ALL ABOUT EARTHQUAKES

nach bell hooks und Heinrich von Kleist
Christoph Rüping
Volkstheater
Dienstag, 26. Mai 2025

© Daniel Pilar

Liebesbeben – ALL ABOUT EARTHQUAKES am Volkstheater 
Sarah Baumgartner

Ein Erdbeben erschüttert die Bühne – gleich mehrmals. Und das Publikum mittendrin: mitgerissen, lachend, stolpernd. ALL ABOUT EARTHQUAKES, die neue Produktion von Christopher Rüping am Volkstheater, ist ein Abend voller Wucht, Witz und Widerstand – gegen starre Konventionen und vielleicht auch gegen die Vorstellung, dass wir genau wissen, was Liebe ist. Dabei weiß man auch oft nicht, wo man hinschauen soll (was nicht nur an der sichtversperrenden Lockenpracht des Vordermanns liegen muss). Aber man schaut gespannt. Und hört. Und denkt. Und fühlt.

Die Inszenierung verbindet Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili mit Auszügen aus Alles über Liebe von bell hooks – und übersetzt beides radikal in die Jetztzeit. Kleists Erzählung wird zur Bühne für die Suche danach, was Liebe in einer erschütterten und chaotischen Welt wirklich heißt. bell hooks liefert dazu nicht nur Theorie, sondern eine Haltung: „Liebe ist der Wille, sich selbst zu erweitern, um das Wachstum anderer zu fördern.“  
Schon zu Beginn wird das Publikum mit dem Thema Erdbeben konfrontiert: „Jetzt machen wir ein Erdbeben der Stärke zehn“, ruft ein Schauspieler – und das Ensemble wankt, schreit, fällt. Dann ein persönlicheres Beben: das von 1999 auf Zypern, erinnert von einer Darstellerin. Es tobt, geliebte Goldfische beben am Boden, und die Grenzen zwischen Realität, Erinnerung und Fiktion beginnen zu verschwimmen.

Ein Abend, der zwischen Performance, Spiel, Theorie und Clubnacht oszilliert. Immer wieder wechselt das Stück Ton und Tempo: Mal wird moderiert, mal rezitiert, mal gesungen. Und mittendrin: ein Haddaway-Song, der plötzlich ganz ernst gemeint klingt. Was ist Liebe?
Die fantastischen Kostüme zitieren Historie und Zukunft zugleich. So wird auch aus Kleists klassischem Liebespaar Josephe und Jeronimo ein interracial couple mit Altersunterschied. Rollenbilder, Zugehörigkeiten, Machtverhältnisse – all das schwankt mit, wenn das Erdbeben auch die Ideologien erschüttert.
Ein Höhepunkt: Stromausfall. Nur noch Taschenlampen. Und dann trifft das Licht die Diskokugel an der Decke des Volkstheaters. Reflexionspunkte tanzen durch den Raum wie kleine Glückshormone – und für einen Moment steht alles still. Vielleicht ist es das: ein Bild für eine Liebe, die in der Not noch möglich ist.  

Als großes Finale türmen sich zum Ende Kirchenbänken – gezogen an Seilen – in die Höhe. Es wirkt, als zerfiele alles und würde zugleich neu zusammengesetzt. Wanken, ja. Aber nicht einstürzen. Wie eine Gesellschaft, die sich hoffnungsfreudig neu zusammensetzt und orientiert.  
Und so bleibt ein Abend, der mehr fragt, als er beantwortet. Der sich reibt, schwankt, überrascht – und dabei, trotz aller Brüche, von etwas Größerem zusammengehalten wird. Vielleicht von der Liebe. Oder von der Hoffnung, dass selbst im Beben noch ein bisschen Utopie möglich ist.  
Und vielleicht ist diese Erkenntnis ja schon ein kleines persönliches Nachbeben.


Die Republik der Liebe“ gefeiert im Volkstheater – mit Heinrich von Kleist, Haddaway …und bell hooks?
Katharina Petsch

Was ist Liebe? Mit ALL ABOUT EARTHQUAKES liefert der Regisseur Christopher Rüping einen Annäherungsversuch an ein Thema, das jede*n zu betreffen scheint und trotzdem für so viele Menschen ungreifbar bleibt. Dabei schwankt das Stück zwischen Chaos und Emotionalität, Albernheit und Erschütterung, der Vergangenheit und den aktuellsten Ereignissen, Nähe und Distanz.
In feinen Nuancen wirft der Abend die Zuschauer*innen von einer Stimmung in die nächste. Auf seichte Szenen, in denen die Figuren auf der Bühne ganz bewusst auf ihre Situation auf einer Theaterbühne aufmerksam machen, die vierte Wand radikal durchbrechen und selbst nicht an ihren Text glauben zu scheinen, folgen mit Bedeutung aufgeladene Szenen, die optisch aufregende Bilder erzeugen und letztlich die Zuschauer*innen mit gemischten Gefühlen den Saal verlassen lassen.

Und wie es für den Regisseur üblich scheint, wird schnell deutlich, dass die literarische Grundlage – Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili – über den Stückverlauf zu bröckeln beginnt, den Blick aus der Vergangenheit auf die Gegenwart lenkt und den Boden gesellschaftliche Normvorstellungen erschüttern zu wagt. Die Figuren eignen sich Kleists Vorlage in einem Moment sehr deutlich an und lassen sie ganz nah an sich heran, um sich im nächsten Augenblick wieder vollständig davon abzuwenden und einen Schritt neben sich zu treten – in die Rolle einer Beobachter*in. Dennoch drehen sich die Szene manchmal etwas im Kreis oder verharren zu lange in der Schwebe, wollen ein kleines bisschen zu gewollt lustig sein.

Richtig interessant wird es dann zum ersten Mal als ganz plötzlich das gesamte Licht im Saal und auf der Bühne ausgeht. Ein Stromausfall nach dem Erdbeben? Die Schauspielende leiten das Publikum dazu an, dran zu bleiben – als würde uns etwas anderes übrigbleiben – aber tatsächlich es lohnt sich! Nach und nach erhellen einzelne Strahlen von Taschenlampen spärlich den Bühnenraum, lassen durch die Diskokugel einen Sternenhimmel im Theatersaal entstehen und tauchen das Liebespaar in das Licht der bunten Glasfenster der Bühnenkonstruktion, die mal an Diskolichter, mal an eine Kirchenrosette erinnert – ein Regenbogen aus Farbe und Atmosphäre.

Bis dahin zeigt Rüping vor allem eins: Kleist. Und geprägt durch die eigene Erwartungshaltung drängt sich die Frage auf: Wann kommt bell hooks? Und dann kommt sie. Natürlich nicht die amerikanische Philosophin persönlich, aber ihr entscheidender Beitrag für diese Inszenierung. Wobei, genauer gesagt kommt eigentlich eine Anekdote über die Entstehung des Hits What is Love von Haddaway aus dem Jahr 1993. In einem bedeutungsschweren Monolog wird erklärt, wie Haddaway die Botschaft hooks in seinem Song doch eigentlich besingt: Wo Schmerz herrscht, kann keine Liebe sein – baby don’t hurt me, don’t hurt me, no more – und lieben bedeutet, das geliebte Gegenüber nicht klein zu halten, sondern wachsen zu lassen. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Rüpings Stück das Motto der diesjährigen Festwochen at it’s best auf die Bühne bringt: eine Gesellschaft, wo Liebe herrscht, ist die einzige Gesellschaftsform, die Unterschiede nicht verschleiern will, sondern diese unterstreicht, wo das Gegenüber nicht klein gehalten werden soll. Eine Gesellschaft, von der wir uns in großen Schritten wegbewegen?

Am Ende bleiben die Kirchenbänke zurück, die heute jedoch nie so recht schweben wollten – und bei deren Anblick man sich fragt: Was genau soll das eigentlich? So wie auch an anderen Stellen im Verlauf des Stücks. Und schließlich bleibt ein Gefühl zurück, wie das Erwachen nach einer Katastrophe. Der Abend bietet so viele Möglichkeiten, ihn großartig zu finden, enthält so viele Elemente, die ausgesprochen gehören, präsentiert womöglich eine Portion zu viel Kleist und Haddaway und dafür etwas spärlich hooks,  und doch bleibt am Ende das Gefühl, irgendetwas fehlt …. Und natürlich der alles übertönende Ohrwurm: „What is love?…“


What is love – Baby, don’t hurt me
Marlene Wundsam

Was hat ein Erdbeben mit Liebe zu tun? Sehr viel, wie sich am 26.05.25 im Laufe des Abends zeigen sollte. ALL ABOUT EARTHQUAKES, inszeniert von Regisseur Christopher Rüping, wagt im Rahmen der Wiener Festwochen ein außergewöhnliches Experiment: Heinrich von Kleists Novelle Das Erdbeben in Chili wird mit bell hooks All About Love verflochten. Und das auf unterhaltsame, zeitgenössische und berührende Weise.

Langsam füllt sich der Publikumsraum. Nichts ungewöhnliches für einen Theaterabend, der in wenigen Minuten beginnen soll. Was allerdings sofort auffällt: Das 13-köpfige Ensemble ist bereits auf der Bühne, unterhält sich, wirkt sehr „privat“. Auch die Kostüme erinnern zu diesem Zeitpunkt mehr an Alltagsoutfits. Als ein Darsteller plötzlich laut „Hallo!“ in den Raum ruft, wirft ihm die Menschenmenge sofort ein freudiges „Hallo!“ zurück – die vierte Wand ist gebrochen, das Spiel kann beginnen.

In den ersten Minuten bleibt das Stück seinem Titel treu. Mit viel Körpereinsatz werden Erschütterungen auf der Bühne imitiert. Bald wird deutlich, worauf die Inszenierung hinauswill: das verheerende Beben von Santiago de Chile im Jahr 1647. Wer die literarische Vorlage von Kleist kennt, ist sich ihrer Brutalität bewusst. Eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Liebesbeziehung, ein uneheliches Kind, am Ende viele Tote. Entgegen der Erwartung verzichtet die Inszenierung dabei allerdings quasi vollständig auf die visuelle Darstellung von Gewalt. Stattdessen wird der Text in gewaltvoll aufgeladenen Momenten erzählt: Abwechselnd zitieren die Darsteller*innen den Fortgang der Geschichte und schaffen so in Momenten der Brutalität eine konsequente Distanz zu dieser. Zusätzlich lebt die Inszenierung stark von Humor, Ironie und direkter Publikumsansprache. Immer wieder wird gelacht – sei es wegen überzeichneter Figuren oder absurder Requisiten. Als ein inszenierter Stromausfall die Bühne verdunkelt, übernehmen Taschenlampen die Beleuchtung. Eine Diskokugel taucht den Raum in ein schimmerndes Sternenmeer, durch ein Kirchenfenster fällt warmes, farbiges Licht – eine wohlwollende, sichere Atmosphäre wird geschaffen.

Der perfekte Zeitpunkt, um in die brutale Rahmenhandlung des Stücks die wohl wichtigste Frage des Abends einzubetten: Was ist Liebe? Angelehnt an bell hooks Theorie wird deutlich: Liebe ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine Handlung und geht weit über die romantische Liebesbeziehung hinaus. In einer zentralen Szene des Abend rückt dieser Gedanke ins Zentrum: Die SchauspielerInnen zitieren hooks und werfen ihre Worte in den Raum – klar und unmissverständlich. „Liebe macht das Gegenüber immer größer. Wo Gewalt ist, ist keine Liebe.“. „What is love – Baby don´t hurt me“ erklingt. Der Fokus verschiebt sich spürbar von der privaten Liebesbeziehung hin zur Frage nach Liebe als gesellschaftliches Prinzip, das zwischen allen herrscht bzw. herrschen sollte. Es ist der emotionale Höhepunkt des Abends. Und das, obwohl bell hooks Einfluss bereits davor präsent ist: Immer wieder entstehen auf der Bühne intime Momente in Form von Umarmungen oder Küssen, die erstaunlich lange nicht abgebrochen werden. Geschlechterrollen werden hinterfragt und stereotypische Zuschreibungen kritisiert. Ebenso wird die ursprüngliche Klassenproblematik in Kleists Text modernisiert: Das Liebespaar weist einen großen Altersunterschied und unterschiedliche Hautfarben auf. Ein „Problem“, mit dessen Vorurteilen sich hooks auch privat konfrontiert sah. Mit der Frage „Findet ihr uns komisch?“ wird das Publikum aufgefordert, über eigene Zuschreibungen und gesellschaftlichen Normen zu reflektieren.

Christopher Rüping schafft es mit ALL ABOUT EARTHQUAKES Kleists blutiger Erzählung die Gewalt zu entreißen und ihr bell hooks zärtliche Vision gegenüberzustellen. Er verwebt beides zu einem poetischen, humorvollen Theaterabend und lässt die Darstellenden das Geschehen zusätzlich musikalisch untermalen. Die Verknüpfung aus der historischen Relevanz des Stoffes mit zeitgemäßer Bühnenästhetik und Theaterpraxis gelingt – wenngleich nicht alles ganz greifbar bleibt. So etwa die finale Schlusssequenz, in der mehrere Kirchenbänke an Seilen zunächst langsam emporgehoben und anschließend so abgesenkt werden, sodass sie sich gegenseitig stützen. Ein Bild für Zusammenhalt oder gegenseitige Abhängigkeit? Für Gemeinschaft, Balance, Verbundenheit?
Selbst das Ende bleibt offen und hinterlässt so einen großen Raum an Deutungsmöglichkeiten.


ALL ABOUT EARTHQUAKES: Ein langwieriges Imaginieren einer Utopie der Liebe
Ivana Himmelreich

ALL ABOUT EARTHQUAKES verbindet zwei Autor*innen, einmal aus dem 19. Jahrhundert und einmal aus dem 20. Jahrhundert, miteinander, um eine Vision einer gesellschaftlichen Utopie zu schaffen, in der die Liebe vorherrscht. Dabei wird einerseits mit Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili (1807) gearbeitet, in dem es um die verbotene Liebe zwischen Jeronimo und Josephe geht. Im Originalbuch ist die Liebe der beiden verboten, weil Jeronimo ein armer Lehrer ist, der sich in seine Schülerin Josephe verliebt, die aus gutem Hause kommt. 

In ALL ABOUT EARTHQUAKES wurde dies etwas abgewandelt. Nun steht der starke Altersunterschied, wie auch die interracialBeziehung zwischen Jeronimo, der den Sohn von Josephe unterrichtet, im Vordergrund. Die beiden verlieben sich und Josephe wird in ein Kloster gesteckt und danach zum Tode verurteilt – Jeronimo kommt ins Gefängnis. Ein katastrophales Erdbeben hat zur Folge, dass die beiden sterben. Eine kurze Zeit verwandelt sich ihre Realität, trotz der schrecklichen Naturkatastrophe, in eine Gesellschaft der Liebe. Alle schauen aufeinander, sind auf einer Augenhöhe, helfen einander. 

Und da setzt auch das zweite Werk, bell hooks‘ All About Love (1999) ein. hooks schreibt in ihrem Werk radikal über Vorstellungen der Liebe. So schreibt sie, dass in einer Beziehung, in der Gewalt existiert, oder eine Person eingeschränkt und kleiner gemacht wird, keine Liebe existiert. Sie beschreibt die Liebe als etwas, wodurch eine andere Person aus selbstlosen Gründen größer gemacht wird. Sie imaginiert eine Gesellschaft außerhalb des Patriarchats und des Kapitalismus, ohne Abstufungen oder Konkurrenz. Eine Gesellschaft in der alle aufeinander schauen und nicht länger die Kernfamilie, sondern die Community im Fokus steht. Der Regisseur von ALL ABOUT EARTHQUAKES, Christopher Rüping, kreiert so vorrübergehend in seinem Stück diese Utopie, in der Jeronimo und Josephe glücklich leben können und nicht nur akzeptiert, sondern geliebt werden. Er spricht von einer „Art hierarchie- und gewaltfreie[n], vom Willen zur Dominanz befreite[n] Gesellschaft“ in einem Interview mit den Wiener Festwochen. Diese Utopie bleibt jedoch nicht lange. Rüping schätzt, dass von Kleist vor der radikalen Aufforderung zur Veränderung seines Textes zurückgeschreckt ist, dass er sie mit Gewalt niederstreckt. So werden Jeronimo und Josephe, als sie in die Stadt zurückkehren, gewaltvoll niedergestreckt und ihr vermeintliches Kind wird an der Kirchenwand zerschmettert. 

Rüping wünscht sich, dass die Zuschauenden sein Stück mit geröteten Wangen und durchbluteten Händen verlassen. Da das Stück sehr viele Längen hatte und zuweilen auch sehr langsam und träge gespielt wurde, habe ich das Stück jedoch eher mit müden Augen und einer Ungeduld verlassen. Das Stück hätte die zwei Stunden Laufzeit nicht gebraucht. Es fing zunächst mit mehreren Darstellungen diverser Erdbeben an, die zwar amüsant anzuschauen waren, das Stück aber bereits zu Beginn in die Länge gezogen haben. Auch die Darstellung von Jeronimo und Josephe war lustig und berührend, hatte mitunter jedoch Längen. Beim Höhepunkt, der Einbindung von bell hooks und der Performance von Haddaways „What is Love“, habe ich auf ein zeitiges Ende des Stücks gehofft, das jedoch noch über eine halbe Stunde weiterging. Auch die Inszenierung des Stromausfalls war amüsant, aber erneut irrsinnig langwierig. Letztendlich war das Stück eine lustige Modernisierung eines alten Romans, viel mehr habe ich daraus aber nicht mitgenommen. 


What is love? An earthquake?!?!?!
M.L.

In the first act of ALL ABOUT EARTHQUAKES, Christopher Rüping and the fourteen performers on stage managed to remind us that on the theatre stage everything is just a game. We don’t need verisimilitude to see fishes out of their fishtank agonising, we don’t need the earth to shake to have the illusion that an earthquake is happening on stage, and we don’t need to hide the fact that everything is staged. We dive into the play in a very playful interaction with the performers, where the fourth wall does not exist, where the performers seem to be themselves and where even the light in the audience stayed on, as an invitation to observe the theatre in its entirety. Later again, during a power cut, the beam of the torches directs our look towards the spectacular ceiling of the Volkstheater. Everything is fiction on the stage, we are in a theatre (this is real), watching a play. However, the following acts of the performance took another turn…

What do Heinrich von Kleist, bell hooks and the hit song “What is love” by Haddaway have in common?
a) Is that the beginning of a bad joke?
b) No idea.
c) Christopher Rüping.
d) All 3 got me wondering for two hours and half, while I was sitting in the theatre, what exactly did they have in common.

The correct answers for me are b and d

I had to think, question and force myself to find associations between all elements given during the performance. It felt like I had missed the train. I had to conclude that I was either clueless or, that love is like an earthquake in ourselves. Even after exchanging thoughts with the spectator on the seat next to me, I still felt like Rüping had forgotten to connect with some of the audience, or maybe was it made on purpose? Nevertheless, I now think that the thing that Heinrich von Kleist, bell hooks and Haddaway have in common is a name that begins with the letter H.

Since the spoken parts got me confused, I focused on what I could see; and since all performers were almost constantly on stage during the performance, I was not bored. I observed their gestures, their interactions with each other and with objects on stage. A theatre stage is a peculiar space. Objects look so different than they do in daily life, they look like they have something to say. From the structure built on stage which transformed into a cathedral’s-stained glass, the babies made out of fabric handed with such care from one performer to the other, to the benches taking over the show dancing in a circle. Just as the breath inflates and deflates the torso, the church pews rose and fell in chorus.

ALL ABOUT EARTHQUAKES is all about theatre magic. I’m not sure what I take home with me from this performance, except that love is not an easy thing and that theatre can be just a game, it can be light and fun until the baby dies, that shaking up our preconceptions on things is not always a bad idea. After all why should love serve patriarchy?


Liebe/voll baumeln lassen
Tom Kauth

Arbeitslicht. Ganz unverblümt, fast stolz und doch betont nonchalant ist der Bauch der Guckkastenbühne im Volkstheater eine Erweiterung des Schauraums. Arbeitsgeräte und Bühnentechnik sind freigelegt. Später wird sich das noch radikal ändern. Zuvor: Theater spielen. Und zwar drei verschiedene Erdbeben, die je ein/e Schauspielende/r selbst erlebt hatte, im Stil eines Impro-Schauspielworkshops. Denn kein Erdbeben gleicht dem anderen. Differenz und Wiederholung. Abgesehen von vereinzelten Callbacks, bei denen es um Urlaubsziele geht (haha) – werden diese Vorbeben dann aber nicht weiterverfolgt. Immerhin: Das versierte, individuelle Slapstick Schauspiel unterhält grandios. Der anfängliche Ton ist flapsig. Erdbeben als Aufwärmübung.

Nun aber erstmal Licht aus: Stromausfall. Das Erdbeben war vorgegriffen. Zumindest in der Dramaturgie von Kleists Novelle Das Erdbeben in Chilli, das den Abend mit einer Rahmenhandlung ausstaffiert. Resonanz verleiht bell hooks All about Love. Ein gar nicht so unmögliches Liebespaar mit Altersunterschied erfährt bei Kleist erst Ächtung und kann dann in den Trümmern des Bebens, frei nach hooks, doch noch aufblühen. Eingestürzt sind eben nicht nur die Bauten, sondern auch das ihnen innewohnende Patriarchat und für einen kurzen Moment ist eine andere Liebe möglich. Getragen ist dieser Theaterabend also von nichts als Luft und Liebe, und Licht. Vor allem von zwei intensiven Lichtsituationen. Die Discokugel des Volkstheaters verwandelt die Dunkelheit nach dem Beben der Rahmenhandlung in eine klare Sternennacht. Macht die Sicht sozusagen erstmal frei für ein anderes Verständnis von Liebe. Eine Aufbau-Sequenz mit ingenieur-haftem Charme, eine Spezialität Rüpings Konstruktions-Theaters, leitet den euphorischen Höhepunkt und die zweite Lichtsituation ein. Abstrakt und reduziert erinnert das meterhohe Gestell im linken hinteren Teil der Bühne an ein ruiniertes Kirchengemäuer, dessen kathedral-bunten Bleiglasfenster in Kombination mit Power-Leuchte und mystischem Theater-Nebel eine Ruinenromantik aufrufen, in der dann so richtig geliebt wird. Nicht mehr als Platons Kugelmenschen, sondern ethisch und nicht mehr nur monogam. Die invertierte Formel von bell hooks liefert dann Haddaways Pop-Klassiker What is Love? Baby don’t hurt me. Wieder mit hooks: Mein sich ausdehnendes Selbst, das andere um mich herum wachsen lässt, das ist die Liebe. Haddaway dient hier als “utopischer Barde” (Gedächtnis Zitat), der ein neues Zeitalter der Liebe ausruft. Die Weichen sind gestellt. Jetzt kann es so richtig losgehen. Und selbst wenn einem das zu kitschig ist, wenn sich Zweifel regen, na dann müsse man sich ja nur Fragen, gegen was man sich da eigentlich versperre und warum eigentlich? Die Vagheit der vermeintlich simplen wie effektiven Antwort verifiziert alles bisher Gesagte und riegelt sich gegen jeden kritischen Affekt ab.

Doch dann, Haddaways Klavierthema hatte sich inzwischen über mehrere zehn Minuten aufgebaut, folgt ein Schlagzeugsolo. Auch dieses baut sich auf, wird immer aufmüpfiger. Das bunte Kirchen-Ruinen-Licht und die Liebes-Predigten hatten inzwischen einen allgemeinen Zustand der MDMA-induzierten Trance entfesselt. Dann kippt der Raum. Das Solo wird fast brutal, die anderen Darstellenden rücken starr und ausdruckslos um das weiter malträtiert-werdende Schlagzeug herum, während sich das Solo den im Raum dominanten Beat von Haddaway mühsam, aber bestimmt zurück-erdrischt. Zertrümmert wird die gerade begangene, fragile Utopie. Und das mit einer Gewalt, die nurmehr der gleichen wird, mit der später im Namen der Kirche das (falsche) Neugeborene des Liebespaares zu dessen Strafe und Wiederherstellung der “Sittenordnung” an der Kirchenwand zu Tode getrümmert wird. Zuvor hatte mit dem Ende des Solos abrupt ein kaltes, den Bühnenraum völlig ausfüllendes Krankenhauslicht übernommen. Mehrheitlich klatscht das Publikum nach diesem Solo.

Schlussendlich ist die Utopie wieder begraben, die Kirche in Kleists Novelle wieder an der Macht. Die unconditional love als Universalwaffe von der Produktion nun doch zumindest in Zweifel gezogen? In einer letzten Bühnen-Figur baumeln sechs Maßstab-getreue Kirchenbänke (hooks liebevolle Anstöße?) radikal zärtlich und zärtlich radikal von der Decke.
Licht aus. Applaus.


ALL ABOUT EARTHQUAKES, love and Haddaway  
Verena Lombardo

„Hallo“, sagt jemand auf der Bühne, unmittelbar ans Publikum adressiert. Ein zögerndes „Hallo“ wird aus den Reihen des Wiener Volkstheaters erwidert. So beginnt ALL ABOUT EARTHQUAKES, und gleich ist klar: Hier läuft es heute wohl etwas anders. 

Die Idee, Kleists Das Erdbeben in Chili mit den Überlegungen von bell hooks zur Liebe zu verbinden, klingt erst einmal nach einer willkürlichen Kombination – etwas durcheinander und chaotisch vielleicht, und genau das ist sie auch. Doch gerade darin liegt die Stärke. In diesem kontrollierten Chaos entstehen in Rüpings Inszenierung immer wieder kleine, große, unerwartete Momente. 

Ist das ein Erdbeben? 
Wer spricht hier? Was ist echt, was ist gespielt? Diese Fragen stellt sich das Publikum – und bekommt keine klaren Antworten. Jede Regel, die erklärt, wie Theater funktioniert, wird von der ersten Sekunde an erschüttert. Als hätte ein kleines Erdbeben die bekannte Ordnung im Volkstheater durcheinandergebracht. Man sieht Bühnenprozesse, Gespräche und Abläufe, die eher an eine Probe oder an Improvisationstheater erinnern. Man wird als Publikum immer wieder direkt adressiert, und es wird erzählt, was als Nächstes kommt. Die Schauspielenden wechseln scheinbar mühelos in Rollen hinein und wieder hinaus, springen zwischen Inszenierungs- und Erzählebenen. Was zunächst verwirrt, wird schnell angenommen. 

Und es funktioniert erstaunlich gut. Das Publikum lacht, kichert, lässt sich darauf ein. Nachdem zunächst verschiedene Erdbeben-Szenarien durchgespielt wurden, landen wir in der Geschichte nach Kleist. Wir lernen die Figuren – nicht chronologisch – kennen, die immer noch auf einer verschwommenen Grenze der Fiktion schweben. 

Ein großer Moment passiert, als das Licht ausgeht. Ein ‚Stromausfall‘. Der gesamte Theatersaal liegt plötzlich in Dunkelheit. Stück für Stück kehrt das Licht zurück – Taschenlampen erhellen die Bühne, leuchten an der Decke des Saals entlang, alle Augen folgen. Die Blicke verfolgen sie, bis sie die Discokugel an der Decke treffen. Lichtpunkte brechen sich und tanzen über das Publikum. Ein leises, kollektives Staunen hebt an – wie im Chor: „Ooh!“ 

In sanftes, buntes Licht getaucht, kehrt die Inszenierung zurück in die Geschichte, immer wieder durchbrochen von humoristischen Einschüben. Man findet sich wieder in einem eigensinnigen Theateruniversum, das sich jeder festen Form entzieht. 

What is love? Baby, don’t hurt me 
Die Erzählung verlässt Kleist – und landet bei Haddaway. „Kennt ihr Haddaway?“, wird ins Publikum gefragt. What is love? Was ist Liebe? Haben wir womöglich ein völlig falsches Bild davon? Eine ans Publikum gerichtete Reflexion beginnt, inspiriert von bell hooks: Liebe nicht als romantisches, individuelles, entmächtigendes Gefühl, sondern als aktiver Prozess, als politischer Akt, als kollektive Erfahrung. Und folgerichtig – fast absurd logisch – mündet diese Auseinandersetzung in der Erklärung Haddaways als Revolutionär und einer Performance von What is Love, inklusive Schlagzeugsolo. 

Man vermutet das Ende, doch die Inszenierung kehrt noch einmal zurück zu Kleist. Der Ton wird ruhiger, teils überraschend ernst – auch wenn sich der dramaturgische Bogen in diesem letzten Teil etwas zieht. 

Und am Ende bleibt die Frage, wie man das Gesehene am besten beschreiben kann. Eine Erzählung, die im kontrollierten Chaos, zwischen Lachen und Seitenblicken zu den Sitznachbar:innen, erstaunlich große Themen aufreißt: Liebe, Hass, Gewalt, das Miteinander. Gezielt überdreht – und dennoch in der Lage, Momente echter Reflexion zu schaffen, wenn auch auf unerwartete Weise. 

Was hängen bleibt, ist nicht der Text, nicht die Handlung, sondern vor allem der Moment kollektiver Stille, als der Blick aller gemeinsam zur Decke des verdunkelten Theatersaals wandert, dem gebrochenen Licht der Discokugel folgend. Vielleicht ist es ja genau dieses Bild, das Rüping in den Mittelpunkt rückt: Keine Theorie, keine Moral, sondern ein Moment, den man mit anderen teilt und gemeinsam erfährt. 


Eine zum Scheitern verurteilte Revolution? 
Jan Schüssler

Christopher Rüpings Stück ALL ABOUT EARTHQUAKES verbindet in seinem dreigliedrigen Aufbau Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili mit Theorien von bell hooks. Das Publikum folgt Jeronimo und Josephe, deren Liebe aufgrund von Alters- und Klassendifferenzen von Kirche und Staat verurteilt wird. Josephe soll öffentlich hingerichtet werden und Jeronimo möchte sich in seiner Gefängniszelle das Leben nehmen. In diesem Moment erschüttert ein Erdbeben Chili und ein allgemeiner Ausnahmezustand wird ausgerufen. In den Ruinen der Stadt treffen Jeronimo und Josephe auf andere Überlebende und im Schatten der Trümmer entsteht eine utopische Gesellschaft, die ohne Hierarchien und Machtverhältnissen auskommt. Hier setzt Rüping mit Bell Hooks an: Liebe als Praxis, um alternative Gesellschaftsmodelle hervorzubringen. 

Bereits in den 30ern hatten Kunstschaffende, die dem Surrealismus anhingen, die Idee, mithilfe von befreiter Liebe und Sexualität eine Revolution zu begründen. Andre Breton schrieb in seinen Manifesten des Surrealismus, dass die Liberation des Eros die konservativen hierarchischen Ordnungen dermaßen erschüttern könnte, dass ganze Systemwechsel möglich sein werden. Im Zuge der 68er-Bewegungen wurden viele dieser Ambitionen tatsächlich erreicht: Enttabuisierung der Sexualität, Monogamie und Ehe als bürgerliche Kategorien, Etablierung alternativer Lebensformen in Kommunen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für alle Geschlechter. Und während man all diese Erfolge der 68er nicht von der Hand weisen darf, ist ihr Ziel einer klassenlosen gerechteren Gesellschaft dennoch gescheitert. Stattdessen führte der Kapitalismus seinen „Signature Move“ aus und integrierte jegliche Form von Gegenbewegung in das eigene System: Pornografie, Sexarbeit und Dating Plattformen, welche dem konsumierenden Subjekt für nur 10 Euro im Monat die Revolution der Liebe versprechen. 

Das Verständnis von bell hooks der Liebe als Praxis, die sich neoliberalen Strukturen widersetzen kann, ist faszinierend. Eva Illouz schafft zwar mit ihren Ausführungen zu Gefühlen in Zeiten des Kapitalismus ein düsteres Bild, aber grundsätzlich stellen sich die beiden Intellektuellen die gleichen Fragen:  Wie bekämpft man eine Kraft, welche alles in sich aufnimmt, um daraus Kapital zu schöpfen? Wie kann Liebe aus Objekten, die nur mehr als wirtschaftliche Mittel dienen, wieder Subjekte machen? 

In seiner Inszenierung meidet Rüping, sich diesen Fragen zu stellen. Die Charaktere in ALL ABOUT EARTHQUAKES reduzieren hooks auf Parolen und integrieren eine imaginierte Kritik von außen, um sich selbst recht zu geben. Mich persönlich hat dieser sehr direkte und klamaukige Modus, Politik zu thematisieren, an das burleske Geprahle amerikanischer Populisten erinnert. Und auch im Finale greift Rüping in meinen Augen daneben: Er kehrt zurück zu Kleist und erklärt die Kirche zur größten Gefahr für Eros und Égalité.
Ein Anachronismus, wie ich finde. Schade.  


All about Josephe, Jeronimo…und Love?
Emilia Louisa Sobotzik

Erst einige Momente, nachdem ich meinen Platz einnehme, fällt mir auf, dass sich bereits einige Personen scheinbar beiläufig auf der Bühne befinden. Es ist ein großes Ensemble von 13 Schauspieler*innen, die im Rahmen von Christopher Rüpings ALL ABOUT EARTHQUAKES am Volkstheater zusammenkommen.

Nach der Demonstration verschiedener Erdbeben Nachahmungsversuche, nehmen Teile des Ensembles erkennbare Figuren an. Wir lernen Josephe und den Hauslehrer Jeronimo kennen. In seiner Novelle Das Erdbeben von Chili erzählt Kleist wenig überraschend, wie sich die junge Josephe und ihr Hauslehrer Jeronimo gegen den Willen von Josephes Vater ineinander verlieben. In ALL ABOUT EARTHQUAKES sehen wir uns hingegen mit einer schicksalhaften Age Gap Beziehung konfrontiert. Jeronimo, auch hier Hauslehrer, unterrichtet Josephes Sohn. Die sich zwischen der 65-jährigen Josephe und dem über 20 Jahre jüngeren Jeronimo entwickelnde Beziehung sorgt allerdings nicht für weniger Aufruhr als das Original. Zwischen ausgedehnten Momenten, in denen sich das Paar näherkommt, sehen sie sich mit der Empörung über ihre Verbindung konfrontiert. Auch diese Narrative und Fragen sind uns nicht neu: Finden die beiden das denn gar nicht seltsam? Wo sieht sich die 65-jährige Josephe denn in 15 Jahren und WAS, WENN JERONIMO NOCH KINDER HABEN MÖCHTE?

Die Erzählung über das Schicksal der beiden Figuren nähert und entfernt sich immer wieder von ihrer literarischen Vorlage. Während Josephe und Jeronimo ihr neugeborenes Kind in den Armen halten, erlischt jegliches Licht auf der Bühne und im Zuschauer*innenraum. Ein Stromausfall, vermutlich naheliegend nach den ganzen Erdbeben zuvor. Ausschließlich unter Taschenlampenlicht vollzieht sich in den nächsten dunklen Minuten eine Verwandlung des Bühnenraums. Das Taschenlampenlicht streift die Diskokugel an der Decke des Volkstheaters und versetzt das Publikum in hörbares Staunen. Nach und nach wird das sich bereits seit Beginn des Stückes auf der Bühne befindende unscheinbare Gerüst in eine Wand voll bunter lichtdurchlässiger Glasfenster transformiert. Zwischen Regenbogen und Kirchenglasfenster erzeugt dieser Aufbau wirklich eine besondere Atmosphäre auf der jetzt nebelumgebenen Bühne.

Von buntem Licht umgeben treffen wir an diesem Abend dann nun doch noch auf die Ideen der amerikanischen Autorin bell hooks. Mit immer wieder aufs Neue hervorgebrachten Bezügen zu Haddaways Hit What Is Love werden Schlagworte und Leitsätze aus hooks All about Love: New Visions dem Publikum präsentiert. Nach einer Erklärung zu Cathexis wird schließlich zur Frage nach der eigentlichen Bedeutung von „Liebe“ weitergegangen und bell hooks Gedanken zu einer Definition von Liebe, natürlich äußerst verkürzt, präsentiert: „Liebe ist der Wille, das eigene selbst zu erweitern, um das Wachstum eines anderen zu fördern“. Wachstum fördern, nicht kleinhalten, nicht verletzen. Natürlich alles ganz genau so, wie Haddaway es uns auch erzählt: „What is love? Oh, baby, don’t hurt me“.

Christopher Rüpings ALL ABOUT EARTHQUAKES führt Kleists Das Erdbeben von Chili mit bell hooks 1999 veröffentlichtem Buch All about Love: New Vision zusammen und überträgt aufgeworfene Fragen in die Gegenwart. Der Abend bietet atmosphärische Bilder, humorvolle Dialoge und ein überraschend ausgedehntes und beeindruckendes Schlagzeugsolo. Durch die Einbettung in Josephes und Jeronimos Geschichte sowie den ständigen Einbezug von Haddaway, kommen bell hooks Gedanken möglicherweise jedoch etwas zu kurz.


Im Schaumbad der Liebe: Theater für den Tag, als sich die guten von den schlechten Gefühlen endgültig lossagten
Johann

Wissen wir, was wir wollen? Christopher Rüpings ALL ABOUT EARTHQUAKES im Wiener Volkstheater setzt mit der Ansprache einer Figur ein, die aus einem etwa 14-köpfigen Ensemble auf der Bühne an die Rampe tritt, um mit dem Publikum über seine Erwartungen an den soeben begonnen Theaterabend zu sprechen, verblüfft über die Realität dieses Moments, den er exakt so, mit genau diesem Publikum antizipiert habe. Früher habe er diesen Moment gefürchtet, jetzt sei diese Angst aber nur mehr eine Erinnerung, die er souverän in seinem Kopf, quasi zum eigenen Amüsement, abrufen könne. Der Bühnenraum steht offen hinter ihm, mit rudimentär wirkenden technischen Gerüsten bestückt, und in seinen Worten erklingt das helle Geläut einer scheinbar bereits abgeschlossenen Bewusstwerdung, locker und unbeschwert. Die Erwartungen des Publikums, seineWünsche und Ängste vor einem Abend, der sich dem sagenumwobensten aller Gefühle – der Liebe – aus theoretischer und erzählerischer Perspektive gleichermaßen anzunehmen wagt, treffen vorerst auf ein ganz schön offenes Feld, optisch wie inhaltlich. Was kann man schon wollen oder erfragen von einem Gefühl, welches, angefangen bei Jesus von Nazareth über Woodstock bis Tinder, die Begehrens- und Machtkonstellationen des Abendlandes, sämtliche Lebensideale, Kulturtechniken und -industrien durchdringt? Welche Kunstschaffenden trauen sich heute, dem millionsten Gedicht noch einen Satz, noch eine weitere Melodie hinzuzufügen? 

Rüpings lose und entspannt die Bühne bevölkernde Truppe ist vom potentiellen Gewicht der im Raum stehenden Ambitionen ungestresst. Mit dem Flair der Peter Brook’schen Bescheidenheit des baren Schauspiels fürchten sie in ihrer unaufgeregten Präsenz keinen Mangel, schon gar nicht an sich selbst. Als titelgebende Earthquakes werden mehrere solcher historisch dokumentierter Ereignisse angesprochen, die dabei zustande kommenden Katastrophenbilder bleiben aber lediglich angerissen und angeteasert, die Bühne ein stabiles Fundament, von dem aus die Geschichte als Tagträumerei wegprojiziert wird, allzeit mit dem spielerischen Angebot, reine Vorstellung zu bleiben. Gelegentlich sich doch aufbauendes Pathos wird nach etwa jedem fünften Satz mit dem nächsten Augenzwinkern und dazwischen gestreutem Slapstick wieder gelockert. 

Im Andauern dieses demonstrativ ungreifbar gehaltenen Geplätschers wird allmählich klar, dass jeglicher Ernst wohl deshalb keiner Heraufbeschwörung bedarf, weil er hinter oder unter jenen Bildern längst verborgen liegt, welche unsere Blicke und Gemüter im Zuschauerraum gierig zu konsumieren bereit gewesen wären. Unsere eindoktrinierte und verinnerlichte Vorstellung der Liebe, so der Sucus einer sich ab der Stückmitte abzeichnenden Lecture-Performance, ist das Problem. Nun denn. Während sich zwischenzeitlich das Metallgerüst auf der Bühne zu einem das Bauhaus reminiszierenden Kathedralen-Fenster hat ausbauen lassen, haben die Spielenden eine Mission nicht aus den Augen verloren, die da scheinbar lautet, dass keine künstlich evozierte Emotionalität den Blick auf die bell hooks’sche Botschaft dieses Abends trüben soll: Das Drama einer patriarchalen, in Wirklichkeit quälenden Liebesvorstellung ist nicht bloß Nebenkonflikt großer und inniger Zuneigung, sondern dessen systematisch-pervertierte Form, Auswurf einer tiefer um sich greifenden Seuche. Die gesamte Bühnensituation schrumpft hinter dieser Geste zum fest umklammerten Megafon, mit dem sich die Gunst des gefüllten Saals für den guten Zweck ehrbar nutzen lässt. 

Der anfangs unbekümmert entstandene Erzählfaden aus Kleists Das Erdbeben in Chili wird zuletzt wieder aufgegriffen und verteidigt illustrativ die neue (und zugleich uralte) Gesellschaftsvision, in der Liebe als das sublime Produkt einer Entscheidung zum Guten und zur Vernunft in Erscheinung tritt und sich als nichts anderes verstanden wissen möchte. Wenn Haddaways „What is Love?“ mit Betonung des Nachsatzes „Baby don’t hurt me“ zur Hymne des Abends erklärt wird und die Utopie einer sich tatsächlich nur gut anfühlenden, von Überhöhung, Vereinnahmung und Wahn gereinigten Liebe kühn ausformuliert wird, zeigt das Stück den affektiven Niederschlag einer solchen Vorstellung im Handumdrehen gleich selbst: Echte Gefühlsspuren vermag der Abend wohl kaum zu hinterlassen.


Die Utopie nach dem Erdbeben bleibt doch nicht lange bestehen.
Moe Inoue 

„Jetzt machen wir ein Erdbeben … 3, 2, 1“ – ohne Glockenklang, es tost. Nun setzt eine andere simulierte Konstellation ein, dieses Mal begleitet von dem von Christopher Rüping inszenierten Stück ALL ABOUT EARTHQUAKES im Volkstheater. Nach den dreimaligen, teils lustigen, teils traurigen Erdstößen auf der Bühne, die sich jeweils auf eine tatsächliche Naturkatastrophe im 20. bzw. 21. Jahrhundert beziehen, werden die Zuschauer:innen in ein viel ernsteres und theatraleres Geschehen hineingeführt, das Heinrich von Kleist in Das Erdbeben in Chili erzählt.

Alles über das Erdbeben, das potenziell nicht nur den ganzen Boden bis in die Ferne der Erde, auf der wir stehen, sondern auch das Fundament unserer gesellschaftlichen Ordnungen und sogar unserer ungleichen Machtverhältnisse gründlich erschüttern kann. Rüping nimmt dies besonders zum Anlass, um sich mit der Frage „What is love?” auseinanderzusetzen.

So ergibt sich nach der den Bühnenboden rüttelnden (Natur-)Katastrophe das Dispositiv in der erzählten Welt im Jahr 1647. Die junge Adelstochter Josephe wird von der 65-jährigen Niederländerin Elsie de Brauw verkörpert. Sie hat einen Sohn namens Henrico, der im Originalwerk ihr Vater war und nun beim Hauslehrer Jeronimo unterrichtet wird. Den 38-jährigen Jeronimo verkörpert der deutsch-südafrikanische Schauspieler Moses Leo. Durch das komplette Umbilden der Hauptfiguren werden Stereotypen besonders lächerlich gemacht, wobei die originelle Handlung bei Kleist allerdings erhalten bleibt. Der reiche Vater von Josephe, Henrico, verhält sich nun als ihr Sohn, der gegen die neue Beziehung seiner Mutter mit seinem Hauslehrer ist. Er richtet Vorwürfe gegen die beiden, die aber keine autoritäre Wirkung haben können und somit einen entwaffneten Patriarchalismus komisch darstellen. Der Klassenunterschied, der die jüngeren Liebhaber trennt, wird in intersektionelle Fragestellungen umgeschrieben: Ob die Liebe selbst sowohl mit dem Altersunterschied als auch mit dem Unterschied der Hautfarben vollzogen werden kann. Dies bezieht sich auf den Text von bell hooks, in dem sie schreibt, dass Liebe eine Praxis ist, die versucht, das geliebte Gegenüber wachsen zu lassen. Die Liebe zwischen Jeronimo und Josephe wirkt jedoch zu jung und leicht, egal ob Josephe ein Mädchen ist oder schon über 60 Jahre alt ist. Da wirkt die Art und Weise, wie die Inszenierung einen klassischen Kanon stereotyper, unterdrückter Vorstellungen von Liebe unterhaltsam zu bezweifeln versucht, leider unernst und nicht überzeugend. Ob es sich überhaupt lohnt, beim „Liebespaar“ bell hooks zu zitieren, ist fraglich.

Die Szene im Tal, in dem Jeronimo und Josephe nach dem Erdbeben ankommen und sich wiedersehen, beschreibt Kleist wie folgt: „Und in der Tat schien, mitten in diesen grässlichen Augenblicken, in welchen alle irdischen Güter der Menschen zugrunde gingen und die ganze Natur verschüttet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst wie eine schöne Blume aufzugehen.“ In der Inszenierung hat das Tal besonders einen schönen Eindruck hinterlassen: Durch die Fenster fällt Beleuchtung in Regenbogenfarben herein. Andere Figuren werden international umbesetzt: Eine kommt aus Australien, eine andere aus Tübingen usw. In Kleist bricht die Utopie langsam zusammen und die Geschichte endet mit einem grausamen Gemetzel. Während die Liebe auf verschiedene Arten zitiert wird, wird viel erwartet. Wohin würde das Ende dieser Mischung aus bell hooks und Kleist führen? Daher muss ich sagen, dass ich vom Ende enttäuscht war, in dem die Figuren, wie in der ursprünglichen Kleist-Geschichte, letztendlich einfach sterben.