Erzählung mittels Bekleidung in Hester Street (1975) und Crossing Delancey (1988)
von Chiara Seidemann
1. Einführung
Joan Micklin Silver erarbeitete sich ihre Karriere als Kinofilm-Regisseurin in den 1970er und 80er Jahren, als zwei relevante Umbrüche stattfanden. Zum einen befand sich das Hollywood-Kino in einer Krise, welcher es mit einer Neuausrichtung opulenter Inszenierungen entgegenzuwirken versuchte. Zum anderen waren weibliche Regisseurinnen in diesem Zeitraum deutlich eine Minderheit; gerade einmal 16 (ausschließlich weiße) weibliche Regisseurinnen hatten einen Spielfilm realisieren können.1 Die zwei Filme von Silver, von denen dieser Aufsatz handelt, Hester Street (1975) & Crossing Delancey (1988), weisen eine thematisch ähnliche Struktur auf. Hester Street ist der erste Langspielfilm, welchen sie in Regieposition realisierte. Crossing Delancey ist der bereits vierte Kinolangfilm mit Silver als Regisseurin. Gemeinsam haben die Filme die Adaption einer jeweiligen schriftlichen Vorlage, den Fokus auf eine Entwicklung der weiblichen Hauptfigur und die lokale Verortung in New York mit den thematischen Bezügen zu Immigrationsgeschichte und multiethnischer Kultur. Für dieses Essay soll der Fokus darauf liegen, sich diesen Verbindungen anzunähern, sowie anhand der beiden Filme Überlegungen anzuregen, inwiefern sich hier eine Erarbeitung des Regieberufs als Frau im Hollywood-Kino kennzeichnen lässt. Hierbei erfährt der Fokus eine Eingrenzung auf visuelle Mittel, spezifisch die Kostüme. Die resultierenden Ergebnisse lassen dabei nicht nur einen Einblick in den Verlauf des Wirkens von Joan Micklin Silver erkennen, sondern geben eine Deutung des Möglichkeitsraums für ihre Position als weibliche Regisseurin in der amerikanischen Filmproduktion innerhalb des Zeitraumes der Produktion beider Filme. Somit lässt sich fernab der exemplarischen Analyse ein Bogen zur binär-männlich dominierten Filmproduktion und Silvers Entwicklung darin gestalten.
2. Hester Street (1975)
Mit einem Budget von 400.000 US-Dollar entstand 1975 Silvers Langfilm-Debüt Hester Street. Finanziert und produziert wurde dieser Film mithilfe ihres Mannes Raphael D. Silver.2 Hester Street ist eine Adaption der Kurzgeschichte Yekl (1896) von Abraham Cahan und befasst sich mit der Thematik von jüdischer Einwanderung nach New York. Diese Thematik findet sich auch in Silvers eigener familiärer Geschichte wieder, da ihre Eltern russisch-jüdischer Abstammung als Kinder selbst nach Amerika immigriert waren.3 Hester Street behandelt die Lebensumstände beider Hauptfiguren Gitl (Carol Kane) und Yankel/Jake (Steven Keats) im sozialen, beruflichen und religiösen Kontext. Beide gelangen zu unterschiedlichen Zeiten nach New York Citys Lower East Side und müssen sich mit ihren sozialisierten Identitäten und ihren religiös-kulturellen Hintergründen miteinander arrangieren. Der Film endet mit einer Scheidung beider Protagonist*innen aufgrund gegenseitiger Entfremdung und einer feministischen Emanzipation Gitls. Der Film wurde in Schwarz-Weiß gefilmt um sich der Handlungszeit des späten 19. Jahrhunderts visuell anzunähern.4 Auch wenn die Veröffentlichung des Spielfilms in amerikanischen Kinos nur schwer realisiert werden konnte, erlangt die Öffentlichkeitskampagne einen Erfolg, welcher hinreicht zu einer Oscarnominierung der Schauspielerin Carol Kane.5 Das benannte Budget verteilte sich vorwiegend auf die Kosten für das Szenenbild und die Kostüme des Filmes.6 Die Kostüme lassen sich simplifiziert in zwei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie demonstriert eine Adaption oberflächlicher amerikanischer Werte. Repräsentativ dafür sind die Kostüme von Jake und Mamie (Dorrie Kavanaugh). Das äußere Erscheinungsbild gibt ein Auftreten und Verhalten wieder, welches einer amerikanischen gehobenen Mode entspricht, möglichst orientiert an teuren Stoffen in (scheinbar) unterschiedlicheren Farbauswahlen und kapitalistischen Werten.

Screenshots: Hester Street – 0:12:12 – Yankel/Jake; Hester Street – 0:42:27 – Mamie
Die zweite Kategorie visualisiert eine Zugehörigkeit zu religiösen Traditionen jüdischer Kultur und verbundenen Werten. Sie behandelt eine Kleidungskultur die auf eine andere Heimat als Amerika schließen lässt und eine keine optische Anpassung an amerikanische Kleidungsnormen anstrebt. Vorzugsweise wird dies dargestellt durch die Charaktere Gitl und Bernstein (Mel Howard).

Screenshots: Hester Street – 0:27:31; Hester Street – 1:02:28 – Bernstein
Eine Wandlung im Kostüm erfährt allein die Figur der Gitl. Sie nimmt die visuellen Marker der noblen amerikanischen Kleidungsstilistik teilweise an, vermengt sie mit ihrer traditionellen Erscheinung und beendet den Film so im Einklang zwischen Traditionen und Moderne.
3. Crossing Delancey (1988)
Nach mehreren Filmprojekten entsteht 1988 Crossing Delancey mit Joan Micklin Silver als Regisseurin. Mit einem Budget von vier Millionen US-Dollar fand auch dieser Film Schwierigkeiten in der Verwirklichung, wurde aber schließlich von dem Produktionsstudio Warner Bros. finanziert. Der Film ist eine Adaption des Theaterstücks Crossing Delancey: A Romantic Comedy (1985, Druckfassung 1987) von Susan Sandler. Inhaltlich behandelt der Film die Begegnung der beiden Singles Isabelle Grossman (Amy Irving) und Sam Posner (Peter Riegert) im New York City der 1980er Jahre, wo sie sich zwischen der Tradition ihres jeweiligen jüdischen Kulturerbes und der Moderne des amerikanischen Lebens in New York anzunähern versuchen und wieder voneinander entfernen. Isabelle versucht beide Realitäten für sich zu vereinbaren, um schließlich mit Sam zusammenzufinden. Die Unterscheidungen der Kostüme zeigen sich subtiler. Am ehesten lässt sich die Gegenüberstellung verschiedener kultureller Hintergründe zwischen den Figuren von Sam und Anton Maes (Jeroen Krabbé) wiederfinden, beide im Kostüm, welches ihre Arbeit widerspiegelt. Sam ist Gurkenverkäufer, Anton Schriftsteller.

Screenshot: Crossing Delancey – 0:40:15 – Sam; Crossing Delancey – 0:30:35 – Anton
Im Konflikt zwischen jüdischer Arbeiterklasse-Tradition und dem modernen, gehoben-kosmopolitanen Lebensstil von New York City befindet sich Isabelle. Für diese Figur ist eine Abweichung von ihrem modernen Lebensstil nur schwer möglich. So findet Isabelle sich in einem Zwiespalt gegenüber einem Bekleidungsstück wieder, welches Sam ihr schenkt.

Screenshot: Crossing Delancey – 0:39:36 – Isabelle
Beide Charaktere machen, markiert durch das Kostüm, jedoch einen Wandel zum Ende des Filmes durch, wobei sie sich explizit einkleiden lassen.

Screenshots: Crossing Delancey – 01:31:59 – Sam; Crossing Delancey – 1:15:14 – Isabelle
4. Gegenüberstellung
Sowohl in Hester Street als auch in Crossing Delancey spielen die Kostüme eine tragende Rolle um die Narrative mit voranzutreiben. Hester Street definiert viele der Charaktere über ihre Kleidung und kommuniziert mit dem Filmpublikum bereits eine Zugehörigkeit und Einordnung der Figur, bevor die Figuren sich selbst innerhalb eines Dialoges positionieren könnten. Hester Street eröffnet die Geschichte mit einer ersten Sequenz, in welcher ein Tanzabend stattfindet. Bewusst erscheint es hier, als ob die Charaktere Jake und Mamie selbst als Besucher*innen des Tanzes auftreten würden. Es stellt sich jedoch nach und nach heraus, dass sie als Unterhaltung für die eigentlichen, vornehmlich in Amerika gebürtigen Gäste dienen. Genauso verhält es sich bei der ersten filmischen Sequenz, welche Gitl einführt und eine erste Begegnung zwischen ihr und Jake vorstellt. Beide erkennen sich zuerst nicht wieder, da Jake in seiner gebürtigen Heimat nicht das Auftreten eines amerikanischen Edelmann hatte, wie es für ihn nun üblich ist. Gitl hingegen stellt in dieser Sequenz mit ihrer Bekleidung die kulturelle Tradition dar, welche wiederrum für Jake seit seiner Verlagerung der Heimat nach Amerika befremdlich wirkt.7 Genauso wie auf der visuellen Ebene findet sich das Thema der Kostüme in den Dialogen, vorzugsweise zwischen Jake und Gitl, wieder. Beide signalisieren ihre Entfremdung zwischen traditionellem und modernem Lebensstil verbal in den Kommentaren über die Bekleidung der jeweils anderen Person. Vor allem Jake kann hierbei jedoch seine Gespaltenheit zwischen traditionellem und modernem Ich nicht akzeptieren und verlagert diesen inneren Zwiespalt als wütenden Ausdruck auf Gitls Kostümdarstellung, die sich aus seiner Perspektive nicht der modernen Form anpassen kann.8 Schließlich zeigt sich aber allein in Gitls Kostümrepräsentation, dass sie die Fähigkeit besitzt, beide Ausdrücke miteinander zu vereinen und so einen vollkommenen Ausdruck beider Positionen, Tradition und Moderne, in ihrem Kostüm wiederzugeben.9 Zusammenfassend gesagt, erzählt Silver ihre Figuren und deren Entwicklung in Hester Street in einer starken Konzentration auf die Kostüme, die im Visuellen wie in den Dialogen deutlich hervorgehoben werden.
In Crossing Delancey zeichnet sich ebenso eine Thematisierung von Charakteren und deren Verhandlung von kulturellen Traditionen mit der gelebten Moderne in Amerika ab. Hier ist es Isabelle, welche einen Prozess der Vereinbarung durchlebt und diesen in ihrem äußeren Erscheinungsbild mithilfe des Kostüms präsentiert. Es soll sich herausstellen, dass diese gewählte Repräsentation von Silver jedoch weitaus subtiler gehandhabt wird. Isabelle verhandelt ihre Lebenssphären von kulturellem Herkunftshintergrund und modernem, sozial mobilem Großstadtleben getrennt voneinander. Sie pflegt ihr berufliches und freundschaftliches Umfeld in der modernen Innenstadt. Gleichzeitig pendelt sie zu ihrem familiären Umfeld, welches den traditionellen Hintergrund widerspiegelt.10 In beiden Bereichen verhält sich Isabelle in ihrem visuellen Ausdruck der Repräsentation durch ihr Kostüm modern, trifft aber auf zwei Männer, Sam für die Tradition und Anton für die Moderne, welche sich auch mit ihrem visuellen Auftreten diesen verschiedenen Zugehörigkeiten zuordnen. Für Isabelle entsteht innerhalb des Filmes jedoch ebenfalls ein Wandel, welcher sie dazu führt, Tradition und Moderne zu vereinbaren. Dazu verhilft ihr Sam, welcher sich in seiner visuellen Darstellung des Kostüms genauso zwischen beispielsweise einem traditionellen Stil der Arbeitskleidung in seinem beruflichen Leben und der abendlichen Verabredung in einem Anzug variieren kann, ohne dabei ein traditionelles Muster in seinem Verhalten ablehnen zu müssen. Anton hingegen verbleibt vollständig in der urbanen, kosmopolitanen Moderne, was sich in seiner Kleidung wie auch in seinem Verhalten widerspiegelt.11 Er verhandelt sein privates Leben so wie sein berufliches und trennt sich somit seiner Darstellung oder seiner Narrative nie von der Moderne, was eine Verbindung zu Jake aus Hester Street ermöglicht. Isabelle erarbeitet sich in ihrem Wandel nach und nach den Vorteil, beide Seiten miteinander zu vereinen, so wie es auch Gitl in Hester Streetgeschafft hat. Sie erfährt eine Stärkung ihres Selbst, nachdem sie sich in ihrem Kleidungsstil für die letzte im Film gezeigte Verabredung mit Sam beider Darstellungen von Tradition und Moderne im Kostüm annimmt und in beiden ihrer Welten positive Resonanz dafür erfährt. Auf der Darstellungsebene fallen, wie schon erwähnt, die subtileren Methoden der thematischen Unterstützung auf, welche Silver hierbei nutzt. Im Gegensatz zu Hester Street verhandelt Silver in Crossing Delancey die Bedeutung der Kostüme auf einer Ebene, die nicht ausschlaggebend für die Narrative des Filmes ist, ohne die genutzte Stilistik vollständig aufzugeben. Es zeigt sich hier eine Gestaltungsweise, welche die Handschrift von Silver trägt, jedoch in verfeinerter Form.
5. Conclusio
Mit Crossing Delancey wirkt es, als wäre Joan Micklin Silver selbst mit ihrem Vorhaben der Thematik von Tradition und Moderne in dem Setting von New York City angelangt. Während Hester Street ihr erster eigener in Regie geführter Langspielfilm ist, verlangt ein großer Teil des geringen Budgets die Investition in die Kostüme. Dadurch wird der Film selbst auch zu einem Großteil auf diese visuelle Darstellung einer Repräsentation von Traditionen sowie Moderne angelegt, die auch durch die Dialoge der Charaktere kommentiert werden. Damit versucht der Film sich auch an die vorgegebenen Standards des 1970er-Hollywood-Kinos anzunähern. So kann der Fokus auf die Investition der Kostüme bei Hester Street als ein Versuch gesehen werden, im Rahmen seiner budgetären Möglichkeiten den Schauwerten des in der Zeit entstehenden Blockbuster-Kinos zu entsprechen, wenngleich der Film selbst als charakterorientierte Story nicht diesem Hollywoodzeitgeist entspricht.12 (Eine Marktszene wirkt passenderweise wie ein bescheidener Versuch, mit den Lokalkolorit-Rückblenden in The Godfather Part II, 1974, mitzuziehen.) Crossing Delancey hingegen behält sich in seinem subtileren Umgang mit Kostüm weiterhin die Möglichkeit, auch über diese visuellen Marker Themen visuell zu verhandeln. Dennoch ist dieser Fokus subtiler und entzieht sich dem Muster eines Hollywood-Blockbuster-Kinos somit eher, als dass es versucht, diesem ausdrücklich zuzuspielen.
So lässt sich aus diesen gewählten Beispielen anhand der ähnlichen Thematik die eingangs gestellte Fragestellung mit einer Prognose beantworten. Joan Micklin Silver hat mit den Filmen Hester Street und Crossing Delancey nicht nur eine thematische Reflexion der USA als multiethnischer Gesellschaft anhand der Kostüme ermöglicht, sondern diese auf zwei Arten genutzt, die gleichsam ihren Werdegang in der amerikanischen Spielfilmbranche aufzeigen. So scheint es, dass Silver sich von einem Versuch der Annäherung an die Standards von Hollywood-Blockbustern wegentwickelt hat, hin zu dem Berufsbild einer Filmregisseurin, die in der thematischen Verhandlung von Traditionen und Moderne einen eigenen Weg des charakterorientierten Spielfilms einschlägt.
Literaturverzeichnis:
Bednar, Lucy: „Will the Real American Please Stand Up: Character as Reflection of Culture in Joan Micklin Silver’s Hester Street“, in: Studies in Popular Culture, 39/1, 2016, S. 35-48.
Cahan, Abraham: Yekl. A Tale of the New York ghetto, New York: D. Appleton and company 1896.
Meyers, Helene: Movie-Made Jews. An American Tradition, New Brunswick et al.: Rutgers University Press 2021.
Sandler, Susan: Crossing Delancey: A Romantic Comedy, New York; London: Samuel French, 1987.
Smukler, Maya Montañez: „New Hollywood Crossover: Joan Micklin Silver and the Indie-Studio Divide“, in: Dominic Lennard/R. Barton Palmer/Murray Pomerance (Hg.): The Other Hollywood Renaissance, Edinburgh: Edinburgh University Press 2020, S. 222-235.
Filmverzeichnis:
Crossing Delancey, R.: Joan Micklin Silver, USA 1988. DVD, Warner Bros. Entertainment 2016.
Hester Street, R.: Joan Micklin Silver, USA 1975. Bluray, Kino Lorber 2022.
- Vgl. Maya Montañez Smukler: „New Hollywood Crossover: Joan Micklin Silver and the Indie-Studio Divide“, in: Dominic Lennard/R. Barton Palmer/Murray Pomerance (Hg.): The Other Hollywood Renaissance, Edinburgh: Edinburgh University Press 2020, S. 222-235, hier S. 225. ↩︎
- Vgl. ebd. S. 226. ↩︎
- Vgl. ebd. ↩︎
- Vgl. ebd. ↩︎
- Vgl. ebd. S. 228. ↩︎
- Vgl. ebd. S. 227. ↩︎
- Vgl. Lucy Bednar: „Will the Real American Please Stand Up: Character as Reflection of Culture in Joan Micklin Silver’s Hester Street“, in: Studies in Popular Culture, 39/1, 2016, S. 35-48, hier S. 36. ↩︎
- Vgl. ebd. S. 38. ↩︎
- Vgl. ebd. S. 42. ↩︎
- Vgl. Helene Meyers: Movie-Made Jews. An American Tradition, New Brunswick et al.: Rutgers University Press 2021, hier S. 75. ↩︎
- Vgl. ebd. S. 75f. ↩︎
- Smukler: „New Hollywood Crossover“, S. 222. ↩︎