Crowd

Regie: Gisèle Vienne, Gösserhallen, 31. Mai 2018

Darf’s Alkohol oder doch etwas Anderes sein? (Carmen Rosenkranz)

Laute Technomusik dröhnt aus dem Lautsprechern der Halle 1 der Gösserhallen in Wien. Die Bühne ist mit brauner Erde bedeckt. Auf dieser Erde liegt verstreut etwas Müll. Soweit zum Bühnenbild in Gisèle Viennes Tanzperformance „Crowd“.
Im Zeitlupentempo betritt eine Person die Bühne. Langsam, ebenfalls in Zeitlupe, betreten weitere Personen die Bühne. Zu sehen sind schließlich 15 junge Leute, die eine Party feiern. Immer wieder interagieren sie im Zeitlupentempo.
Nach einer längeren Zeit der Bewegungen in Zeitlupe wird plötzlich eine am Beat orientierte Choreografie. Die Musik ändert sich. Aus der am Beat orientierten Technomusik, werden schwebende Klänge. Zeitweise möchte man nur die Augen schließen und den Klängen lauschen. Plötzlich vollkommene Bewegungslosigkeit bei den Tänzer*innen. Sie wechselt sich wieder ab mit Bewegungen in Zeitlupe und am Beat orientiertem Tanz. Plötzlich wird der Beat schneller. Die Beats per Minute steigen stark an. Die Musik wandelt sich fast in Richtung Psytrance. Auch hier unterschiedlich schnelle Bewegungen. Plötzlich wieder absolute Stille in der Musik und der Choreografie. Alle Tänzer*innen liegen auf dem Boden. Langsame Klänge werden allmählich aus den Lautsprechern hörbar. Die Tänzer*innen stehen auf und die Party geht exstatisch weiter. Wasser spritzt durch die Luft. Immer wieder geschehen die Bewegungen auf der Bühne zwischendurch in Zeitlupe. Intime Momente zwischen Menschen werden sichtbar. Am Ende bleiben nur noch die Nebenschwaden über der Bühne. Langsam verlassen die Tänzer*innen die Bühne. Am Ende bleiben noch zwei Personen übrig. Eine dritte Person kommt mit einer Plastiktüte hinzu. Es scheint als wäre die Nacht und damit auch die Party vorüber.

Gisèle Vienne schafft mit ihrer Performance ein Werk, dass zwischen Drogenrausch, Exstase, Traum und Realität angesetzt ist. Einige Szenen wirken fast religiös. Zeitlichkeiten verschieben sich. Zu extrem schneller Musik sind Bewegungen in Zeitlupe zu sehen. Die Wahrnehmung der Zuschauer*innen verschiebt sich, als wären sie selbst in einem veränderten Bewusstseinszustand, wie er durch die Tänzer*innen auf der Party dargestellt wird. Momente werden verdeutlicht und Dinge sichtbar, wie sie in normaler Wahrnehmung nicht erfasst werden können.
Das zentrale Thema der Zeitlichkeit zeigt sich auch bei der Wahrnehmung während dem Zuschauen. Zeitweise möchte man ständig auf die Uhr schauen, plötzlich versinkt man wieder in der Musik und der Choreografie. Am Ende ist alles schnell vorbei.
Ein solider Abend, bei dem das Publikum am Ende gespalten ist. Einige verlassen fluchtartig den Saal, andere spenden Applaus.

 

Acid Rain (Presse von Schrott)

Du bist in einem Würfel. Alles ist in diesem Würfel. Du, die Anderen, die Musik, und das Licht, selbst der Dreck am Boden, der dir noch nach Tagen in der Nase kleben wird. Noch liegt der Dreck einfach da, und wartet. Und wartet. Und wartet auf deinen Körper. Zuerst knirscht er noch unter den Sohlen deiner Schuhe. Dann beginnt er langsam deine Füße zu umschließen, an deinen Beinen hochzukriechen. – Irgendwann ist er überall. Zwischen deinen Schulterblättern, in deiner Armbeuge und das Stigma auf deiner Stirn.

Wenn Giesèle Vienne zu »Crowd« in die Gösserhallen lädt, dann im Namen des Tekknos, des Raves und des Heiligen Freeteks. Die Gläubigen konsumieren die BPM und Hz und meditieren mit offenen oder geschlossenen Augen, während die Tänzer*innen ihr Fleisch mit dem Dreck mischen. Dort die Priester*innen in der heiligen Handlung versunken, hier die Laien, die das Ritual nur noch peripher berührt. Und überall diese Musik, die in den Körper dringt, wie der Dreck durch die Körper der Tanzenden pilgert. Eine Musik, die Erwähnung in einem Theaterprogrammheft findet, in dem jeder einzelne Track mit Titel, Künstler, Label und Erscheinungsjahr aufgelistet ist. Doch was ist das Eigentliche daran, diese Art von Musik auf so einer Bühne, in so einem Rahmen wie den »Wiener Festwochen« ausgestellt zu hören. Ein Konzert im Sessel, ähnlich einem klassischen Konzert, dessen Zuhörer*innen ihren Körper bereits völlig verinnerlicht haben – nur um nicht sagen zu müssen sie hätten ihren Körper längst aufgegeben. Ein Ausgeschlossensein vom Ritual, welches Giesèle Vienne »Beobachten« nennt und dass sie mit »Soziolog*innen, Anthropolog*innen und Philosoph*innen« teilt. Als Clifford Geertz also, den »Hahnenkampf auf Gabba« beschreiben?

Weniger absurd ist es, nach den Variationen von »Crowd« zu fragen. Kann es weitere Stücke geben, die auf dem exzessiven Gebrauch von technoider Musik basieren? Könnte »Crowd« etwa Teil einer Serie sein? Welchen Platz würden diese Stücke ihrem Publikum zuweisen? Und wenn es gelingt die Körper aller Anwesenden gleichermaßen ins Ritual zu integrieren – was würde solche Stücke noch von einem Rave unterscheiden?

 

„Crowd“ – und am Ende war die Luft draußen (L.L.)

Starke Künstler, ein hohes Niveau und Bilder die hängen bleiben. Gisèle Vienne lässt „Crowd“ auf den Wiener Festwochen in den Gösserhallen tanzen und schafft ein Stück das Zeit auf verschiedene Weisen spürbar werden lässt. Dieses Spiel mit der Zeit ist aber manchmal auch ein heikles Unterfangen.

Das Publikum sitz und der Beat setzt ein. Nach einer Weile bemerkt man Bewegung im hinteren Teil der Bühne. Oder nicht? Doch, tatsächlich bewegt sich jemand mit einer ungeheuren Langsamkeit nach vorne. Alle Muskeln scheinen dabei gespannt. Jede Bewegung ist perfekt ausgeführt um den Effekt von Slow Motion zu vermitteln. Nach und nach folgen immer mehr junge Menschen, im selben Rhythmus, der einen starken Kontrast zur schnellen Musik bildet. Eine Partynacht inklusive Gruppendynamiken und Nachwehen wird uns präsentiert. Es gibt abrupte Tempowechsel in den Bewegungen, zudem geschehen die Geschwindigkeitsentscheidungen nicht bei allen Figuren gleicher Maße. Einzelne stechen aus der Gruppe hervor, weil sie anders getaktet sind, sich aber im Anschluss ihres „Aussetzers“ wieder in das einheitliche Zeitgefühl gliedern.

Ritenhafte Züge bekommt die Inszenierung einerseits durch das erdbedeckte Bühnenbild und andererseits durch die Form mancher Bewegungen, die gemeinschaftlich ausgeführt werden. Auch manche Körperhaltungen, die extrem und fast unmenschlich wirken, assoziieren Bilder von rituellen Festen. Es ist eine Verknüpfung von Exzess und Ritual, die auch außerhalb der Aufführung leicht zu ziehen ist.

Doch schon bald gibt es kaum noch spürbare Veränderungen. Es gibt nichts Neues mehr zu sehen. Die Brüche bleiben klein, obwohl sie gleichzeitig Hauptbestandteil des Abends sind. Sie sind ein Teil des Rhythmus, Teil der Crowd, Teil der Masse, wodurch ihre Aussagekraft von Veränderung verloren geht. So ist am Schluss die Luft nicht nur aus dem Raum draußen, der stickig ist und schwül, sondern auch aus der Inszenierung.

Der Abend hat viele magischen Momente, doch auf gesamter Strecke zieht er sich an einigen Stellen in die Länge. Eine gewisse Unberührtheit gegenüber dem Ender der Figuren ist die Folge. Die tänzerische Leistung bleibt aber im Gedächtnis.

 

Als Voyeur in der „Crowd“ (V.J.)

Die Tanzperformance „Crowd“ von Gisèle Vienne wurde am 31. Mai in den Gösserhallen aufgeführt. 15 TänzerInnen gaben sich den Ereignissen einer Partynacht hin und die Zuschauer bekamen, mal mehr mal weniger intime Einblicke in das Geschehen. Gisèle Vienne zeigte sowohl das Verhalten des Individuums, als auch das Agieren einer Gruppe auf bestimmte Ereignisse.

Das Bühnenbild übernahm, was von den Gösserhallen geboten war. Ein altes Fabrikgelände. Am Boden mit Erde und zurückgelassenem Müll der letzten Party übersäht. Die Party, um die es in Crowd geht, ist in den 90iger Jahren verankert und beschreibt die damalige Ravekultur und Technoszene.

Mit dem Etablieren eines neuen Zeitgefüges wird die Nacht in seiner Gänze sichtbar. So scheint alles was verlangsamt passiert in Echtzeit zu passieren. Durch diesen Kniff enthält Gisèle Vienne dem Zuschauer nichts vor und lässt ihn am kompletten Geschehen teilhaben.
Der Zuschauer ist immer in der Rolle des Beobachters und in manchen Szenen wird er sogar in die Rolle des kollektiven Voyeurs gedrängt.
Es entstehen außerdem spannende Effekte, die sowohl durch die Beleuchtung, aber auch durch die Auswahl der Musik (Peter Rehberg) hervorgerufen werden, die eine hypnotisierende Wirkung auf den Zuschauer haben. Das Zusammenspiel von Musik und Tanz scheint perfekt. Häufig bekommt man das Gefühl, dass die Tänzer regelrecht von der Musik durchgebeutelt werden und sie diese Partynacht sehr intensiv erleben. Hier fasziniert der Wechsel zwischen Slow Motion und ruckartigen Bewegungen, die die natürliche Bewegung unterbricht, dann aber fortführt und so einen neuen Kontext eröffnet.

Der in der Luft hängende Nebel lädt dazu ein philosophisch über die Vergänglichkeit und das Festhalten eines Moments zu sinnieren. Denn erst als der erste Tänzer den Raum verlässt lichtet sich der Nebel langsam und die Party ist vorbei.

Für den ungeübten Tanzperformancegänger mag sich manches nicht, oder erst am Morgen offenbaren.
Dass dies aber kein Mangel der Performance, sondern eine Schwäche des spezifischen Sehverhaltens und der Deutungsfähigkeit des noch unerfahrenen Zuschauers ist, beweist der ausgiebige Applaus am Ende.