Notizen zu KI-basierten Suchpraktiken
von Noah Werner und Tom Kauth
Vom Wissen zum Umgang damit
Wie wir Wissen definieren, definiert die Welt. Dem hinzuzufügen, dass dessen Formatierung dabei eine unhintergehbare Rolle spielt, ist ein Gemeinplatz der Medienwissenschaften. Wissen beispielsweise ungeachtet eines kritischen Formbewusstseins mit standardisiert-lesbaren Daten gleichzusetzen, würde deren An/Ästhetisierungen vernachlässigen. Über diese Definitionen von Wissen und ihre Formatierung wird breit und viel diskutiert [1], doch abseits einer genauen Definition, scheint heutzutage (und auch schon immer) relevant, wie Menschen Zugang zu diesem Wissen (welches es nun auch sei) finden.[2] Auch der enzyklopädische Eintrag von Tom Poljanšek schließt mit dem Wissens-praktischen Vorschlag, sich „im Zeitalter des Digitalen“ weniger mit ontologischen Letzt-Bestimmungen von Wissen als vielmehr mit praxeologischen Fragen im Umgang mit Wissens zu befassen.[3]
Wie bringen Mensch-Maschinen-Beziehungen Wissen hervor, wie ändert sich der Zugang zu und Diskurse um Wissen, wenn sich in dieser Assemblage eine Veränderung auftut? Sind KIs die Revolutionierung des Findens, als die sie uns verkauft wird? Ändern sich Praktiken des digitalen Suchens, Findens und Nicht/Wissens, wenn wir statt mit den Search Engine Result Pages (SERP), die uns bspw. Google ausspuckt, mit dialogischen Formaten von Frage und Antwort konfrontiert werden, wie das etwa bei Chat GPT der Fall ist?
Unser Umgang mit dem Suchen
Für dieses Essay haben wir kreisend und in stetigen Wiederholungen über Gefundenes hinaus gesucht, wobei die Auseinandersetzungen zwischen zwei Menschen, und so auch zwei Schreibstilen, Wissensbeständen und Zugängen in unserem Arbeiten immer wieder zu Brüchen führte. Anstatt diese zu kaschieren, geben wir uns diesen Lücken konstitutiv hin und sehen darin eine Anschlussfähigkeit für weitere/andere Gedanken und Positionen.
Eine konkrete Konsequenz davon ist unsere Verwendung des Terms chat, den ChatGPT-Nutzer*innen einerseits als Spitznamen auserkoren haben, der aber gleichzeitig eine verschwimmende Bezugnahme auf Diskurse des KI-basierten Suchens ermöglicht. Wir verwenden chat im Folgenden vor allem bezogen auf die spezifischen Funktionen und Ästhetiken von ChatGPT, halten uns aber offen auch auf andere Systeme der KI-basierten Suche (Google’s ‚Übersicht mit KI‘) miteinzubeziehen. In dieser Offenheit sehen wir eine Fortführung einer Praxis, die sich einer klaren und einzig-möglichen Zuschreibung von Wahrheit verwehren möchte, und die Produktivität der Lücke sucht, in die sich jede Person selbst hinein-denken und schreiben kann.
Funktionsweisen und Ästhetiken
Wenn wir googlen, werden wir mit einer langen Liste an Titeln und den für uns möglicherweise relevanten Abschnitten der Websites beliefert, also der SERP. Anders ist das bei der Suche nach Informationen mit generativen KI-Anwendungen, in unserem Fall hauptsächlich chat.
Hier ändert sich primär der Text Output, der in Messenger Form verpackt per generativer KI scheinbar direkte Antworten auf unsere Fragen bzw. Prompts gibt. Während wir also bei ersterem durch die Suche erst eine Übersicht der verschiedenen Orte, an denen Information gelagert ist, bekommen, zeigt uns Chat GPT direkt am Ort der Frage,[4] die ,eine‘ Antwort, und das meist ohne Quellen.[5] Statt ein verschachteltes System an Seiten, Unter-Seiten und Zwischenlinks zu navigieren, um die gewünschte Information zu erlangen, wird im Zeitalter von chat diese Archiv-artige-Struktur nicht mehr sichtbar, sondern die Antwort folgt sogleich, am Ort der Frage ohne Umwege oder Aufwand für die Suchenden abseits der Formulierung des ‚Prompts‘.
Verstärkt wird dieser Effekt durch den ästhetischen Unterschied zwischen den zwei Modi. Auf SERPs sind die Titel und semantischen Modulationen verschiedener Seiten sichtbar, und in der Nachverfolgung der Information treten sie jeweils als getrennte und eigenständige Räume in Erscheinung, und das eben vor allem durch ihre ästhetischen Unterschiede. Chat GPT hingegen ermutigt nicht, sich durch verschiedene Orte der Informations-Lagerung zu klicken, sondern hat den Anspruch (und wird auch meistens so verwendet), alles, was gesucht wird, an einem, eben auch ästhetisch linearen, Ort aufzuführen.
Praktiken des Suchen/Findens
Diese Unterschiede inspirieren auch zwei sehr unterschiedliche Bündel an Praktiken, die an diese Medien herangetragen werden. Suchmaschinen beantworten die gestellte Frage nicht direkt, sondern zeigen mögliche Orte auf, an denen diese beantwortet sein könnte. Deshalb muss zum Auffinden der Antwort noch durch diese verschiedenen Orte navigiert werden, und meistens auch Informationen überflogen werden, die nicht zur ursprünglich gewünschten Antwort führen. Durch diesen nicht relevanten Informationsanteil werden nichtlineare und ineffizientere Formen der Wissensgewinnung ermöglicht. Mensch folgt mit diesen Praktiken des Suchens Informations-Verkettungen und Links, buddelt sich immer tiefer ins sogenannte Rabbit-Hole und taucht am Ende oft aus diesem auf, mit komplexeren Informationen und Wissens-Zusammenhängen, durch welche die ursprüngliche An/Frage mit diesen in Beziehung tritt und wandelbar wird. So gesehen, werden im Suchprozess die impliziten Vorannahmen der An/Frage reflektiert und umgearbeitet.
Auch bei der Formulierung der Suchanfrage selbst muss ein komplexes Zusammenspiel von Mensch/Autor*in und Maschine/Algorithmus berücksichtigt werden. Denn vor allem beim Suchen nach komplexen (bspw. wissenschaftlichen) Wissens/Ideen-Komplexen muss der*die Suchende sich in Menschen sowie den Algorithmus hineindenken. Um so mit seinen*ihren*deren Worten der Suchanfrage die Formulierungen des gesuchten Wissensfelds und die Logik des Algorithmus abzudecken, um möglichst relevante Ergebnisse zu finden. Diese Praktik verläuft hauptsächlich unterbewusst und wird in der Mensch-(Such-)Maschine-Assemblage des Internets entwickelt. Exemplarisch hierfür sind die Witze über ältere Menschen, die diesen eine geringere (digitale) Medienkompetenz vervorurteilen, wobei sich über die Art ganze Frage-Sätze an Google zu richten, wie das etwa mit einem Mensch im Informationsschalter der übliche Weg wäre, anstatt nur die als nötig identifizierten Schlagwörter einzugeben, lustig gemacht wird. Diesen anthropomorphen Informationsschalter imitieren nun Phänomene wie chat oder Googles Übersicht mit KI. Chat beantwortet Fragen in der Kommunikation mit nur einer Entität, der KI. Ästhetisch wie praktisch werden hier Logiken der Direkt-Messenger Kommunikation aufgerufen. Besonders deutlich wird das in der direkten, dialogischen Ansprache, mit der chat Suchende Subjekte anruft und performativ hervorbringt. Die Praktiken des Suchens werden scheinbar durch die KI erledigt und nur in Form einer zusammenfassenden, effizienten Antwort ausgegeben.
Technologien des Antwortens – Eine These
Diese Form der Mensch-Maschine-Assemblage mitsamt ihren Subjektivierungs-Effekten bezeichnen wir in Abwandlung von Robin Schrades Begriffspaar der „Techniken des Findens“ und “Praktiken des Suchens”[6] als Technologie des Antwortens.
Mit Techniken des Findens beschreibt Schrade den vorherrschenden Eigensinn der Suchmaschine, dass jede Suchanfrage immer mit einer bereits verfügbaren Information beantwortet werden kann. Demgegenüber setzt er Praktiken des Suchens als kreisende, repetitive oder scheinbar irrelevante bis querulantische [7] Bewegungen an den Grenzen des Verfügbaren. Diese werden in der Verfügbarkeits-Logik der generativen KI allzu schnell in Vereindeutigungen begraben oder sogar in den Affordanzen der Plattform verunmöglicht. Während bei SERP-basierten Suchmaschinen jenes Zusammenspiel von Finden/Suchen noch möglich ist, scheint sich uns bei chat die Praktik des Suchens zu Gunsten einer personalisierten, direkten und subjektivierenden Anrufung durch Beantwortung zu verschieben. Diese rückt ins Zentrum, was schon lange in Techniken des Auffindbar-Machens (und auch jedweder Form des Medienhandelns) eingeschrieben war und macht in besonderem Maße die produktiven Macht-Effekte lesbar, mit denen sich eins diesen sich gegenseitig produzierenden Mensch-Maschinen-Assemblagen hingibt. Die Verschiebung von SERPs zu personalisiert-generierten Antworten als Suchergebnisse, bezeichnen wir also hier als Technologien des Antwortens, weil damit die Subjektivierungs-Effekte besonderen Maßes beschreibbar werden und, so unsere These, hier auf noch perfidere Art sichtbar sind.
Konsequenzen für Historizität und Netzwerke des Wissens
Aus diesen Kombinationen von Funktion, Ästhetik und Praktiken ergeben sich abseits davon noch weitere Effekte. Ein erster Unterschied zwischen den zwei Zugängen zu Wissen ist der Bezug auf bzw. das Gefühl der Zeit. Die monotone Ästhetik chats lässt wenig Bezug zur Historizität ihrer Quellen zu. Beim kreisenden Suchen und Durchklicken verschiedener Wissens-Orte hingegen, begegnen einem immer wieder Ästhetiken, die deutlich von ihrer zeitlichen Entstehung geprägt sind. Diese ästhetischen Unterschiede in den Orten ermöglichen einerseits einen kritischen Bezug zur Information im Kontext des Zeitpunktes, an dem sie festgehalten wurde, und eröffnen andererseits eine Sicht auf Wissen als historisch akkumuliert und vom Vergehen der Zeit beeinflusst.
Ein zweiter Punkt ist das veränderte Gefühl für die Netzwerke, in denen Wissen entsteht. Wenn auf der Suche nach Informationen verschiedene Orte der Wissens-Lagerung abgeklappert werden, entsteht durch die verschiedenen Ästhetiken und Verlinkungen von Seiten untereinander ein Gefühl für die menschliche Autor*innen*schaft hinter diesen einerseits und für die kommunikativ und sich stets im Wandel befindende Produktion von Wissen andererseits. Zweiteres wird noch verstärkt, wenn Seiten mit Kommentar- oder Diskussionsbereichen aufgerufen werden, wie etwa YouTube oder Reddit. So kommt es beim Suchen zu einem affektiven In-Beziehung-Setzen mit dem Archiv (des Internets).
Bei KI gestützter Suche nach Wissen werden die Quellen bzw. die Produzierenden des Wissens unsichtbar gemacht, da zwar das gleiche Archiv durchsucht wird, aber dieses nicht in Erscheinung treten darf. Affektiver Bezug findet nur zur anthropomorphisierten Figur der KI statt, wie es etwa bei chat der Fall ist.
In dem von uns dargelegten Set an Praktiken, das der Suchmaschine zuzuordnen ist, wird Wissen als vielfältig situiert und von Individuen zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst erarbeitet, sichtbar, welches in Kommunikation mit anderen getestet und entworfen wird.
Generative KIs stellen Wissen hingegen also uniform, monolithisch und festgeschrieben dar. Sie nehmen eine göttliche und maschinell objektiv-gemachte Perspektive ein, die nicht situiert ist und einen absoluten Wahrheitsanspruch für sich beansprucht.
Reflektionen über eine Suche und Gefundenes
Was lässt sich nach dieser Sammlung von Gedanken, Theorien und Thesen also abschließend sagen? Durch unser Wissen um Algorithmen und deren Wissen über uns bringen wir Wissen gemeinsam hervor. Bei chat wie KI-freien Formen des Suchens reflektieren wir stets, ob bewusst oder unbewusst, die Techniken des Findens mit, die somit auch schon immer Teil unserer Zugänge zu Wissen sind. So gesehen, ist Wissen als Medienhandeln in actu begreifbar. Hier passiert kein Update durch KI, insofern sich das Hineindenken in die Medien der Suche bereits bei SERP-basierten Suchmaschinen feststellen lassen konnte.
Neben diesen Kontinuitäten lassen sich dennoch Diskontinuitäten ausmachen, der Zugang zu und die Diskurse um Wissen wandeln sich. Bei SERP-basierten Suchanfragen können wir Wissen als im Netzwerk verschiedener Akteur*innen entstehend wahrnehmen, während chat die Logik des Findens, und somit der Information als objektiv, existierend und maschinell gegeben, festschreibt. Diese Veränderung haben wir mit unserer These der Technologien des Antwortens ebenso auf Subjektivierungs-Effekte bezogen, denn wo dies vorher in der Konfrontation mit einem Netzwerk verschiedener Entitäten passiert ist, bringt chat uns (noch) stärker individualisiert hervor. Denn in der Rolle als uns ewig Dienender [9] wird er eben auch zu unserem einzigen Gegenüber, das in seinem Versuch der perfekten Ausrichtung auf unsere Bedürfnisse stets auch festlegt, wer wir sein könnten.
Diese Festlegung passiert nicht erst hier. Die Besonderheit der Technologien des Antwortens besteht darin, wie offensichtlich sie dies technisch wie diskursiv machen, und mit welcher Euphorie User*innen sich also noch bereitwilliger als zuvor formen lassen.
Referenzen und Anmerkungen
[1] Vgl. zum Wissensbegriff in einer Digitalen Medienkultur aufschlagsweise: Tom Poljanšek. „Wissen“, Digitalität von A bis Z, hg.v. Florian Arnold et al. Bielefeld: transcript 2024, S. 379–8, https://doi.org/10.14361/9783839467657-039.
[2] Vgl. hierzu beispielhaft Jessie Muntons zentrales Anliegen, epistemologische Analytika für einen solchen „adequate access“ abzuleiten: Jessie Munton, „Answering Machines: How to (Epistemically) Evaluate a Search Engine“, Inquiry,2022, S. 1–29, https://doi.org/10.1080/0020174X.2022.2140707.
[3] Poljanšek, „Wissen“, S. 386.
[4] Jessie Munton skizziert in diesem Zusammenhang einen two-step, bei dem Suchmaschinen die Suchanfragen erst in beantwortbare Frageformate übersetzen und schließlich beantworten. Vgl. hierzu: Munton „Answering Machines“.
[5] Vgl. zum Unterschied zwischen ,googlen‘ und ‚prompten‘ siehe anekdotisch: Annekathrin Kohout, „PROMPTEN“, in: POP. Kultur und Kritik 14/1, 2025, S. 9–15, https://doi.org/10.14361/pop-2025-140102. Und zu den bekannten Problemen mit den Aussagen von generativer KI die Zusammenfassung in: Pranav Narayanan Venkit et al. „Search Engines in an AI Era: The False Promise of Factual and Verifiable Source-Cited Responses“, arXiv, 2024, 10.48550/arXiv.2410.22349.
[6] Schrade, Robin. Wer sucht, kann gefunden werden. Problemgeschichten der Wissensorganisation von der Scholastik bis zur Suchmaschinenforschung, Bielefeld: transcript 2022, S. 24, https://doi.org/10.25969/MEDIAREP/17972.
[7] Vgl. Gaderer zitiert in Schrade, Wer sucht, kann gefunden werden, S. 24.
[8] Updating to remain the same in Anlehnung an Wendy Hui Kyong Chuns gleichnamige Monografie war eine leitende Fragestellung des Seminars, in dessen Rahmen wir auch dieses Essay geschrieben haben. Wendy Hui Kyong Chun, Updating to remain the same: Habitual new media, MIT press, 2016.
[9] Die Analogisierung von Suchmaschine und Diener entnehmen wir Markus Krajewski diskussionswürdiger Mediengeschichte des Dieners, mit der er sich an folgender Stelle in die Debatten der Suchmaschinenforschung eingeschrieben hat: Markus Krajewski, „Ask Jeeves: Der Diener als Informationszentrale“, in: Kultur- und Medientheorie, hg.v. Thomas Brandstetter, Thomas Hübel, Anton Tantner, 1. Aufl., Bielefeld, Germany: transcript Verlag, 2012, S. 151–172, https://doi.org/10.14361/transcript.9783839418758.151.