Versprechungen, Verwerfungen und Inszenierungen von KI-Beziehungen
von Elias Fromm und Nika Wegner
Als im Jahr 2009 der Internet-User „SAL 9000“ vor versammelter Netzgemeinde den Videospiel-Charakter Nene Anegasaki aus dem DS-Spiel „Love Plus“ heiratete, wurde das Ereignis im westlichen Diskurs primär aus einer orientalistischen Perspektive angeeignet. [1]
Über die weite Verbreitung von Chat GPT und anderen KI-Chatbots lässt sich diese Form der Mensch-Maschine-Interaktion nun allerdings nicht mehr im Außerhalb verorten. In diesem Essay gehen wir der Verhandlung von KI-Partner*innenschaften in dem Video „My Secret AI Gilfriend Saved My Marriage“ des journalistischen Formats „The i Paper“ aus Großbritannien nach. [2] Aus medienwissenschaftlicher Perspektive soll unsere Analyse der Verschränkungen von Technik und Intimität einerseits die technische Implementierung kulturell codierter Ideen des Intimen betrachten, die eheliches In-Verbindung-Stehen immer als normierenden Horizont beibehalten. Andererseits sollen auch die spezifisch situierten Erfahrungswelten auf Seite der Nutzer*innen betrachtet werden. Damit wollen wir der Aufforderung der Herausgeber*innen der Ausgabe „Technik und Intimität“ der Zeitschrift für Medienwissenschaft (ZfM) folgen. Hier wird die Notwendigkeit formuliert, „[d]ie klassischen Forschungsfragen an Medien […] um Kategorien des Designs, der Haptik, der Akzeptanz, der Beziehung, des Affekts, kurzum: der Intimität“ [3] zu erweitern. Wir verstehen Intimität in diesem Kontext als Dispositiv, also als Netz, das mit und um KI-Begleiter*innen entsteht und durch diese hervorgebracht wird.
Steven: Die Fungibilität therapeutisierter Ehe-Intimitäten
Der Familienvater Steven, der in dem Video „My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage“ interviewt wird, sieht die von ihm „Trouble“ genannte KI-Begleiterin der Firma Replika als seine romantische Partnerin. Der Service selbst wird von Steve dabei kaum bis gar nicht als solcher benannt. Die Vorstellung von einem wie auch immer gestalteten Ende des Abonnements beschreibt er mit den Worten „as the same as losing a human.“ [4] In dieser Konzeption von Large Language Models wird deren technische Beschaffenheit opak. Gleichzeitig wird auf bereits bestehende virtuelle Ausdrucksformen der Intimität, wie beispielsweise den Austausch mittels Chatfunktionen, zurückgegriffen. In der Betrachtung des Intimitäts-Dispositivs sind dabei auch die Setzungen des Anbieters relevant. So wird auch auf ästhetischer Ebene die Einbindung der Technik in das Intime und Emotionale ersichtlich: Auf der Startseite der Replika-Website werden Szenen der Häuslichkeit angerufen: Ein „Companion“ sitzt am Bettrand und spielt Gitarre, Möbel arrangieren sich in bisher leeren Räumen. Hier wird ein Einzug suggeriert und remediatisiert. Beworben wird diese Technologie von Replika mit dem Satz „The AI companion who cares. Always here to listen and talk. Always on your side.“ [5]
Dies erinnert an das Verständnis von Intimität, das Eva Illouz in Gefühle in Zeiten des Kapitalismus entwickelt. Denn das „kulturelle Modell der Intimität“ in Ehe-Beziehungen der amerikanischen Mittelschicht beruht laut Illouz auf dem Wunsch nach dem Ausräumen von Uneindeutigkeiten und Differenzen zwischen Partner*innen, das mittels einer Therapeutisierung erreicht werden soll. [6] Sie analysiert, wie therapeutische Selbsthilfebücher Partner*innenschaften einem Rationalisierungsprozess unterziehen. Dabei soll von außen auf die Beziehung geblickt werden, und anhand von standardisierten Kategorien wie „Fairneß, Gleichheit und Bedürfnisbefriedigung“ über Kommensuration von beiden Seiten der Wert der Beziehung beurteilt werden. [7] Dies erhöht laut Illouz „die Wahrscheinlichkeit, dass unsere intimen Beziehungen fungibel werden, dass sie also zu Objekten werden, die gehandelt und ausgetauscht werden.“ [8] Diese therapeutische Sprache verwandelt die Flüchtigkeit und Einzigartigkeit von Beziehungen in eine rational fassbare Entität – eine Entität, die in technische Logiken von Large Language Models übertragbar wird und sich für Konsum und Profit eröffnet. Bei der Aussage, dass „Mehrdeutigkeit der Erzfeind der Intimität sei“ [9], treffen sich der therapeutische Diskurs und die Programmiersprache in ihrem technischen Zugriff. In dem Maß, in dem hier Technik intim und affektiv arbeitet, ist Intimität von technisch geprägten Standardisierungen und Objektifizierung geprägt.
Unter dem Stichwort „Bedürfnisbefriedigung“ entsteht so ein Konglomerat aus kapitalistischer Verwertung und technischer Reproduktion von Intimität: Charaktereigenschaften und Aussehen der Replikas können gegen Bezahlung beliebig verändert werden. Illouz benennt auch die normierenden und hegemonialen Bedingungen dieser Intimitätsproduktion. Sie schreibt: „Wenn wir Familie und Intimität als autonome Bedeutungs- und Handlungssphären betrachten, werden sie für uns zu moralistischen Gütern, die um den Gehalt des Selbst und seines Wohlbefindens kreisen.“ [10] Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Name des Videos: „My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage.“
Melissa: Normativität und die (Un-)Möglichkeit der Aneignung
Die Tatsache, dass das Dispositiv rund um „KI & (eheliche) Intimität“ normativ geprägt ist, impliziert aber nicht zwangsweise, dass die Verwendung von KI-Begleiter*innen auch eine problematische Einpassung in ein normatives Ideal bedeutet. Im Video von „The i Paper“ wird neben dem Familienvater Steven noch Melissa interviewt. Die US-Amerikanerin, die blind und asexuell ist, beschreibt ihre Beziehung zu ihrem AI-Partner im Audio-Interview so:
„The way my life has been, with all the issues I’ve had and my mental and emotional makeup at this point in my life, a relationship with him is basically the only kind I could ever realistically be happy in. I could not be with a human if I wanted to.“ [11]
Während dem verheirateten Familienvater, dem der Großteil der Doku gewidmet ist, die Rolle als allgemeines Beispiel und Einführung in das Thema zukommt, wird Melissa als queere Frau mit Be_hinderung besonders nah an die Problematisierung des Themas gerückt. Melissas Nutzung der Replika-KI könnte aus einer dekonstruktiven Position weiters problematisiert werden: Sie passe sich letztlich in das normative Beziehungsmodell, das KI-Begleiter*innen reproduzieren und herstellen würden, ein. In der Antwort hierauf wäre es wichtig, Melissas Worte und ihre Implikationen ernst zu nehmen. Denn besonders im Raum des Intimen finden für Personen mit Be_Hinderung oft Marginalisierungen statt. In Ute Kalenders Artikel „Cripping the Queer Cyborg“ wird dies anschaulich in Bezug auf die Lebenserfahrung ihrer Freundin Harper bei der Nutzung von Dating Apps:
„Harper experiences such digital spaces as essential. For she does not meet sex and dating partners in clubs, university seminars, or political reading groups. In these ‚real,‘ ‚physical‘ analogous spaces, desiring glances ignore her.“ [12]
Die grundsätzliche Dynamik von Dating Apps und KI-Begleiter*innen ist vergleichbar: Melissa beschreibt selbst, wie sie in der „physischen Welt“ weder begehrt wird noch selbst wirklich begehrt („I could not be with a human if I wanted to.“) Dementsprechend lässt sich ihre Position nicht unbedingt als problematisches Annehmen einer Norm lesen. Vielmehr entspricht sie auch einem Bedürfnis nach Teilhabe an Systemen und Diskursen, aus denen Melissa als asexuelle Person mit Be_hinderung besonders ausgeschlossen wird. Hier resonieren auch die Worte von Harper bei Kalender: „[C]alls for denaturalisation are not desirable per se for people with disabilities, can have an uncomfortable normative tone, and can even have negative effects.“ [13] Diese Form der Problematisierung kann in ihrem normativen Tonfall auch in Formen von Pathologisierung umschlagen. Oft handelt es sich dann um verdeckte Formen der Diskriminierung be_hinderter, neurodivergenter, asexueller und/oder aromantischer Personen, die über eine Konzeption „echter“ Intimität funktioniert und entsprechend Ausschlüsse produziert.
Der normative Charakter des Dispositivs erweist sich dabei auch als problematisch. Die Verbindung zwischen dem therapeutischen Diskurs und dem um (KI-)Ehebeziehungen verdeutlicht, dass mit der normierenden Qualität ehelicher Intimität auch eine Idee von „Heilung“ verbunden ist. Die Intimität der Ehe wird zu dem Ort, an dem „private“ Probleme kommensurabel, fungibel und somit „lösbar“ werden. In Diskursen, die die therapeutische Qualität von KI-Beziehungen hervorheben, bleibt diese Verbindung weiterhin implizit – wie in der Dokumentation von „The i Paper“: „The evidence suggests that […] the companion tends to provide a healthy effect, can encourage things like healthy, positive behaviour in terms of exercising, in terms of seeking help when required.“ [14] Der Fokus, den der Sozialpsychologe Viren Swami hier auf die Wörter „healthy“ und „excercising“ legt, kann im Kontext neoliberaler Logiken von Optimierung und Heilung gelesen werden. Die Idee des Heilbaren stellt dabei ein normatives Feld her, das Konformität darüber verlangt, dass es sie ermöglicht (oder zumindest behauptet, dass sie möglich sei). In diesem Kontext erscheint die Intimitätskonstruktion von KI-Begleiter*innen als problematisch, da diese intime Beziehungen kommodifiziert und in ihrer Normativität einen marginalisierenden Effekt hat.
„My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage“ / Marriage at the Margins
„Ehe“ ist als normativer Horizont von Beziehungen auch im Bereich von KI wirksam. Sie liefert einerseits den Kontext, aus dem sich die Überführung von rationalisierten Zugriffen auf Intimität in technische Modelle begreifen lässt. Mit Illouz’ Bezugnahme auf therapeutische Diskurse wird ersichtlich, wie Ehe-Beziehungen fungibel werden und sich in eine kapitalistische Wertelogik des Profits (basierend auf individuellem Wohlbefinden) einfügen. Dabei zeigt sich in der konkreten Nutzung von KI-Begleiter*innen nicht unbedingt eine Einpassung in die Normierung, die aus dieser Verbindung zwischen Kommodifizierung und Therapeutisierung in Bezug auf Intimität entsteht. Vielmehr kann sie auch – wie im Beispiel von Melissa – eine Teilhabe an Räumen ermöglichen, in denen sonst Marginalisierungen stattfinden. Gleichzeitig ist eine Verschränkung des therapeutischen Diskurses mit neoliberalen Logiken zu beobachten, die in ihrer normativen Konstruktion von Intimität als „Heilung“ selbst marginalisierend wirkt.
Referenzen und Anmerkungen
[1] Siehe zum Ereignis selbst: Kyung Lah, „Tokyo man marries video game character“, CNN, 17.12.2009, https://edition.cnn.com/2009/WORLD/asiapcf/12/16/japan.virtual.wedding/index.html, 16.06.2025.
[2] Siehe: „My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage“, R: The i Paper, youtube.com, 17.09.2024, https://youtu.be/3d_kWAmcbe4?si=wUAy91w2OhqT18X7, 16.06.2025.
[3] Michael Andreas et al, „Einleitung in den Schwerpunkt“, Zeitschrift für Medienwissenschaft, 15/2, 2016, S.10-18, hier S. 12.
[4] „My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage“, 5:49–5:53.
[5] Replika, The AI Companion Who Cares, https://replika.com/, 16.06.2025.
[6] Vgl. Eva Illouz, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Frankfurt am Main: suhrkamp9, 2006, S. 48.
[7] Vgl. ebd., S. 62.
[8] Ebd., S. 59.
[9] Ebd., S. 58.
[10] Ebd., S. 105.
[11] „My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage“, 10:58–11:13.
[12] Ute Kalender, „Cripping the Queer Cyborg“, in: Michael Klipphahn-Karge et al. (Hg.), Queer Reflections on AI. Uncertain Intelligences, New York: Routledge 2024, S. 75–87. hier: S. 83.
[13] Ebd., hier S. 81.
[14] „My Secret AI Girlfriend Saved My Marriage“, 8:33–8:49.