Theater als Schau-und Hörort

Essay – Marissa Hübel

In ihrer rudimentären Definition von Theater schreibt die deutsche Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, dass „Theater reduziert auf seine minimalen Voraussetzungen, […] einer Person A, welche X verkörpert, [bedarf,] während S zuschaut.“Dass Theater eine stark visuell basierte Kunstform ist, bedarf meines Erachtens keiner weiteren Ausführung. Was jedoch angesichts dieser Festschreibung zu erwähnen wäre, ist, dass es hier zu einer Verunsichtbarung einer absolut essenziellen Komponente von Theater als Kunstform und als Lokalität kommt. Denn Theater ist nicht nur ein Schau-Ort, sondern dessen Geschichte war immer schon eng mit akustischen Praktiken verknüpft, weshalb man Theater auch als „HörOrt“ erfassen muss. So betrifft zum Beispiel die Schauspielkunst, welche sich an diesem Ort vollzieht, nicht nur den Sehsinn, sondern auch den Hörsinn, welcher daher maßgeblich an der Ausschöpfung der im Theater möglichen sinnlichen Erfahrungen beteiligt ist. Zudem gewinnt das ‚Hör-Potenzial‘ im Theater immer mehr Ebenen hinzu, da sich die Möglichkeiten eine Inszenierung tontechnisch zu unterstützen zunehmend, parallel zu Softwares wie Cubase3 oder StudioOne4 und entsprechenden technisch-apparativen Equipments stetig weiterentwickeln. Im Zuge des folgenden Essays soll daher die Bedeutung von Theater als HörOrt ergründet und somit eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob Erika Fischer-Lichtes grundlegende Definition einer Anpassung unterzogen werden sollte. Zur Formulierung einer fundierten These möchte ich drei Ebenen betrachten, die grundlegend mit dem Theater als HörOrt verknüpft sind. Beginnen werde ich zunächst mit der Theaterarchitektur, danach komme ich zu der Vielzahl an Berufsbildern und Tätigkeiten, welche im Theater mit der Ermöglichung diverser akustischer Wahrnehmungen beauftragt sind. Zu guter Letzt möchte ich mich noch der Stimme und hier vor allem der mikrophonierten Stimme im Theater widmen.

In ihrem Buch Sounds that matter5 schreibt Katharina Rost, dass die im Theater ver- nehmbaren Lautlichkeiten sowohl früher wie auch heute von den gegebenen Bedingungen der konkreten Theaterräume, den Bauten aber auch den, für Aufführungen vorgesehenen Innenräumen, abhängen würden. In einem Theater seien demnach diverse raumakustische Parameter am Werke, welche die Hörerfahrungen, die im jeweiligen, spezifischen Theaterraum gemacht werden können, erzeugen und formen. Zu diesen Parametern würden, so Rost, folgende Dinge zählen: die Raumgröße und – form, die Anzahl und Art von Rängen oder Logen, die Materialität der Wände und ob diese gerade, konkav oder konvex ausgestaltet seien, ähnliches gilt für den Boden und die Decke. Des Weiteren würden Öffnungen, Nischen, Säulen, Sitze, Kronleuchter und die Elemente des möglicherweise vorhandenen Bühnenbilds starken Einfluss auf die Akustik ausüben.6 Im Regelfall werden all diese Elemente so gewählt, dass eine optimale Hörerfahrung für den Großteil des Publikums gewährleistet werden kann. Dar- über hinaus ließe sich theaterhistoriografisch beziehungsweise durch die Analyse von noch erhaltenen „historischen Theaterhäusern und -anlagen“7 feststellen, dass es immer schon „mehr oder weniger latente Strategien, Konventionen und Konzepte der Beeinflussung von Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsprozessen“8 gab. Bei der Gestaltung des Bühnen- wie aber auch des  Zuschauer*innenraums, und deren Verhältnis zueinander, kommen demnach schon immer sowohl visuelle Variablen hinsichtlich der Sichtlinien wie aber auch akustische Parameter, welche die Hörbarkeit und Verständlichkeit beeinflussen, zum Tragen.

Doch es gilt nicht nur bei der Innengestaltung bestimmte Entscheidungen zu treffen, die es dem HörOrt Theater erlauben, sein akustisches Potenzial auszuschöpfen. Auch die Wahl der geometrischen Form, welche den Grundriss des Theaterbaus maßgeblich kennzeichnet, ist von Relevanz und somit ein Basiselement für eben jene, später vollständig realisierten Hör-Möglichkeiten. Im Kreis beziehungsweise der Sphäre sowie im Rechteck beziehungsweise im Quader würden, so Rost, diejenigen Grundlagen baulicher Konzeptionen verortet seien, welche zu einer je anderen, für Sprache für Musik optimalen Akustik führen.9

Während viele Theater einen rund-konzipierten Publikumsbereich, ähnlich dem antiken theatron10, aufweisen, sind viele Konzertsäle und -hallen durch einen rechteckig geformten Zuschauer*innenbereich gekennzeichnet. Begründet liegt dies in der Tatsache, dass die rundliche Form sehr gute Bedingungen für die Rezeption von Sprechtheater schafft, wohingegen der eckige Grundriss bessere Voraussetzungen für die akustische Verbreitung der musikalischen Darbietung im Innenraum bietet. Selbst die Formung der Wände wird beim Errichten eines Theaters berücksichtigt, denn „konkav gebeugte Wände“11 bewirken eine „Bündelung der Schallwellen“12, während „konvexe Flächen eine diffuse Verteilung des Schalls im Raum“13 zur Folge haben.

All diese architektonischen Entscheidungen müssen zwar heute immer noch bei der Neuerrichtung eines Theaters Eingang in die Konzeption finden, dennoch waren diese historisch gesehen von größerer Relevanz. Denn seit den 1990er Jahren ergeben sich zunehmend Möglichkeiten, die bestehenden Räume akustisch umzuformen beziehungsweise zu überformen, mittels der Anwendung von Surround- und Binauraler-Audiotechnologie, also tontechnischem Equipment, welches in seinem Funktionsprinzip auf das Hören mit beiden Ohren ausgerichtet ist.14 So wurde es im Theater, ähnlich wie im Film möglich, auf digitalem Wege Soundscapes, Ambiences oder andere drei-dimensional-konzipierte, auditive Räume zu erschaffen.15 In Folge des Aufkommens dieser technologischen Möglichkeiten entstand dann der Bedarf an Spezialist*innen, welche die einzelnen Tätigkeiten in dem nun sehr breiten Feld der erzeugbaren Hörerfahrungen übernehmen. So kam es zu einer Ausdifferenzierung der Ton-bezogenen Berufsbilder, welche im Zuge einer Theaterproduktion erforderlich sind.

Damit komme ich nun schon zum nächsten Abschnitt meines Essays, in welchem ich die dem Theater eingeschriebene Bedeutung als HörOrt anhand der heutzutage großen Anzahl an Jobs, welche sich mit dem akustisch-theatralen Erlebnis befassen, erläutern möchte. In Sound and Music for the Theatre. The Art & Technique of Design16 erläutern Deena Kaye und James Lebrecht, welche häufig eher unbekannten Positionen mit der Geräusch-, Ton- und Stimm-Hervorbringung im Theater beschäftigt sind. In der Welt des Sprech- und Musiktheaters gibt es heute zumeist einen „sound desig- ner“17, einen „recording engineer, […] sound supervisor, […] audio master, […] sound technician, production sound mixer, or a sound operator“.18 Jede dieser Positionen leistet einen Beitrag zur Erschaffung des akustischen Erlebnis Theater, wobei abhängig von der Größe und finanziellen Situation des jeweiligen Theaters manche dieser Funktionen auch in einer Person zusammenfallen können. Der recording engineer, so Kaye und Lebrecht, sei für die Betreuung von Aufnahme-Sessions zuständig und helfe möglicherweise bei der Herstellung der Effekte und Musik-„[C]ues“19 mit. Der sound supervisor oder auch der audio master beaufsichtige das Tagesgeschäft der Tonabteilung des jeweiligen Theaters. Als sound engineer oder „A1“20 bezeichne man häufig die*den Mitarbeiter*in, welche dem sound supervisor direkt unterstellt sei und daher unmittelbar die von diesen kommenden Anweisungen umsetze. Ein sound technician, manchmal auch als „A2“21 bezeichnet, sei jenes Crew-Mitglied, welches für den Aufbau und die Installation des tontechnischen Equipments zuständig sei und bei Vorstellungen dann als sound operator tätig würde, sich also um die Zuspielungen, Mischung, Betreuung der „Mikroport“22-Kanäle, etc kümmere.23

All diese Mitarbeiter*innen in einem Theaterbetrieb, welchen die soeben beschriebene Positionen bekleiden, sind an der Implementierung der Leistungen der*s für die Inszenierung beauftragte*n Sound-Designers*in beteiligt.24 Die Addition der Person beziehungsweise Funktion einer*s Sound-Designer*ins repräsentiert meines Erachtens sehr anschaulich, wie die akustische Dimension im Theater immer differenzierter wird und zunehmend ihren Platz im Gefüge zwischen Schau- und HörOrt einfordert. Doch was versteht man eigentlich unter Sounddesign im Theater? Kaye und Lebrecht brechen dies auf eine sehr simple Definition herunter, indem sie schreiben, dass „sound design“25 der kreative und technische Prozess sei, welcher die gesamte aurale Ausgestaltung von Live-Theater zum Resultat habe. Es ist somit die Aufgabe eines*r Sounddesigner*in, alle künstlerischen Entscheidungen zu treffen, welche die Basis für die aurale beziehungsweise akustische Atmosphäre der gesamten Produktion legen.26 Das Handbuch Sound27, bezieht sich zwar in seinen Ausführungen auf den Film, dennoch sind diese großteils auf das Theater übertragbar. Jörg U. Lensing definiert in seinem Eintrag „Sounddesign“ im Handbuch, „Tongestaltung“ als „die kreative Arbeit mit Tönen, Klängen und Geräuschen.“29 Dieser Prozess vollziehe sich in einem Rahmen, welcher vor allem von dramaturgischen Anforderungen bestimmt sei und idealerweise zur Eröffnung einer zweiten Metaebene zur filmischen beziehungsweise in meinem Falle der theatralen Erzählung führt. Prinzipiell unterscheide man im Rahmen der Tongestaltung die Ebenen Sprache, Geräusch und Musik.30 Während das Element Sprache im Theater Abend für Abend live neu entsteht und nur gewisse Vorbereitung wie eine grundlegende Mischung der Stimmen, im Sinne des Lautstärkenverhältnisses, vorprogrammiert werden kann und hier täglich minimale Anpassungen an die Tagesverfassung der Darsteller*innen vorgenommen werden, erarbeitet man Geräusch- und Musik-Ele- mente zur Gänze im Probenprozess, welche dann ab der Premiere ein immer identisch wiedergegebener Teil der Vorstellung sind. Diese als Zuspielungen bezeichneten akustischen Elemente können entweder mittels „Field Recording“31 eigens für die In-szenierung aufgenommen werden oder man bezieht sie aus bereits vorhandenen „Sound Libraries“32, wo gewisse Klänge von anderen Nutzer*innen zur Verfügung ge-stellt und gespeichert werden.

Die Geräuschebene sowohl im Film wie auch im Theater ist „seit der technischen Entwicklung der Tontechnik hin zu immer rauschfreieren und hochauflösenderen Aufnahmen vielschichtig geworden“33. Obwohl es nun so klingen mag, als ob Sounddesign und die daraus hervorgehende, zusätzliche akustische Ebene ein Phänomen des späten 20. beziehungsweise frühen 21. Jahrhundert sei, hat dies ganz im Gegenteil eine weit zurückreichende Geschichte. Die frühen Formen von Theater wie Begräbnisse, Ernterituale und Frühlingsriten im Stammes-Kontext waren bereits von Trommel-Spiel begleitet. Theaterpraktiken zur Bronzezeit in China und Indien verwendeten meist anstelle von Requisiten oder Bühnenbildern Musik und andere Klänge um die visuelle Darstellung zu unterstützen. In der Commedia dell’arte wurde Musik nicht nur großzügig zur Ausgestaltung der Bühnenhandlung verwendet, sondern es gab eigene Musikvorführungen vor und nach dem jeweiligen Stück. Zudem wurden hier bereits erste Sound-Effekte künstlich hergestellt und zweckgebunden in der Inszenierung eingesetzt. Der bekannteste darunter war der sogenannte „slap-stick“34, worunter man das geräuschliche Resultat von, als Schlaghölzer bezeichneten, hölzernen Instrumenten verstand, welche eingesetzt wurden, um ein zusätzliches und somit gut hörbares Geräusch zu produzieren, mit der Absicht den farcehaften Charakter einer Schlägerei zu unterstreichen. Im elisabethanischen Theater kamen dann häufig „offstage sounds“35 zum Einsatz. Einige Geräusche, die abseits der Bühne zur Unterstützung der gezeigten Inhalte erzeugt wurden, waren Glocken läuten, Donnergrollen, das Trampeln von Pferden oder die Geräusche von Wölfen, Hähnen, Grillen oder Eulen. Zur Erzeugung dieser Sound-Effekte wurden sowohl technische Vorrichtungen wie die „thunder runs“36 eingesetzt, worunter man hölzerne oder eiserne Rollbahnen mit kleinen Stufen versteht über welche Kanonenkugeln bewegt wurden, um zum Beispiel die akustischen Eindrücke eines Unwetters nachzustellen, aber auch talentierte, menschliche Imitatoren kamen zum Einsatz, um unter anderem Tier- und hier vor allem Vogel- Rufe zum intendierten Zeitpunkt für die Inszenierung verfügbar zu machen.37

Wie wir sehen, hat Sounddesign im Theater sowohl eine lange Geschichte als auch ist das künstliche Ergänzen von Geräuschen seit vielen Jahrhunderten ein essenzieller Bestandteil der Kunstform und deren Wahrnehmung. Zudem gewinnt Sounddesign durch die technologischen Entwicklungen am Feld der Tontechnik stets an neuen Potenzialen hinzu, welche in modernen Theaterproduktionen nicht ungenutzt bleiben. Die extensive Beschäftigung  mit  den  stets  wachsenden  Möglichkeiten  eine Theatervorstellung akustisch zu unterstützen, streicht meines Erachtens die Bedeutung von Theater als HörOrt sehr illustrativ hervor.

„Natürlich künstlich. Über die Stimme im Medienzeitalter“38 heißt der Text in welchem Doris Kolesch sich unter anderem mit der Stimme im Theater befasst und hierbei schreibt, dass „komplementär zur Ausstellung der Physis der Stimme […] im Gegenwartstheater auch die vermeintlich entkörperlichte, technisierte Stimme omnipräsent [ist].“39 Die Bühne des Theaters und der Performance-Kunst seien, so schreibt die Autorin des Weiteren, Spielfelder der technischen Bearbeitung, Erzeugung und Re-Produktion von Stimmen durch Mikroports und Mikrophone, durch Lautsprecher, Vocoder etc.40 Diese Zitate sprechen eine weitere wichtige Dimension an, welche den HörOrt Theater maßgeblich charakterisiert. Die Stimme der menschlichen Akteur*innen ist ebenfalls von zentraler Bedeutung für die akustische Erfahrung von Theater und daher möchte ich mich nun im letzten Abschnitt meines Essays dieser noch etwas genauer widmen. Vorneweg ist es mir jedoch noch ein Anliegen zu verdeutlichen, dass ich durch meinen Fokus auf die mikrophonierte Stimme auf keinen Fall die Bedeutung der „authentischen Sprecherstimme“41, vor allem auch im historischen Kontext der Schauspielkunst verkennen möchte. Dennoch scheint mir eine Fokussierung auf die technischen Möglichkeiten zur Arbeit mit Stimme im modernen, Technik-gestützten Theater in einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik im 21. Jahrhundert unumgänglich.

Heutzutage wird im Theater die Stimme der Darsteller*innen zumeist durch technische Hilfsmittel amplifiziert. Die Wahrnehmung dieser verstärkten Stimme hängt von diversen Faktoren ab, wobei einer der ausschlaggebendsten der Mikrophon-Typus ist. Wird ein empfindliches Raummikrophon eingesetzt, so befinden sich Stimme und Bewegungsgeräusch auf der gleichen Ebene an akustischer Differenziertheit und das Sprechen wird Teil der Geräuschkulisse auf der Bühne. Der durch Hand- oder Standmikrophone erzeugte Klang hängt sowohl von der materiellen Beschaffenheit, sprich den spezifischen Klangcharakteristika des Mikrophons ab, aber auch von der Distanz zwischen Mund und Mikrophon. Wird jedoch ein Mikroport eingesetzt, so ergeben sich daraus zwei interessante Effekte in Sachen Stimmabnahme. Zum einen ist der Abstand zwischen Mund und Mikrophon immer der gleiche, was ein hohes Maß an Konstanz gewährleistet. Zum anderen, und dies ist ein entscheidender Punkt in Sachen Stimm-Mikrophonierung im Theater, klingt diese „recht klar und nah“.42 Mikroports gestatten den Darsteller*innen folglich „von jedem Platz auf der Bühne gehört […] und in jeglicher Hinsicht verstanden zu werden“.43 „Der Klang der Mikrophon- Stimme wird also beeinflusst durch die Art des Mikrophons, den Abstand zum Mikrophon und grundsätzlich durch den Stimmgestus des Sprechers selbst.“44 

Die Art und Anordnung von Lautsprechern ist ebenfalls eine Variable, die es bei der Gestaltung der akustischen Erfahrung der Theater-Stimmen beziehungsweise des HörOrt Theaters zu beachten gilt. Wird die mikrophonierte Stimme lediglich zweikanalig und frontal zum Publikum ausgestrahlt, so sind die Möglichkeiten zur räumlichen Verteilung des von der Bühne abgenommenen, akustischen Inhalts beschränkt. In diesem Fall kommt es zu einer anderen Art der Wahrnehmung seitens des Publikums, als wenn man als Rezipient*in im Saal von Lautsprechern umringt ist und diese technischen Möglichkeiten auch von fachlich begabten Sounddesigner*innen und Tontechniker*innen genutzt werden. Durch eine elaborierte Verteilung der mikrophonisch abgenommenen Stimme im Raum kann entweder eine extrem natürliche Perzeption gewährleistet werden oder selbiges im Sinne einer subversiven Strategie eingesetzt werden, um jene als unartifiziell empfundene Wahrnehmung zu unterbinden.46 Bei dem bis vor kurzem im Ronacher- Theater präsentierten Disney Musical Der Glöckner von Notre Dame47 wurden die technischen Möglichkeiten für den ersteren der beiden Zwecke eingesetzt. In jener Musiktheater-Produktion kam es zum Einsatz eines „Richtungs-Hörsystem,“48 bei welchem jedem*r Darsteller*in ein sogenannter „Tag“49 zugeordnet ist, welcher wie ein GPS-Ortungssystem deren Bewegungen auf der Bühne nachvollzieht und somit bei Positionsveränderungen auch die Stimme über die diversen Lautsprecher anhand deren Positionierung im Raum, Richtungsmischen und Zeitverzögerungen entsprechend mitbewegt. So kann die Stimme der Darsteller*innen sehr natürlich über die Bühne verteilt werden, wodurch für die Rezipient*innen eine ebenso authentische Hörerfahrung entsteht.50

Es lässt sich also festhalten, dass auch die Stimme der Darsteller*innen, welche heutzutage zumeist mittels Mikrophonierung und künstlicher Verstärkung an das Ohr der Rezipient*innen dringt, in der Auseinandersetzung mit dem HörOrt Theater nicht unbeachtet bleiben darf, da diese grundlegend die Art der akustischen Erfahrung, welche im Zuge eines Theaterabends gemacht wird, mitbestimmt beziehungsweise prägt.

Resümierend kann also gesagt werden, dass dem Hören beziehungsweise der Hörerfahrung im Theater ein nicht unverkennbares Maß an Signifikanz zukommt. Dies macht sich zum Beispiel in der Theaterarchitektur bemerkbar, wo man nicht nur die visuelle Erfahrung berücksichtigt, sondern auch akustische Parameter Eingang in die bauliche Konzeption und Realisierung dieser Örtlichkeit finden. Auch die Stimme, welche in der Schauspielkunst schon immer von großer Bedeutung war, wird durch technische Entwicklungen zunehmend unterstützt und einem gestalterischen Prozess unterzogen, um das akustische Mitverfolgen der auf der Bühne gezeigten Handlung noch interessanter und vielschichtiger zu gestalten. Doch nicht nur in einem architektonischen und künstlerisch-gestalterischen Sinne spielt die akustische Ebene von Theater eine entscheidende Rolle, sondern auch bei der Betrachtung des Theaters als Arbeits- platz gibt es diverse Tonbezogene Berufsfelder, welche die Signifikanz von Akustik und Hören im Theater erkennbar machen.

Rückgreifend auf die eingangs erwähnte, kompakte Theater-Definition von Erika Fischer-Lichte muss man zwar zurecht anmerken, dass sie hierbei Theater beziehungs- weise Schauspiel auf seine absolut unerlässlichen Bestandteile zu reduzieren versucht und Theater sich selbstverständlich auch pantomimisch vollziehen lässt, was wiederum die tontechnische Ausgestaltung von Inszenierung jenes absolute Mindestmaß übersteigen lässt. Dennoch scheint mir mit den oberhalb ausgeführten Aspekten der Beweis erbracht, dass Theater, früher wie heute, eine intrinsische, enge Verknüpfung mit Geräuschen, Musik, Ton und Akustik aufweist. Aufgrund dieser tiefgreifenden Verbundenheit ist es meines Erachtens unerlässlich, diesen Gesichtspunkt in der grundlegenden Definition von Theater ebenfalls zu repräsentieren. Daher, so meine These, wäre für eine additive Erweiterung von Erika Fischer-Lichtes Definition zu plädieren, wobei diese genauso minimalistisch wie die Festschreibung selbst ausfallen kann und sollte. Die simple Ergänzung eines einzelnen, jedoch sehr essenziellen Wortes würde den zuvor beschriebenen Mangel bereits beseitigen. Aus diesem Grund möchte ich für die Inklusion und Repräsentation des Verständnisses von Theater als HörOrt in selbst den grundlegendsten Erläuterungen eintreten und würde die Definition wie folgt ergänzend formulieren: „Theater, reduziert auf seine minimalen Voraussetzungen, bedarf also einer Person A, welche X verkörpert, während S zuschaut [und zuhört, Anm.].“51

1 Erika Fischer-Lichte, „Die Zeichensprache des Theaters. Zum Problem theatralischer Bedeutungsgenerierung.“, Theaterwissenschaft heute: Eine Einführung, hg. v. Renate Möhrmann, Berlin: Reimer, 1990, S. 237
3 Steinberg, Cubase, https://www.steinberg.net/de/cubase/, 25.06.2023.
4 PreSonus, StudioOne 6, https://www.presonus.com/de/studio-one.html?rdl=true, 25.06.2023.
5 Katharina Rost, Sounds that matter. Dynamiken des Hörens in Theater und Performance, Bielefeld: transcript Verlag 2017.
6 Vgl. a.a.O., 79f.
7 a.a.O., S. 80.
8 Ebd.
9 Vgl. a.a.o., S. 82f.
10 Vgl. Wikipedia, Wikipedia Theater der griechischen Antike, https://de.wikipedia.org/wiki/Thea-ter_der_griechischen_Antike, 25.06.2023.
11 Rost, Sounds that matter, S. 83.
12 Ebd.
13 Ebd.
14 Vgl. Steven H. Colburn, “The Technology of Binaural Understanding.”, The Journal of the Acoustical Society of America 150/6, 2021, S. 4438.
15 Vgl. Rost, Sounds that matter, S.79.
16 Deena Kaye, James Lebrecht, Sound and music for the theater. the art and technique of design, New York: Routledge4 2016.
17 a.a.O., S. 1.
18 Ebd.
19 a.a.O., S. 2.
20 Ebd.
21 Ebd.
22 Vito Pinto, Stimmen auf der Spur. Zur technischen Realisierung der Stimme in Theater, Hörspiel und Film, Bielefeld: transcript Verlag 2014, S. 28
23 Vgl. Kaye, Lebrecht, Sound and music for the theater. the art and technique of design, S. 2.
24 Vgl. Ebd.
25 a.a.O., S. 1.
26 Vgl. a.a.O., S. 1f.
27 Daniel Morat / Hansjakob Ziemer (Hg.), Handbuch Sound. Geschichte – Begriffe – Ansätze, Stuttgart: J.B. Metzler 2018.
28 Jörg U. Lensing, „Sounddesign“, Handbuch Sound, hg. v. Daniel Morat/Hansjakob Ziemer, Stuttgart: J.B. Metzler 2018, S. 85.
29 Ebd.
30 Vgl. Ebd.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 Ebd.
34 Kaye, Lebrecht, Sound and music for the theater. the art and technique of design, S. 4.
35 Ebd.
36 a.a.O., S. 5.
37 Vgl. a.a.O., S. 3f
38 Doris Kolesch, “Natürlich künstlich. Über die Stimme im Medienzeitalter“, Kunst-Stimmen, hg. v. Jenny Schrödl/Doris Kolesch, Berlin: Theater der Zeit 2004, S. 19-38.
39 Kolesch, “Natürlich künstlich. Über die Stimme im Medienzeitalter“, S. 25.
40 Vgl. Ebd.
41 Pinto, Stimmen auf der Spur, S. 27.
42 Vgl Stimmen auf der Spur 27f.
43 a.a.O., S. 23.
44 a.a.O., S. 28.
45 Vgl. a.a.O., S. 27f.
47 Disney Der Glöckner von Notre Dame, R.: Scott Schwartz, Wien (Ronacher Theater), 2022/2023.
48 Instagram, musicalviennavbw Reel 07.06.2023: Im Gespräch mit Philipp Böhmberger (Leitung TON Ronacher), https://www.instagram.com/p/CtMmAxBopod/, 25.06.2023.
49 Ebd.
50 Vgl. Instagram, musicalviennavbw Reel 07.06.2023, 25.06.2023.
51 E. Fischer-Lichte, „Die Zeichensprache des Theaters“. S.237

Literaturverzeichnis

Colburn, Steven H., “The Technology of Binaural Understanding.”, The Journal of the Acoustical Society of America 150/6, 2021, S. 4438-4439.

Fischer-Lichte, Erika, „Die Zeichensprache des Theaters. Zum Problem theatralischer Bedeutungsgenerierung.“, Theaterwissenschaft heute: Eine Einführung, hg. v. Renate Möhrmann, Berlin: Reimer, 1990, S. 233-259.

Kaye, Deena, Lebrecht, James, Sound and music for the theater. the art and technique of design, New York: Routledge4 2016.

Kolesch, Doris, “Natürlich künstlich. Über die Stimme im Medienzeitalter“, Kunst-Stimmen, hg. v. Jenny Schrödl/Doris Kolesch, Berlin: Theater der Zeit 2004, S. 19- 38.

Lensing, Jörg U., „Sounddesign“, Handbuch Sound. Geschichte – Begriffe – Ansätze, hg. v. Daniel Morat/Hansjakob Ziemer, Stuttgart: J.B. Metzler 2018, S. 85-88.

Pinto, Vito, Stimmen auf der Spur. Zur technischen Realisierung der Stimme in Theater, Hörspiel und Film, Bielefeld: transcript Verlag 2014.

Rost, Katharina, Sounds that matter. Dynamiken des Hörens in Theater und Performance, Bielefeld: transcript Verlag 2017.

Medienverzeichnis

Disney Der Glöckner von Notre Dame, R.: Scott Schwartz, Wien (Ronacher Theater), 2022/2023.

Instagram, musicalviennavbw Reel 07.06.2023: Im Gespräch mit Philipp Böhmberger (Leitung TON Ronacher), https://www.instagram.com/p/CtMmAxBopod/, 25.06.2023.

PreSonus, StudioOne 6, https://www.presonus.com/de/studio-one.html?rdl=true, 25.06.2023.

Steinberg, Cubase, https://www.steinberg.net/de/cubase/, 25.06.2023.

Wikipedia, Wikipedia Theater der griechischen Antike, https://de.wikipedia.org/wiki/Theater_der_griechischen_Antike, 25.06.2023.