Stadium

Regie: Mohamed El Khatib, Theater an der Wien, 30. Mai 2018

Kevin, wie Mohammed in Marokko (Presse von Schrott)

Die Produktion »Stadium« von Mohamed El Khatib hat die Fans des RC Lens porträtiert und, weil sie in Wien gastiert, Teile der Fangemeinschaft des SK Rapid integriert. Was ist passiert? Gezeigt wurde ein dokumentarisches Theater, das die Grenzen des Stadions innerhalb eines Theaterraums verortet, Grenzen verschiebt, Begeisterte beider Formen der Abendunterhaltung vermengt und daraus ein eigenes Süppchen kocht.

Alles in allem – Hausmannskost. Liebevoll zubereitet und mit einer überschwänglichen Gastfreundschaft serviert. Da sind alte Arbeiterfamilien auf der Bühne, die seit Generationen im Bergbau gearbeitet haben und die auf bis zu zehn Kinder pro Generation angewachsen sind, was sich über die Jahre entsprechend potenziert. Klar, dass da Vorurteile greifen, denn „viele aus der Mittelschicht sehen die Teenager aus der Arbeiterschicht genau so. Dumm. Gewalttätig. Kriminell. Vermehren sich wie die Karnickel.« Das meint zumindest Owen Jones, ein englischer Labour Politiker, der in seinem gleichnamigen Buch die Dämonisierung der Arbeiterklasse dekonstruiert. Was passiert also, wenn so eine Produktion im Theater an der Wien gastiert (oder generell im Theater), also von einem geteilten Erfahrungszusammenhang nicht unbedingt auszugehen ist? Wie werden die Menschen gesehen, die Fußballschals tragen, die Pause bei Pommes und Bier verbringen und auch sonst eher als »kulturfern« klassifiziert werden? Kann es ein Gemeinsames geben, jenseits der Klassen? Zuschreibungen werden zumindest von der Bühne aus angesprochen. »Gewaltbereit« seien die Fußballfans schon, allerdings; und hier liegt die entscheidende Einordnung in ein gesamtgesellschaftliches Verhältnis, »Nicht mehr als die Polizei, aber auch nicht weniger.« Und damit ist bereits die Demarkationslinie zwischen den Klassen benannt. Ein zentraler Konflikt, den die herrschende Klasse allzu gerne einfach ausblendet.

Aber diese große Erzählung des Klassenkampfes verbleibt nicht auf einer abstrakten Ebene. Hier wird die Essenz des Konflikts, der Körper der Arbeiter*innen thematisiert, und dass im Extrem. Ob es die Mutter eines Schiedsrichters ist, die stirbt und die den immer währenden Konflikt zwischen Fanblock und Unparteiischem für einen Moment befriedet; die an Krebs Gestorbene, die die ganze Familie im Stadion vereint; oder die Asche des Großvaters, der letztendlich auf der Toilette des Stadions seine letzte Ruhestätte findet. Es ist der Körper, dass zurück geworfen sein auf die Arbeitskraft und den eigenen Körper als deren Quelle, die eine Klammer um den ansonsten eher episodenhaften Abend zieht. Der Umgang mit diesem Konflikt wiederum muss das bürgerliche Theaterpublikum im Theater an der Wien verstören. Denn während die fußballbegeisterten Arbeiter*innen im Fußball eine kollektive Erfahrung auf körperlicher Ebene teilen, müssen die, der Mittelschicht angehörigen Theaterbesucher*innen in ihrer geistigen Vereinzelung verharren.

Schlussendlich wird der Konflikt nicht aufgelöst, was allerdings von einem Theaterabend auch zu viel verlangt wäre den stets schwelenden Klassenkampf zu befrieden. Eine Versöhnung der Kultur fand zumindest insofern statt, als Pommes und Bier auf der Bühne von allen gemeinsam konsumiert wurden. Und wer weiß, vielleicht vergessen die Darstellerinnen ja nicht nur in der »90. Minute alle Probleme«, sondern betrachten den Abend auch als Chance, ihrerseits einen Schritt auf die Bourgeoisie zuzugehen und zu hoffen, dass diese nicht in ihren Theatersesseln kleben bleibt.

 

Fans verzweifelt gesucht – und erst nach dem Abpfiff gefunden (Anne-Sophie Steinbrecher)

Der Theater-/ Fußballabend beginnt bereits vor dem Theater an der Wien. Auf dem Gehsteig vor dem Theater steht die Fritterie Momo, die Pommesbude des RC Lens, wo man sich mit französischen Pommes auf den unkonventionellen Theaterabend einstimmen kann. Einziges Manko – die Pommes dürfen nicht mit in den Saal genommen werden und müssen daher noch schnell vor dem Betreten des Theaters hinuntergeschlungen werden.

Auf der Bühne des Theaters an der Wien befindet sich neben einer Tribüne und Stadionscheinwerfern noch eine Replikation der Fritterie Momo. Alles erinnert an ein Fußballstadion. Ein Trompeter betritt die Bühne und spielt zwei Fanfaren. Das eine Motiv markiert traditionell den Beginn des Opernfestivals in Aix-en-Provence, das andere eine Volksweise, welche beispielsweise vor Stierkämpfen ertönt. Die beiden Motive stehen symbolisch für den Abend – das Zusammenprallen zweier Welten – die der Fußballfans und die des Theaterpublikums. Danach: Anpfiff. In einer Folge von Videos und Monologen erzählen die Fans vom Leben als RC Lens Fans. Doch die Tribüne bleibt leer und auch sonst will nicht so recht Stimmung aufkommen. Die erste interessante Aktion des Abends ereignet sich in Minute 29, jetzt kommen die Ultras zu Wort und bekommen Raum, um mit den gängigen Klischees (zumindest teilweise) aufzuräumen. Doch Spannung will weiterhin nicht so recht aufkommen. Die angeblich improvisierten Szenen, man erkennt diese am dolmetschenden Rapid Fan, wirken merkwürdig konstruiert. Ich für meinen Teil, kann zumindest nicht so recht glauben, dass Fan Yvette ausgerechnet heute Geburtstag hat, dafür wirkt der Übergang zum Vereinslied „Les Corons“ zu einstudiert.

Dann nach 80 Minuten ertönt der Pausenpfiff. Das Publikum ist eingeladen auf die Bühne zu kommen und sich in der Fritterie Momo Pommes oder Bier zu kaufen. Dies ist der erste Moment des Abends wo Stimmung entsteht. Fans der beiden Vereine und ZuseherInnen prosten sich zu und unterhalten sich teilweise miteinander. Und ganz ehrlich, mit Bier und Pommes auf der Bühne stehen, das hat man im Theater an der Wien sicher auch noch nicht so oft gemacht.

Mit viel Energie melden sich die Fans auf der Bühne zu Beginn der zweiten Halbzeit zurück, doch als das Thema schließlich auf den Unterschied zwischen Theater und Fußball zu fällt, wird jede Vorwärtsbewegung sofort wieder zunichte gemacht. Während die Rapidfans erst noch mit guten Vergleichen nachvorne streben, werden diese Bestrebungen jedoch letztendlich von einem Geistlichen, welcher „Großer Gott Wir Loben Dich“ anstimmt, zugrunde gemacht. Der Themenwechsel – zu Abrupt. Der RC Lens gewinnt mithilfe seines Maskottchens wieder die Überhand und heizt die Stimmung erneut an. Die letzten Spielminuten brechen an – Musik beginnt zu spielen und endlich herrscht auch auf der Tribüne richtig Stimmung. Schließlich kommt Jonathan Pessimiste noch einmal zu Wort und ein Brief von ihm wird vorgelesen, welcher Kritik am Theater und der Hochkultur allgemein übt. Ein Abschluss der zum Nachdenken anregen kann, aber im anschließenden Applaus und der beginnenden Fußballparty etwas untergeht. Jetzt wird auch endlich das Versprechen eines Freundschaftsspieles zwischen dem RC Lens und dem SK Rapid eingelöst, denn überweite Strecken dominiert klar der RC Lens, Rapid erscheint nur Platzhalter, um dem Abend etwas Lokalkolorit zu verleihen.

Der Abend endet schließlich wo er begonnen hat – vor dem Theater. RC Lens Fans, Rapid Fans und das Publikum feiern gemeinsam. Fangesänge und die französische Nationalhymne werden gesungen, Bengalische Feuer gezündet und eine Polonaise getanzt. Auch wenn schon bereits während den vorangegangenen 120 Minuten immer wieder etwas Stimmung aufkam, eine wirkliche Gemeinschaft entsteht erst hier.

Die Brüche mit den Theaterkonventionen sind die eindeutigen Stärken des Abends, denn die verhandelten Themen sprechen zu wenig an, dazu fehlt mir persönlich vielleicht einfach auch der Bezug zum RC Lens. Als Sozialstudie hat der Abend durchaus potential, aber es mangelt klar an einem Spannung. Diese war beim Champions League Finale vergangenen Samstag eindeutig höher.

 

Die Liebe zum RC Lens trägt den Schmerz davon (C.S.)

Mit seinem Stück „Stadium“ bringt der Theatermacher Mohamed El Khatib die Fußballfanszene des französischen Vereins RC Lens auf die Bühne des Theaters an der Wien.

Die „Baraque à frites“ ist vor dem Theater und auf der Bühne platziert, das „Ch‘ti-Bier“ aus der Region kalt gestellt und der Gesang der Corons wird kräftig mit der Trompete angestimmt. Jetzt kann es losgehen! Das Wiener Publikum wird zu einer interkulturellen Lehrstunde eingeladen, die zu Beginn noch die Unterschiede zwischen Wiener und Lenser Fankurve aufzeigen soll, sich zunehmend zu einer Brüderlichkeit entwickelt, wobei die Wiener sich von den Geschichten, nein dem Leben der Lenser, fesseln lassen. Denn der RC Lens ist nicht irgendein Verein in Frankreich, sondern bezeichnet sich immer wieder als „Verein mit dem besten Publikum Frankreichs“. „Wer einmal die Schwelle zur Fanszene überschritten hat, der bleibt sein ganzes Leben darin“, bekräftigt die 85-jährige Yvette, die ganze vier Generationen regelmäßig ins Stadion bringt. Die Liebe zum Verein entwickelt sich zur Tradition mit der, ganz große Emotionen in den Theaterraum gebracht werden. Lebensgeschichten, die unter die Haut gehen und den RC Lens weniger dem Fußball an sich zuordnen, als einer Familie, gekennzeichnet durch Freiheit, Solidarität und Gemeinschaft, darunter sich zunehmend der Nationalstolz und die „Liberté, Égalité, Fraternité“ mischt.

Das Stück erreicht eine zutiefst berührende Nähe und Sympathie, auch dadurch, dass es dramaturgisch nicht durchinszeniert ist, sondern die Authentizität der Fans sich in den Stimmen der Laiendarsteller (wahren RC Lens-Fans) widerspiegelt und das paradoxe Ambiente von soziokulturellen Begegnungsfeldern zwischen Arbeitermilieu und kultureller Elite zwar thematisiert wird, doch schlicht und weg untergeht. Das gleiche gilt für politische Intentionen, die gewagt werden um finanzielle Machtstrukturen innerhalb der Szene durch staatliche Sponsoren zu kritisieren oder das Gewalt- und Aggressionsimage von Fußballvereinen zu hinterfragen. Aber wie konsequent ist es, zum einen die Kleinlichkeit von polizeilichen Sanktionen zu negieren, zum anderen Stolz von Schlägereien mit dem Gegner PSG zu berichten?

Unabhängig von der fehlenden, dramaturgischen Struktur, die bemerkbar ist, durch die Macht der Geschichten, aber nicht weiter stört, lässt sich dennoch ein Aspekt kritisieren, der eindeutig zu kurz kommt. Die Fanszene des RC Lens ist geprägt durch ein Bergbau-Arbeitermilieu, in vielen Geschichten wird aufgegriffen, wie sehr die Community über den Verlust von Arbeitsplätzen in den 1990ern, als die Minen geschlossen wurden, geholfen habe. Die Hymne von Pierre Bachelet, über das Lebensgefühl der Bergarbeiter wird inbrünstig gesungen. Die Nostalgie ist ständig spürbar, der glorreiche und einmalige Erfolg im Jahr 1998 wird weiterhin gefeiert, auch 20 Jahre später. Es wirkt als halte man an einem Phänomen fest, dass es so nicht mehr gibt, als traue man sich nicht, sich zu modernisieren und die Zukunft zu blicken.

Dies scheint in dieser Produktion keiner wahrnehmen zu wollen: das Maskottchen Ch‘meneu, frei in den Reihen Zuschauer umarmend, die Cheerleader zu dem Rhythmus der Pauken ihre Pom-Poms schwingend laden nach der Vorstellung noch auf den Vorplatz ein. Feuerwerkskörper werden gezündet, Rauch entsteht, es lässt sich nicht mehr ganz definieren, ob es sich hier noch um eine Theatervorstellung handelt und nicht schon ein sinnlich zu erfahrener Stadion-Besuch. Ob Wiener oder aus Lens, alle singen, tanzen und das was bleibt und zählt, ist genau dieses Stadiums des Aufbruchs von Grenzen, die Gemeinschaft, die jeder sucht und an diesem Abend zu einem Teil findet.

 

Pommes und Bier schmecken auch dem Theaterpublikum (L.L.)

Ein Abend, der voller Emotion endete. Ob guten oder schlechten muss jeder und jede für sich entscheiden. Aber wenn man sich mitreißen ließ dann so richtig.

In „Stadium“ von Mohamed El Khatib dürfen die Fans des nordfranzösischen Fußballclubs RC Lens auf die Bühne und sich vorstellen. Oder ist es eher das Theaterpublikum das teilnehmen darf an vorgeführten Fan-Riten? Jedenfalls das einander Beschnuppern geschieht mitunter auch auf eine selbstironisch Weise. Es werden Geschichten erzählt über die gelacht werden darf, weil man das Gefühl hat nicht auszulachen, sondern mitzulachen. Diese persönlichen Geschichten werden nicht nur von unterschiedlichen Personen erzählt, sie zeigen auch verschiedene Zugänge zum Club. Töchter, Söhne, Väter, Urgroßmütter, Kinder, Schiedsrichter, Cheerleader, Pfarrer und Maskottchen treten auf und teilen ihre größte Leidenschaft mit Menschen, die ihnen zuweilen mit großer Skepsis entgegentreten. Geblendet von Vorurteilen, ist man überrascht so viele Frauen in der Gemeinschaft zu sehen. So auch die älteste Dame der Dupuis-Familie, die per Skype dazu geschalten wurde. Ebenfalls über die Leinwand zu sehen waren Interviews mit Teilen der Fangemeinde.

In den Wiener Festwochen wird das Stück abgewandelt und mit Rapid Fans erweitert, die sogar soweit integriert sind, dass bei den Videoclips ihre Beiträge hinzugefügt werden. Einer der „Rapidler“ übernimmt die Rolle des Übersetzers und hilft dem Moderator durch den französischen Abend in Wien. Die Vermischung der beiden Fanclubs zieht sich durch den ganzen Abend, stiehlt aber nicht der Hauptgruppe die Show, wie zu Beginn des Stückes angedeutet wurde.

Doch was hat nun zur positiven Stimmung, wenn sie denn als positiv wahrgenommen wurde, beigetragen? Vielleicht waren es die importierten Food-Trucks, von denen einer draußen vor dem Theater und der andere auf der Bühne stand? Und ja, manche (ich) lassen sich bestechen von Pommes und gutem Bier. Schließlich kann man einem Abend an dem die Grundbedürfnisse so gut gestillt werden doch recht zufrieden abschließen. Und sicherlich hat auch konkret der Schluss dazu beigetragen das Ganze mit freudigen Gedanken in Erinnerung zu behalten. Auf der Linken Wienzeile wurde getanzt, gejohlt und geklatscht, denn das vermeintliche Ende im Saal wurde nach draußen getrieben und hat dort sogar noch 20 Minuten Zugaben geliefert.

 

Das war so gar kein typisches Theater! Und es war fantastisch! (V.J.)

Die Wiener Festwochen begeistern mit einem ganz untypischen Konzept, dass durch seine Authentizität glänzte. Es war kein Theater, es war keine Performance. Es war das reine Spektakel! Das auch längst nach dem Applaus, noch nicht endete.
„Stadium“ von Mohamed El Khatib lädt 53 Fans des französischen Fußballclubs RC Lens und ca. 10 Fans von Rapid Wien ins Theater an der Wien ein um dem Theaterpublikum die Fußballfankultur näher zu bringen. Durch Sprechchöre, Cheerleaderdarbietungen, Videoeinspielungen und sogar einer Live-Skypeschaltung nach Lens, erfährt das Publikum mal mehr mal weniger humoristisch, was es bedeutet Fan zu sein.

Die ganze fußballverrückte Familie Dupuis ist angereist und Oma Yvette wird per Skype dazu geschaltet. Dass die Familie den Fußball nutzt um an die verstorbene Tochter zu erinnern und als Familie zusammen zu sein, lässt auch den größten Zyniker verstummen.
Und immer fragt der Theatergänger „Ist das jetzt echt?“ Erst als uns in der Pause am Stadionkiosk auf der Bühne bei Bier und Pommes bestätigt wird, dass dem so sei, lassen wir uns ganz drauf ein und nach der Pause gibt es kein Halten mehr. Es werden Tränen gelacht, als in einem Video ein äußerst gläubiger Fußballfan Jesus wieder auferstehen lässt. Daraufhin betreten verschiedene Maskottchen aus der 2012 gegründeten Internationalen Maskottchen Vereinigung die Bühne und der Papagei spielt Gitarre.
Es tritt der Schiedsrichter auf, der zwar 1998 dabei war als Frankreich Weltmeister wurde, aber eigentlich doch so gerne zum Ballett gegangen wäre. Woraufhin ihm sein Therapeut Homosexualität bescheinigt. Stereotype Rollenbilder werden genauso beleuchtet, wie Vorurteile Cheerleadern gegenüber, oder die angebliche Kriminalisierung der Fanclubs.

„Aber es geht doch um Fußball!“ Schade, wer sich in dem Stück darauf versteift. Denn das Stück vermittelt Gemeinschaftssinn und Kameradschaft. Den Fußball hätte man gegen jeden anderen Sport tauschen können.

Mit der Entscheidung echte Fußballfans, statt Schauspieler die den Fußballfan mimen, auf die Bühne zu holen, schaffte es Mohamed El Khatib niemanden vorzuführen oder auszustellen.

Man schämt sich schon fast, dass man ein wenig Wehmut verspürt als das Stück ernst endet. Doch das ganze Stadium-Team lässt niemanden geknickt zurück. In einem Zug voll Maskottchen, Cheerleadern und Fußballfans strömen sie vor die Türen des Theaters an der Wien und singen und feiern mit dem ganzen Theaterpublikum. Der Höhepunkt der Theater-Afterparty bildet eine Polonaise, bei der sich kaum jemand nicht einreiht.

Im Theater könne man nicht selbst aktiv werden, meinte ein Rapidfan in einem eingespielten Video. Dass dafür nur die richtigen Formate fehlen hat Stadium von Mohamed El Khatib gestern bewiesen.

 

Samt trifft auf Polyester. Eine Fußballtribüne findet Platz im Theater an der Wien (Eike B.)

Ist man aus Lens, hat man nicht viel zu tun – oder nicht mehr. Die Stadt in Nordfrankreich leidet noch stark unter den Schließungen der Kohlemienen in den 1980er Jahren und gehört zu Frankreichs Krisengebieten. Viele sind arbeitslos und erinnern sich gerne an bessere Zeiten zurück. Die Hälfte der Bevölkerung ist noch von diesen alten „Arbeiterklasse-Tagen“ kommunistisch geprägt, die andere hingegen hat sich der rechtsextremen Front National verschrieben.

Tröpfchenweise werden diese Informationen in „Stadium“ von Mohamed El Khatib bei den Wiener Festwochen in seine Nummernparade eingewoben. Hier und da liest oder hört man politische und wirtschaftliche Umstände des hiesigen Fußballvereins, RC Lens, heraus, welcher für viele LenserInnen zur Nummer 1 ihrer Prioritäten-Liste geworden ist. Sie sollen die besten Fans sein und werden dem/der TheaterbesucherInnen nicht nur deshalb in dieser Performance gegenübergesetzt.

Der französische Regisseur El Khatib, selbst auserkorener Fußball-Fanat, lässt einige dieser aufwarten und pointierte Anekdoten über ihr geteiltes Hobby, nein Lebensinhalt, erzählen. Es sind Laien direkt von der Tribüne, jung bis alt, doch die bereits zurückgelegte Tour mit diesem Stück durch Frankreich und nun auch in Europa macht sich bemerkbar. Die Charakteristik eines Laien-AlltagsexpertInnentheaters geht durch gescriptete und gut sitzende Textpassagen – über den häufigen Namen Kevin oder den sich in psychiatrischer Behandlung befindlichen Schiri, weil er sich auf masochistische Art und Weise fürs Beschimpft-werden bezahlen lässt – leider verloren. Beinahe erfrischend wirken dadurch Interview Schnipsel mit einigen Hardcore-Fans, ihnen wird das österreichische Pendant zur Seite gestellt – Rapid Wien. Das Publikum jubelt auf, denn wahrlich, die Vision des Regisseurs scheint sich in die Tat umzusetzen, neben vielen sichtlich eingeschweißten Theater BesucherInnen finden sich doch zahlreiche, durch entsprechende Farben und Trikots gekennzeichnete Rapid-Fans. In den Sitzreihen hebt dies zur gegebenen Zeit, besonders bei den alkohollastigen Erzählungen und theologisch-angereicherten Fangesängen, wesentlich die Stimmung und man merkt wie man selbst in den Bann dieser energiegeladenen Situation verfällt.

Spätestens nach der vierten Projektion einer Reihe von Impressionen dieser Fan-Kultur wird die verhäuft eingesetzte Leinwand eher zu einem Störfaktor, unterbricht sie doch regelmäßig die Dynamik auf der Bühne und lässt das gewonnene Wohlwollen der einzelnen Charaktere schnell verfliegen. Bei jeder weiteren zum Mikrofon gebetenen Figur, welche ihr/sein Teil zum Abend beitragen soll wird das Gefühl markanter sich in eine Position gedrängt zu fühlen. Man will einem unter jeden Umständen Sympathiepunkte abgewinnen, dies wird auch erreicht, zugleich aber scheint es als sehen sie einen Auftrag darin ein neues Bild zu zeichnen, das man von ihnen scheinbar hat. So wird um jeden Preis gekämpft nicht die Gewalt, den Hass und die Dummheit als Überbleibsel im Kopf der ZuschauerInnen zurückzulassen. Was dabei herauskommt ist Skepsis gegenüber dem Gesehenen.

Der dauerpräsente Regisseur ist dabei nicht dienlich, unterstützt er doch das Gefühl, dass das Gesagte der Beteiligten überwacht werden müsse, damit ja nichts Schändliches über die Lippen stolpern könnte.

Doch Stadium hat durch aus seine Kniffe. Erstarrt doch das Publikum in ein schweigendes Ergriffen sein als eine Überdimensionale Fan-Fahne zu den Klängen von Vivaldi seine Bahnen über den Köpfen der ersten Reihen zieht. Freudige Begeisterung, wenn der Schiedsrichter zu seinem heißersehnten Traum, balletttanzend und alle den-Platz-verweisend, kommt. Oder der „Halbzeit“ die das Theater in ein neues Licht hüllte. Die Bühne wurde für das Publikum freigegeben und man konnte sich bei Popsongs in die Schlange einer Frittenbude zwängen um dort genüsslich sein Bier auf dem schlicht gehaltenen Bühnenbild runter zu stürzen. Aber spätestens nach dem Applaus ist der letzte Schmollmund gebrochen, wenn gesamte die DarstellerInnenbelegschaft nach draußen auf die Straße drängt um gebührend den Erfolg des Stückes zu feiern. Eingenommen von der Stimmung fällt es schwer sich von dieser loszureißen, so verweilten viele noch etliche Minuten vor dem Theater an der Wien grölend und klatschend.

Zumindest heute scheint die Idee dem Theater wieder mehr Diversität einzuverleiben gelungen zu sein und trotz dem durchaus positiven Gefühl und einem 100% Polyester Fan-Schal mit dem man entlassen wird, gepaart mit den fettigen Fingern der Frittenbude bleibt der Nachgeschmack etwas fahl. Auch eventuell geschuldet durch die stetige Selbst-Rechtfertigung des Bühnengeschehens, da blieb nicht viel Platz für die Intendierten gesellschaftspolitische Komponenten. So bleibt uns wenigstens ein sanftes Fußballkabarett über.