FEED.X

Regie: Kurt Hentschläger, Halle G/MQ, 31. Mai 2018

Wahrnehmung auf neuer Ebene (Carmen Rosenkranz)

„Ich besuche die Produktion „FEED.X“ auf eigene Gefahr. Der Künstler und die Veranstalter übernehmen für etwaige Körperschäden keine Haftung.“ Die Vorstellung „FEED.X“ des Linzers Kurt Hentschläger beginnt mit dem Unterschreiben einer langen Liste, die vor dem Betreten der Halle G des Wiener Museumsquartiers notwendig ist. Auch die Tatsache, dass einige Tage zuvor eine Vorstellung aufgrund eines epileptischen Anfalls einer Person abgebrochen werden musste, schafft eine gewisse Nervosität, die sich am Ende als unbegründet erwies. „FEED.X“ entpuppte sich als eine schöne Reise in das Innere des Selbst. Aber ganz zu Anfang.

Die Vorstellung beginnt, nach einer Sicherheitsinstruktion, zunächst mit einer Videoprojektion, die Betrachter*innen eine Reise durch eine animierte architektonische Welt führt. Zwischendrin werden diese durch Animationen von menschlichen Silhouetten abgelöst. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wirkt alles noch recht harmlos und wie eine Art Einführung in das, was nun folgt.

Plötzlich schießt Nebel in den Raum. Innerhalb von Sekunden ist der Raum so eingenebelt, dass von Sitznachbar*innen und den eigenen Füßen nur noch Silhouetten erkennbar sind, wenn überhaupt. Der eigene Körper kann nicht mehr optisch begriffen werden. Die verschiedenen Stroposkopeffekte, die nun einsetzten schaffen zusammen mit dem Nebel eine einzigartige Welt, in der lediglich Formen und Muster sichtbar werden. Besucher*innen befinden sich, ähnlich eines psychedelischen Drogentrips in einem Raum, in der Ort und Zeit keine Rolle mehr spielen. Spiralen, Kreise und weitere Muster in verschiedenen Muster spielen sich vor den Augen ab und ermöglichen, selbst mit geschlossenen Augen, einen Fokus auf das eigene Innere. Entkommen unmöglich. Nur ein Vorzeitiges Verlassen des Raumes oder ein Zuhalten der Augen mit beiden Händen würde noch Abhilfe schaffen. Der Körper als physisches Konstrukt wird durch die Optik aufgelöst. All das wird auf klanglicher Ebene unterstützt durch Sub-Bass-Frequenzen. Das, was gerade erlebt wird, wirkt wie eine Art Meditation. Ein Entspannen wird durch das Betrachten dessen, was vor dem Auge geschieht, ermöglicht.

Kurt Hentschläger schafft Grenzerfahrungen. Insgesamt hätte der zweite Teil jedoch länger dauern müssen, um sich ganz fallen lassen zu können. Hier besteht der wesentliche Unterschied zu einem „echten“ Drogentrip. Ein klares Denken bleibt, trotz des Eintauchens in eine optisch andere Welt, erhalten. Am Ende verließen einige Personen zwar vorzeitig den Raum, jedoch musste offenbar niemand ärztlich behandelt werden. „FEED.X“ schaffte eine kurzfristige Loslösung von gewohnten Wahrnehmungsmustern. Ein Besuch von FEED.X lohnt sich, trotz der kurzen Dauer von knapp 40 Minuten, für jeden, der eine neue Erfahrung machen möchte.

 

Wenn die Zeit fliegt und die Augen sich nach außen stülpen…
[Eine Installation eine grenzgängerische Erfahrung] Einzigartige Erregung der Wahrnehmung (Eike B.)

ACHTUNG diese Installation kann Epilepsie hervorrufen! Außerdem Asthma, Angstzustände, Atem- und Herzprobleme, starke Kopfschmerzen … Die Liste ist lang und man muss sie erstmal unterzeichnen bevor man in die dunkle Kammer gelassen wird. Es besteht ein Risiko, das ist klar. Wer „FEED.X“ bei den Wiener Festwochen in der Halle G der Kunsthalle besuchen will hat sich seines Körpers und dessen Grenzen bewusst zu sein. Bei dem mir teilgenommenen Abend ist es passiert. Abbruch, alle im Gänsemarsch raus, eine Frau ist kollabiert. Publikumsdienst ist aber jederzeit auf solche Fälle vorbereitet und behält stets mittels Wärmebildkameras den Überblick über das Wohlbefinden der BesucherInnen.

Doch im Gegenzug bekommen wir eine Welt präsentiert, welche sich so noch nie vor dir ausgebreitet hat. Eine Reise in dein Inneres, wenn man so pathetisch werden möchte und trotzdem ich habe einige Tränen vergossen. Ob aus Überanstrengung oder wegen dem Gefühl den Uterus dieser Welt neu verlassen zu dürfen oder aber weil man schlichtweg vergisst zu blinzeln. Auch atmen war mir fremd, so kam es, dass ich im Gegensatz zu anderen BesucherInnen extreme körperliche Reaktionen hatte. Zu vergleichen mit einem Fall im Halbschlaf und das Erschrecken vor dem Nicht-Aufprall. Dieses „Nicht(s)“ lässt einen auch bei „FEED.X“ immer wieder aufs Neue erstaunen, erschrecken, euphorisch werden. Vor allem der Anfang, wenn der Raum Stück für Stück eingenommen wird von dem dichten Nebel, der deinen Sitznachbarn nur noch zu einem dunklen Schatten werden lässt, wird markiert von Adrenalin geschwängerten, von jeder Causa befreiten Lachern. Immer wieder muss ein Laut über die Lippen um die Ungläubigkeit des Geschehens (auch sich selbst) zu vermitteln.

Der Beginn ist gestückt mit einer Art, gefühlt, Augenaufwärmprogramm. Fahrten durch ein architektonisches Gebilde bestehend aus optischen Irritationen. Die Überleitung zu folgender körperlicher Erfahrung bildet ein sich wabernder, tummelnder Haufen an menschlichen geschlechtslosen Figuren. Sie vermischen sich zu abstrakten Formen und zeigen hier und da wieder ein menschliches Glied aus dem Knoten springen. Der Nebel folgt, Erleichterung. Das Adrenalin kann endlich zu strömen beginnen. Auf akustischer Ebene sind stetige Sub-Bass Frequenzen, welche dich umhüllen wie der Nebel der mittlerweile deine Hände nur noch 10 cm vor deinem Gesicht gehalten, sichtbar lässt. Ein Lichterspiel, das sich vor deinen Augen ausbreitet, beginnt. Man dreht und wendet den Kopf aber das Spektakel ändert sich nicht, es zentriert sich auf dein Auge und erst nach einigen Minuten wird dir auch vollends körperlich klar – wegschauen geht nicht. Nur die Hand vor den Augen macht dem Ganzen ein Ende, das will man aber nicht. Die besagten Hände wirken wie ein fahles Bild in einem Magazin, denn das geometrische Gewirr vor deinen Augen legt sich auch darüber, gepaart mit dem Nebel kann es zu Illusionen kommen, die deine Hand langsam verschwinden lassen. Danach – will man mehr und ärgert sich direkt über die verlorenen Minuten, welche durch „fahle“ optische Irritationen verschwendet werden, denn die ca. 40 Minuten vergehen wie im nu und zugleich ist es während die Punkte und Striche noch vor Augen zucken, als wäre man in einem zeitlosen Raum. Bzw., ich korrigiere, man vergisst über Zeit nachzudenken.

Der gebürtige Linzer, Kurt Hentschläger, der Erschaffer dieser Kreation/Kreatur, ist bereits bekannt durch andere immersive Arbeiten und hat mit FEED.X erneut seinen Titel als Pionier multimedialer Installationen und Performances gehalten. Immersiv ist hier das große Schlagwort. Er verhandelt Wahrnehmungsprozesse und besonders die Thematik Innen und Außen ist ein wichtiger Punkt für Arbeiten wie diese. Er hat sich im Vorfeld lange mit den neurologischen Prozessen im Gehirn beschäftigt, um Erfahrungen wie FEED.X erschaffen zu können. Man merkt es und einem werden plötzlich diese sehr abstrakten Begrifflichkeiten wie Zapfen und Stäbchen und die Wellenlängen des Lichts erSICHTlich. Innen und Außen gewinnt absolut an neuer Erfahrung durch diesen Prozess. Die Szenen sind wie an deine Netzhaut geheftet, wie eine VR-Brillen-Erfahrung folgt es jeder Kopfbewegung – deswegen ergeben sich auch mysteriöses, hält Mann/Frau die Hand in sein/ihr Blickfeld.

Diese Kritik ist eine klare Aufforderung, sich dieses Spektakel nicht entgehen zu lassen. Noch immer mitgenommen von dem Abend, ist es lediglich ein Erfahrungsbericht, den ich liefern kann und hoffe doch bei einigen die Lust erweckt zu haben, sich über Grenzen seiner/ihrer Seherfahrungen hinwegzutrauen.