A Metamorfose Dos Pássaros

Metamorphose einer Familie
(von Johanna Gintsberger)

Der Begriff Metamorphose beschreibt je nach Disziplin und Kontext verschiedene Arten von Verwandlungen. Die Botanik spricht von der evolutionären Anpassung einer Pflanze. Die Zoologie von der Umwandlung einer Larvenform ins Erwachsenenstadium. In der Musik bezeichnet die Metamorphose die komplexe Transformation eines musischen Themas. Im Film “A Metamorfose dos Pássaros” erzählt die portugiesische Regisseurin Catarina Vasconcelos von der Verwandlung einer Familie, ausgelöst durch den Tod eines ihrer zentralen Mitglieder. Über das Sprachrohr der Natur wird eine reale Familiengeschichte auf phantastische, mystische Weise erzählt. Eine wunderschöne, nahtlose Verbindung aus Bild, Ton und Narrativ. Wie ein Traum, wie ein Mysterium lässt sich der Film erleben. Lässt mich völlig in die Welt der Familie eintauchen, täuscht beinahe ein Zugehörigkeitsgefühl zur Familie vor. Im Publikumsgespräch erfahre ich, dass bis auf eine Schauspielerin nur Familienmitglieder sich selbst und ihre Verwandten gespielt haben. Sowie die Tatsache, dass tatsächlich in ihrem alten Familienhaus gedreht wurde. Ich frage mich, ob das zur vertrauten familiären Stimmung, die sich durch den Film zieht, beigeträgt. Denn die besondere Intimität und Dynamik der Großfamilie war bereits ohne dieses Wissen stark spürbar.

Familie

Gleich zu Beginn sehen wir die Augen eines alten Mannes in einem kleinen Spiegel, gehalten von zwei jungen Händen. Seine faltigen, traurigen, müden Augen verbreiten Beklemmung und erzeugen eine erste Spannung. In der Folge findet eine Rückblende ins Leben dieses Mannes statt, und bald wird nachvollziehbar, woher seine Trauer kommt. Die Mutter, der Kern der Familie, der alle zusammengehalten hat, ist gestorben. Der ganze Film erzählt von Nähe und Entfernung. Vom Vertrauten wie vom Fremden. Der Vater ist Seemann und daher sehr selten zu Hause. Durch seine Abwesenheit nimmt er womöglich mehr Raum ein, als er es durch seine Anwesenheit könnte. Obwohl er physisch weit entfernt ist, scheint er in jedem Moment der Stille anwesend zu sein. Wie ein Geist wohnt er jedem Geburtstag und Feiertagsfest sowie anderen wichtigen Ereignissen bei. Das erzeugt ein besonderes Verhältnis zwischen Vertrauen und Fremde. Die wenigen Male, die er nach Hause kommen kann, erkennen ihn seine jüngsten Kinder nicht einmal wieder. Für sie ist er ein Fremder, obwohl ihre Mutter oft von ihm erzählt hat. Seine Kinder kennen ihn nur durch die Augen, Erzählungen und die Liebe ihrer Mutter. Bei mir löst das ein intensives Gefühl der Melancholie und Traurigkeit aus. Die Familie kämpft oft mit Ängsten, ihren Ehemann und Vater zu verlieren, da der Beruf des Vaters größere Gefahren birgt. Die Kinder haben oft Angst, ihr Vater könnte nicht zurückkommen oder haben sogar das Gefühl, er sei tot. Diese Verlustangst wird in einer kurzen Sequenz in ihrer ganzen rohen Emotionalität dargestellt. Auslöser ist der Tod eines Vogels und dessen Begräbnis. Diese Szene weckt in mir Erinnerungen an die unzähligen Haustiere, die ich mit meinen Geschwistern und Nachbarinnen begraben musste. Wenn einem als Kind der Tod so nah vor Augen geführt wird, kann das unglaubliche Verlustängste auslösen. Die Familie im Film, bestehend aus fünf Geschwistern, tröstet sich dabei immer gegenseitig und scheint untereinander stark verbunden. Die Mutter spielt eine besonders wichtige Rolle, da sie in gewisser Weise beide Elternteile übernimmt. Sie ist Mutter und Vater zugleich.

Verwandlung

Immer wieder bekomme ich eine Ahnung, dass etwas Schreckliches passieren wird. Meine Vermutung ist, dass der Vater stirbt. Doch unerwartet stirbt die Mutter. Sie hat ihre Kinder und unzähligen kleinen Pflänzchen liebevoll herangezogen. Plötzlich fehlt ihre Pflege und Liebe. Das schlägt sich auch in den Bildern nieder, die Atmosphäre wird düster. Es kehrt noch mehr Stille ein. Eine schlagartige Verwandlung vom fröhlichen, bunten in ein dunkles, trostloses Heim. Die Familie trauert um ihren Verlust, und die Verwandlung wird in Bild, Ton und Text des Filmes erfahrbar. Die folgenden Minuten sind kalt, stiller und trostloser als davor. Besonders deutlich wird das in einer Sequenz, in der uns die Regisseurin im wahrsten Sinne des Wortes einen Spiegel vorhält. Zwei Hände, und die Reflexion des Waldes in einem menschengroßen Spiegel. Versteckt, eingebettet in die Natur, sehen wir wunderschöne Bilder vom Wald. Während der Filmsichtung war für mich unverständlich, worauf sie mit dieser Konstruktion hinauswill. Ich genoss schlicht die mystische Atmosphäre und nahm das Ganze als Kunstwerk wahr. Diese Bilder haben lange in mir nachgewirkt und schlussendlich dazu geführt, dass ich meine eigene Rolle in meiner Familie reflektiert habe. Welchen Platz nehme ich ein im Urwald der eigenen Familiengeschichte? Der Film erinnert dabei unweigerlich an die eigene Sterblichkeit und Erfahrungen mit dem Tod. Wurde das Thema der Sterblichkeit anfangs noch relativ harmlos durch den Tod eines Vogels eingeführt, wird es plötzlich unfassbar nah, durch den Tod der Mutter. Kurz überkommt mich ein Anflug von Angst, die eigenen Eltern zu verlieren. Die Angst davor, nicht zu wissen, was danach kommt. Der Wald vermittelt die Stille, die einkehrt, wenn eine geliebte Person geht. Eine Stille, die negativ gedeutet werden kann, weil man die verstorbene Person, ihre Stimme und alles Drumherum vermisst. Dies kann zu einer richtigen Verzweiflung führen, wenn einem die eigene Handlungsunmöglichkeit bewusst wird und die Natur als vis maior unbeherrschbar wird. Die Stille des Waldes, das Rauschen der Blätter im Wind, das kann auch neutrale oder sogar positive Gefühle auslösen. Denn der Wald strahlt auch eine gewisse Ruhe und Erdung aus. Nicht ohne Grund gibt es das Sprichwort: In der Ruhe liegt die Kraft. Diese Ruhe und Erdung, die auf solche Weise nur im Wald erfahrbar ist, gibt die Kraft, Schicksalsschläge zu akzeptieren, so wie sie kommen.

Natur

Die Farben, die Ästhetik und die Atmosphäre des Filmes sind mir sehr stark in Erinnerung geblieben, obwohl ich den Film nur ein einziges Mal im Zuge der Viennale 2020 gesehen habe. Vom Ton ist nicht so viel geblieben, da die Bilder so stark waren. Klassische Klavier- und Streichermusik untermalt die Bilder kunstvoll. Zentral war die Erzählstimme des Voice- Overs, die literarische Texte sprach, die gleich mit Bild und Hintergrundmusik verschmolzen. Besonders spannend waren allerdings Originalaufnahmen der Stimmen der Mutter und ihrer Kinder. Auf Wunsch der Mutter haben sie Glückwünsche und Liebesbekundungen auf eine Schallplatte aufgenommen und dem Vater geschickt. Damit dieser wenigstens einmal die Stimmen seiner schnell wachsenden Kinder hört. Ein liebevolles Geschenk, damit er die Chance hat, seine Kinder besser kennenzulernen und weniger einsam zu sein. Immer wieder werden die Bilder vom Klavierspiel einer Tochter begleitet. Mal hört man auch Lacher oder das Murmeln der Familienmitglieder. Bei einem Geburtstagsfest hört man sie gemeinsam singen und lachen. Erneut ein Stilmittel, um sich besser mit der Familie identifizieren zu können. Ich traue mich zu behaupten, dass das Lied „Happy Birthday“ bei jedem persönliche Erinnerungen und ein Gefühl der Vertrautheit weckt. Da macht es keinen Unterschied, das Lied auf Portugiesisch zu hören.

Doch zentral bleibt die Sprache der Bilder. Die Sprache der Natur, die sich in den wechselnden Jahreszeiten zeigt. In den Früchten im Sommer, den fallenden Blättern im Herbst, dem Schnee im Winter und den sprießenden Blüten im Frühling. Das Erwachen, Erblühen wird im wahrsten Sinn durch sich öffnende Blüten untermalt. Im Zeitraffer öffnen sich weiße, rosa, rote Rosen und andere Blüten in Sekundenschnelle. Das Spektakel ließe sich minutenlang beobachten. Die Schönheit der Natur bringt einen durch den Film hindurch immer wieder zum Staunen. Am Ende sieht man das ehemalige wildbelebte Haus der Familie, wie es von der Natur zurückerobert wurde. Wie in einem Dschungel ranken sich Pflanzen in der Küche, im Stiegenhaus und im Wohnzimmer durch die Räume bis zur Decke, hin zum Licht der Fenster. Die Saat, die von der Mutter gesät wurde, hat sich über die Jahre hinweg in wildlebende, riesige Pflanzen verwandelt. Sie leben und blühen in Hülle und Fülle weiter, auch lange nach ihrem Tod. Der Film zeigt hier metaphorisch eine Antwort auf die Frage, was bleibt, wenn eine geliebte Person von uns geht. Es bleibt die von ihr gesäte Liebe, in welcher Form auch immer, als Pflanze, Baum, Erinnerung. Aus einem Saatkorn wird ein kleines Pflänzchen, und daraus erwachst wiederum etwas viel größeres. Ein Baum, ein Wald. Ein Meer aus Bäumen. In Erinnerung bleibt ein Meer aus liebevollen Worten, Gesten, Erlebnissen.

Der Film hinterlässt ein malerisches Gefühl. Ein Gefühl, das mich überkommt, während ich in einen herbstlichen Sonnenuntergang blicke, dessen Farbkomposition von lachsrosa bis ultraviolett reicht. Auch der Film zeichnet sich durch seine wundervollen Farb- und Bildkompositionen aus. Er zeigt auf, wie Mensch und Natur auf wundervolle Weise eine Symbiose eingehen können.