The Walking Forest

Regie: Christiane Jatahy, Gösserhallen, 1. Juni 2018

„And as many people wanted to change the world, the forest began to walk“ – Der Wald als Symbol für die Macht der Veränderung (Anne-Sophie Steinbrecher)

Halle 4 in den Gösserhallen ist der Spielort für Christiane Jatahys Performance „The Walking Forest“. Bereits vor dem Betreten der Halle werden die ZuseherInnen ohne ihr Wissen in zwei Gruppen geteilt, denn ein Teil des Publikums bekommt Audioguides ausgehändigt, mittels welchen sie, so stellt sich später heraus, Handlungsanweisungen bekommen und dadurch selbst zu Akteuren werden.

In der Halle selbst befinden sich vier Leinwände, auf denen Videos zu sehen sind, in denen junge Menschen von ihrem Schicksal erzählen. Sie alle wurden in irgendeiner Weise Opfer politischer Repression. An einer Seite des Raumes befindet sich zudem eine Bar. Die ZuseherInnen können sich frei im Raum bewegen, die Videos ansehen, oder sich an der Bar etwas zu trinken holen. Nach einiger Zeit beginnt eine Frau mit seltsam leerem Blick durch den Raum zu gehen und sich mit Wasser zu bespritzen. Ein Teil der ZuseherInnen wendet nun seine Aufmerksamkeit der Bar zu, wo jetzt auch Interaktionen zwischen den ZuseherInnen mit Audioguide und der Frau, die wie sich später herausstellt Julia Bernat, einer Schauspielerin, ist, stattfinden. Dann werden die Leinwände verschoben und formen nun gemeinsam eine große Wand. Darauf zu sehen: das Publikum. Die zuvor stattgefundenen Interaktionen wurden gefilmt und werden nochmals gezeigt. Begleitend werden von einzelnen Zusehern kurze Passagen aus Macbeth vorgelesen. Dann ein erneuter Bruch: Auf dem Bildschirm ist Julia Bernat zu sehen, welche die Schicksale der Personen, welche zu Beginn in den Videos gezeigt wurden, nochmals zusammenfasst. Abschließend darf sie ihre Meinung zu der Arbeit sagen und diese damit in einem welt- und gesellschaftspolitischen Kontext verorten.

Auch wenn die Art wie Julia Bernat einen Bezug zwischen „Macbeth“, „The Walking Forest“ und Weltpolitik herstellt, durchaus interessant ist, erscheint dieser Kommentar irgendwie platt. Es entsteht der Eindruck, dass den ZuseherInnen nicht zugetraut wird, sich selbst Gedanken zu machen und eine eigene Verbindung zu ziehen. Doch andererseits, stellt sich natürlich die Frage wie shakespear-fit die Anwesenden tatsächlich sind. Vielleicht ist dies also tatsächlich notwendig, um die Botschaft der Performance zu vermitteln. Auch wenn ich den Abend thematisch durchaus interessant und gelungen fand, ging das Konzept für mich nicht ganz auf. Denn, dass die Videos einziger Bestandteil der Performance sind, schien von Beginn an unwahrscheinlich. Daher gerieten diese schnell in den Hintergrund. Eine antizipierende Stimmung machte sich breit, immer mehr ZuseherInnen begannen sich umzusehen und umherzugehen, als würden sie auf etwas warten. Auch das abschließende Vorführen der ZuseherInnen, womit der eigene Voyeurismus oder auch die eigene Passivität gezeigt werden sollte, erschien wenig originell. Natürlich zeigt dies auch die Rolle der KonsumentenInnen in der westlichen Welt auf, die, auf ihren eigenen Vorteil bedacht, nicht versuchen etwas zu verändern. Aber wie hätte man als ZuseherIn ohne Audioguide auf diese Performance anders als passiv regieren können?

Betrachtet man nur an das Thema des Abends, der mit einem indirekten Aufruf zum Handeln endet, wird man durchaus zum Denken angeregt. Die Aktualitätsbezüge, welche zwischen Shakespeare und der Konsumgesellschaft hergestellt werden, sind wirklich gelungen. Das kann man von der Umsetzung jedoch eher weniger behaupten.

 

Ein Gewissenskarussell (C.S.)

Ein geschlachteter Fisch löst ein Blutbad aus, ein Geist mischt sich unters Volk, Stimmen unterschiedlicher Sprachen drängen verzweifelt und verärgert Konsequenzen von staatlichen Gewaltverbrechen im weitesten Sinne auf, eine Ratte schaut vorwurfsvoll ins Publikum.

Christiane Jatahy versprüht mit ihrem multimedialen Theaterspiel „The Walking Forest“, welches sich an Shakespeares „Macbeth“ orientiert, Nervosität und Schrecken in den Gösserhallen. Eine Ausstellungsästhetik des Raumes mit vier aufgestellten Leinwänden, wird von einer eleganten Bar aufgelöst. Der zu-erwartende Anfang der Vorstellung bleibt aus, der professionelle Schauspieler bleibt vorerst unentdeckt. Die erstmalige Konzentration auf die dort gezeigten Filme verbreitet einen informativen Touch, es kehrt Ruhe ein, die sofort bedrohlich erscheint. Einige Besuchende haben Headsets bekommen und interagieren auf inszenierter, natürlicher Weise miteinander. Fremde werden miteinander bekannt und schließen sich dem Spiel an. Wasser und Blut spritzt auf. Der Beobachtende begibt sich auf Spurensuche, versucht einen Sinn hinter den detaillierten Aktionen zu finden, verdächtigt jeden Kopfhörertragenden hinter einem weiteren Verbrechen. Es kristallisiert sich eine wundervoll, unauffällige Protagonistin (Julia Bernat) heraus, die das Machtgefüge antreibt. Als dann plötzlich die sich bewegenden Leinwände das Publikum bedrohlich in eine Ecke zwingen, Zuschauerstimmen für Shakespeare-Zitate instrumentalisiert werden und heimlich gefilmte Situationsszenen, unter anderem um das wahre Verbrechen aufzuzeigen, projiziert werden, scheint alle Kontrolle und jegliches Selbstvertrauen in die Unschuld vollkommen aufgelöst.
Jatahy schafft es eine, aus dem 17. Jahrhundert stammende, Tragödie mit gesellschaftlich aktuellen Thematiken, wie Korruption, erzwungene Migration und Gewalt gegen Zivilisten, staatliche Willkür und Verfolgung politisch Andersdenkender interaktiv und auf ästhetisch komplexer Art und Weise zu verknüpfen.