ANGELA (A strange loop)

Regie: Susanne Kennedy, Halle G im Museumsquartier, 28. Mai 2023

ANGELA (A strange loop)
© Julian Roeder
Be careful, you might trip
(anonym)

In ANGELA (a strange loop) nehmen uns Susanne Kennedy und Markus Selg mittels ihrer post-humanistischen Ästhetik und ihrem multimedialen Ansatz mit auf eine Reise durch das Leben einer Frau. In dieser Produktion entfaltet sich vor unseren Augen das Leben einer Frau in einem Raum, der sich ständig verwandelt und zwischen real und virtuell wechselt, während wir Angela durch den Zustand des Wachens und Schlafens, Geburt und Entbindung, Krankheit und Heilung, Altern und Sterben begleiten. Die intensive, gesamtgesellschaftliche Erfahrung von Verwundbarkeit und Vergänglichkeit in den letzten Corona-Jahren stellt die postpandemische Gesellschaft vor die Herausforderung, mit Krankheit und Tod auf neue Weise umzugehen. Mit der multimedialen Bühnenproduktion ANGELA (a strange loop) gehen Susanne Kennedy und Markus Selg der Frage nach, ob aus dem kollektiv erlebten Bedrohungsgefühl während der Pandemie das Potenzial für einen neuen Humanismus erwachsen kann.

Die Inszenierung folgt der Titelfigur von der Geburt bis zum kollektiven Klagelied. Die Nahaufnahme des Lebens einer Frau wird zur Grundlage einer kritisch-poetischen Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Krankheit und Tod. Durch die Linse der Erkrankten stellt die Inszenierung die existenzielle Frage, wie die Gemeinschaft mit der Erfahrung des Todes des Einzelnen umgehen kann. Wie können wir füreinander sorgen, wenn das Leben zu Ende geht? Die Protagonistin durchläuft drei Phasen: Nigredo, Albedo und Rubedo. Innerhalb dieser Phasen durchläuft sie immer wieder verschiedene Phasen ihrer Krankheit. Sie befindet sich in einem Loop. Ihre Mutter ist überfordert und nicht in der Lage, sie zu pflegen, ihre Freunde können ihr Verhalten nicht gänzlich nachvollziehen und den einzigen Trost findet sie in positiven Reaktionen auf ihre Internetvideos und Streams. Als ihre Krankheit dann schließlich sehr weit fortschritten ist, erscheint ihr eine engelsgleiche Figur, die sie begleitet und das Licht zeigt. Als sie wieder zurückkehrt, gebärt sie eine Plazenta aus ihrem Mund und tanzt einen ritualgleichen, verstörenden Tanz um eine Statue – sie scheint geheilt zu sein. Narrativer Erzähler des Stückes ist eine weiße kuschelige Leopardenkatze, die virtuell über einen Bildschirm mit uns spricht und uns an die Hand nimmt, wenn alles scheinbar zu viel wird. Man fühlt sich, als würde man anderen Leuten bei einem LSD-Trip zuschauen oder das Gleiche sehen, das sie sehen und hören.  

Susanne Kennedy und Markus Selg gehen einer grundlegenden Frage der Existenz auf den Grund: Was ist die Natur der Realität und was bin ich? Die Performer*innen schaffen eine perfekte, aber künstliche Realität, indem sie lippensynchron und leicht aus dem Rhythmus geraten sprechen, als ob sie das echte Leben imitieren würden. Digitale Kultur und virtuelle Realität vermischen sich nahtlos mit Spiritualität und Philosophie. ANGELA (a strange loop) verwischt die traditionellen, szenischen sowie technischen Kunstmittel und testet die Grenzen zwischen Theater und digitaler Installationskunst aus.


The place of unknown
(Anna Momotenko)

Ab 28. Mai testete Susanne Kennedy die Grenzen des Theaters bei den Wiener Festwochen aus. ANGELA (a strange loop) ist die neuste kollaborative Produktion von der Theaterregisseurin Susanne Kennedy und dem bildenden Künstler, Bühnenbildner, Filmemacher und Musiker Markus Selg. Inspiration für die Angela in der Geschichte sind die Frauen, die an Long-Covid Symptome leiden.

Immer wieder muss man sich erinnern, dass Angela noch Theater ist. Jeder künstlerische Aspekt der Arbeit von Kennedy und Selg erfindet neue Realitäten. Die Verfremdung des Theaters passiert in der Art und Weise, wie Susanne Kennedy die vorhandenen Techniken nutzt, von audiovisueller Technik auf der Bühne bis zur Technik des Schauspiels, um die Möglichkeiten des Theaters auszuprobieren und auszudehnen. Das Stück ANGELA wird sowohl für die Zuschauenden als auch für die Agierenden zur Herausforderung . Mit der Produktion hinterfragt Kennedy das Verständnis von Theater, indem sie ihre Arbeiten in multimediale Kunstwerke umwandelt. Es wird vor allem unser Verständnis von Welt und von uns selbst in Frage gestellt. Oben auf der Bühne steht das Wort „EXIT“. Es wirkt wie ein Aufruf: „Geh‘ aus deiner Realität raus!“, „Verlasse deine Weltanschauung und deine Selbstwahrnehmung!“. Die Schauspieler*innen verfügen dabei über ganz besonders aufwendige und genaue Körpertechniken, womit sie eine Entemotionalisierung des Geschehenen schaffen. Ihre Bewegungs- und Sprechweise ähneln dem Verhalten von Videospiel-Avatare. Die ausgesprochenen beziehungsweise die aus dem Off abgespielten Repliken der Figuren erinnern an die Dialoge in sozialen Netzwerken.

Man trifft Angela in einer Art Komazustand, denn man hört permanent die Geräusche eines Beatmungsgeräts und sieht einen Ventilator auf dem Bildschirm der Bühnenwand. Das Publikum folgt Angela in drei Phasen der Transformation. Über diese Phasen wird man am Anfang der Inszenierung informiert. Die erste – schwarze Phase – ist die, in der man Angela begegnet. Sie zeigt Angelas Widerstand gegen die Krankheit und den Schmerz. Die zweite – weiße Phase – ist die, in der Angela „the state of inflammation als hyperinflammation“ erlebt, wonach der Schmerz zu einem Bestandteil von ihr wird – sie geht ihrem Schmerz entgegen. Die letzte dritte – rote Phase – ist die Wiedergeburt von Angela. Ist es immer noch Angela? Lebt sie noch?

Die Produktion ist ein Spiel mit der Realität, mit dem Bewusstsein und dem, was wir als Wirklichkeit betrachten. Der weiße Raum, in den Angela nach ihrer Rückkehr vom Ort des Unbekannten tritt, lässt sich als Gegensatz zur genannten schwarzen Phase sehen. Gleichermaßen bildet die Antwort „dort war alles weiß und flach“ auf die Frage ihres Partners Brad, wo sie denn war, die Parallele zum weißen Raum im Film The Matrix (1999), der als Ausgangszustand des Bewusstseins dient, den man mit eigener Realität füllen kann. Ist das Angelas Realität, die sie durchlebt?

Die in der Aufführung betonte Transformation sowie der Zustand des „Dazwischen-Seins“ und des Übergangs wird über die laufenden Sequenzen (konzipiert und realisiert von Markus Selg zusammen mit Rodrik Biersteker) auf den Bildschirmen visualisiert. Ihrer Konzeption nach sind mache Sequenzen wie ein Tunnel während des klinischen Tods mit dem Licht am Ende gestaltet, was die Lebensphasen von Angela abbildet. Der Übergang von einer Phase des Lebens in eine weitere – eine eigenartige Wiedergeburt von Angela – ein Loop.


You coughed up a baby.
(Jennifer Rotter)

Das Folgende entspricht der Wahrheit. Soweit ich weiß.
Der Applaus verhallt und es wenden sich Menschen mit unterschiedlichen Fragezeichen in den Augen den Ausgängen der Halle G im Museumsquartier zu. Susanne Kennedy und Markus Selgs ANGELA (A STRANGE LOOP) ist ein Theaterabend, der sich nicht leicht einordnen lässt und die Zuschauenden mit Verwunderung zurücklässt. Doch wie ist dies, wenn überhaupt, zu erklären? Thematisch tangiert das Stück die großen Fragen menschlicher Existenz, programmatisch gemacht an der Figur Angela, die in verschiedenen alltäglichen Situationen gezeigt wird. Ein Alltag, der von Virtualität und Krankheit zerfressen wird. Denn eins erweist sich schnell: Wirklichkeit zerfließt konstant.
ANGELA wird als alchimistisches Gemisch in drei Phasen vorgestellt: der Schwarzen, der Weißen und der Roten. Der blaue Balken verspricht während des Einlasses ein Konzentrat aus persönlichen Tagebucheinträgen bis hin zu Interviewbeiträgen. Zu erwarten sei eine wahre Geschichte. Der Wahrheitsgehalt wird im Bühnengeschehen konstant herausgefordert: Äpfel, die als Fake ausgewiesen werden, um später gegessen zu werden, Figuren mit Déjà-vu, oder eine Animation, die dem Publikum vergewissert, im Theater zu sein.

Das Bühnenbild eröffnet Einblick in Angelas Wohnung: ein Bett, ein Tisch mit zwei Sesseln, im Hintergrund die Küchenzeile mit dampfender Teekanne, ein Ventilator an der Decke, zwei neongelbe Türen, links ein installiertes Lagerfeuer. Die Normalität des Settings löst sich schnell auf. Die drei Wände des Bühnenbilds erweisen sich als Videoinstallationen. Die Bilder beginnen zu verschwimmen, eröffnen neue Räume von Straßen, Zauberwäldern und galaktischen Fremden. Gekennzeichnet durch Fraktalität und Loops visualisiert sich ein Fiebertraum, den Protagonistin und Publikum teilen.

Eine Sphäre des Unbehagens eröffnet sich auch auf auditiver Ebene. Mit Ausnahme der Live-Musik, dargeboten von Diamanda La Berge Dramm, entstehen keine Töne auf der Bühne. Geräusche und Stimmen sind vorab im Studio aufgezeichnet worden und werden während der Performance abgespielt. Kleinste Geräusche geraten dabei in den Vordergrund: das Schmatzen beim Essen, das Küssen, das Schlagen der Portaltüren und als begleitende Geräuschkulisse ein Beatmungsgerät. Die aufgezeichneten Stimmen sorgen für ein weiteres Spannungsfeld. Die Darstellenden bewegen ihre Lippen, die Synchronität ist dabei aber auch immer versetzt. Zudem mutet die Qualität des Sprechduktus robotisch an, die dabei an die Sprachassistenten des täglichen Gebrauchs erinnern. Als Resultat ist man irritiert, da eine Erwartungshaltung an die Emotionalität nicht getroffen wird. Angelas Lachen wird zu einem mechanischen Laut – ständig gleichbleibend, monoton und beliebig reproduzierbar.

ANGELA (A strange loop) ist durchzogen von metaphorisch aufgeladenen Symbolen, die traumhaft schwebend gehalten werden. Einfache Erklärungen gibt es nicht. Angelas Krankheit erfährt keine Diagnose, ihr Verschwinden bleibt rätselhaft und wohin das markant am oberen Bühnenrand angebrachte EXIT einlädt, lässt Raum für Spekulation. Angelas Welt verbleibt Teil einer in Schleife laufenden virtuellen Realität, in der sich Angela fortlaufend selbst gebiert. Kennedy selbst sagt: „Mich fasziniert diese Art von Sinnesverwirrung, die unser Konzept von Realität in Frage stellt; sie ist oft der Ausgangspunkt für Mythen. Wir brauchen Geschichten, um das Reale zu erklären, vor allem das, was schwer zu erklären ist.“ Inwieweit ein solches Statement auf ANGELA (A strange loop) haltbar bleibt, muss Gegenstand der angefachten Diskussionen sein.


Plastizität pur: Der Uncanny Valley Effekt in ANGELA (A strange loop)
(Klara Howorka)

Angela leidet an einer unbekannten Krankheit. Ihrer Mutter geht es ähnlich, aber hat die Krankheit lediglich ihre Beine befallen, während ihre Tochter an ihrem gesamten Körper Schmerzen verspürt. Ihre Follower im Internet, die regelmäßige Updates über ihren Gesundheitszustand bekommen, zeigen sich unterstützend. Eines Tages fängt Angela an, in Zungen zu sprechen, Blut zu spucken, sie verschwindet auf unbestimmte Zeit und wird von der Polizei als vermisst gemeldet – ihr Freund, ihre beste Freundin und ihre Mutter machen sich große Sorgen. ANGELA (A strange loop) ist ein Einblick in einen Raum, der normalerweise im Privaten verborgen bleibt und in welchem der weibliche Körper, Internetkultur und körperliches Leid als Basis menschlicher Existenz verhandelt wird.

Das technisch auffälligste Merkmal des Stückes ist die Tatsache, dass in ANGELA kein Wort live gesprochen wird: jeder Satz wurde im Vorhinein aufgenommen und wird während des Stückes abgespielt, als würden die Darsteller*innen sich selbst synchronisieren. Dies ist eine der technischen Voraussetzungen, die dem Stück eine gewisse Plastizität verleihen. Ein weiterer Aspekt ist das Bühnenbild inklusive Projektionen. Die im Hintergrund projizierte Fläche zeigt teils die Küche einer modernen Wohnung, teils einen leeren Raum und zeitweise eine Animation eines Waldes. Jedes Objekt (sowie die Animation von Angelas Kuscheltier) wird als 3D-Scan oder 3D-Modell gezeigt. Sie geben keineswegs den Eindruck, real zu sein, allerdings scheint das in ANGELA ein durchgängiges Motiv zu sein. Die Unterscheidung zwischen Real und Fantasie ist auch inhaltlich nicht eindeutig: Was Angela genau widerfährt, als sie mit einer anderen Frau (eine Bardin? Ein Engel? Eine Erscheinung?) in einem Wald verschwindet, ist unklar.

ANGELA lässt viele Interpretationsmöglichkeiten offen – vielleicht sogar zu viele. Auf technischer Ebene das Interesse weckend muss das Stück das Publikum sehr viel raten, was das eigentliche Geschehen anbelangt. Beispielsweise deutet die Stückbeschreibung darauf hin, dass es unter anderem um die Auswirkung von Long-COVID auf den weiblichen Körper geht, jedoch wäre dies ohne Kontext nicht direkt aus dem Stück ablesbar. Möglicherweise widersetzt sich ANGELA jeglicher Sinnhaftigkeit, was zwar eine valide künstlerische Entscheidung ist, allerdings auch nicht weniger frustrierend für eine Zuschauerschaft ist, die diese Form der abstrakten Auseinandersetzung nicht gewohnt ist.

Auf textueller Ebene vermittelt ANGELA eine aufrichtige (wenn auch leicht überspritze) plastische Modernität. Ein wiederholt ironisches „Ha ha“ scheint die Antwort auf alles zu sein. So liest sich der Sprechtext wie ein WhatsApp-Gruppenchat, in dem niemand jemals an einem tatsächlichen Engagement interessiert war. Auch kostümtechnisch referenziert ANGELA die heutige Zeit, indem das Stück alle weiblichen Charaktere in 40 DEN Strumpfhosen zeigt. Mit all diesen ästhetischen Entscheidungen (Bühne, Kostüm, Voice-Over und Bewegung) wird das Gefühl einer Simulation beziehungsweise eines Videospiels vermittelt, in dem alle Charaktere selbstdesignte Avatare sind. Das Publikum bekommt somit den puren Uncanny Valley Effekt zu spüren, da für 100 Minuten eine Simulation menschlicher Existenz vorgespielt wird. Grundsätzlich bietet ANGELA großartige technische Möglichkeiten, um etwas tiefgehend zu vermitteln, stößt aber schnell an dramaturgische Grenzen, was sehr schade ist. Auch die Absurdität des Stückes würde mit ein wenig mehr Richtung (und, grob gesprochen, mit ein wenig „mehr Inhalt“) besser zur Geltung kommen.