Warum die Pride sich nicht wie eine Demo anfühlt, aber trotzdem politisch ist.

Lara Kofler

Bunt, mit Endorphin überladende Stimmung, unzählige Menschen: Das ist die Pride. Es gibt kaum Ansprachen oder Parolen, geschweige denn liegt eine, wie für Demos so typische aufbrausende, schwere Stimmung in der Luft. Und trotzdem ist die Vorbedingung, um Teil der Pride sein zu wollen, eine pro LGBTIQ eingestellte Sicht: Angenommen du bist homophob, gehst du dann zur Pride, nein, oder?  

„Pride started as a Riot“, heißt es seit den legendären Stonewall Riots 1969. Und sowohl die Riots damals, als auch die EuroPride 2019 sind klar politischer Natur, wenn nicht ein politischer Akt. Ihr Existenzgrund sind rechtliche Verbote und gesellschaftliche Inakzeptanz, explizit gegen Menschen, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, gerichtet. Der Pride-Wikipedia-Eintrag kann sich nicht entscheiden: Demonstration und Umzug, heißt es dort. Auch auf der offiziellen EuroPride Seite steht hier und da Demonstration, vielleicht gerade um den politischen Charakter hervorzubringen. Trotzdem heißt es ganz definitiv und ohne Zweifel: Parade. Was spricht, für was? Ich fühle mich in dieser Frage ca. so entscheidungsfreudig wie der eben erwähnte Wikipedia Eintrag. Rechtlich wird die Pride als Demonstration gesehen. Am Papier sind diese öffentliche Meinungskundgebungen, sie sind Massenmeinungsäußerungen. Typisch sind Schilder und Ansprachen. Die Pride fällt da schon hinein, das kann keiner abstreiten. Sie ist aber mehr. Und auch dies ist einfach zu erkennen: Das Zelebrieren und Feiern, die Ausgelassenheit, implizieren viel eher einen Festumzug. Sie bringt das Gefühl Teil einer Parade, nicht eines politischen Aufstands zu sein. Auch die Kostüme oder zumindest das Zurechtmachen erinnert wohl eher an Karneval oder Paraden. Es gibt keine einheitlichen Parolen. Der Ablauf ist freier, vielfältiger. Außerdem ist da noch der Ausdruck „Pride“, der nicht nur Parade auf Englisch heißen kann, sondern „Stolz“ vermittelt. Ein Selbstbewusstsein, dass der stagnierenden Heteronormativität der Gesellschaft entgegengebracht wird. Man schämt sich nicht, nicht heterosexuell zu sein, man trägt diese Tatsache mit Pride, mit Stolz eben. Die öffentliche Meinungskundgebung ist definitiv Teil davon, vom Gefühl her ist die Pride aber mehr, viel mehr. 

Was an der Pride ist politisch? Wie sehr kann sie politische Meinungsäußerung sein, ohne dem klassischen Demo-Charakter zu entsprechen?  

Es wird Liebe für und mit allen gefeiert. Das „Liebe FÜR alle“ impliziert bereits die dahinterstehende politische Haltung. Nicht nur die grundlegende Thematik, auch die Pride-Teilnehmer_innen, sowie die Rezeption des inhaltlichen Themas, sind Indikatoren, um die politische Tragweite zu erfragen. Das Pride-Teilnehmer_innen-Spektrum ist divers: In erster Linie gibt es die, denen die LGBTIQ-Community und das Recht zur freien Liebe ein persönliches Anliegen sind. Und dann die, denen es vor allem ums feiern geht. Sie sehen keinen politischen Akt in ihrer Teilnahme, in der Pride im Generellen, sie wollen eine gute Zeit, Party machen. Das ist auch völlig legitim. Trotzdem – in Erinnerung an meine Eingangsfrage, ob auch homophobe Menschen hingehen würden: Auch die Partycrowd würde nicht dort feiern wollen, wenn sie nicht positiv gegenüber der LGBTQ Community eingestellt wäre: Ob man will oder nicht, in dem Moment, in dem man zur Pride geht, positioniert man sich politisch. Ähnlich dem Zitat von Rosa Luxemburg „unpolitisch sein, heißt politisch sein, ohne es zu merken,“ bedeutet dies: Nur weil ich nicht primär aufgrund eines politischen Statements hingehe, heißt dies nicht, dass ich dadurch nicht auch ein politisches Zeichen setze.  

Die Pride und die Menschen

„Ich bin mir grad nicht sicher … Ich war halt noch nie verliebt, halt weder in einen Jungen noch in ein Mädchen. Hab mich die letzten Jahre aber nicht so getraut zur Pride zu gehen. Irgendwie jetzt wo sie quasi cool ist, … kann ich mir die Pride anschauen, ohne dass gleich jemand fragt, warum ich denn hingehen will. Oder ob ich etwa lesbisch bin.“ Sagte eine Freundin zu mir, als ich sie fragte, warum sie denn dieses Jahr zu ihrer ersten Pride gehen würde. Sie kann eine für sie neue Welt beschnuppern, ohne sich gleich mit Fragen konfrontiert zu sehen. Diese Aussage ist zweierlei interessant: Einerseits zeigt das: Ja man kann zur Pride gehen, auch ohne der LGBTIQ-Gruppe zugehörig zu sein. Man kann Liebe für Alle unterstützen, Party machen und keiner fragt warum: Es ist einfach ok. Zweitens zeigt das auch, wie schwierig das Ergründen der eigenen Sexualität für viele noch ist. Weil es eben für Einige noch nicht normal ist. Dass die Neugierde noch immer größer und die Aufklärung oder Akzeptanzschwelle noch immer kleiner als bei Heterosexualität ist, zeigt: Das Thema der Pride ist nicht nur politisch, es ist auch noch immer aktuell. Wie ich mich in einer Gesellschaft positioniere, frei fühle und gewertet werde, bestimmt unseren Alltag, die Eigen- und Fremdwahrnehmung, die Lebensqualität. Es ist Gesellschaftspolitik. Und es ist relevant.  

Eine weitere Kategorie Mensch: Politiker_innen. Wie die sich zur Pride positionieren, zeigt stellvertretend wie sich ein ganzer Staat nach außen hin der LGBTIQ Community präsentiert. Die Freiheit zu sein und zu lieben wen und wie man will, wird am Papier von Gesetzen reguliert. Nichts ist essentieller für ein menschliches System, als diese Festschreibungen. Gäbe es hier keinerlei Eingriff in den freien Personenbereich, bzw. eine komplette gedankliche Gleichstellung, wäre es zwar noch immer Gesellschaftspolitik, noch immer wichtig, aber die Thematisierung nicht mehr von einer solchen Relevanz. Konkret zur EuroPride 2019 gab es folgenden Vorfall: Die lesbische österreichische Ministerin Iris Rauskala wurde in der ZIB gefragt, welche Gedanken sie mit Homosexualität in Österreich verbinde. Sie antwortete, es sei wichtig zu sich selbst zu stehen, aber man müsse ja nicht aus allem gleich eine „politische“ Sache machen. Die Haltung, dass ein essentielles gesellschaftliches Thema keinen Platz haben soll, ist eine politische Entscheidung. Die ständige Diskriminierung von LGBTIQ-Personen als etwas zu benennen, das nicht zwangsläufig ein Politikum ist, macht deutlich, dass es nicht egal ist für Politiker_innen ist, was sie zu diesem Thema sagen. Dass Ministerin Rauskala selbst die bisher einzig geoutete Ministerin ist, lässt mich kopfschüttelnd.

Wirtschaftspolitik xx Gesellschaftspolitik xx Pride

Ein letzter Punkt: Die Pride ist Teil der Wirtschaftspolitik. Die Geschäfte der Mariahilferstraße überlagern sich mit bunten Werbebannern. T-Shirts, Socken, Tassen, alles mit Regenbögen. Das Pride-Symbol, als beliebtes Motiv: Ein Trend der sich generell hält. Extra produzierte Kampagnen, Hashtags, die bunten Treppen der Uni Wien: Für eine kurze Zeit ist die Pride überall. An den Farben des Regenbogens kommt niemand vorbei. Vermarktung im generellen ist ein wesentlicher Teil bei Großevents geworden. Und je nachdem wie viel ein Thema Platz in den von Kommerz geprägten Medien- und Konsumlandschaften einnimmt, ist dies ein Indikator dafür, welchen Stellenwert die Werbetreibenden diesem Event zu messen bzw. wie viel sie sich daraus erhoffen. Wird etwas populär, dann können Marken mit der Bewegung mitgehen, ohne sich damit zu schaden. Es nützt ihnen sogar. Gleichzeitig kann das Thema, sowie die Pride davon profitieren und an Beliebtheit gewinnen. Die Pride wird in den täglichen Alltag integriert. Dies ist wichtig um Personen, die sich nicht ohnehin schon damit beschäftigen, zu begeistern. Wie bei Schönheitsidealen, etc. hat Werbung die Macht uns einzureden was normal und nicht normal ist. Sowie gesellschaftliche Ansichten Werbungsinhalte konstituieren, legitimiert Werbung wiederum die Entwicklung in einem System. Die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz wird so größer. Ergo, ganz nach dem neoliberalen Gesellschaftszyklus ist die Wirtschaft auf den Pride Trendzug aufgesprungen. Gesellschaftspolitik und Wirtschaftspolitik ergänzen sich gewissermaßen. 

Die Motive der Werbetreibenden sind für einen politischen Diskurs nicht irrelevant: Die Pride in die Welt hinauszutragen, ist per se nicht schlecht. Die Motivation dahinter ist dennoch oft Markt orientiert. Natürlich, einige die schon immer hinter der LGBTQ Bewegung standen handeln aus moralisch, ethischen Schritten. Die gesellschaftliche Offenheit erleichtern ihnen das lediglich. Und auch der Markt kann sich aus menschlicher Überzeugung ändern. Ein Beispiel ist Barilla: Vom Homophobie Skandal 2013 („Unsere Familie ist eine klassische, in der die Frau eine fundamentale Rolle spielt (…) Wenn ihnen diese Botschaft nicht gefällt, sollen sie eben andere Nudeln essen.“) zu gleichgeschlechtlichen Paaren auf Nudelverpackungen. Nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch bei denjenigen, die den Markt gestalten, ist Aufklärung notwendig, funktioniert und wirkt progressiv. Die Pride läuft auch Gefahr, für wirtschaftliche Zwecke instrumentalisiert zu werden. Diese Tatsache ist durchaus kritisch: Stehen Marken auch an den 364 Tagen im Jahr unterstützend hinter der LGBTIQ-Community? Das Modell wirft also moralische Fragen auf. So oder so erfreut sich die LGBTIQ-Community einer immer größeren Akzeptanz, wird sogar als lukratives Werbemittel gesehen. Sie wird auf allen Ebenen immer stärker in der Öffentlichkeit präsentiert. 

Warum aber sind diese Überlegungen wertvoll? 

 Der politische Aspekt der Parade darf nicht verloren gehen. Das karnevaleske Flair, welches die Parade auszeichnet, ist wesentlich. Immer wieder hört man Kommentare wie: „ich bin eigentlich nur wegen der guten Stimmung da“ oder „ich mags, muss jetzt aber nicht primär damit ein Zeichen setzen.“ Natürlich wären diese Menschen nicht wohlwollend anwesend, wenn sie LGBTIQ-Gegner_innen wären. Der politischen Tragweite des Events schadet es trotzdem nicht, den Fest-Charakter hervorzuheben. Für die, für die die Message im Vordergrund steht, hilft der karnevaleske Charakter eine weitaus größere Masse anzusprechen. Außerdem ist die Pride irgendwo, nicht nur, aber auch, einfach ein Fest der Liebe und das darf auch mal genossen werden, ohne dauerhaft das Gefühl zu haben, eine Botschaft verbreiten zu müssen. Das Tolle bei der Pride: Die enthusiastische Masse schafft dies allein durch ihr Dasein. Die Pride ist ein Fest der Liebe und die feiernde Meute trägt dies in die Welt hinaus, mehr als es eine klassische politische Demonstration je könnte. 

In diesem Sinne: Love is Pride.