit, die nicht nur in der Darstellungsweise, sondern auch in der Erzählweise minimalistisch ist und vieles ausspart. Anfangs sind die Beschreibungen der Umgebung der Wohnung und den Nachbarn detaillierter und werden gegen Ende der Aufführung immer vager, bis der Künstler schlussendlich nur noch mit knappen Kopfbewegungen die Position von Gemälden angibt und seine Reise abbricht. Die Aufbruchsstimmung, von der seine Erzählungen geprägt sind, zieht sich bis in die Gegenwart, denn auch aus seiner letzten Wohnung musste er ausziehen.
Die durch die Umzüge und damit einhergehenden Verluste bedingte Veränderung der Wahrnehmung seiner Umgebung zeigt Sarreshteh durch zunehmende Distanz zu dem Erzählten. Während er anfangs noch über viele Geschichten aus seiner Kindheit berichtet, wie beispielsweise die Streitereien mit seiner Schwester oder seine Freundschaft mit dem Nachbarsjungen, zu dem er eine besondere Beziehung aufbaut, weil sie beide eine rote Kappe tragen um ihre Kahlheit zu verbergen, auch wenn diese von unterschiedlichen Gründen wie Haarausfall durch eine genetisch bedingte Krankheit, oder durch Chemotherapie ausgelöst wurde, werden die Räume zunehmend schlichter. Nicht nur was die Raumanzahl angeht oder die Einrichtungsgegenstände, sondern auch, was die wertvollen Erinnerungen betrifft, die an die jeweiligen Räume gebunden sind.
Alles ist ephemer. Die ohnehin äußerst kurzweilige Aufführung, die Linien auf dem Boden, die Führung durch die Räumlichkeiten, die es so nicht mehr gibt, inklusive der Einrichtung, die nicht mehr an den sorgfältig beschriebenen Stellen steht, sowie die Erfahrungen, die nur noch schemenhafte Erinnerungen sind, die für einen kurzen Moment auf der Bühne wieder zum Leben erweckt wurden und nun wieder in der Dunkelheit verschwinden. Alles verblasst, wie die trocknenden Linien auf dem grauen Boden der Bühne. Nur der Eindruck bleibt.

Schwindende Erinnerung (Caroline Mauser)

Am Abend des 15. Mai erblicken die Besucher*innen eine fast leere Bühne. Zu sehen ist nur Keyvan Sarreshteh und ein Kübel mit einem Schwamm. Er steht inmitten des Raums und starrt das Publikum an, während es sich auf die ausgesuchten Plätze niedersetzt. Als das Gemurmel sich legt, fängt er an zu sprechen. Auf Farsi erzählt er von seinen Erinnerungen an seine Familie und die gemeinsam bewohnten Orte. Währenddessen malt er mit dem befeuchteten Schwamm die Räume und das Mobiliar auf den Boden. Hier wird das Leben eines Mannes präsentiert, der mithilfe von Wasser den Räumen in seinem Gedächtnis eine Form geben möchte. Dabei sei ebenfalls ein Appell an die Vorstellungskraft des Publikums gestellt, welches sich zunehmend als schwierig erweist. Je mehr Räume präsentiert wurden, desto komplizierter wurde die gedankliche Rekonstruktion der einzelnen Gegenstände. Dabei sei der Kreativität freien Lauf zu lassen.
Doch liegt das Merkmal nicht in dem exakten, mentalen Wiederbeleben des Sofas im Wohnzimmer. Vielmehr ist der Aspekt der Erinnerung an sich der Kern dieses Abends. Die Orte, die wiedergegeben werden, sind Keyvan Sarreshteh so klar sichtbar wie an jenen erlebten Tagen. Für das Publikum sind es die Gesten von ihm und die am Boden gezeichneten Wasserlinien, die eine haltbare Vorstellung von den in Erinnerung gebliebenen Orten ermöglichen. Mit jedem Umzug werden die Gedanken verschwommener, die Platzierung der eigenen vier Wände mit jeder neuen Wohnung scheint schwerer. Die verblasste Existenz von einer Linie kann mit einer Anderen ersetzt werden, der Raum wird mit anderen Bestandteilen gefüllt. So scheint die Vorstellung von „Zuhause“ für Keyvan Sarreshteh nur aus einem gewaltigen (Gedanken-) Chaos des Umziehens zu bestehen. Mit dabei, seine stets neu einzurichtende Existenz in der neuen Wohnung. Dabei muss er auch zurückstecken, seine ältere Schwester bekommt nämlich durch ihr Alter einen Vorteil beim Aussuchen des Zimmers. Eine humorvolle Anekdote des geschwisterlichen Zankens, die dem gemalten und vorgestellten Raum mehr Dynamik einhaucht. Doch diese ist ebenfalls ein Fragment der verblassten Vergangenheit.
Keyvan Sarreshtehs Ein-Mann-Show entzückt gerade durch den minimalistischen Gebrauch. Alles, was er für seine Rekonstruktion der Gedanken benötigt, sind ein Schwamm, ein Kübel voll Wasser und ein Raum. Dabei kann die Frage aufgeworden werden, was für das Überliefern von eigenen Erinnerungen benötigt wird. Braucht es etwas Pompöses? Oder reichen nur zwei Dinge? Doch ist auch hier ist der Gedanke, wie lange diese Mittel erhalten bleiben. So wie die Linien am Boden verschwinden, sind auch die Erinnerungen an das eigene Leben mit der Zeit am Verblassen. Das einzige was Einem bleibt, sind die Bilder im Kopf, die niemand so rekonstruieren kann wie die erinnernde Person selbst.

Die Vergänlichkeit ist die Schönheit des Lebens (M.T.)

Keyvan Sarreshteh frönt mit einem Eimer Wasser, einem Schwamm und einer Neutralbühne mit schwarzem Boden der Vergänglichkeit des Lebens. 40 Minuten lang lässt er durch nasse Linien auf dem Boden die 8 Apartments, die er mit seiner Familie bewohnte und die Geschichten, die sich darin abspielten, in den Köpfen der Zuschauer*innen aufleben und wieder verschwinden. Überdeckt sie mit immer neuen Geschichten und Anekdoten und zeigt so beispielhaft das sich immer weiterdrehende Rad des Abschieds von Altem und der Gewöhnung an Neues auf.
Die Beschreibungen folgen alle einer sehr klar nachvollziehbaren Dramaturgie:
Zuerst wird auf einer imaginären Karte genau eingezeichnet, wo sich das jeweilige Apartment in Teheran befindet. Dabei nimmt Keyvan Sarreshteh die erste Wohnung, die er mit seiner Familie bewohnte als Ausgangspunkt und zeichnet mit den weiteren Apartments einen Weg durch die Stadt. Es wird nach der Ortsangabe auf der Makroebene der Stadt auf eine kleinere Stufe geschaut und gesagt, wo im Haus sich das Apartment befindet. Dann wird noch einmal weiter ins Detail gezoomt, und von der Eingangstüre aus die Wohnung beschrieben und in den jeweiligen Räumen die dazugehörigen Geschichten erzählt. So kommt man von einer Makroebene schrittweise auf eine Mikroebene und kann so dann die Erinnerungen eines Individuums aufleben lassen.
Es sind Erinnerungen, die manchmal Rituale und Gewohnheiten beschreiben, wie das Einschlafritual, dass er in einem seiner Zimmer begonnen hat, dann aber auch einmalige oder einschneidende Erlebnisse die wie Momentaufnahmen wirken. Dies ist zum Beispiel der Fall, als er erzählt, wie es war als er seine Mutter das erste Mal weinen sah oder als seine Tante starb.
Die Erinnerungen werden dadurch legitimiert, dass ihn das Erinnerungsvermögen manchmal auch im Stich lässt und er sich zum Beispiel mit dem Ausschlussprinzip die Wohnung wieder zusammenstellen muss. Dies schadet den Geschichten, die erzählt werden jedoch nicht, da die Details, die wichtig sind klar vorhanden sind und somit doch ein klares Bild in den Köpfen der Zuschauenden entstehen kann.
Die Erinnerungen werden in einer kindlich naiven Art vorgetragen und lassen so auch vieles offen, was dem erwachsenen Keyvan Sarreshteh im Nachhinein sicher klarer gewesen war, in dieser Momentaufnahme jedoch für ihn nicht klar war. So werden den Zuschauer*innen zum Beispiel die Beweggründe, die hinter den Umzügen stehen nie ganz erklärt, was die Fantasie des Publikums anregt und auch eine Neugierde weckt, und somit den Wunsch, mehr zu erfahren. Dieser wird jedoch bewusst nicht erfüllt. Und doch kann man erstaunlich viel aus den kindlich oberflächlichen Beschreibungen herauslesen.
Auch erzählt er nur das, was damals für ihn als Kind wichtig und deswegen auch in seiner Erinnerung geblieben war:
Von den Streichen, die er gemacht hat, vom Streiten mit seiner Schwester und auch vom innerlichen Kampf mit seinem Haarausfall. Dabei ist immer schon eine gewisse Distanz zu erkennen, die teilweise etwas Stoisches hat, aber auch immer eine gewisse Melancholie mitschwingen lässt.
Dieser Melancholie, die durch diese Kindheitserinnerungen aufkommt, wird mit einem sehr nüchternen Gestus gekontert. Diese Nüchternheit hält die ganze Erzählung davon ab, ins Schwelgende oder auch ins Traurige zu kippen. So behält die Erzählung auch bei den schwersten und traurigsten Themen eine gewisse heitere Leichtigkeit, die auch immer wieder ein unkompliziertes Lachen seitens des Publikums erlaubt.
Das Erzählen von Vergangenem und das Aufzeichnen von Vergehendem steht wie ein buddhistisches Sandmandala oder auch eine Theateraufführung als ein Symbol für die Vergänglichkeit und somit auch für die Schönheit des Lebens. Keyvan Sarreshteh fordert durch diese doppelte Vergänglichkeit das Publikum auf eine sehr subtile Art und Weise auf, die Momentaufnahmen des Lebens zu genießen.

Wie man das Wohnzimmer ins Theater bringt (C.K.)

Ein Umzug kann ein sehr einschneidendes Erlebnis im Leben eines Kindes sein. Dabei können sich die Folgen natürlich zwischen einer absoluten Katastrophe und einem willkommenen Neuanfang hin und her bewegen. Offensichtlich hat dies auch Keyvan Sarreshteh im eigenen Leben bemerkt und mit „Apart-ment“ ein Theaterstück darüber geschrieben.
Ganz alleine steht der Schauspieler, Regisseur und Autor schon während dem Einlass auf der nicht erhöhten Bühne und schaut dem Publikum beim Aussuchen der Plätze zu. Er trägt unauffällige Kleidung und beginnt plötzlich und unmittelbar mit dem Stück, während der Zuschauerraum sich äußerst langsam abdunkelt. Er spielt den eigenen Text selbst und braucht, bis auf einen Eimer Wasser und einen Schwamm, keine Requisiten. Er beginnt damit, eine Wohnung nach der anderen zu beschreiben und Teile des Grundrisses und der Einrichtung mit Wasser auf den Boden zu zeichnen.
Als ob es sich um die Erinnerungen selbst handeln, erscheinen die Räume und Möbel zunächst klar auf dem schwarzen Bühnenboden, beginnen dann aber zu verschwinden. Räume legen sich übereinander, wo vorher noch das Wohnzimmer war ist plötzlich das Schlafzimmer. Die Zeichnungen erscheinen somit wenig kohärent, aber doch mindestens konsistent: Wenn kurz vor dem Wegzug noch einmal durch die gesamte Wohnung gegangen wird, dann finden sich alle Räume immer noch genau dort, wo sie gezeichnet wurden, auch wenn zwei eigentlich getrennte Wohnbereiche sich einen Platz auf der Bühne teilen.
Die Beschreibung ist mit vielen sehr persönlichen Anekdoten angereichert, die allerdings immer nur gestreift werden und oftmals mit einer unbeantworteten Frage enden. Verwandte und Bekannte sterben, Familiendramen spielen sich ab und die iranische Revolution ist in vollem Gange, doch all das wird zur Nebensache, neben Sitzklosetts und Wandregalen.
Nach der gestrigen Reizüberflutung von „The Scarlet Letter“ kommt „Apart-ment“ als das absolute Gegenteil daher. Gespannt lauscht das Publikum den Worten Sarreshtehs, obwohl wahrscheinlich die wenigsten dem gesprochenen Farsi mächtig sind, bis auf die hin und wieder auftauchenden Lehnworte. Er spricht ruhig und wenig emotional, dennoch wirkt seine Stimme nicht langweilig, stattdessen eher angenehm und beruhigend.
Das ständige Wechseln des Blickes zwischen den Gesten des Darstellers, den glücklicherweise ziemlich nah am Geschehen platzierten Übertiteln und den eigenen Notizen ist hingegen ziemlich anstrengend und man bekommt das Gefühl nicht los, etwas zu verpassen, egal wohin man schaut.
Die Gesten Sarreshtehs sind nämlich oft genauso vielsagend wie der Text oder die Linien am Boden, die man wenigstens für einige Minuten noch nachverfolgen kann. Er geht in Räume hinein, schaut sich um, man sieht das geistige Abbild der Wohnungen in seinen Gedanken entstehen. Dieses Bild wird dann in einer Mischung aus mündlicher Beschreibung, Gesten und den Wasser-Zeichnungen an die Zuschauenden weitergegeben, welche dazu eingeladen sind, sich die Wohnungen vorzustellen.
Es kommt die Frage auf, ob das Stück denn autobiographisch gemeint ist und tatsächlich nutzt Sarreshteh verschiedene Authentifizierungsstrategien, um dem Text den möglicherweise berechtigten Anschein einer Erzählung aus dem Gedächtnis zu verleihen. Die sehr persönlichen Erlebnisse wirken authentisch und stimmen an einigen Stellen mit der auf der Bühne gezeigten Realität überein, zum Beispiel bei seiner Erwähnung des Haarausfalls. Der Darsteller hält inne und überlegt. Manchmal muss er Ecken der Wohnungen, an die er sich nicht erinnern kann, mittels Deduktion aus anderen, besser in Erinnerung gebliebenen Details ableiten. Er scheut nicht davor zurück, peinliche Episoden weiter zu erzählen.
Gleichzeitig zeigt er aber auch Elemente eines unzuverlässigen Erzählers. Er glaubt sich an etwas zu erinnern oder verkündet, dass es wohl so gewesen sein musste. Ein Tagebuch wird erwähnt, was vermuten lässt, dass einige der Erlebnisse aus den Aufzeichnungen eines Kindes stammen.
So verfolgt man die Abfolge von einem Umzug nach dem anderen und versucht, sich die immer ähnlichen, aber nie ganz gleichen Apartments vorzustellen. Es gelingt Keyvan Sarreshteh, das Publikum auf eine Reise in den Iran seiner Kindheit und Jugend mitzunehmen und man verlässt das Theater mit dem Gedanken, dass man ihm noch ewig hätte zuhören können, auch wenn die angenehm ruhige Sprache irgendwann unweigerlich zum wohligen Entschwinden in ein fremdes Traumland geführt hätte.

Übergangslinien (S.B.)

Im Stück „Apart-ment“ wird ein Teil der Biografie des jungen, im Iran sehr erfolgreichen Theaterregisseurs Keyvan Sarrashteh dargestellt – und zwar von diesem selbst. Die Rahmung bildet eine leere Bühne mit einem Eimer voll Wasser, aus dem mit einem Schwamm immer wieder Wasser geschöpft wird um Linien, Vierecke und Kreise auf den Boden zu zeichnen. Da diese immer wieder trocknen, ist es dem Darsteller möglich, nach wenigen Minuten am selben Ort erneut auf den Boden zu zeichnen. Erzählt werden verschiedene Kurzgeschichten aus dem Leben dieses Mannes und aus 8 verschiedenen Apartments, in denen dieser im Alter von 8 bis 27 Jahren lebte. Im Vordergrund stehen also seine Erinnerungen, die dem Publikum verbal (mit Übertiteln als Übersetzung, da das Stück in seiner Muttersprache erzählt wird) mitgeteilt werden. Gleichzeitig werden seine Erzählungen teilweise visuell dargestellt: Die Apartments werden in Umrissen auf den Boden gezeichnet, er kann sich also nicht mehr ganz frei bewegen, ist eingeengt von diesen selbst gezeichneten Linien. Diese Einengung wird auch in seinen Erzählungen sichtbar, vor allem in Bezug auf seine Schwester, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters stets bevorteilt wurde und das grössere Zimmer erhielt, das höhere, beliebtere Bett und so weiter. Auffallend ist hier die Wende am Schluss, im letzten Apartment, wo er die Waschmaschine seiner Schwester erhält.
Die Linien, die von ihm gezeichnet werden, zeigen Pulte, Sessel, Fenster, Wände, Betten und Türen, alle wesentlichen Grundzüge eines Apartments. Auch die Pflanze der Mutter ist stets vorhanden, sowie kleine Einwürfe über die Mutter und den Vater selbst. Der Eimer mit Wasser dient zum ständigen Nachschöpfen, falls der Schwamm ausgesaugt ist. Ist der Schwamm voll, kann ein ganzes Apartment mühelos gezeichnet werden, was vielleicht mit der Tatsache assoziiert werden kann, dass Sarrashteh bei jedem Umzug neue Kraft schöpfen musste, um diese Wände als sein neues Heim akzeptieren zu können. Das Motiv des Umzugs selbst ist natürlich ebenfalls ein vorherrschender Aspekt und in jungem Alter kann es besonders schwierig sein, den Wohnort oft zu wechseln. Über diese Tatsache erzählt er jedoch nicht viel, sie ist demnach nicht wichtig in seiner Geschichte, oder jedenfalls nicht in dem Teil, der für uns bestimmt ist. Wir erfahren von ihm, dass diese Erinnerungen nicht nur aus seinem Gedächtnis, sondern auch aus Tagebüchern stammen, in die er diese Umrisse zeichnete. Somit hatten diese Apartments und somit die Umzüge schon früh eine Bedeutung für ihn. Sie waren für ihn mehr als bloß eine Wohnsituation, er hat sie sich genau angeschaut, er hat Bezüge hergestellt und die Gegenstände, sowie deren Platzierung genau beachtet.
Spannend ist auch die Tatsache, dass er jeden neuen Wohnort genau beschreibt: In welcher Etage er wohnte, wie alt er beim Umzug war und auch wie lang er am jeweiligen Ort wohnte. Auch beschreibt er, wie viele Kilometer weiter nach Norden, Osten, Süden oder Westen er umzog.
Trotz diesen jeweils sehr genauen Beschreibungen der Apartments, hatte jede/r Zuschauende eine ganz eigene Vorstellung vom jeweiligen Ort und es gab noch genug Raum für die individuelle Kreativität. Er hat also nicht nur mit Wasser und Schwamm gespielt, sondern auch mit dem Publikum, das das Gefühl hatte, es könne ruhig zusehen und müsse nicht nachdenken, obwohl dies überhaupt nicht der Fall war: Zwar wurde alles genau formuliert, tatsächlich war das Stück allerdings anspruchsvoller als man meinen könnte, da es sehr viel Vorstellungskraft erforderte.
Ein weiterer Punkt ist natürlich die Sprache, die für uns EuropäerInnen sehr befremdlich klingen mag, jedoch eine gewisse Ästhetik mit sich bringt. Auf eine Weise hat es gut gepasst, dass er von seinen vielen Umzügen erzählt hat, da der Iran für das Publikum ein fremdes Land ist, und das viele Umziehen für uns auch auf eine Art befremdlich wirkt. Aber dieser Mann und seine Geschichte waren vollständig glaubwürdig und vermutlich zweifelte kaum jemand dran, dass er alles, was er uns erzählte, wirklich erlebt hat. Zwar wissen wir überhaupt nicht, warum er so oft umgezogen ist, hatte sein Vater einen Job, für den er so oft umziehen musste? Oder war es vielleicht sogar Sarrashtehs Autoimmunkrankheit, von der er erzählte, die schuld an den vielen Umzügen war? Wir werden es nie erfahren. Auch wissen wir nicht, wie schlecht es um ihn stand, wie sein Gesundheitszustand jeweils war. Als er erwähnte, er hätte in einer gewissen Zeit viel geschlafen, könnte es beispielsweise sein, dass es ihm nicht gut ging.
Das Stück ist alles in allem eine spannende und erlebnisreiche Erzählung, jedoch bleiben viele Fragen unbeantwortet, auf die er hätte eingehen können. So hätte das Stück auch eine angenehmere Länge erhalten, da 40 Minuten verhältnismäßig kurz sind, um eine Autobiografie auf die Beine zu stellen, auch wenn sie nur von Apartments handelt.

Mietvertrag abgelaufen (L. Salander)

Keyvan Sarreshteh macht bei den Wiener Festwochen mit einer radikal einfachen Inszenierung auf die Wohnungsverhältnisse in Teheran aufmerksam.

Dienstag, 14. Mai — 20.30 Uhr. Das Publikum betritt die kleine, aber wunderschöne Bühne des Theaters am Nestroyplatz, um gleich beim Platznehmen einen sehr großen Mann zu entdecken, der geduldig wie ein Gastgeber auf der kahlen Bühne steht und wartet, bis er beginnen kann. Seine einzigen Requisiten: Ein Schwamm und einen Eimer Wasser. Ganz gemütlich tunkt er den Schwamm ein und malt nacheinander die Grundrisse aller acht Wohnungen, die er in seinem bisherigen Leben bewohnt hat, auf den kahlen, schwarzen Boden, während er dazu auf Farsi diverse banale oder auch weniger banale Anekdoten aus seinem Leben preisgibt.

Er beginnt beim ersten Apartment in der Jordanstraße, das er mit seiner Familie, bestehend aus Eltern und Schwester, bewohnt hat. Im weiteren Verlauf wird klar werden, dass er sich in keiner Wohnung je wieder so wohl fühlen wird wie in dieser. Er wirft dem Publikum biografische Erinnerungsbrotkrumen zu, malt beispielsweise ein Rechteck auf den Boden, welches den Balkon darstellen soll, auf welchem seine Schwester einmal aus Versehen ausgesperrt worden war, oder erzählt, wie er fünf Monate lang nachts ängstlich in der Türangel des Schlafzimmers seiner Eltern gestanden hatte, um seiner Mutter beim Atmen zu lauschen, weil der Vater seines Freundes gestorben war, oder, wie er im Badspiegel zum ersten Mal auf seine Alopezie (chronischer Haarausfall) aufmerksam geworden ist. Als er nach dreizehn Jahren in der Zafarstraße umziehen muss, malt er sich den Grundriss ins Tagebuch.

Danach beginnt eine rasante Umzugsodyssee, die aus unkontextualisierten Gründen jedes Mal, wenn er sich gerade an die neue Wohnung gewöhnt hat, dazu zwingt, wieder umzuziehen. Das Prozedere bleibt gleich: Er zeichnet gemütlich von allen Apartments die Grundrisse skizzenartig, mit dem Schwamm auf den Boden der Bühne, was sich logistisch gesehen super einfach darstellt, da die Wasserlinien nur eine flüchtige Existenz haben, sodass er einfach im Redefluss bleiben kann. Dieser Ablauf wiederholt sich so innerhalb einer Zeitspanne von 40 Minuten, wobei selbstverständlich die Anekdoten zu den jeweiligen Wohnungen variieren zwischen „Das ist der Ort, an dem ich mich verliebt habe“ und „Hier saß meine Mutter, als sie mir unter Tränen vom Tod meiner Tante berichtete.“

Man hat das Gefühl, auf einen Gedankenspaziergang mit ihm eingeladen worden zu sein, obgleich die Erinnerungsfetzen, mit denen er das Publikum füttert, nur als Fragmente erfahrbar sind, denn ein biografisches Gesamtkonstrukt oder eine geschichtliche Einordnung bleibt Außenstehenden verwehrt. Gerade als man bei der Subsumtion angekommen zu sein scheint, dass die Wohnung seiner Kindheit in der Jordanstraße bisher wohl das Non plus ultra gewesen sein muss, erzählt er schließlich, von einer Wohngemeinschaft in die er gezogen ist, welche ihm zu gefallen scheint. Dass sein Theatersolo dann jedoch mit der traurigen Erkenntnis, dass er nach fünf Jahren auch aus dieser ausziehen musste, weil sein Mietvertrag ausgelaufen ist, abrupt endet, lässt einen bitteren Beigeschmack übrig.

Sarreshtehs One-Man-Narrativ besticht durch sein radikal simples Konzept. Auch, wenn man sich im ersten Moment vielleicht noch fragt: „Warum das Ganze?“, kann man sich hinsichtlich der Herkunft des Künstlers denken, dass es sich hier um eine – dem Konzept adäquate – simple Illustration der Wohnungsbausituation in der islamischen Republik Iran seit 1979 handeln muss. Mit einer Flüchtigkeit, die sich sowohl in der kalligrafischen Form, als auch im Narrativ widerspiegelt, vermittelt Sarreshteh dem Publikum auf eine erzählerisch frische und unkonventionelle Weise einen ungefähren Eindruck über kommunale Wohn- und Platzangebote in Teheran, dass man nach Hause gehen und seinen Liebsten direkt auch Grundrisse auf den Boden malen möchte, von Wohnungen, die man bewohnt hat, Wohnungen, die man mal mehr und mal weniger gemocht hat oder solchen, an denen das Herz für immer hängen geblieben ist.

Wie kann die Vergänglichkeit von Raum und Zeit übergangen werden? (M. Z.)

Sobald man den Saal des Theaters Nestroyhof Hamakom betritt, trifft man auf einen, zentral auf der Bühne stehenden, schlaksigen, jungen Mann. Sein Blick ist ins Publikum gerichtet und er ist nervös – das teilt zumindest sein eigens verfasster Begleittext zur Inszenierung „Apart-ment“ mit. Mit dem Stück tritt der in Teheran geborene Autor und Performer Keyvan Sarreshteh zum ersten Mal außerhalb des Irans auf.
Seine einzigen Begleiter auf der sonst leeren Bühne mit grauem Fußboden sind ein Eimer voll Wasser sowie ein gelber Schwamm. Er beginnt seinen Monolog unvermittelt und spricht von der ersten Wohnung, die er sich als Kind mit den Eltern und seiner Schwester teilte, und zeichnet mit raschen Armbewegungen die Umrisse einzelner Räume, Bereiche oder Gegenstände mit dem nassen Schwamm auf den Boden.
Seine Erzählweise ist gestisch untermalt und von Direktheit geprägt, die einen weniger emotionslosen, jedoch nüchtern anmutenden Eindruck vermittelt. Von Zeit zu Zeit setzt er sein Sprechen unerwartet ab und betrachtet das Publikum eingängig, bevor er im selben zügigen Tempo fortfährt.
Sarreshteh berichtet von einer tödlich endenden Krankheit, seinen ersten Erfahrungen im Liebesleben sowie seiner weiteren Ausbildung auf der Universität. Darüber hinaus erinnert er sich an Details, beispielsweise dass der Esstisch mit einem Tischtuch verkleidet war, wie man den Kopf drehen muss, um aus dem reminiszierten Fenster sehen zu können, oder er beschreibt Ausmaße von Einrichtungsgegenständen mit der Spannbreite eines Adlers, während er durch die häufig wechselnden Wohnsituationen seines bisherigen Lebens führt. Der Performer spielt Szenen aus seiner Jugend nach und verleiht den vergangenen Situationen in seiner neuerlichen Interpretation einen komödiantischen Effekt.
Während zu Beginn seine Erinnerungen noch klar und deutlich sind (er kann genaue Entfernungen in alle Himmelsrichtungen sowie Straßennamen benennen), scheint ihm sein Gedächtnis vermehrt Streiche zu spielen: Er verliert den Überblick über die ständig changierende Zimmerverteilung und überzeichnet Grenzen von Räumen, die sich eigentlich in der gleichen Wohnung befinden. Seine Gedanken überlagern sich und er geht rascher in der Erzählung vor, während die Linien auf dem Boden immer und immer wieder von Neuem um ihn herum trocknen. Sie sind vergänglich, genau wie Sarreshtehs ehemalige Wohnsituationen und Erinnerungen; einzig in der Verknüpfung des Ortes mit der Erinnerung können sie überleben, wie sich in Anspielung auf Valeria Luiselli verdeutlichen lässt.
Während uns der Performer einen intimen und kurzweiligen Einblick in sein Leben gewährt, schenkt er diesen Räumen und Reminiszenzen Leben durch seine Vorstellungskraft – ein Gedanke, der gleichermaßen feinfühlig als auch poetisch ist.

Verschwommene Erinnerungen (Helene Emelia)

Was bedeutet es, sich zu Erinnern? Dieser Frage geht der iranische Autor und Performer Keyvan Sarrashteh am Dienstagabend nach. Im Theater Nestroyhof zeichnet er Bilder seiner Kindheit, die vergänglich sind: Ein Eimer Wasser und ein Schwamm dienen ihm als Werkzeug, die vielen Wohnräume seiner Jugend in Teheran auf dem grauen Bühnenboden für einen kurzen Moment wieder zum Leben zu erwecken.

Dieser Theaterabend ist vor allem eines: reduziert. Was gut tut, denn nach dem fünfeinhalbstündigen Stationentheater „Diamante“ und viel Nacktheit und Lärm in „The Scarlet Letter“ ist es an genau der Zeit für etwas mehr Schlichtheit. Nur 40 Minuten dauert die Produktion „Apart-ment“, ein Abend, der mit wenig Mitteln Geschichten erzählt. Keyvan Sarrashteh, ein großer, schlanker Mann mit Brille und sanfter Stimme, ist in seiner Kindheit und Jugend oft umgezogen. Acht Mal, um genau zu sein. Der Begriff „Zuhause“ hat für ihn keine Bedeutung mehr, ist nur noch eine leere Worthülle. Desorientiert von den vielen Ortswechseln versucht er, nun Ordnung in dieses Chaos zu bringen.
Stehend empfängt er das Publikum im Hamakon und beginnt, auf Farsi zu erzählen: von aufgeschlagenen Knien im Badezimmer, Versteckspielen unterm Esstisch, von Kämpfen um den oberen Platz im Stockbett, von wandernden Waschmaschinen beim Schleudern. Kindheits- und Jugenderinnerungen, Details, die banal wirken – an die wir uns aber allzu oft klammern, um uns bisweilen in unsere Kindheit zurückzuträumen. Vor allem erzählt er von den Umzügen, in immer kleinere Wohnungen, in immer schwierigere Verhältnisse. Die vielen Erinnerungen, gekoppelt an all die Zimmertüren, Kommoden und Tische, die er dabei mit einem nassen Schwamm auf den Boden zeichnet, überlagern sich von Umzug zu Umzug, bis sie trocknen – und verschwinden. Ein Sinnbild für alle Erinnerungen, die mit der Zeit verblassen.
Mit einer Schlichtheit und Unaufdringlichkeit gelingt es Keyvan Sarrashteh, die Zuschauer mit auf einen Streifzug durch seine Erinnerungen zu nehmen. Und das tut er in erster Linie für sich: Diese Performance ist der Versuch, sich ein neues „Zuhause“ zu schaffen, was immer mit ihm umzieht, egal, wo er hingeht. Voll von Andeutungen und Metaphern ist dieser Abend unpolitisch, sehr persönlich und möchte Vieles nicht aussprechen, sondern lieber spüren lassen.

Erinnern und erinnern lassen (J.H.)

Ein Mann, ein Schwamm samt einem Wasserkübel und Erinnerungen. Erinnerungen, an Wohnungen geknüpft. „Apart-ment“, das Stück des Iraners Keyvan Sarreshteh funktioniert mit einfachsten Mitteln. Mit einem Schwamm, den der Performer und Autor immer wieder in einem Kübel benetzt, zeichnet er auf den schwarz ausgelegten Boden des Nestroytheaters die Wohnungen, in denen er gelebt hat. Also er deutet an. Hier ein Strich für eine Türe, da ein Viereck für ein Bett. Dort drüben wiederum Kreise für die Badewanne, das Hochsitzklo oder die Zimmerpflanze der Mutter.

Anfangs scheint der 32-Jährige sehr zurückhaltend, fast schon unsicher, wohl dem Wissen geschuldet, dass Keyvan Sarreshteh nun vierzig Minuten dem Publikum in einer Sprache etwas erzählen wird, die von der Mehrheit der Zuschauenden nicht verstanden wird. Doch die Sicherheit kommt, ohne jemals in irgendeiner Art aufdringlich zu wirken. Er erzählt in wohlklingendem Farsi mit einer ruhigen, weichen Stimme von dem Aufbau und der Einrichtung der Wohnungen, in denen er aufgewachsen ist und gelebt hat. Acht Wohnungen insgesamt sind es. Es fällt auf, dass die erste Wohnung, in der er bis in die Frühpubertät großgeworden ist, am detailliertesten beschrieben wird. Solche kleinen Details sind diejenigen, die daran erinnern, wie das eigene Leben, die eigene Kindheit sich gestaltet (hat). Hier reihen sich auch die Anekdoten des geschwisterlichen Zusammenlebens mit seiner Schwester, die vielen bekannt vorkommen, wie das bestätigende Lachen des Publikums zeigt.
Seine dezidiert trockene, quasi distanzierende Beschreibung verfängt sich oft in Begeisterung, an die Erinnerung kleiner Details, gegen welche er auch gleich wieder ankämpft. Dieser Konflikt überzeugt. Er will sich an die Facts erinnern und diese erzählen, doch die an diese geknüpften Emotionen lassen sich nicht verdrängen. So, dass er dann plötzlich sagt: „Wenn man aus dem Fenster sieht und den Kopf dreht, kann man die Berge sehen“ und zur Rückwand der Bühne schaut. Es eröffnet sich auch für das Publikum eine Imaginationskraft, die in dieser Trockenheit nicht so vorstellbar war zuvor. Ebenfalls, als er plötzlich als wieder als kleiner Junge unter dem Tisch sitzt und Modemagazine liest. Oder in all den Momenten, in denen die Begeisterung für die zurückgekommene Erinnerung Überhand nimmt. Jedoch kämpft Keyvan Sarreshteh sich immer schnell wieder ins Deskriptive zurück. Dieses Wechselspiel ist passend für das Thema des Erinnerns, denn es zeigt, wie man die Gefühle, die an diesen Fakten, wo was genau in der Wohnung stand, gebunden sind, nicht einfach ausschalten oder gar kontrollieren kann. Man kann sich nicht aussuchen, woran man sich erinnert. Neben den kleinen schönen Dingen kommen auch immer wieder Erinnerungen auf, die man lieber verdrängt hätte. Eine Razzia während der Revolution kommt zur Sprache, die eigene Krankheit, die eines Nachbarkindes, Menschen, die sterben. Sie werden angeschnitten und doch haben die Zuschauenden gleich Geschichten in ihren Vorstellungen. Andere werden nur angedeutet, so bleibt offen, was mit ‚Farids Papa‘ passiert ist, außer, dass es Tränen bei ihm und seiner Mutter ausgelöst hat. Ohne explizit zu werden öffnet Keyvan Sarreshteh Raum für Geschichten und Bilder und überlässt die Andeutungen als Angebote dem Publikum. Jedoch stellt sich nie ein Gefühl des damit alleingelassen Werdens ein.
Aber nicht nur mit seinen Worten, auch in nonverbalen Momenten überzeugt Keyvan Sarreshteh, wie, als er vom ersten Mal Verlieben, Küssen und Sex-Haben erzählt und bei jedem Mal das Bett eine Linie grösser malt.

Das Stück „Apart-ment“ stellt Fragen und regt das Publikum an, sich selbst Fragen zu stellen. Wie erinnert man sich? Woran erinnert man sich? Und warum genau an Dieses und nicht an Anderes? Was machen Umzüge mit einem Menschen? Wo finden Träume statt? An was sind Gefühle geknüpft? Es lässt die Zuschauenden sich zurück erinnern und von fremden und eigenen Wohnungen träumen. Ein Abend, an dem vierzig Minuten sich wie zehn anfühlen, der philosophisch und poetisch ist ohne ein einziges Mal in Pathos abzudriften.

Eine Parabel über das Leben oder ist das alles, was bleibt (C.F.)


Unauffällig schleicht sich Keyvan Sarreshteh in unsere alten Wohnungen, zeichnet mit einem Schwamm Tische, Betten und Fenster in vergessen geglaubte Erinnerungen.
„Apart-ment“ ist ein stilles Stück, leise und unaufgeregt und wirkt neben den großen Produktionen wie „Diamante“ oder „The Scarlett Letter“ etwas verloren. Und doch täuscht der erste Blick. Denn auch wenn das Konzept in den ersten fünf Minuten verstanden scheint und sich nicht mehr ändert besticht „Apart-ment“ mit dieser Reduktion.
Keyvan Sarreshteh steht alleine auf der Bühne des Nestroyhof, mit dabei seine Erinnerungen, ein Eimer Wasser und ein Schwamm. Es ist eine poetische Geschichte des ständigen Umziehens, die er erzählt und mit einem Schwamm am dunklen Boden aufmalt. Ausgehend von der Wohnung seiner Kindheit zog die Familie immer weiter in den Süden Teherans. Im Grundriss entstehen Zimmer, die Toilette mit einem Hochklo und der Notfallapotheke, das Wohnzimmer mit dem großen Tisch und im Kinderzimmer das Stockbett.
Bruchstückhaft und unemotional beschreibt der ausgebildete Puppenspieler Momente seines Lebens. Die Wohnungen wechseln, Betten, Tische und wandernde Waschmaschinen werden verrückt, Zimmer neu vergeben. Während des Erzählens verblassen die ersten Umrisse schon wieder und neue Striche aus Wasser folgen.
Tränen folgen auf Feste, dem Frühstück mit Blick auf die Uhr, die ersten Liebe – unverbunden und ohne Erklärungen bleiben Leerstellen frei. Platz, der gefüllt werden kann und Raum lässt für eigene Erinnerungsstücke und eine Imagination in der Imagination.
Das Ende kommt etwas abrupt, Jahre und Wohnungen sind am Boden verblasst, in der ersten eigenen Wohngemeinschaft liegen Decken am Boden für die Eltern, die vorübergehend miteingezogen sind.
„Apart-ment“ ist eine Parabel über das Leben, die Banalität des Alltags und der Konstanz der Veränderung. Das Bühnenbild könnte nicht deutlicher Zeit und Raum verbinden, das Wasser verdunstet ebenso, wie Erinnerungen verblassen und nur Ahnungen von Gewesenem bleiben. Was bleibt, sind die Umzüge, die wechselnde Wohnungen, die Waschmaschine und die Zeit, die vergeht.

Ein Fall von Wohnungsbiografie (Wolfgang Maria Boros)

Ein Drittel Ihres Lebens verbringen Sie im Schlaf und noch mehr bei Ihnen daheim. Wohnen ist die Grundierung des Lebens, das verzähle ich Ihnen mit meiner drei Jahrzehnten währenden Erfahrung als approbierter Immobilienmakler in Wien. Dass der Iraner Keyvan Sarreshteh mit „Apart-ment“ eine Performance über die Wohnungen seines Lebens auf die Beine gestellt hat, ist so verständlich wie konsequent.

Mehr als eine schwarze Bühne, einen Schwamm und einen Kübel voll Wasser braucht er dafür nicht. Ein Studentenbudget, wie ich als Makler zu sagen pflege. Und eine Übertitelung braucht es auch, die Performance ist auf Farsi. So malt Sarreshteh mit Wasser die Grundrisse der Wohnung in der Jordan Straße im Norden Teherans, in denen er die ersten 13 Jahre seines Lebens verbrachte. Die nächsten 13 Jahre wird er dann durchschnittlich alle zwei Jahre umziehen. Der Grund dafür wird nie thematisiert, ich kann Ihnen aber erahnen: sozialer Abstieg. Die Jordan Straße ist eine der beliebtesten Straßen Teherans mit kommerziellem und internationalem Flair, die Kensington Road des Irans. Top Location, unbedingte Kaufempfehlung! Dass die Straße seit der Islamischen Revolution auch nicht mehr Jordan Straße heißt, wird uns Westeuropäern leider auch nicht erklärt.

Kombikühlschrank, Hochklosett, Betadine-Fläschchen, das sind Wort-Highlights in diesem Stück. Bedacht malt der Performer von Wohnung zu Wohnung die Umrisse des Wohnraums und ihres Mobiliars auf den Bühnenboden. Währenddessen stirbt der Nachbarsjunge Raham an Leukämie, Sarreshtehs Erinnerungs-Ich ist zum ersten Mal verliebt, es zankt mit seiner Schwester, die Mutter weint. Es möchte einen Iro wie Arnold, doch hat Haarausfall. Eine lakonische Wohnungsbiografie. Die feuchten Umrisse verschwinden nach einigen Minuten, werden überlagert von neuen Adressen: Zafar, Beheshti, Shahran, Sarbaz Straße.

Schon lange haben ich niemanden mehr so einfühlsam über eine Wohnung reden hören wie Sarreshteh, dessen Redefluss mich formidabel kalmiert hat. Aber leider füllt er seine Rede zu sehr mit seinen eigenen Erinnerungen und Projektionen. Als guter Wohnungsmakler – das sage ich Ihnen frank und frei – muss man natürlich Emotionen und Visionen bei der Käuferschaft wecken. Aber man sollte in seiner eigenen Vision immer kreativen Platz für die Käufer lassen. Dennoch, Potenzial hat der junge Mann mit der Null-Millimeter-Frisur. Außerdem liegt die Erstaufführung dieser Performance im Jahr 2013. Seitdem hat sich seine Verkaufsperformance fix verbessert. Schauspieler und Autor ist der Mann, dann wird er schon wissen, wie er mit seinen Worten umgeht.

Wissen Sie, der Immobilienmakler ist der Hirte des Spätkapitalismus. Vor zweihundert Jahren blieb man bei uns in Europa seinem Dorf und gut war. Heute muss man flexibel und mobil sein. Der Immobilienmakler weist den Weg, er bringt seine Kundenschäfchen ins Trockene, gibt Orientierung. Er ist ein Pastor ohne Bibel – außer Sie lesen das Grundbuch als Heilsgeschichte. „Für junge Menschen ist Eigentum die beste Maßnahme gegen Altersarmut“, da halte ich es mit unserem Kanzler Kurz. Eigentum als Zivilisationsleistung, meine Damen und Herren. So oder so, Wohnraum ist heilig für mich. In meinem eigenen vier Wänden, traue ich mich zu sagen: Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein!

Sarreshteh hingegen profaniert den Wohnraum. Erinnerungen verbergen sich in allen Ritzen, in Schwärmerei verfällt er dennoch nie. Die einzige mimische Regung Sarreshtehs entsteht, als er während des Applauses ein viertes Mal auf die Bühne tritt – ein kurzes, verschmitztes Lächeln.

Meiner Meinung gibt es eh zu wenig Kunst über Immobilien. Also Immobilienbesitz. Wenn’s hochkommt, dann geht’s um Occupy und Mietbremse. Warum eigentlich immer gleich so mit dem politischen Zeigefinger? Das finde ich arrogant vonseiten der Künste. Früher schrieb man dem Besitzer von Versailles noch Oden und zollte ihm Respekt. Da gefällt mir an Sarreshteh besonders gut. Der nörgelt nie, zetert nicht mit dem Umziehen. Der findet Zufriedenheit in jedem Kabuff. Zufriedenheit im gelben Badlicht in der Jordan Straße. Im kurzen Lichtstrahl, der die Zimmerpflanzen am Leben hält. Der beschwert sich nicht über den Mangel an sozialem Wohnungsbau im Iran oder über ausländische Investoren. Der beschwert sich auch nicht, dass er über 25 Jahre lang mit seinen Eltern zusammenwohnt. Sarreshteh hackelt und am Ende wartet die Zweier-WG. Immer noch kein Penthouse-Apartment, aber Fleiß ist die Mutter allen Immobilienbesitzes, das verzähle ich Ihnen mit meiner drei Jahrzehnten währenden Erfahrung als approbierter Immobilienmakler in Wien.