Regie: Kirill Serebrennikov, Burgtheater , 19. Mai 2024
BAROCCO
© Fabian Hammerl
Ein Stück über den Tod und für den Frieden
(Anna-Maria Bernhofer )
Mit Barocco verwandelt Kirill Serebrennikov die Bühne des Burgtheaters in einen brennenden Assoziationsraum. Theater-, Musik- und Tanzperformance schaffen Sphären, die Serebrennikov politisch unterdrückten Menschen widmet. Ähnlich einem Potpourri werden barocke Musikstücke von Bach, Monteverdi, Händel, Rameau und Vivaldi, mit Rock- und Weltmusik gemischt, während davor, danach und parallel, Geschichten durch das Spiel (nach)erzählt werden. Im Zentrum von Serebrennikovs Werk steht das Feuer, sowie die Schicksale jener Menschen, die sich in vergangenen Jahren selbst verbrannt haben. Auch die Unvermeidbarkeit des Todes wird mit einem lustigen Moment durch das Spiel von Tilo Werner im Clown Kostüm behandelt, bei dem er die vierte Wand durchbricht und mit dem Zuschauerraum interagiert.
Der Abend beginnt düster. Man hört Nieselregen, auf der Bühne streifen lustlos Menschen umher, in dunkle Mäntel eingewickelt und Regenschirme in der Hand. Die einzige Lichtquelle ist eine flackernde Straßenlaterne. Jemand hält ein Plakat mit der Aufschrift „Fire“ hoch, ein anderer versucht die Straßenlaterne zu reparieren und stirbt dabei durch einen Stromschlag. Auf diese bedrückende Szene wirkt die darauffolgende musikalische Darbietung mit akrobatischem Liebesakt zuerst fehl am Platz, doch im Verlauf des Stücks scheint Serebrennikovs Intention immer mehr durchzuscheinen. Es mischen sich wiederholt bedrückende mit ‚lebensbejahenden‘ Szenen, und das Dargebrachte scheint ein Potpourri für den Friedensschluss zu sein – sehr passend, da Serebrennikov das Stück auch sein „Manifest für die Freiheit“ nennt.
Ein besonderer Moment des Abends ist der Tanz eines Plastiksackerls. Eingerahmt durch drei aufgestellte Holzwände, an deren Ecken jeweils eine Person mit Ventilator hockt, führt das Sackerl innerhalb der aufgestellten Konstruktion, durch die dort zirkulierende Luft, einen besonderen Tanz auf. Es folgt später auch ein*e Tänzer*in der/die auf die Bewegungen des Sackerls gekonnt reagiert und mit der Performance anschließt. Ein weiteres ‚Special‘ ist der Straßensänger Jovey, der gebürtige Brasilianer überzeugt mit gesanglicher Leichtigkeit, sowie mit seinem berührenden Monolog über geflohene Menschen in Berlin. Neben ihm, wie so oft an diesem Abend, Feuer, diesmal in Form einer brennenden Mülltonne an der sich Jovey wärmt.
Brandherde finden sich in diesem Stück überall, sie scheinen einen roten Faden zu bilden, welcher sich bis zum Ende durchzieht. Und dennoch wirkt die Aneinanderreihung von Musik, Spiel und Tanz oftmals etwas fragmentarisch. Ein Moment, der in diesem Sinne hervorsticht, ist der Klavierauftritt von Daniil Orlov persönlich.
Von einem Spotlight begleitet begibt sich der Künstler über den Zuschauerraum auf die dunkle Bühne, seine rechte Hand ist mit Handschellen an einen gelangweilt rauchenden Security Guard gekettet. Auf der Bühne steht ein Klavier für Orlov bereit, auf welchem er einhändig eine grandiose musikalische Darbietung zaubert, während hinter ihm mittels Projektion Flammen lodern. Serebrennikov inszeniert in Barocco zahlreiche nennenswerte Aspekte, jeder Augenblick scheint mit Bedeutung aufgeladen. Dadurch wirkt die etwas über zwei Stunden dauernde Aufführung sehr kurzweilig, doch erweist es sich als fast unmöglich, alle Eindrücke an einem Abend vollends zu erfassen.
Barocco bei den Wiener Festwochen.
Wo ein Funke versucht, das Feuer der Revolution zu entfachen
(Maike Echle)
Was bringt einen Menschen dazu, sich aus politischer Motivation selbst anzuzünden? Dieser Frage widmet sich unter anderem Kirill Serebrennikovs musikalisches Manifest Barocco. In der Inszenierung des Komponisten selbst, die 2023 im Thalia Theater in Hamburg ihre deutschsprachige Uraufführung hatte und nun für die Wiener Festwochen ins Wiener Burgtheater eingeladen wurde, überzeugen kraftvolle Bilder mit ebenso kraftvoller musikalischer Begleitung. Auf mitreißende Art und Weise wurde hier die Geschichte einiger Menschen erzählt, die ihr Leben aufs Spiel setzten, in der Hoffnung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Das Motiv des Feuers zieht sich hier wie ein (oder zieht vielmehr einen) roten Faden durch das Stück und wirft die Zuschauenden immer wieder auf die ‚brennende‘ Frage zurück: Wie schlimm muss eine Gesellschaft sein, dass man es bevorzugt aus Protest zu brennen, statt weiter dort zu leben?
Ebenso wie der Funke, der zu Beginn des Stücks von einer Straßenlaterne ausgeht, soll Barocco der Funke für uns als Gesellschaft sein, nicht funktionierende Systeme zu reparieren und wieder funktionsfähig zu machen. Dies scheint zumindest die quintessenzielle Botschaft von Serebrennikovs Manifest zu sein. Darauf deutet auch der Ausruf „Wir leuchten, wir brennen, wir sind das Feuer!“ hin, der im Zuge der Thematisierung der 68-Revolte in Paris fällt. In dieser Szene werden sozialpolitische Themen aufgerufen, die auch heute noch einige der zentralen Diskurse der Gesellschaft bilden. Diese Themen, wie Abtreibung, Klimaschutz und weitere standen damals wie heute auf der Agenda der politischen Kämpfe, wodurch eine Verbindung zwischen der damaligen und unserer Zeit gezogen wird.
Die Sängerinnen geleiten dabei immer wieder mit berührenden Arien durch das Stück und die verschiedenen Geschichten und sorgen dabei für ein Wechselbad der Gefühle. Dabei werden unterschiedliche Genres präsentiert und klassische Stücke erhalten ein modernes Makeover, in Form von beispielsweise zusätzlicher Begleitung durch E-Gitarren, was diesen Stücken noch ein modernes und aktuelleres Flair gibt. Weiters ist außerdem auffällig, dass die Trompete als Instrument bis auf vereinzelte Ausnahmen ebenfalls visuelle Aufmerksamkeit bekommt in der Inszenierung. Die Wahl dieses Instruments war mit Sicherheit nicht zufällig, denn es wirkt beinahe so, als würde sie die Fanfare zum Kampf gegen unterdrückende Regime blasen.
Das Motiv des Feuers in Barocco kann als Funke für Veränderung oder Neuerung betrachtet werden, denn wird etwas niedergebrannt, kann es neu (und wenn nötig, verbessert) wieder aufgebaut werden. Das Stück legt weiters mit der Wortwahl einer „menschlichen Fackel“ nahe, dass der Akt einer Selbstverbrennung von den Menschen, die sich für eine solche radikale Tat entscheiden, möglicherweise als letzte und einzige Möglichkeit gesehen wird, den Weg in eine neue und bessere Zukunft zu leuchten.
Das Stück schließt nach dem Schlussapplaus mit dem Statement „dedicated to all those oppressed by political systems” und macht sich so stark gegen die politische Verfolgung von Künstler*innen und allen Menschen, die unter den autoritären Regimen in ihrer Heimat leiden. Barocco ist ein Plädoyer für Menschlichkeit und Empathie, in einer Welt, die so dringend mehr davon vertragen könnte. Denn, wie viele dieser Selbstopferungen benötigt es noch, um einen Schlussstrich zu ziehen und endlich für eine bessere Welt zu kämpfen?
BAROCCO – Für die Freiheit zur Kunst in stürmischen Zeiten
(Katrin Firlinger)
Am 19.5.2024 besuchten wir im Zuge der Wiener Festwochen anhand der Lehrveranstaltung des Festival-Campus die Aufführung Barocco unter der Regie von Kirill Serebrennikov. Raffiniert und mit vergleichsweise wenigen Mitteln wurden in mehreren Installationen bild- und stimmgewaltige Räume erzeugt, erforscht, dekonstruiert und wieder neu erbaut. Hierbei genügten oft drei quadratische Wände, die sich verschieben ließen und gleichzeitig als Projektionsfläche dienten, in anderen Fällen eine Straßenlaterne, oder ein Mast, welcher auf ein Seil gespannt wurde. Getragen wurde das Werk von Ideen, Lichtstimmungen, Farben, Klängen, Symbolen, Zeichen, Projektionen und natürlich auch von den Sänger*innen, Tänzer*innen, Musiker*innen und dem Chor, welche unglaubliche künstlerische Leistungen vollbrachten.
Besonders an dem Musiktheaterwerk ist, dass in dessen Zentrum bildhafte, traumartige und intuitive Bilder stehen. Als Mischung aus Poesie, Musiktheater, Tanz- und Performance-Kunst werden in Barocco Schicksale, philosophische Sichtweisen und auch historische Thematiken aufgegriffen und in Verhältnis zueinander gesetzt. Der Fokus liegt hier auf einer bildhaften Erzählweise, im Gegensatz zu einer sprachlichen. So werden alle gesungenen Passagen in ihrer Originalsprache, meist auf Französisch, oder Italienisch, aufgeführt. Auf das Einblenden von Übertiteln wird zum Großteil verzichtet, um die Immersivität zu stärken.
Wenn auch anhand des Namens zuvor vermutet werden kann, dass im Zentrum Baroccos allein die Barockmusik stünde, so wird schnell klar, dass Serebrennikov vielmehr den Zeitgeist des Barocks einfangen und diesen mit zeitgenössischen Ideen, Sehnsüchten und Lebenserfahrungen ins Verhältnis setzen möchte, als dass er für sich den Anspruch erhebt, die musikalische und künstlerische Ästhetik des Barocks zu rekonstruieren. Als zentraler Punkt des Musiktheaterwerks stehen weiterhin die Melodien Bachs, Monteverdis, Vivaldis, Händels und viele mehr im Fokus, die Arrangements sind jedoch verändert und modernisiert. Teilweise werden lediglich Textpassagen zitiert und wiederholt, während mit dem musikalischen Thema gespielt wird. Die weiteren Stilrichtungen erstrecken sich von Jazz, Boogie, Tango, Chanson, spanische, ungarische, mexikanische Tanzmelodien bis hin zu Deutsch-Pop/Rock. Neben Streichern und dem Cembalo spielten Westerngitarre, E-Gitarre, Flügel, Trompete, Melodica, Trommeln und ein Schlagzeug, was eine unheimliche Bandbreite an Klängen und Stimmungen erlaubte. Vor allem der Countertenor Odin Biron, Pianist, Daniil Orlov und Sopranistin Yang Ge sind an dieser Stelle für ihre außerordentliche künstlerische Leistung zu nennen.
Ein zentraler roter Faden, der sich durch das Werk zog, war bis zuletzt das Feuer. In diesem Zusammenhang war ein ebenfalls wiederkehrendes Thema der Prager Frühling und das Schicksal Jan Palachs und seiner Nachahmer, welche sich aus Protest gegen den Einmarsch der UdSSR selbst verbrannten. Projektionen von Feuer, Protestmärschen in schwarz-weiß, der Einsatz von Kameras und gezielter Pyrotechnik, in welcher ein Miniaturhaus verbrannt wird und die Einblendung von Hassreden schaffen zeitweise ein beklemmendes Gefühl, welches in starkem Kontrast zu anderen gezeigten Installationen steht, in welchen wiederum der Fokus auf die Lebensfreude, die Liebe zur Kunst und der Appell zur Freiheit ebendieser gesetzt wird. Die menschliche Existenz wird als Drahtseilakt zwischen zwei vermeintlich nicht vereinbaren Gegebenheiten dargestellt. Elemente des Memento Mori werden im Zusammenhang mit dem Verbrennen, dem Ausbrennen, dem Auslöschen, Verlöschen, Verglühen immer wieder aufgegriffen, ohne direkt genannt werden zu müssen. Schönheiten eines einzelnen Momentes des Brennens werden indes umso nahbarer und wertvoller dargestellt. Das Stück selbst endet mit der Arie „Tristes apprêts“ aus der Oper Castor et Pollux. Einer langanhaltenden Explosion und einer Zeit des Aufruhrs folgt ein idyllischer Sonnenuntergang, untermalt durch einen ruhigen Dur-Akkord.
Barocco bietet eine eindrucksvolle Bandbreite der Zelebrierung der Kunst dar, welche in der Reichhaltigkeit ihrer Bildgewalt und Symbolträchtigkeit zeitweilig beinahe überfordert. Serebrennikov und all den an der Produktion beteiligten Mitarbeiter*innen ist mit Barocco dem zu trotz ein erstaunliches Kunstwerk gelungen.
Manche Flamme lodert, eine andere brennt
(Valentin Thier)
Das Feuer brennt in allen Sprachen. Menschen werden unterdrückt, das geschieht weltweit. Menschen stehen dagegen auf, das geschieht weltweit. Kirill Serebrennikovs Stück Barocco versucht, einen roten Faden zwischen Protest gegen Oppression, individuellem Aufruhr gegen gesellschaftliche Zwänge beziehungsweise gegen gewaltvolle Strukturen zu spannen, und findet ihn im Feuer. Ob das ohne Romantisierung auskommt? Der rote Faden wird zur Zündschnur.
Auf der Bühne lodern die Flammen. Immer wieder und immer wieder woanders. Das Feuer wird vom Symbol des Protests zur zerstörerischen Kraft, die dennoch Veränderung bewirken will. Die Rebellion, die Revolution, sie brennt. Sie brennt so stark, dass Individuen daran willentlich zugrunde gehen, sich der Flamme aussetzen und qualvoll sterben. „Dedicated to all those oppressed by political systems“ heißt es am Ende der zwei Stunden und fünfzehn Minuten dauernden, imposanten, teils überfordernden, teils pathetischen Ode an die Revolution im Burgtheater. Barocco versucht, vieles zu sein, vieles zu sagen, Fäden zu stricken von Aufstand zu Protest, von Individuum zu Kollektiv. Fäden, die letztlich jedoch ebenso brennbar sind. Denn dass dieses Projekt zwar imposant ist, aber auch einige Fragen aufwirft, wird mir im Laufe des Abends und in den Gesprächen danach immer mehr bewusst.
Ungeklärt bleibt nicht nur, ob sich manche Fäden stricken lassen, sondern auch, von wem sie gezogen werden und schließlich, wer sie anzündet. Immerhin sind es trotzdem echte Schicksale, die auf der Bühne ins Feuer geworfen werden. Aktivist*innen, die sich selbst angezündet haben, an der Flamme starben. Das ist alles real. Das ist wirklich passiert. Hierbei stellt sich also die Frage, inwiefern diese Schicksale durch Arien romantisiert werden. Denn der Abend ist durchwachsen, die schauspielerischen, musikalischen, tänzerischen Darbietungen ausgezeichnet. Der inhaltliche Zusammenhang teilweise verwirrend und in starkem thematischem Kontrast zur besungenen Schönheit. Im Kontrast mit dem Tod. Oder weiter: dem romantisierten Tod. Zumindest ist das ein Eindruck, der aus der Kombination der beiden Themenfelder entstehen kann. Inwiefern dies wirklich der Fall ist, lässt sich nicht ganz klar beantworten, zumal ich nicht weiß, in welchem genauen biographischen Kontext Serebrennikovs Stück entstanden ist und ich mir keinesfalls anmaßen möchte, diesen zu beurteilen.
Dennoch öffnet Barocco viele (brennende) Fässer, auf viele verschiedene Weisen, sucht aber den Zusammenhang im gemeinsam lodernden Feuer. Die Symbolik geht oft auch ganz gut auf. Ein Tanzensemble aus fünf Personen, die einzeln brennende Fetzen anzünden, mit den Funken tanzen, bis diese erlöschen. Tanzenden Personen, die mit dem Feuer spielen. Auch die Tanzeinlage mit einem in der Luft herumwirbelnden Plastiksackerl, die erst wie eine Versöhnung mit dem Unkontrollierbaren wirkt, dann wie ein Abschied davon, hallt wie eine Ode an den Weltschmerz nach. Die schöne neue Welt, die im KI-generierten Video explodierenden Häuser. Es ist eine flammende Abrechnung mit… Naja, mit Vielem. Wobei ‚Vieles‘ als Überbegriff wenig ausdifferenziert ist. Denn der gemeinsame Nenner bleibt in Barocco der Tod. Doch es entsteht der Eindruck, dass dieser ebenso einheitlich sei, durch die Flamme Schicksale vereinbar. Auch hier gibt es meines Erachtens nach Bedarf zur Ausdifferenzierung, zur Kontextualisierung. So bleibt nicht jeder gespannte rote Faden vom Feuer verschont. Alles in allem ist der Abend durchwachsen, mancher Funke entfacht, mancher ertrinkt im brennenden Fass.
Nachtkritik Barocco
(Gabriel Radwan)
Grenzen verwischen
Mit Barocoo wird im Burgtheater eine imposante Vorstellung inszeniert, welche einen Appell gegen unterdrückende Regime ausspricht. Dies scheint die durchgehende Botschaft des Stücks zu sein, dass sich quer durch verschiedene Bühnenbilder und Szenarien bewegt und klar macht, dass es bei keinem länger Halt macht. Genauso verspielt ist auch der Umgang mit Musik, denn hier soll in verschiedenen Aspekten klargestellt werden, dass totalitäre Herrschaften immer das gleiche, schreckliche Leid hervorrufen, egal wo auf unserem Erdball. Alle werden hier mit einbezogen. Zu Beginn, nachdem mit einer ergreifenden Arie klargemacht wird welche Art von Musik uns erwarten könnte, wird auch das Motiv des Feuers vorgestellt. Mehrere Interpretationen des Wortes Feuers stellt der Schauspieler vor und ein gedanklicher Samen wird in unsere Köpfe gesetzt: Hier werden Grenzen verwischt und wir alle sitzen im selben Boot.
Kohärenz und Appell
Der direkte Appell, an einer Stelle direkt ein Aufruf mit Megafon und allem Drum und Dran, ist geradezu greifbar und geht auch unter die Haut. Ob man die Art dieser Kritiken mag, ist wohl persönlicher Geschmack. Manchen mag es etwa zu wenig subtil sein, doch in den Kitsch wird hier nie verfallen. Ich fand mich für längere Zeit in einem Zustand der Verwirrung wieder und konnte der Handlung oder eher den Handlungen nicht konkret folgen. Liegt es an meiner mangelnden Theatererfahrung oder bin ich einfach zu dumm, um die Handlung kohärent zusammenzustückeln? War es eine Anmaßung von Seiten der Theaterschaffenden, welche eventuell ein Stück konstruierten, dem schwer zu folgen ist oder war das alles geplant und es sollte sich mehr um kleine Unabhängigkeiten handeln, die lose zusammengesteckt werden und von einem (feuer-)roten Faden zusammengestickt werden? Vermutlich Letzteres, bei genauerem Nachdenken, aber in diesen Fällen werfe ich mir dann oft selbst vor, einfach die Handlung nicht genau zu durchblicken, bevor ich den Autor*innen etwas vorwerfe. Aber im Großen und Ganzen ist es nicht tragisch, sollte man die Handlung nicht ganz verstehen können, denn die Musik trägt hier das gesamte Konzept absolut mühelos.
Musikalisches Fest
Öfters musste ich mich umsehen und wundern, warum denn alle so ruhig dasitzen. Ich konnte mich grad noch so im eigenen Sessel halten, aber es ist wohl die verstaubte Etikette, sich in einem Theaterstück wie in der Kirche zu benehmen. Um nicht zum alleinstehenden Gespött zu werden, bleibe ich lieber auch sitzen und schwanke einfach leise in meinem Sessel vor mich hin. Das Theater ruft einen Appell aus? Warum nicht mit diesen Konventionen aufhören? Die technische Brillanz der Instrumentalisten und Sänger*innen, der Kompositionen (teilweise basierend auf der Musik barocker Komponisten wie Bach etc.), der Arrangements, der nahtlosen Integration verschiedener Genres hebt auf erstaunliche Weise das Stück auf die nächste Ebene.
K. Serebrennikov: Barocco – Eine lebende Fackel
(Laura Šarochová)
In einem lyrisch-epischen Mosaik bestehend aus mehr oder weniger konkreten Geschichten von Leuten, die eine Entscheidung getroffen haben, in dem Kampf für Freiheit, Wahrheit oder Gerechtigkeit eine lebende Fackel zu werden, stellt der Regisseur Kirill Serebrennikov die Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit des menschlichen Lebens und gleichzeitig seine Schönheit und Kraft in verschiedenen Formen, an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Bedingungen vor. Das Leitmotiv dieses Mosaiks ist der Prozess der innerlichen Überzeugung der jeweiligen Personen, ihr eigenes Leben zu riskieren, um gegen diese oder jene politische oder gesellschaftliche Situation zu kämpfen. In dem Stück, welches wie eine Sonde in das Innere der Seele eines Menschen, der an der Grenze zwischen dem Leben und dem Tod balanciert, vordringt, exzellieren neun SängerInnen und fünf TänzerInnen in Begleitung einer Live-Band.
Das sonst schwarze Bühnenbild dominiert eine Leinwand im Hintergrund, auf welche vor allem zeitgenössische Aufnahmen oder die Stimmung unterstützende Videos projiziert werden. An der linken Seite befindet sich eine Straßenlampe und rechts kann man ein Mitglied der Band sehen. Diese drei fixen Punkte begrenzen den Spielraum des Prozesses der existenziellen Selbstbestimmung. Die verschiedenen Formen der Entscheidungsprozesse, die wechselnden energischen und melancholischen Teile und ein beeindruckendes Light Design bilden ein dynamisches und unübliches, von der Frage nach dem Wesen des menschlichen Lebens, seiner Einzigartigkeit und seiner persönlichen und moralischen Ebene im Kontext der gesellschaftlichen oder politischen Ordnung ausgehenden und wieder zu ihm zurückkehrenden Ganzen.
Die Verbindung aus Barockmusik, Tanz und Gesang stellt die innerliche Beichte eines Menschen dar, der durch die Umstände zu einer radikalen Entscheidung im Kontext seiner eigenen moralischen Überzeugung gezwungen wird. Die Gediegenheit und Präzision der musikalischen Einstudierung und der gesanglichen Leistung stellt, ohne unnötige Zusätze und gleichzeitig empfindlich und zärtlich, Momente des innerlichen Kampfes und den Moment der triumphierenden Entscheidung unter vollem Bewusstsein über die daraus resultierenden Folgen dar. Die Dringlichkeit und das Gewicht eines Moments, welcher das Leben eines Einzelnen zum Wohle der Gesellschaft unwiderruflich verändern soll, sind in jedem Moment präsent und ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Aufführung.Kirill Serebrennikov hat gemeinsam mit dem kreativen Team in der Inszenierung Barocco ein eindringliches, politisches Manifest hervorgebracht, welches umsäumt ist von dem Gewicht der definitiven Entscheidung, welches aber zudem den innerlichen Kampf einer Einzelpersönlichkeit mit sich selbst, mit ihrem Entschluss und mit den moralischen Werten unter dem Druck der gesellschaftlichen Einstellung und in Folge des Macht-Druckes miteinschließt. Serebrennikov bringt nicht nur ein politisches Manifest im Sinne der politischen Agitation auf die Bühne, sondern er schreit durch die Bearbeitung der barocken, in manchen Fällen nahezu sakralen, Melodien in einer unüblichen Verbindung mit der persönlichen Revolte gegen das System und gegen das gesellschaftliche und politische Geschehen nach künstlerischer Freiheit in all ihren Formen.
Brennen für den Widerstand? Eine Nachtkritik zu Kirill Serebrennikovs Barocco
(Kathrin Quatember)
Ich habe für den Zeitpunkt der Abfassung der Nachtkritik den Moment direkt nach dem Verlassen der Vorstellung gewählt. Meine Eindrücke sind so vielfältig und ich noch mitten im Versuch des Verstehens, sodass ich bewusst nur ein Element herausgreifen kann und möchte, das mir besonders hängen geblieben ist: Das Motiv des Feuers. Dazu ein paar lose Gedanken:
Der Brand, das Feuer zieht sich als Motiv durch das Stück. In unterschiedlichen Formen: visuell, sprachlich, in historischen Zitaten, als Instrument der Selbstverbrennung als Protestform, als die verbotene Zigarette, als Begriff für die Erschöpfungsdepression, als Teil der Biographie des Erzählenden, als Mündungsfeuer aus der Waffe von Valerie Solanas und als Feuer des Bombenpilzes.
Wenn wir uns all diese Beispiele ansehen, so könnte das Feuer auch als Symbol für die Selbstzerstörung stehen. Der Mensch, der sehenden Auges Natur und Miteinander in Brand setzt unter dem Vorwand, Wohlstand und Glück erhalten zu wollen. Stellt sich natürlich die Frage, wessen Wohlstand und wessen Glück und dass der Wohlstand der Einen das Unglück anderer bedeutet.
Das unhinterfragte Aufstiegsversprechen, das der noch revolutionäre Alt-68er seinem Sohn Jahrzehnte später mit der Forderung, er möge nicht so viel schlafen und sich gefälligst den Wecker stellen, wird vom Vater weitergetragen, so als hätte er den eigenen Protest vergessen. Eine Kritik – so lese ich es – an der 68er-Generation, die zwar revoltierte gegen ihre Eltern, die die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hatten, jedoch in der Bequemlichkeit des sozialen und ökonomischen Aufstiegs im Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg so gar nichts mehr mit der eigenen Revolution anzufangen wissen und sich auch nicht weiter kümmerten um Turbokapitalismus und Klimawandel. Voller Ignoranz gegenüber den nachkommenden Generationen, die gelernt haben, dass Leistung Wohlstand bedeutet, jedoch ob des nicht mehr einlösbaren Wohlstandsversprechens ausbrennen über den täglichen Nachrichtenmeldungen und der Zerstörung der materiellen und immateriellen – sprich politischen und gesellschaftlichen – Lebensgrundlagen.
Während die Umwelt in Flammen aufgeht, schwindet die Resilienz der Menschen, die Ressource der psychischen Unversehrtheit verbrennt jedoch weitgehend unbemerkt von einer Öffentlichkeit, die sich mit der Jagd nach der nächsten Schlagzeile beschäftigt.Besonders beschäftigt mich die Selbstentzündung als Ausdruck des Protests, aber auch der ultimativen Verzweiflung über das Nicht-gehört-Werden. Ich habe mich in der eigenen Forschung sehr umfassend mit Formen des Widerstands und der Resistenz auseinandergesetzt. Ob in der Aktion an sich oder der Folge der widerständigen Handlung: Ihr ist häufig die (Selbst-)Zerstörung eingeschrieben. Je drastischer der Akt, desto wahrscheinlicher ist es diesen nicht zu überleben. Entweder aufgrund der Reaktion des repressiven Regimes oder weil die Selbstzerstörung der widerständige Akt an sich ist. Eine Frage, die ich nicht beantworten kann, aber als Impuls an das Ende meiner Kritik stellen möchte: Ist der öffentliche Suizid, die komplette Selbstauslöschung vor aller Augen in dem Wunsch, aufrütteln und schockieren zu wollen, nicht zugleich der am wenigsten nachhaltige widerständige Akt?
Perlen, brennende Mülleimer oder die Frage „in welcher Sprache wollen wir sterben?“
(Denise Wiesmahr)
Der russische Theaterregisseur Kirill Serebrennikov widmete sein Stück allen von politischen Systemen Unterdrückten. Barocco wird dem Namen gerecht und vereint musikalische Barockperlen mit audiovisuellen Stilbrüchen und Solist:innen sowie einer Handlung, die zwischen den Jahrzehnten, Stilrichtungen und Gefühlen springt und Mülltonnen, Häuser und Geldbörsen auf der Bühne zum Brennen bringt. Thematisch springt die Handlung von den Studierendenprotesten in Paris 1968, Jan Palach, der sich lebendig verbrannte als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in der ehemaligen Tschechoslowakei, intertextuellen Verweisen auf Schöne neue Welt sowie Andy Warhol und einer Welt, die sich nicht von gesellschaftlichen Zwängen einengen lassen will. Große Gefühle tragen durch die Handlung: Liebe und Tod sind auf der Bühne so präsent wie die anwesenden Musiker:innen, die das Geschehen umranden, oder bewusst in den Vordergrund treten. Neben den Solist:innen, sind auch dramatische Sequenzen und Tanzeinlagen sowie ständig wechselnde Bühnenbilder zu bestaunen.
Musikalischer Stilbruch
Ruhe und Schwung wechseln sich ab. Einmal tanzt eine Plastiktüte fragil über die Bühne, dann viele Tänzer:innen in glitzernden Kostümen bis die Musik bricht und metallisch bis futuristische Sounds über die Bühne fegen und narrative Funktionen erfüllen. Sowohl die Solist:innen, als auch die Musiker:innen wie Tänzer:innen bekommen viel Raum, um ihrer Kunst Ausdruck zu verleihen. Neben dem Ensemble aus Streichmusiker:innen sind auch E-Gitarre, Schlagzeug, Piano und eine Rhythmusgitarre auf beziehungsweise vor der Bühne präsent, wie auch Tänzer:innen, die abschließend die Kontrolle über die Bühne übernehmen. Körper und Politik stehen im Fokus der Inszenierung, aber auch gesellschaftliche Fragen rund um Gender und Widerstand werden aufgeworfen und musikalisch-künstlerisch beantwortet.
Brennende Mülltonnen und brennende Häuser
Das Feuer ist als wiederkehrendes Motiv in vielen Handlungssequenzen zu finden. Häuser, Mülltonnen, Manifeste und Taschentücher brennen. Es geht auch um Menschen, die sich bei lebendigem Leib anzünden, um auf Missstände aufmerksam zu machen, so wie der tschechische Student Jan Palach, der sich auf dem Wenzelsplatz anzündete. Auch Manifeste werden verbrannt, während im Hintergrund Bilder von protestierenden Studierenden gezeigt werden. Generell wechselt das Bühnenbild fast so schnell wie die Musikrichtungen was die musikalischen Perlen auch visuell glänzen lässt.
In welcher Sprache wollen wir sterben?
Auch dieser Frage wird musikalisch-visuell nachgegangen und es öffnet den Raum für Interpretationen hinsichtlich der vielfältigen Eindrücke während der Musik und den Dialogen der Darsteller:innen. Längere Dialoge und Übertitel über allen Arien hätten das Gesamtkunstwerk vielleicht länger gemacht, dennoch eine weitere narrative Ebene zu dem sonst musikalischen und visuellen Feuerwerk hinzugefügt.
Cease fire?
Alles Elend der Welt in zweieinhalb Stunden
(Lisa Varouxis)
In der Zeit der Cease Fire Plakate hält Barocco einen anderen Diskurs. Fire, fire, fire, Alarm oder Einladung? Alles brennt, oder alles soll brennen? In diesem selbstgeschriebenen Gesamtkunstwerk, zwischen Musical, Oper und Tanztheater, wird ein anspruchsvoller Takt brillant eingehalten, und eine Reichweite an technischen Fähigkeiten demonstriert. Die Erzählung der Geschichte der politischen Selbstverbrennung übersprudelt an Stilisierung und wird zum ästhetischen Motiv im Hintergrund von Pop Tänzen und Pailletten. In Russland, wo Menschen, die gegen das Regime aufstehen, in hoher Todesgefahr sind, ist der Akt des Einzelprotests eine der einzigen Möglichkeiten des Widerstands.
Meta-Erzählungen überlappen sich in einem Referenz-schwerem Stück, wo starke Bilder, eines nach dem anderen, auf Bildschirmen folgen. Eine Art doom scroll, wo mensch sowohl einen kleinen Tanz als auch einen Vater, der sein totes Kind aus dem Schutt in Gaza hebt, in der Reihe sehen kann. Bei Barocco werden die Revolutionshymnen nicht übersetzt, und damit wird aussagekräftig auf die emotionale Taste gedrückt; nicht der Gedanke, sondern das Gefühl zählt. Schönheit kommt wie ein neoliberaler Effekt vor, ein weiß-bekleideter Pianist auf Hintergrund einer brennenden Welt. Etwas geht zwischen der Erwartung, einige Stücke Schönheit in der Apokalypse zu finden, und dem Versagen des Versuches, das revolutionäre Aufbrennen szenisch zu übersetzen, verloren. Binarität herrscht im Stück, schwarz, weiß, Männer, Frauen, Gutes, Böses. Die Möglichkeiten einer komplexeren Interpretation, fallen schwer.
Ein junger emigrierter Straßensänger und ein Hungerstreik gegen Rassismus, alles Leiden fällt unter den selben kleinen Schirm. Jede Szene ist eine Soap-Vitrine von großen lyrischen Ausbrüchen, und stärkere Botschaften können nur in der Menge untergehen. Alles bleibt auf der selben Ebene stecken. Was passiert, wenn alle Revolutionen auf einmal in einer Kollage zusammenkommen? Kleine angezündete Taschentücher, große Video-Flammen, es wirkt schön oder charmant, und wir sind von Märtyrern begeistert, aber welche anderen Gedanken, oder revolutionären Ansprüche, können wir mitnehmen? Was steht für uns bei endgültigen Verzweiflungstaten wie Selbstverbrennung in hoch-allegorischer Inszenierung noch offen?
In der vollkommenen Ästhetisierung des revolutionären Aktes, wird dieser auf seine visuellen Motive reduziert. Das stilisierte Spiel, was mensch von Musicals kennt, macht dieses ungefähre Stück aus, ein großes Bilderbuch, was leider viel Tausch und Konfuses vor die Realität einer Revolution oder eines Widerstandsaktes hält.
Ein Varieté-Show bricht in der Mitte des Stückes auf, und überzeugt durch seine Ablehnung des übertriebenen Symbolismus und lyrischen Gesangs. Im ironischen doch lebensfrohen Singen, gelingt ein Gleichgewicht, wie eine Erinnerung an die Cabarets der Kriegszeit, wo in den düsteren Zeiten, getanzt und gesungen wurde.
Ein Manifest. Aber für was?
(Hannah Ruppert)
Es war viel und es war spektakulär. Mit ihrer Fülle an Medien (Schauspiel, Gesang, Tanz, Musik, Video), Figuren, Sprachen, Bühneneffekten und verschiedensten Musikgenres sowie einem dichten Netz aus Wort- und Bildzitaten wird Barocco der in der Ankündigung verwendeten Bezeichnung als „Gesamtkunstwerk“ mehr als gerecht. Dabei besticht die Inszenierung durch ein großartiges Ensemble und die Fähigkeit, starke Bilder und Atmosphären zu erzeugen. Gleichzeitig ist es vielleicht auch etwas zu viel des Guten, denn zurück bleibt nach dem Aufführungsbesuch zunächst einmal Irritation und die Frage: Was habe ich da eigentlich gerade gesehen?
Die Inszenierung ist eine Montage von kurzen Schauspiel- und Opernszenen sowie Musik- und Tanznummern, deren übergeordneter Zusammenhang, falls es denn einen gibt, teils unklar bleibt. So ist zum Beispiel ein Mann zu sehen, der bei der Reparatur einer Straßenlaterne einen Stromschlag erleidet und von einem anderen abgelöst wird. Dann jener Mann zwischen zwei Frauen. Eine Gruppe von Andy Warhols, die aus dessen Tagebüchern zitiert. Ein Entertainer in Ritterrüstung, der auf verschiedenen Sprachen vom unabdingbaren Tod aller Menschen singt und vom Publikum gefeiert wird. Eine Frau, die auf einem vom Schnürboden herabhängenden Holzbalken tanzt. Ein brasilianischer Straßenmusiker, der seiner Mutter am Telefon berichtet, sein Publikum könne nicht nachvollziehen, weshalb er die Sonne und das Meer in seiner Heimat gegen den kalten Berliner Winter eingetauscht habe.
Daneben gibt es drei Figuren, welche mehrfach auftauchen: der Student Jan Palach, der sich 1969 auf dem damaligen Wenzelsplatz selbst in Brand steckte, um gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion zu protestieren, dessen Mutter, die den Tod des Sohnes zu verarbeiten sucht und schließlich eine Person, die über Menschen recherchiert, die sich für eine Idee selbst in Brand gesetzt haben und damit zumindest diese beiden Handlungsstränge miteinander verknüpft. Die Tempi der Szenen sind unterschiedlich, jedoch folgen diese im schnellen Wechsel aufeinander. An bunte, laute und knallige Szenen reihen sich konzentriertere, melancholische und tragische Szenen – teils der Kunstform Oper teils den geschilderten schrecklichen Begebenheiten geschuldet –, in denen gedeckte Farben dominieren.
Angekündigt wird Barocco „als musikalisches Manifest für die Freiheit“, als „Manifest für eine künstlerische Revolte gegen eine Welt, die an ihren gesellschaftlichen Zwängen zu ersticken droht“1. In der Tat sind die Begriffe Revolution und Kunst, Freiheit und Unterdrückung erkennbare Schlüsselbegriffe der Inszenierung. Passend im Kontext der Wiener Festwochen und der sogenannten „Freien Republik Wien“ thematisiert das Stück verschiedene historische Revolutionen, so die Studentenproteste in Paris 1968 und den Prager Frühling und erhält dadurch seine sehr ernste Komponente und seinen Bezug zur Realität. An anderer Stelle wiederum protestieren die Darsteller*innen lautstark gegen „alles Langweilige“ und gegen die Zensur: „Die Kunst ist kaputt, wir werden nicht mehr in einer Welt leben, in einer Gesellschaft, in der alles verboten ist“.
Doch was hat das eine mit dem anderen, was hat das Schicksal Jan Palachs mit der parodistisch anmutenden Darstellung eines Protestes gegen Langeweile und für mehr Spaß zu tun? Welcher Zusammenhang von Kunst und Revolution ist es genau, der hier aufgemacht wird?
Vielleicht ist es gerade die Frage nach deren Verhältnis, die die Inszenierung ins Zentrum stellt. So lässt eine vor allem im Kontext der anderen Szenen durch ihre formale Reduziertheit und die ihr zugestandene Dauer sehr eindrückliche Szene, in der eine einseitig mit Handschellen an einen Wachmann gekettete Person, die mit ihrer freien Hand unermüdlich Klavier spielt, mit Bewunderung an jene Menschen denken, die in einem suppressiven System dennoch Kunst machen. Gleichzeitig stellt die Nebeneinanderstellung verschiedener Kunstformen und Darstellungen von Protestkultur die Frage nach der Bedeutung von Kunst als Medium des Protests. Dem gegenüber steht jedoch die Geschichte Jan Palachs, dessen Selbstverbrennung zwar durchaus Performanz aufweist und an Performances der den eigenen Körper als Material einsetzende Body Art denken lässt, durch ihre Tragweite gleichzeitig aber alles andere ist als das. Vor allem jedoch erinnert die etwas befremdlich wirkende und im schnellen Wechsel erfolgende Konfrontation von Szenen, die das Schicksal Palachs thematisieren, mit den reinen Gesang- oder Tanznummern daran, wie furchtbare Nachrichten im Kontext von Medien mit einer Überfülle an Nonsense und reiner Unterhaltung koexistieren und schließlich darin untergehen. Daran, wie sich nicht persönlich betroffene Menschen mit eben jenen Unterhaltungsmedien von den schrecklichen Dingen der Welt ablenken können. Auf der Mikroebene ist diese menschliche Fähigkeit, Ausmaß und Art der emotionalen Involviertheit in kürzester Zeit zu ändern, an den Reaktionen der Zuschauenden zu beobachten. Während in einer Szene andächtige Stille herrscht oder mit geradezu andächtigem Staunen die Tänzer*innen betrachtet werden, evoziert die Szene mit dem Entertainer lautes Lachen.
Diese Position des passiven Rezipierens wird auch an anderer Stelle thematisiert. Die Szene, in der die Darsteller*innen mit lauten Protestrufen revolutionäre Parolen skandieren, macht die Diskrepanz zwischen aktiven Performer*innen auf der Bühne und passiven Zuschauer*innen so deutlich, dass es geradezu grotesk ist und gewissermaßen als Sinnbild des*der durchschnittlichen Burgtheaterbesucher*in vor den TV-Nachrichten wirkt. Diese Rezepetionshaltung der Zuschauenden wird in der Straßenmusikszene auch auf der Bühne gespiegelt. Wenngleich nach dem Aufführungsbesuch zunächst eine regelrechte Reizüberflutung und Irritation überwiegt, erinnert das längere Nachdenken über die Inszenierung an die durchaus vorhandenen starken Passagen und lässt feststellen, dass die Produktion viele Fragen aufwirft, über die es sich lohnt, nachzudenken. Beim Publikum im Saal scheint die Inszenierung sichtlich Gefallen gefunden zu haben, denn sie wird mit langem Applaus und Bravorufen quittiert.
- https://www.festwochen.at/barocco#, Zugriff am 19. 5. 2024. ↩︎
Nachtkritik Barocco
(Pierrick Le Jeune)
Am 19. Mai 2024 wurde das Stück Barrocco für die Wiener Festwochen aufgeführt. Es wirkt genauso wie ein Revue-Stück mit einer Reihe von Szenen, die die künstlerische Revolte inszenieren. Eine ganze Reihe von performativen Künsten wird verwendet, um den generellen Zwang der Revolution in Form von Kunst zu thematisieren. In einer verrückten, globalisierten Welt mit einer durchdrehenden Politik ist vielleicht die Antwort Feuer. Das Feuerelement durchzieht das ganze Stück, als ein faszinierendes Element, das Leitmotiv dieser kommenden Revolution werden könnte. Feuer wärmt, fasziniert, zerstreut, sorgt für generelle Aufmerksamkeit, ist politisch, ist aber auch genauso frei, wie die Künste sein mussen, und erlaubt reinen Tisch zu machen.
Das Code-Gewirr des Stückes
Das Stück nutzt eine große Reihe von Codes, welche für eine Verwirrung sorgen, die auch in der Kunst zu sehen ist. Zum Beispiel wurde einmal eine Szene mit clownesken Codes gespielt, die sehr anders sind. Die Bühne wurde nicht mehr beleuchtet und ein Sänger, der als Clown bezeichnet werden kann, hat im Publikum eine Nummer aufgeführt. Er wurde von zwei Musiker*innen begleitet, die mitgespielt haben. Die Codes waren die einer Clown- Show: das Publikum hat mitgeklatscht, mitgesungen und der Clown hat von seinem geheimen Einverständnis mit dem Publikum viel gespielt. Auch wenn sie inhaltlich besonders störend war, hat diese Szene für generelle Begeisterung gesorgt. Magienummern werden dabei eingesetzt. Und plötzlich hat die Clown-Nummer aufgehört und Platz gemacht für ein symbolistisches Moderntanz-Stück, welches die Asche thematisierte. Es gab Lichteffekte mit Pyrotechnik, als die Künstler getanzt haben. Die Poetik klang ganz anders und die Stimmung hat sich sofort geändert. Alle die Nummern haben aber die gleiche Lust sich zu befreien gemeinsam. Die Tänzer*innen haben große Anstrengungen mit ihrem Körper vollbracht, und die Sänger*innen mit ihren Stimmen. Die Musik war laut und leidenschaftlich. Die Schauspieler*innen und Opernsänger*innen haben auch sehr hektisch gespielt, oder unter Zwang.
Ein grenzenloses Stück für die grenzenlose Kunstbefreiung
Im Stück werden viele Sprache gesprochen: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch,… Sie spielten zum einen eine Rolle dabei die verschiedenen Codes zu vermischen, aber zum anderen auch um das Stück grenzenlos zu machen. Feuer wurde in allen möglichen Sprache gesagt, auch, die die unmöglich zu sagen sind, wie als der Protagonist das 火 Ideogramm gezeigt hat, oder als das Wort in russisch geschrieben wurde. Das Stück hat von vielen fremden Künsten Anleihen genommen. Es gibt zum Beispiel Hinweise an die asiatische Kultur: ein asiatischer Tanz, in dem die Sonne angebetet und ermahnt wurde, aber auch eine Skelett-Puppe kommt vor, die an japanisches Bunraku erinnert. Das wurde aber auf Deutsch mit abendländischer Oper besungen. Die Verwendung von verschiedenen Sprachen, Künsten und Kulturen, die alle gemischt werden, sorgt dafür, dass das Publikum die Lust der Kunstbefreiung spüren kann.
In Summe ist Barocco ein Totalkunstwerk, das wirklich sehenswert ist. Nicht nur Total wegen der Reihe von Kunstarten, die verwendt werden, aber auch wegen der internationalen Darstellung der Künste. International braucht Kunst eine Revolution, eine Befreiung.
Barocco: Ein unspezifischerer Appell an Radikalen Protest
(Ivana Himmelreich)
Barocco beginnt mit einer etwas verwirrenden Szene. Eine weiblich gelesene Person und eine männlich gelesene Person haben Sex in einem Auto. Währenddessen singt eine andere weiblich gelesene Person zur männlich gelesenen. Auch im weiteren Verlauf des musikalischen Theaters steht der Mann im Vordergrund. Zwei weiße Männer, schätzungsweise zwei der Autoren des Theaterstücks, stehen während den zwei Stunden und 15 Minuten im Fokus. Sie sind die einzigen, denen Redezeit eingeräumt wird. Der erste spricht über seine Depression. Und philosophiert darüber, ob das Feuer die wirksamste und gewalttätigste Form des Protestes ist. Die einzige Frau, der Redezeit zu Ende des Stücks eingeräumt wird, scheint seine Ehefrau zu sein. Der Höhepunkt seiner Depression scheint die Zerstörung derer beiden Grundstücks zu sein. Der zweite Mann spricht davon, dass alle, mit Blick aufs Publikum, sterben müssen. Interaktiv tanzt er durch die Reihen, umarmt eine Frau ohne wirklich consentabzuwarten und singt auf verschiedenen Sprachen, dass wir bald alle sterben werden. Es erscheint rätselhaft, warum das Publikum laut lacht, wenn er eine Sprache wie Türkisch, Spanisch oder Ungarisch ankündigt. Als er anfängt, auf Ungarisch mit dem Publikum zu reden, erstirbt das Lachen. Es wurde wohl klar, dass die verschiedenen Sprachen keine Parodie, sondern Inklusion bewirken sollen.
Die Tanzeinlagen des Stücks sind atemberaubend, es wurde versucht die Tänzer*innen in verschiedenen Geschlechterformen abzubilden. So trägt eine männlich gelesene Person ein Kleid. Dennoch verfallen die männlich gelesenen Personen und die weiblichen Personen mitunter in Binärität, tanzen sie doch zwei verschiedene Choreos: die männlich gelesenen die eine, die weiblich gelesenen die andere. Auffallend ist ebenfalls, dass die männlich gelesenen Personen lange Hosen und höchstens etwas durchsichtige Oberteile tragen, während die eine weiblich gelesene Person einen Rock mit einem langen Schlitz trägt, sodass ihre Unterhose zu sehen ist und die andere ein Oberteil so knapp, dass am Ende ihrer Performance (gewollt?) ihre Oberweite zu sehen ist. Man kann sich fragen, ob die Frauen besser tanzen können, wenn sie knapper gekleidet sind als die Männer.
Männlich gelesene Körper sind aber nicht immer verhüllt: in einer verwirrenden Szene, die möglicherweise die verzwackte Depression der Hauptfigur darstellen soll, sind mehrere männlich gelesene Personen bis auf die Unterhose entkleidet.
Den Höhepunkt des Stücks bildet das Solo eines augenscheinlichen Brandopfers. In durchsichtigem Anzug mit aufgemalten Brandwunden steht die Sängerin, ein Schwert tragend, auf einer Eisenstange und hält das Publikum mit ihrer Performanz in Bann. Ihr Auftritt zeigt den verzweifelten Wunsch nach Veränderung und Opferbereitschaft auf emotionalste Weise. Die Sängerin wirkt wie eine Kriegerin ohne bestimmten Gegner.
Es bleibt zu fragen, was genau die Message des Stücks ist. Ein Gedenken an verzweifelte Protestant*innen die keinen anderen Ausweg sahen als die Selbstentzündung? Oder sogar ein Appell an radikalsten Protest? Und wogegen protestieren wir genau? Der Endsatz des Stücks liest: „An alle Opfer politischer Gewalt“. Aber wie viel bringt an dieser Stelle individueller Protest in Form von Selbstmord? Es bleibt offen.
Tanz des Feuers: Mensch sein
(Cemrenur Arzuman)
Es ist ein Werk über die Befragung des Menschen, seiner Existenz und seiner Umwelt. Wie ist es, ein Mensch zu sein? Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Wie kann ein Mensch Mensch sein oder bleiben, was macht einen Menschen zum Menschen, was zeichnet ihn aus? Gibt es eine Welt, in der es Menschen gibt, die sich selbst mit ihren Unvollkommenheiten verstehen können?
Ist es die Fähigkeit, das Unrecht im Leben zu bekämpfen, die einen Menschen menschlich macht, den Tod selbst zu akzeptieren und so dem Leben selbst einen Sinn zu geben? Der Name einer großartigen Aufführung, in der sich all diese Fragen ständig stellen, lautet BARACCO.
Während das Feuer selbst eine große Bedeutung und Funktion im Leben eines Menschen hat, kann es auch das Feuer der Hoffnung und der Zerstörung sein, wenn man sich wärmen, leben und genährt werden kann? Wenn Menschen unter Beschuss stehen, sind sie gleich, sie werden mit der Realität selbst allein gelassen.
In dem Teil, in dem der Tod nach der Begegnung mit Feuer im Spiel beschrieben wird, wird der Satz „Ihr seid nicht alle auf dieser Welt“ erwähnt. Der Tod ist, wenn das Leben bejaht wird. Der Mensch verliert seine eigene Subjektivität im Leben, wo er zueinander wird, um in Harmonie zu sein, um der Wille der Mehrheit zu sein, innerhalb der Regeln der Gesellschaft und der Welt, in der er lebt. Aber wie kann es sein, wenn es das Feuer selbst sein kann, wenn es seine eigene Kraft verstehen kann? Die Revolution selbst beginnt mit der Begegnung des Menschen mit den Unvollkommenheiten des Menschseins.
Im Tanz des Menschen mit dem Feuer ist die Bedeutung, sich in das Feuer integrieren und in den Tod gehen zu können, aus dem Wunsch vieler Menschen im Laufe der Geschichte entstanden, aktiv zu werden, einen Protest zu schaffen und gleichzeitig die eigene Subjektivität nicht spontan aufzugeben. Die Antwort darauf findet sich eindeutig in der Performance.
In einem Lied während der Aufführung werden die Worte „Liebe, Wohlstand, Sicherheit, Freunde, Glück“ geworfen. Wenn das Streben der Menschen die Determinanten des Selbst der Menschen sind, kann man dann sein ganzes Leben lang auf der Suche nach diesen Worten sein? Fühlt er sich seltsam, wenn er sich auf dieser Suche befindet? Ist der Preis für das Leben in dieser Welt sich zu langweilen?
Während in der Performance die Spuren von Andy Warhol und Tarkovsky nachgezeichnet werden, kann es gelingen, anders und getrennt zu sein und die eigene Originalität in dem von der Gesellschaft umgebenen System zu erfahren? Dazu muss der Krieg geführt werden, der Sieger dieses Krieges muss die Menschheit sein, und dann kann nur die Revolution selbst stattfinden.
Die Tirade in Tarkowskis unvergesslichem Film Nostalghia, die gegen Ende des Stücks spielt, zeigt, dass ein Mensch auf Feuer stößt, sich verbrennt, das Feuer in sich löscht und sich in einem Zustand des Protests gegen seine Selbstzerstörung befindet. Die Worte, die in dieser Sequenz des Films gesprochen werden, fassen die Performance selbst zusammen: „Wir müssen dieses Verlangen nähren und die Ecken der Seele dehnen, wie ein grenzenloses Laken. Wenn Sie wollen, dass sich die Welt vorwärts bewegt, müssen wir uns die Hände reichen. Alle Augen der Menschheit starren auf die Gruben, in die wir eingetaucht sind…“ Während diese Angst vor dem Leben vom Tod selbst herrührt, kann der Mensch seine eigene Natur in den Wünschen des Suchenden begraben, die ihm beigebracht wurden.
Wenn der Tod selbst erzählt wird, gibt es einen Kreis in der Mitte der Szene. Der Tod ist mit diesem Kreis kein Ende, sondern ein Anfang, und der Anfang wird durch das Ende ermöglicht. Mit der Explosionsszene am Ende der Aufführung und der anschließenden Musik entstand gleichzeitig eine neue Einrichtung, der Ort des Lichts am Anfang.
Diese Explosionsszene spielt in Antonionis Film Zabriskie Point, wo nach der Aufnahme der Explosion aus allen Winkeln bestimmte und unsichere Objekte, die in der Luft fliegen, fast im Raum verloren gehen und ihre Funktionen unkenntlich werden. So wird der Traum von einer neuen Welt mit einer Kombination von neuen Dingen mit der Explosion transparent.
Unsinnliche Barockmusik: Kirill Serebrennikov lässt in Barocco die Tradition der Barockmusik auf Protestformen des Bürgers treffen, versäumt es dabei aber den wichtigsten Aspekt der Barockkultur zu berücksichtigen
(Ferdinand Zecha)
19. Mai 2024. Der amerikanische Lichtkünstler James Turrell vertritt die Ansicht, dass man das Eintreffen von Licht im menschlichen Auge mit einer physischen Berührung gleichsetzen sollte.
Möchte man das Bühnengeschehen der Musiktheater-Inszenierung Barocco verfolgen, so kommt man nicht umhin, in den meisten Teilen des dramaturgisch gleich einer Nummernrevue strukturierten Aufbaus, frontal auf einen großen Bildschirm zu schauen. Dieser mittig im hinteren Teil der Bühne positionierte Leuchtkörper zeigt fallweise Liedtexte, einzelne Worte, animierte Grafiken oder animierte Filmsequenzen an.
Zusätzlich wird stellenweise auf davor geschobene Wände Material wie historische Filmaufnahmen oder einzelne Bilder projiziert. Der Ausgangspunkt des Lichts ist dabei ein hinter den Parkett-Sitzreihen positionierter Projektor. Dennoch ist auch das von den mobilen Wänden reflektierte Projektor-Licht eher eine unachtsame Berührung der eigenen Augen.
Licht war das zentrale Element mittels welchem der Bühnenbildner Alfred Roller unter der Ägide Gustav Mahlers von 1903 bis 1907 an der Staatsoper Wien die moderne Opernbühne zum ersten Mal an einem großen Musiktheater-Haus im deutschsprachigen Raum etablierte. Kirill Serebrennikov lässt im Falle Baroccos einen sorgsamen Umgang mit diesem Gestaltungsmittel vermissen.
Beachten wir nun ein weiteres Sinnesorgan: Den Ohren wird an diesem Abend eine Fülle an Eindrücken geboten. Versatzstücke aus Opern oder anderen Gattungen der klassischen Musik, von Bach, Händel, Lully, Monteverdi, Purcell, Rameau, Stradella, Telemann, Vivaldi, Zelenka werden mit Popsongs und E-Gitarren-Rock ergänzt. Das professionelle Können der Künstler*innen an den Instrumenten und der Darsteller*innen auf der Bühne war durchgehend spürbar.
Wirklich berührend war jedoch nur eine Szene. Die Sängerin Nadezhda Pavlova sang relativ zu Beginn von Barocco eine Arie, bei der ihr Mikroport scheinbar gänzlich ausgeschaltet blieb. Ihre Stimme erreichte einen unmittelbar. Alle anderen Gesangseinlagen oder Reden auf der Bühne wurden ausschließlich über Mikroports aufgenommen, mit der Musik des Orchesters gemischt und als Gesamtes über die Lautsprecher in den Publikumssaal ausgestrahlt. Damit missachtet die künstlerische Leitung das zentrale Potential des Musiktheaters, Gesang und Instrumentalmusik unmittelbar sinnlich darzubieten. Der Verdienst Kirill Serebrennikovs ist es für Barocco eine Gruppe von interessanten Künstlern und Künstlerinnen aus verschiedenen Kulturen zusammengebracht zu haben. Leider werden die Grundelemente der Inszenierung der Bravour dieser jedoch nur teilweise gerecht.