Über Instagram, KI-Bilder und NS-Propaganda in digitalem Gewand
von Magdalena Bösch
Wir gedenken in diesem Jahr 2025 80 Jahren Kriegsende und damit dem Ende des Nationalsozialistischen Regimes in Europa. Mit solch einem Gedenken wollen wir sensibilisiert bleiben gegenüber Akteur:innen, die aus Hetze, Aufruhr und Krieg politischen Nutzen ziehen. Andere hingegen propagierten vor fünf Jahren „75 Jahre Lüge und Verrat“.
Die Mittel, durch die solch eine Erzählung aufrechterhalten wird, die Bildsprachen und die Strukturen, innerhalb derer sie für zeitgenössische Augen und Ohren attraktiv bleiben – oder es gar erst werden – sollen mit diesem Text befragt werden.
Den Slogan „75 Jahre Lüge und Verrat“ habe ich damals im Rahmen einer Recherche zu T-Shirts als identitätsstiftende Medien für Neonazi-Gruppierungen in Deutschland auf mehreren der auf den Merchandise-Seiten druck18.de und druck88.de vertriebenen Produkten gefunden und bei erneuter Suche für den vorliegenden Text auf der Seite wehrmacht1945.de. [1] Der Slogan findet sich auf T-Shirts und Hoodies. Die „75 Jahre“ leuchten der Betrachterin in roter Frakturschrift entgegen, während „Lüge und Verrat“ sich dem Körper einer Schlange einschreiben, sich windend im Würgegriff eines muskulösen Unterarms, die Hemdsärmel hochgekrempelt.
Die Bildsprache ist hier eindeutig und rekurriert in klarer Symbolik auf Propaganda-Plakate der NSDAP während der sogenannten „Kampfzeit“ in den Jahren der Weimarer Republik. [2] Besonders der Vergleich zu einem Entwurf des Grafikers Hans Schweitzer für die Reichstagswahl 1928 drängt sich auf: Die Hand mit hochgekrempeltem Hemdsärmel – für Zeitgenoss:innen eindeutig als die für Wahlen umkämpfte Figur des Arbeiters zu erkennen – hält auch hier eine Schlange im Würgegriff, diesmal als Versinnbildlichung der ideologischen Feindbilder „Marxismus & internationale Hochfinanz“ inszeniert: „Tod dem wahren Feind!“ [3] Im Hintergrund, gleich einer aufgehenden Sonne, die Hakenkreuzflagge der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei.

Rechts: Screenshot der Produktseite zum T-Shirt „75 Jahre Lüge und Verrat Ruhm und Ehre dem deutschen Soldat“.
Die inhaltlichen Parallelen der beiden Bilder sind schnell gezogen. Der Kampf gegen dieselben ideologischen Feindbilder, so hier anscheinend die Kernaussage, müsse weiterhin gekämpft werden. Die von Merchandise-Seiten wie wehrmacht1945.de fortgeführten Bildtraditionen sind extrem eindeutig und, wie bereits in meiner Recherche zu T-Shirts als identitätsstiftende Medien deutlich wurde, außerhalb der die-hard Neonazi-Szenen wenig anschlussfähig an eine breitere Gesellschaft. [4]
Ein Akteur, der das Oszillieren zwischen Eindeutigkeit und Anschlussfähigkeit gefährlich gut zu beherrschen scheint, ist der Instagram-Account @wilhelm_kachel. Geführt wird der Account von einem Mann namens Alexander Kleine, der laut der Watchdog-Seite Belltower.News auch hinter dem von der AfD für Teile des für den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 konsultierten rechtsextremen Medienunternehmens „Tannwald Media“ steht. [4] Für die Produktion der Memes und Sharepics, die auf dem Account „Wilhelm Kachel“ fast täglich gepostet werden, kommt generative Bild-KI zum Einsatz. Eine Technik, die der Züricher Kulturtheoretiker Roland Meyer in seinem Essay „Echte Emotionen: Generative KI und Rechte Weltbilder“ als „Nostalgiemaschinen und Klischeeverstärker“ bezeichnet. Meyer führt dort aus, wie Softwares wie Dall-E, Midjourney und Co. sich bedingt durch ihre Funktionsweise so gut dafür eignen würden, reaktionäre Weltbilder wortwörtlich zu produzieren: Indem sie erstens nur aus bereits vorhandenem Material neues Material schaffen und somit oft vorhandene Klischees verstärken. Und sie zweitens sehr gut in „Style Transfer“ sind – eine Technik, in der neues Bildmaterial im Stil von bereits Bekanntem produziert wird. [6] Aktuell wurde diese etwa in der Verwendung der Social Media Accounts des US-amerikanischen White House stark kritisiert, nachdem diese deportierte Migrant:innen in bloßstellenden Momenten und gleichzeitig verharmlosend im (mutmaßlich) geklauten Stil von Ghibli Studios veröffentlicht hatten. [7] Wilhelm Kachel hingegen greift oft zurück auf verklärende Ästhetiken, die an Heimatfilme der 1950er Jahre oder an Idyllen ähnlich der Genremalerei des 19. Jahrhunderts erinnern lassen – und an propagandistische Plakate der NSDAP. Die vermeintliche Zukunftstechnologie der generativen Bild-KI diene also weniger der Visualisierung möglicher Zukünfte, so Meyer, als der Produktion alternativer Vergangenheiten: „Generative KI, und darin ist sie strukturell nostalgisch, produziert mehr oder minder erwartbare Rekombinationen vertrauter Muster. Das macht die Technologie so anschlussfähig für die globale Rechte, zielen doch deren Versprechen auf die Wiederherstellung einer Vergangenheit, die es so nie gab und die primär in Bildern existiert.“ [8] Die Anschlussfähigkeit der über den Account Wilhelm Kachel geteilten Share Pics ist jedoch meiner Ansicht nach nicht alleine auf ihr strukturell Nostalgisches zurückzuführen, sondern auch in der zeitlichen Ebene und Quantität der Postings zu finden, sowie in der Übersetzung tradierter Bildsymboliken historischer NS-Propaganda in popkulturell konsumierbare Postings.
Die Strategie des ‚throw things at the wall and see what sticks‘ wird häufig im Kontext von monetarisiertem AI Slop, etwa auf Facebook, und von Slopaganda – ein Kofferwort aus AI Slop und Propaganda – zitiert. Billig, schnell und in großen Mengen hingerotztes Bildmaterial wird da von Akteur:innen in die digitalen Plattformen gespült und was kleben bleibt, bringt Aufmerksamkeit und damit Geld. [9] Wilhelm Kachel scheint in ähnlicher Form eine Strategie der Quantität von disseminiertem Bildmaterial zu verfolgen. Die Beiträge wirken dabei jedoch wesentlich kuratierter im Hinblick auf möglichst diverse Zielgruppen. Ich möchte hier zwei Kategorien von Postings hervorheben: Erstens die des eindeutigen Zitats historischer Plakate der NSDAP, wenn etwa die verschwörungstheoretische Figur des „jüdischen Drahtziehers“ [10] in der Person George Soros’ als „der Manipulator“ aktualisiert wird.

Rechts: Hans Schweitzer: „Schluss jetzt!“ Plakat zur Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932.
Oder wenn die Figur des versklavten Arbeiters, der in einem Plakat zur Reichspräsidentenwahl 1932 durch die Wahl Hitlers die Ketten des „Systems“ [11] zu sprengen vermag, in einen durch die „Schulden der alten Regierung“ versklavten deutschen Steuerzahler übersetzt wird – inszeniert in militärisch anmutender Kleidung und Stiefeln, die Hemdsärmel im Stil der Arbeiter-Figur hochgekrempelt, im Hintergrund endlose Baracken, die an historische Fotografien von Konzentrationslagern denken lassen.
Eine zweite Kategorie von Postings stellen jene dar, deren Botschaften versteckter und deren Ästhetik zeitgenössisch-popkulturell anschlussfähiger sind. Diese Bilder zeigen oft idealisierte Darstellungen junger (deutscher) Frauen und Männer, die für viele User:innen sicherlich Identifikationspotenzial haben. Diese Kategorie arbeitet auch eher auf einer humoristischen Ebene, ähnlich der Funktion von Memes, über die im Verstehen des Witzes ein Gefühl von Zugehörigkeit produziert wird. [12] Statt Vitamin D soll hier also am Strand „Vitamin Deutschland“ getankt werden und Mut antrinken lasse sich „nur mit Rohmilch!“ Milch ist dabei ein Code für einerseits Anti-Veganismus sowie für andererseits – aus der US-amerikanischen White Supremacist-Szene stammend – eine vermeintlich biologisch fundierte Überlegenheit weißer Personen. [13]
Als eine der rund 16.500 User:innen [14], die den Account Wilhelm Kachel abonniert haben, bekomme ich also täglich ein bis zwei solcher Bilder in meinen Feed gespült. Manche davon wirken harmlos und manche sind eindeutig als Hetze einzuordnen. Die Identifizierung mit den harmloseren Postings hat dabei, vermute ich, zum einen das Potenzial, den Konsum – und womöglich auch das Teilen – der hetzerischen Beiträge zu normalisieren. Menschenverachtende Verschwörungstheorien und abwertende Propaganda laufen somit Gefahr, als Mainstream wahrgenommen zu werden. [15] Gleichzeitig sind diese Bilder meinem Verständnis nach nicht einzeln zu begreifen, sondern als sich gegenseitig kontextualisierend, indem die historischen, die „nostalgischen“ Rollenbilder auf zeitgenössische Charaktere übertragen werden. Der Rohmilch trinkende Hüne steht somit in direkter Linie mit dem durch Schulden der alten Regierung versklavten Steuerzahler, der wiederum mit hochgekrempelten Hemdsärmeln seit Kriegsende 1945 nicht aufgegeben hat, gegen Lüge und Verrat zu kämpfen. Hier wird also über Bildpraktiken struktureller Nostalgie in Verbindung mit popkultureller Ästhetik und einschlägiger Symbolsprache eine Erzählung geschaffen, die einen Kampf des deutschnational-Seins in eine lange historische Tradition stellt. Was KI-generiertes Bildmaterial so anschlussfähig macht – und damit so gefährlich gut für diese Erzählung instrumentalisierbar – ist, dass sie die ästhetische Ebene der Nostalgie einer vermeintlich besseren vergangen Zeit so nahtlos mit unseren modernen, digital geprägten Sehgewohnheiten verbindet.
Endnoten
[1] „18“ sowie „88“ sind Codes der Neonazi-Szene, die sich aus einer Durchnummerierung des Alphabets ableiten. Die 1 und die 8 stehen somit für „AH“, was die Szene mit Adolf Hitler assoziiert. „88“ wird nach diesem Schema zu „Heil Hitler“.
Vgl. etwa die Datenbank für Hass-Symbole der Anti Defamation League.
[2] Witamwas, 2016. S. 46.
[3] Die „internationale Hochfinanz“ steht dabei für anti-jüdische Verschwörungstheorien, wie sie auch heute noch kursieren. In einem anderen Plakat aus dem Jahr 1930 wird diese Botschaft noch mittels eines durch ein Schwert in den Schlangenkopf geritzten Davidsterns verdeutlicht.
Vgl. Witamwas, 2016. S. 47.
[4] Bösch, 2021.
[5] Belltower.News, 2024.
[6] Meyer, 2025.
[7] The Verge, 2025.
[8] Meyer, 2025.
[9] 404 Media, 2025.
[10] Witamwas, 2016, S. 49.
[11] Das zu jener Zeit gerade noch bestehende „System“, gegen das hier bildgewaltig angekämpft wird, ist die Weimarer Republik.
Vgl. Witamwas, 2016, S. 64ff.
[12] von Gehlen, 2020, S. 14.
Zu politischer Mobilisierung über solche In-Group Phänomene vgl. etwa Angela Nagle: Die digitale Gegenrevolution, 2018.
Oder Simon Strick: Rechte Gefühle, 2021. Insbes. den Abschnitt zu „bottom-up Plausibilisierungen“, S. 83ff.
[13] The Conversation, 2017.
[14] Stand 13.06.2025.
[15] Zu Mechanismen solch eines “mainstreaming of extremism” vgl. Cynthia Miller-Idriss: Hate in the Homeland, 2020. Insbes. das Kapitel „Mainstreaming the Message“, S. 45–68.
Literatur-, Quellen- & Ressourcen-Nachweise
404 Media: „AI Slop Is a Brute Force Attack on the Algorithms That Control Reality“, 2025.https://www.404media.co/ai-slop-is-a-brute-force-attack-on-the-algorithms-that-control-reality/, letzter Zugriff 14.06.2025.
Anti Defamation League: „Hate Symbols Database“.
https://www.adl.org/sites/default/files/, letzter Zugriff 14.06.2025.
Belltower.News: „Tannwald Media. AfD beauftragt Rechtsextremen mit KI-Wahlkampf“, 2024.https://www.belltower.news/tannwald-media-afd-beauftragt-rechtsextremen-mit-ki-wahlkampf-157509/, letzter Zugriff 13.06.2025.
Bösch, Magdalena: „Sind T-Shirts die besseren Plakate von heute? Überlegungen zu Mechanismen von Identitätsstiftung eines am Körper getragenen Bildmediums“. 2021 (unveröffentlicht).
The Conversation: „Milk, a Symbol of Neo-Nazi Hate“, 2017.
https://theconversation.com/milk-a-symbol-of-neo-nazi-hate-83292, letzter Zugriff 15.06.2025.
Meyer, Roland: „Echte Emotionen. Generative KI und rechte Weltbilder“, 2025.
https://geschichtedergegenwart.ch/echte-emotionen-generative-ki-und-rechte-weltbilder/, letzter Zugriff 14.06.2025.
Miller-Idriss, Cynthia: Hate in the Homeland: The New Global Far Right. Princeton, 2020.
Nagle, Angela: Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump. Bielefeld, 2018.
Strick, Simon: Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus. Bielefeld, 2021.
The Verge: „ChatGPT’s Ghibli filter is political now, but it always was“, 2025.
https://www.theverge.com/tech/638603/studio-ghibli-chatgpt-ai-filter-white-house-meme, letzter Zugriff 15.06.2025.
von Gehlen, Dirk: Meme. Muster digitaler Kommunikation. In der Reihe „Digitale Bildkulturen“. Berlin, 2020.
Witamwas, Birgit: Geklebte NS-Propaganda. Verführung und Manipulation. Berlin/Boston 2016.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Hans Schweitzer: „Tod dem wahren Feind!“. Reichstagswahl 20. Mai 1928. 63 x 44 cm. In: Witamwas, Birgit: Geklebte NS-Propaganda. Verführung und Manipulation. Berlin/Boston 2016, S. 206.
Abb. 2: Wehrmacht1945.de: Produktseite T-Shirt „75 Jahre Lüge und Verrat Ruhm und Ehre dem deutschen Soldat“. Screenshot.
https://www.wehrmacht1945.de/en/Dresden-commemoration/75-Jahre-Luege-und-Verrat-Ruhm-und-Ehre-dem-deutschen-Soldat-T-Shirt–647.html, letzter Zugriff 11.06.2025.
Abb. 3: M.E.: „Der Drahtzieher“. Völkischer Block, Reichstagswahl 4. Mai 1924. 125,5 x 95 cm. In: Witamwas, Birgit: Geklebte NS-Propaganda. Verführung und Manipulation. Berlin/Boston 2016, S. 207.
Abb. 4: Hans Schweitzer: „Schluss jetzt!“. Reichspräsidentenwahl 13. März 1932. 85 x 62 cm. In: Witamwas, Birgit: Geklebte NS-Propaganda. Verführung und Manipulation. Berlin/Boston 2016, S. 213.