Feijoada

Konzept und Choreographie: Calixto Neto, brut Nordwest, 30. Mai 2023

Feijoada © Raoul Gilibert

Ceci n’est pas un cassoulet… ceci est une fête (Léna Cornille)

Calixto Neto und die zehn Personen, die ihn auf der Bühne begleiteten, präsentierten uns ihre Feijoada. Der Eintopf aus schwarzen Bohnen und Fleisch, der auf der Bühne zubereitet wird, ist historisch gesehen eine Mahlzeit, die von Sklaven aus Fleischresten zubereitet wurde. Begleitet wurde die Performance von Musik, Tanz, Gesang, Geschichten und Politik, die die brasilianische schwarze Kultur feierte. Wir wurden in kürzester Zeit in ihre Welt zu den Klängen von Samba und Bossa-Nova entführt. Während dieser zwei gemeinsamen Stunden brachten sie ihr Publikum zum Tanzen, Weinen, Lachen und sogar zum Reden.

Durch globale Geschichten erzählt jede*r seine/ihre eigene Geschichte. Man spürt, dass die Gruppe sehr auf die Emotionen jeder*s Einzelnen eingeht. Jede Emotion, die dem Publikum geboten wird, ist authentisch und vermittelt für einen Moment das Gefühl, Teil ihrer Gruppe zu sein. Das Ensemble schaut sich viel an, kümmert sich umeinander und lächelt sich an. Wir können spüren, dass sie sich gegenseitig anschauen, aber vor allem, dass sie sich sehen. Sich sehen, um zu existieren. Wir spüren in ihren Tänzen, wie wichtig die Gruppe und das Zusammensein ist. Sie leben alle weit weg von zuhause und diese Truppe wirkt wie eine Ersatzfamilie. „When I hear Portuguese, my ears come back home, I feel home”, sagt eine Tänzerin. Das ist der Eindruck, den die Gruppe vermittelt. Das Gefühl, dass sie uns in ihr Haus und in ihre Familie eingeladen haben.

Die sechs Musiker*innen stehen sich in einem Kreis auf der Bühne gegenüber und untermalen den Abend mit Samba, Bossa-Nova und traditionellen Liedern. Das Publikum wird durch den ganzen Saal getragen, um mit der Truppe zu tanzen. Der Tanz steht im Mittelpunkt dieses Abends, nicht zuletzt als Mittel, um sich die eigene Geschichte wieder anzueignen. So wie Calixto Neto, der fast nackt ist, bei seinem Solo zu „O Samba do Crioulo Doido“ – ein geschichts- und emotionsgeladener Moment. Sie laden das Publikum dazu ein, an ihrem Moment teilzuhaben, indem sie alle gemeinsam tanzen. Die Tänzer und Tänzerinnen bringen uns einige Schritte bei, alles ist sehr energiegeladen und das Lächeln hört nicht auf, die Gesichter der Brasilianer und der Wiener zu erhellen.

Ernsthafte und politische Diskussionsthemen werden mit großer Menschlichkeit eingebracht und geben dem Publikum die Möglichkeit, über ihren Platz in der Welt und in der Gesellschaft nachzudenken. Vor allem aber wird die größte Debatte in der Geschichte Brasiliens neu entfacht: Serviert man Bohnen auf Reis oder Reis auf Bohnen, wenn man eine Feijoada isst?

Das Teilen dieser Feijoada, dessen Duft man schon den ganzen Abend über riechen kann, verleiht diesem Moment einen sehr geselligen Abschluss.  Jede*r kann dieses Gericht gemeinsam genießen, Eindrücke austauschen, Fragen stellen… 

Ein brasilianischer Sonnenstrahl am Wiener Himmel.


Rezept für bekömmliche Sozialkritik
(Thaddäus Reich)

Die Verbindung zwischen Essen, Kultur und sozialen Ungleichheiten steht im Mittelpunkt einer vielschichtigen und emotionalen Performance von Calixto Neto. Der Eintopf Feijoada, ein Symbol der brasilianischen Gastfreundschaft, wird hier in Echtzeit zubereitet und mit Musik, Tanz und persönlichen Geschichten verwoben. Die Performance Feijoada findet in einer Roda de Samba statt, einer traditionellen Zusammenkunft, bei der im Kreis musiziert und getanzt wird. Hier wird Rhythmus und Bewegung zur gemeinsamen Sprache, mit welcher Fragen nach dem Ursprung von Ungleichheiten in der brasilianischen Gesellschaft formuliert werden. Welches Fleisch ist am Markt das günstigste? Welche Körper sind Gewalt ausgesetzt? Diese Fragen werden durch die Zubereitung der Feijoada und einer interaktiven Darbietung lebendig.

Die Gerüche des Kochprozesses vermengen sich mit den Samba-Tänzen sowie Liedern und erzeugen eine sinnliche Erfahrung. Es ist, als ob man die Aromen förmlich in der Luft schmecken kann. Will der Versuch eines Brückenschlags zwischen den Kulturen auch nicht ganz gelingen, entsteht doch eine einzigartige Atmosphäre, in der die Grenzen zwischen Bühne und Publikum verschwimmen, denn das Rezept ist simpel, aber effektiv: Man nehme Witz, Charme und Charisma und bindet das Publikum in das Stück ein, (nicht zu viel nicht zu wenig); weiters regelmäßig zum Tanz auffordern und mit einer Prise provokanter Gesten Spannung erzeugen. Wenn man keine emotionalen oder persönlichen Geschichten mehr zur Verfügung hat, kann man sich u.a. beim Ständchen für die Mutter filmen lassen (das Publikum darf winken). Folgt man diesem Rezept, erschafft man eine Intimität, wie sie wohl nur beim gemeinsamen Kochen aufkommen kann. Antreibende Musik lässt den Funken schließlich überspringen, bis der Großteil des Publikums um die performenden Künstler*innen und Köch*innen tanzt.

Die ersten Bissen der fertigen Feijoada lassen das Gesamtkonzept dann in völligem Wohlwollen aufgehen. Die Performance ist nämlich mehr als nur ein kulinarisches Erlebnis. Sie stellt auch tiefgreifende Fragen nach Geschichte, Identität und sozialen Strukturen. Mit der Debatte über den Ursprung der Feijoada und die damit verbundenen historischen Kontroversen wird beispielsweise die Komplexität von Geschichte und Erzählungen thematisiert. Ist Geschichte linear und gibt es nur eine Version?

Calixto Neto erweckt mit viel Engagement und Hingabe seine Performance zum Leben. Sein tiefes Verständnis für die Verbindung von Körper, Identität und Dekolonialisierung sind in jeder Bewegung spürbar. Mit seiner Präsenz und Nähe schafft er es, das Publikum einzufangen und lädt zu einer gemeinsamen Reflexion über Gewalt, Freude, Erbe und Liebe ein.


Ein Abend der Großzügigkeit, des Teilens und des Hinterfragens (Amélie Grondin)

Bei der Abendveranstaltung am 31. Mai 2023 begab ich mich auf eine Reise nach Brasilien. Mit seiner Truppe schaffte es Calixto Neto, das Publikum in eine wilde Samba-Roda zu entführen.
Wir waren alle um die Künstler*innen und ihre Instrumente versammelt, von Percussion über Querflöte und Gitarre bis hin zur Küchenarbeitsplatte. Die Künstler*innen wechselten zwischen traditioneller brasilianischer Musik und Reden, die das, was die Körper bereits zum Ausdruck brachten, hervorhoben und vertieften. Das Publikum konnte mehrfach in den Tanz einsteigen. Zwar war es ihr Moment, sich auszudrücken und die Sichtbarkeit zu genießen, die ihnen jahrhundertelang gefehlt hatte, aber das ist auch die Stärke des Samba: Jeder ist eingeladen.

Nach etwa 20 Minuten spürte ich, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Zuerst dachte ich, dass es sich um die Zwiebeln handelte, die die Köchin gerade zerkleinerte. In Wirklichkeit wurde ich unweigerlich von der Vertrautheit und Großzügigkeit des Schauspiels, das mir geboten wurde, getroffen. Ich fühlte mich wie bei einem Abend am Feuer rund um meine Heimatinsel (La Réunion), bei dem ich Maloya tanzte, aber auch wie bei einem Jazz-Boeuf mit meinen Cousins, Onkeln und Tanten. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Moment eine universelle Liebe und ein universelles Teilen repräsentierte. Wie die Erde als Körper, dessen Lunge sich in Brasilien befindet.

Genial umgesetzt waren die subtilen, aber markanten Mittel, mit denen sie es geschafft haben, sehr ernste gesellschaftliche Themen anzusprechen und dabei wohlwollend zu bleiben. Ich denke an den Moment zurück, als die Transperson die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen ihrer Person und den Menschen im Publikum erwähnte. Dann ahmte die Person eine Pistole nach und zielte auf die Leute, wobei er sich einen nach dem anderen aussuchte. Dann begann er so laut zu schreien, dass seine Schreie den Raum füllten und er selbst zur Waffe wurde. Wir erinnern uns, dass Brasilien das Land ist, in dem die meisten Transpersonen getötet werden.

Calixto Neto sprach gestern Abend über die Performance „O Samba di Crioulo Diodo“ – eine Performance, die die Geschichte des zeitgenössischen brasilianischen Tanzes und das Werk Calixto Netos verändert hat. So übernahm der Künstler das Konzept, das ursprünglich von Luiz de Abreu stammt, entblößte sich vollständig vor dem Publikum und tanzte mit Plateaustiefeln und starrem Blick einen Samba um den Kreis herum. Das Publikum klatschte, aber niemand bewegte sich. Warum klatschen wir? Ist es für den Samba? Für den Mut, sich nackt zu zeigen? Ist man Voyeur?

Nach eineinhalb Stunden war es aufgrund der Feierlichkeiten im Saal warm und es begann, nach Feijoada zu riechen. In den Reden – die meiner Meinung nach manchmal wie ein Poetry Slam klangen – ging es oft um die kritischen Aspekte dieses Gerichts, wie das billige Fleisch und den kolonialen Ursprung. Letztendlich war es der zeitgenössische und tröstliche Ansatz des Gerichts, der die Aufführung beendete. Wie beim Samba ist das Publikum eingeladen, das Gericht zu probieren, wobei die jeweiligen Ernährungsgewohnheiten berücksichtigt wurden.
Bei der Abendveranstaltung am 31. Mai 2023 begab ich mich auf eine Reise nach Brasilien, aber auch nach Hause und um die Welt. Danke Calixto Neto!


« Samba has nothing to do with disorder »
(Pauline Deschamps)

Wo soll ich anfangen? Feijoada ist vieles. Zunächst einmal ist es ein Gericht, ein traditioneller brasilianischer Eintopf. Gekocht in Echtzeit, hier im brut nordwest in Wien. Es ist auch Tanz. Samba und Bossa Nova. Es ist kontroverse Herkunft, die uns dazu bringt, unser europäisches Erbe zu hinterfragen. Es sind ergreifende Redebeiträge. Es sind Momente intensiver Emotionen. Es ist auch ein Fest, ein großes Fest, bei dem alle eingeladen sind, im Kreis zu tanzen, in einer „Roda“. Es ist ein Fest, das manchmal einen bitteren Beigeschmack hat.

Feijoada ist eine Erfahrung: Es ist ein zweieinhalbstündiger Moment, in dem man das Teilen, die Dankbarkeit, die Liebe und das Wohlwollen, aber auch die Revolte und den Zorn erlebt. Darüber hinaus die Zerbrechlichkeit jedes Einzelnen. Es waren prägende Gefühle, die ich empfunden habe. Markant, vielfältig und unterschiedlich. Von Lachen über Tränen bis hin zu Kontemplation und Dankbarkeit, genauso wie Unbehagen, wenn wir – manchmal unvermittelt und bitter – an die Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei erinnert wurden, die Brasilien geerbt hat und deren Unterdrücker wir Europäer sind.

Feijoada ist Samba. Wie das Gericht Feijoada hat auch der Samba seine Ursprünge in einem prekären Kontext, dem Widerstand gegen Kolonialherren und Sklavenhalter. Samba bedeutet für Calixto Neto Teilen, Gemeinschaft, Widerstand. Es gibt ein Ensemble, einen Rhythmus, einen Tanz und Tänze, die Menschen um einen mitreißenden Rhythmus herum zusammenbringen. „Samba has nothing to do with disorder“. Beim Samba geht es um den Körper. Er nimmt in dieser Aufführung einen zentralen Platz ein. Der Körper bewegt sich: Er singt, tanzt, klatscht in die Hände, schüttelt sich, springt, fällt, schreit. Der Körper schreit nach seiner Anwesenheit. „Look at that. And look at this“ ruft Acauã El Bandide Shereya. Die Künstler*innen entblößen sich. Bei Calixto Neto ist das sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne gemeint. Seit 2020 nimmt er Luiz de Abreus Werk „O Samba de Crioulo Doido“ wieder auf. In Feijoada führt er einige Minuten davon auf. Völlig nackt mit silbernen Plateaustiefeln. In Feijoada sind die Körper da, vor uns, ohne Angst. Sie sind stark, sie sind stolz. Sie sind aber auch zerbrechlich. Verwundbar in dieser entblößten Position. Die aufrichtige Zerbrechlichkeit, die sich auf den Wangen des Publikums zeigt, wenn Calixto Neto von seiner Mutter spricht. Und die Liebe, die die Künstler*innen verbindet und tröstend wirkt.

Feijoada ist ein aufrichtiges Stück. Das Lächeln, das sich die Performer*innen im Laufe des Stücks zuwerfen, die Blicke voller Liebe und Stolz, das Funkeln in den Augen. Die Liebe, die Gemeinschaft, die Verschmelzung zwischen diesen Menschen, die auf fast organische Weise zusammenspielen, singen und tanzen. Sie helfen sich gegenseitig, lachen und weinen zusammen. Sie sind keine Schauspieler*innen, vielleicht nicht einmal Performer*innen. Hier sind es in erster Linie Menschen, die uns ihre Geschichten erzählen, die Geschichten ihrer Vorfahren. Sie kommen, um uns zu erzählen, wer sie sind. Und zwar aktiv. In ihrer Subjektivität. Sie öffnen sich uns mit Liebe und Wut, zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit. Sie schreien, dass auch sie das Recht haben, hier vor uns zu stehen, ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre Tänze, ihre Lieder und ihre Musik vorzuspielen, obwohl sie im Kontext von Herrschaft entstanden sind und zuvor verboten waren. Auch wenn sie die Erben von Jahrhunderten der Unterdrückung sind. Sie stehen da, in der Mitte des Raumes im brut nordwest, ganz in weiß gekleidet, Livia Pires Mata hinter ihren Töpfen, während sie eine große Feijoada zu traditioneller brasilianischer Musik zubereitet. Ein Akt des Widerstands – das ist Feijoada.


Eine euphorisierende Fusion von Geschichte, Kultur und Kulinarik: Feijoada von Calixto Neto
(Anna-Luisa Mahaffy)

Der brasilianische Tänzer und Choreograph Calixto Neto schafft mit seiner Feijoada eine faszinierende Fusion von Geschichte, Kultur und Kulinarik und führt dabei das Publikum durch eine euphorisierende, sinnliche und reflektierende Reise der brasilianischen Kultur. Feijoada ist eine Darbietung, die sich als künstlerische Antwort auf eine Begegnung zwischen Generationen darstellt, indem es die kulturelle Vielfalt Brasiliens einerseits und das damit verbundene Leid andererseits porträtiert. Es wirft Fragen auf über Identität, verschiedene Standpunkte von Geschichte und die Bedeutung von Gemeinschaft, regt zum Reflektieren an und lädt dazu ein, sich mit den vielschichtigen Facetten der brasilianischen Kultur auseinanderzusetzen.

Die Performance Feijoada besteht aus mehreren zentralen Elementen. Abwechselnd werden persönliche sowie politische Anekdoten, Lieder und Tänze im Rahmen einer „Roda de Samba“ aufgeführt – einer feierlichen Versammlung, bei der die brasilianische Samba von Musiker*innen und Tänzer*innen im Kreis aufgeführt wird. Die gemeinsame Feier und der körperliche Dialog zwischen den Darsteller*innen und den Zuschauer*innen schaffen eine einzigartige Atmosphäre der Verbundenheit und des kollektiven Erlebens. Das Publikum war eingeladen, während der gesamten Aufführung mitzutanzen, wobei viele Menschen dieser Einladung mit Begeisterung nachkamen. Die von den Künstler*innen erschaffene Energie im Raum übertrug sich immer stärker auf die Zuseher*innen, sodass gegen Ende der Performance das gesamte Publikum im Kollektiv tanzte. 

Das traditionelle brasilianische Gericht Feijoada, das symbolisch für die Vielfalt Brasiliens steht, wird auf der Bühne zubereitet und erschafft dabei den zeitlichen, insbesondere aber den inhaltlichen Rahmen der Performance. Denn der Ursprung der Feijoada wird kontrovers diskutiert. Das populäre Wissen schreibt seine Schöpfung den versklavten Personen zu, die jene Fleischreste vermischten, die in die Häuser der Versklavten geworfen wurden. Mit diesem Rezept erzählt der brasilianische Choreograph, umgeben von Künstler*innen, die Kultur seines Landes. Die Debatte über die Herkunft und der damit einhergehenden kulturellen Aneignung stellt die Frage nach der Linearität und des Standpunktes von Geschichte. Neto nutzt diese Kontroverse geschickt, um verschiedene Interpretationen zu erforschen. Eine Schlüsselszene in Feijoada ist dabei das Reenactment Calixto Netos des ikonischen Stücks „O Samba do Crioulo Doido“ (2004) vom brasilianischen Choreografen Luiz de Abreu. In einer bestimmten Szene des Stücks tanzt Luiz de Abreu einen Bossa Nova mit einem auf Französisch gesungenen Feijoada-Rezept als Text. Hierbei entsteht ein Bruch in der Performance, der das Publikum aus der Feierstimmung herauskatapultiert und schockierend erinnern lässt, wie viel Gewalt und Leid mit der kulturellen Vielfalt Brasiliens einhergeht. Jene Gewalt wird in der Szene insofern zum Ausdruck gebracht, als Calixto Neto sein Solo ohne jegliche Bekleidung, mit hohen Plateaustiefeln, vor einem überwiegend weißen europäischen Publikum tanzt. Die Bilder dieses Solos schockieren und prägen sich tief ein, was auch einen Zwiespalt beim Mittanzen in der „Roda de Samba“ auslöste.

Die Künstler*innen leiten das Ende der Performance mit einer kollektiven Verzehrung der Feijoada ein, wobei im Anschluss das gesamte Publikum an der (sogar veganen) Verkostung teilnehmen darf. Feijoada ist ein choreografisch-gastronomisches Werk mit politischen Akzenten, das von einem multidisziplinären Künstler*innenteam in Begleitung einer brasilianischen Küchenchefin (mit einem Restaurant in Wien) geleitet wird. Es ist eine kreative Reflexion über brasilianische Identität, Macht, Erbe, Kollektivität und Zuneigung. Die mitreißende Atmosphäre und die leidenschaftlichen Darbietungen sorgten für mehr als nur ein unvergessliches Theatererlebnis.


Samba – Eine Lebensphilosophie
(Christoph Wingelmayr)

Wir erfahren einen Abend voll pulsierender Lebensfreude, die uns das Ensemble rund um den Regisseur, Tänzer und Choreographen Calixto Neto näherbringt. Samba, seine innewohnende Essenz und sein Lebensgefühl werden uns imposant dargeboten.

Beim Betreten des Saals können wir kreisförmig rund um die Performer*innen in zwei Reihen Platz nehmen. Zusätzlich gibt es klassische, von vorne zentral auf die Bühne ausgerichtete Sitzplätze. Die Musiker*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen sitzen mit ihren Instrumenten kreisförmig angeordnet auf der Bühne. In der Mitte befindet sich ein Tisch, auf dem Zutaten, Töpfe und Herdplatten für ein Gericht stehen.
Es wird Feijoada gekocht und wir können als Gemeinschaft die Entstehung dieses brasilianischen Nationalgerichts bestaunen. Während des ganzen Stücks können wir dem Prozess des Kochens, Schälens, Würzens, eben diesem sinnlichen Vorgang beiwohnen. Der Saal beginnt nach und nach wohlig zu duften und wir bekommen das Rezept und den Vorgang der einzelnen Schritte der Zubereitung detailliert erklärt.

„Wer schneidet die Wurzeln?“ – „Wer bezahlt das Essen?“ – „Hunger ist meine Herkunft.“ Mit Sätzen wie diesen werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass das Gericht seinen Ursprung in der Sklaverei hat. Die schwarzen Bohnen des Gerichts – gehören diese oberhalb von dem Reis serviert oder unterhalb? Themen wie diesen können wir beiwohnen, die als Metapher zu dienen scheinen, ob die weiße Bevölkerung oder die dunkelhäutige in Brasilien die Vorherrschaft innehaben könnte.
Dann folgen die ersten Sambaklänge. Trotz der harten Geschichte Brasiliens durchdringt diese Lebensfreude nach und nach den Raum, die in gewisser Weise ansteckend ist. Beeindruckend schön und voller Energie sind diese Tänze. Nach den ersten Tanzeinlagen werden Teile des Publikums aufgefordert mitzutanzen. Zwischen den Samba-, Gesangs- und Musikeinlagen folgen persönliche Erzählungen der Darsteller*innen, die die Geschichte der schwarzen Bevölkerung in Brasilien, seinen kolonialistischen Ursprung und seine Schwierigkeiten und Konflikte, die daraus resultieren, beleuchten. Auch eine queere Thematik ist zentraler Bestandteil dieser Inszenierung, und der Stolz und die nicht einfachen Umstände dieser Lebensweise werden aufgezeigt.

Zwischen den unterschiedlichen Erzählungen setzt immer wieder der Samba ein und das Ensemble vermag, mit seinem Temperament und Feuer anzustecken. Es bietet sich die Möglichkeit, in die Kultur und das Lebensgefühl des Sambas eintauchen zu können. Nach und nach steigert sich die Stimmung und ein Großteil des Publikums kann dazu motiviert werden, zu Sambaklängen mitzutanzen. Die vibrierenden Tanzeinlagen sind imposant und ziehen uns in dieses pulsierende Geschehen hinein. Wie der Regisseur und Tänzer Calixto Neto betont: „Samba ist ein Werkzeug des Überlebens, des Widerstandes, pure Weisheit, ein transformatives Heilmittel und reine Freude.“ Die brasilianische Kultur des Samba, sprich die Gastfreundschaft, wird einem europäischen Publikum nähergebracht und bietet die Möglichkeit, Vorurteile abbauen zu können.