Die Selbstmord-Schwestern (The Virgin Suicides)

Regie: Susanne Kennedy, Theater Akzent, 2. Juni 2018

»Offensichtlich waren sie nie ein dreizehnjähriges Mädchen, Doktor.« (Presse von Schrott)

Die Bühne knallt Farben in Gesichter und sticht sich mit dem »Funktionärsbarock« des Theater Akzent, ein Stich den das Bühnenbild von Lena Newton gewinnt sobald das Stück beginnt. Eine Bühne auf der Bühne, mit einer enormen Sogwirkung, erzeugt durch die Ausrichtung auf den Leichnam im Zentrum. Gleich zu Beginn werden die Namen der »Selbstmord-Schwestern/Virgin Suicides« auf den weißen Katafalk projiziert, der den gläsern umrandeten Körper trägt. Um den Körper herum hat Lena Newton einen Flügelaltar aufgebaut. Das Muster des abgestuften Unterbaus und der Decke bildet eine Mischung aus »Rubik’s Cube« und den Körperwelten sezierter Engel. Die Flügel des riesigen Altars bilden zwei Projektionsflächen, auf denen Videos laufen. Auch über diesem säulenartigen Zwischenbau schwebt ein fünfteiliges Fries aus Bildschirmen – einer für jede Schwester –, die von einem Dreiecksgiebel-Screen abgeschlossen werden. Auf den Bildschirmen spielen fünf »YouTube Lolitas« (Eva Biringer, Programmheft) mit den Blicken, setzen sich aus und entziehen sich, lenken die Blicke mit ihren kindlichen Hüften und frisch geschminkten Mädchenmündern. Der dreifache männliche Blick wird schon in der Romanvorlage Jeffrey Eugenides ausgestellt: »Wir sahen eine Gruppe Mädchen in dem Wohnzimmer Rock’n’Roll tanzen.« Fünf Jungen, die sich als »Zwillinge« der Mädchen sehen, sammeln alles was sie von den Schwestern erhaschen können. Deren Gerüche, einen Lippenstift, der Blick auf ihre Körper unter der Dusche und selbst Zeugnisse der Monatsblutung der Schwestern. Schon Eugenides stellt heraus, wie die Jungen, mit ihren Blicken und Obsessionen, in Harmonie mit dem Rest der Welt, die Mädchen zu dem formen was sie sein sollen. Und hier greift die Inszenierung von Susanne Kennedy, zieht dieses Machtgefüge heraus und vermengt es mit Tod zu einem Ritual. Fünf Männer, in langen, weißen Gewändern, hinter großäugigen Larven und mit Blumen als Haar, spielen die Schwestern. Eben jene fünf »Zwillinge« verkörpernd, die Jahre später die Selbstmorde erinnernd rekonstruieren. Und mehr noch, in einer ausgedehnten Langsamkeit den Tod fast schon geisterhaft zelebrieren. Kennedy lässt starke Bilder entstehen, etwa wenn der fast 80-jährige Ingmar Thilo als jüngste Schwester und erste Tote die Bühne ohne Maske betritt und sich sein weißes Haar kämmen lässt. Später, wieder vor dem Sarg im Herz des Altars, hält er ein solches, pulsierendes vor sich, immer ein zufriedene Lächeln im Gesicht. Hier wird ein Ritual erkennbar, dass dem Tod angemessen scheint. Oder wie es Christina Rosetti in einem Gedicht ausdrückte, welches sich durch Buch und Film, bis zur Inszenierung zieht:

»O Erde, lege dich auf ihre Augen schwer;
Versperr die lieben Augen, Erd‘, des Sehens leid;
Umschließ sie fest, lass keinen Raum für Heiterkeit
Mit ihrem derben Lachen, nicht für Seufzer leer.
Sie hat doch keine Fragen, keine Antwort mehr.«