Vergessene Träume

Julia Schmid

Unerfüllte Lebensträume und Perspektivenlosigkeit sind Themen, die viele junge Menschen beschäftigen. Der Coming-of-Age-Film von Filmakademie-Absolvent Özgür Anil Wer wir einmal sein wollten, welcher auf der diesjährigen Diagonale präsentiert wurde, beschäftigt sich genau damit.

Wer wir einmal sein wollten


Der Film erzählt die Geschichte von Anna ( gespielt von Anna Suk) und ihrem Leben. Sie kommt aus schwierigen Familienverhältnissen, holt die Matura nach und arbeitet gleichzeitig in einer Schauspielschule als Portier. Eigentlich würde sie gerne selbstauf der Bühne stehen. Ihr Freund (Gregor Kohlhofer) gibt ihr nicht die Zuneigung, die sie gerne hätte, ihr bester Freund Jakob (Phillipp Laabmayr) ist für sie hingegen uninteressant.
Das alles klingt nach dem banal-deprimierenden Leben, das bestimmt
viele Menschen nur zu gut aus eigenen Erfahrungen kennen. Als Annas Bruder
Patrik (Augustin Groz) plötzlich bei ihr auftaucht und aus dubiösen Gründen dringend Geld braucht, bricht Chaos aus.
Zwischen Schule, Arbeit, Liebesproblemen und familiären Streitigkeiten verliert Anna sich selbst und vergisst, ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen Raum zu geben.

Bemerkenswert ist hierbei Annas Charakter, denn es wirkt den gesamten Film so, als würden sie die Ereignisse nicht besonders tangieren. Obwohl in ihrem Leben eigentlich nichts so funktioniert, wie sie es sich vorstellt, macht sie keine großen Anstalten, Dinge drastisch zu verändern. Ob man es nun als Gleichgültigkeit oder einfach nur als Stressresilienz interpretiert, bleibt einem selbst überlassen.
Die Figuren des Films haben klare Beziehungen zueinander, sind aber trotzdem
distanziert. Obwohl Annas Liebesbeziehung einseitig ist und sie eindeutig nicht
genug wertgeschätzt wird, lässt sie alles widerstandslos über sich ergehen.
Durch die Antrieblosigkeit kommt es in dem Film zu keiner nennenswerten
Charakterentwicklung der Protagonistin. Es gibt keinen Bogen im Sinne von ,,wer sie einmal sein wollte“ hin zu ,,wer sie sein möchte“. Annas Entscheidungen klingen weder durchdacht noch zielführend. Beispielsweise möchte sie, anstatt ihrem Traum Schauspielerin zu werden nachzugehen, wie aus dem Nichts Rechtswissenschaften studieren.
Das Ende des Filmes erscheint ein wenig abrupt, andererseits bekommt man auch das Gefühl, dass jederzeit ein Ende möglich gewesen wäre, weil es keinen
Höhepunkt in der Narration gibt.

Insgesamt ist der Film reduziert und realistisch. Er zeigt ein Leben, das bestimmt genau so irgendwo auf der Welt stattfinden könnte. Trotzdem schafft es der Film, nicht langweilig zu sein, denn man fragt sich, wie Annas Leben weitergeht und ob sie genug Mut aufbringen kann, zu ihren Träumen zu stehen und Gefühle zu zeigen.
Dass sie letzteres nicht kann, zeigt, dass es nicht immer die perfekte Held:innenfigur geben muss, bei der sich alle Probleme in Luft auflösen und ein Happy End auf sie wartet.
Die ästhetische Ebene ist ebenso reduziert wie die der Handlung: Es gibt keine
musikalische Untermalung und nur wenige Schnitte. Stattdessen setzt der Film auf Plansequenzen, wie gleich die erste Szene zeigt.
Auffällig ist ein Realismus-Stilbruch, als zwei Mal ein kleines Mädchen zu sehen ist, welches die junge Anna symbolisieren soll. Einmal springt das Mädchen aus dem Fenster und kann nicht von Anna gerettet werden, beim zweiten Mal sehen sich beide gemeinsam einen Film an. So wird metaphorisch dargestellt, dass Anna im Laufe des Films einen Zugang zu ihrem inneren Kind findet. Möglicherweise ist das die Verbindung zu dem Filmtitel, denn die beiden müssen sich daran erinnern, wer sie einmal sein wollten, um es im Jetzt in die Tat umzusetzen.

Ebenfalls erwähnenswert ist die Metaebene, die sich bei der Produktion des Filmes gebildet hat. Die Darstellung von Schauspieler:innen aus der Sicht von Schauspiel-Studierenden war spannend zu beobachten, denn es werden vor allem Vorurteile wie Eingebildetheit reproduziert.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Wer wir einmal sein wollten ein Film ist, der ohne inhaltliche Tiefe zeigt, dass man nach seinen Träumen streben und sich nicht dem pessimistischen Alltagsleben hingeben sollte.