McKamey Manor. (2019) Wenn Immersion zu weit geht

Ein Essay von Dominic Fischl

Filme können eine sehr körperliche Erfahrung sein, insbesondere jene des Horrorgenres, in welchem man nicht nur einfach mit dem Schicksal der Protagonist*innen gespannt mitfiebert, sondern auch eine Menge Urängste angesprochen werden. Mit diesen können sich Zuschauer*innen meist ganz instinktiv identifizieren – es wird sich erschrocken und geekelt (bei vielen filmischen Angeboten sogar auditiv). So hält man beispielsweise im Kino die Luft an und bangt um das Leben des nächsten Leinwand-Opfers, als wäre es das Eigene. Dieser Effekt ist aber keineswegs auf das Medium Film beschränkt; auf Jahrmärkten und in Freizeitparks werden unlängst Spukhäuser und Geisterbahnen angeboten, in welchen Abenteuerlustige zahlreiche Schauplätze des Grauens wirklich betreten können. Viel verbreiteter, und oftmals in offiziell lizensierten Filmuniversen angesiedelt, sind solche Orte vor allem in den USA – und diese sind dort meist auch viel ›extremer‹. Das Publikum wird mit angedrohter Gewalt und Replika-Waffen wie Kettensägen, durch die Schauplätze gejagt – dabei kann es auch passieren, dass man etwas rauer angefasst oder sogar geschubst wird. Ein Grund, warum dieses Verlangen nach einem solch unangenehmen Erlebnis dennoch so verbreitet ist, scheint offensichtlich: Trotz der suggestiv-gewalttätigen Settings und Akteur*innen, weiß man, dass es schlussendlich nur ein Spiel ist und man nicht wirkliche, körperliche Schäden davontragen wird. Egal wie immersiert die Besucher*innen sind, sie wissen unterbewusst, dass sie am Ende die fiktive Welt verlassen und in ihr sicheres Leben zurückkehren können.

Was aber, wenn das nicht mehr ausreicht und der Thrill ›echter‹ oder gar echt ist? Diesen Gedanken hatte wohl auch Russ McKamey, ein kontroverser US-Amerikaner, welcher immer wieder versucht, den Begriff sogenannter «extreme haunts» neu zu definieren. Was zunächst als ein harmloses Familienbusiness mit eher gewöhnlicheren Spukhäusern begann, entwickelte sich schnell zu einer Solo-Operation von McKamey und einem eigenen Team von Statist*innen. Schon bald beschränkte sich sein ‹Angebot› nicht mehr auf einzelne Orte oder bloß Minuten/Stunden andauernde Erlebnisse. Auch wurde plötzlich die Unterschrift eines sogenannten »liability waivers« verlangt, in welchem sich McKamey und seine Statist*innen legal absicherten, insofern Teilnehmer*innen beispielsweise Verletzungen bis hin zu Knochenbrücken oder gar den Tod erleben; ebenso ist die Durchführung eines ärztlich beaufsichtigten Eignungstests nötig. [1]

Was in verschiedenen Internetforen zunächst als ein PR-Stunt angesehen wurde, entwickelte sich schnell zur Realität – Besucher*innen berichteten bald schon auf social media-Plattformen über schwerwiegende, psychische Nachwirkungen und Verletzungen wie Prellungen, bis hin zu den bereits genannten Knochenbrüchen und ausgerissenen oder abrasierten Haaren. In McKamey Manor wird quasi ein Kidnapping simuliert, in welchem die Opfer gewaltsam gefoltert werden, gezwungen werden, Insekten zu essen und anderweitig gedemütigt werden. Bei anderen, extremeren haunts (wie etwa Creep L.A. und dessen jährlich neu organisierten, interaktiven experiences) sind oft Codewörter üblich, welche Teilnehmer*innen aussprechen können, um das Erlebnis vorzeitig abzubrechen – nicht aber in McKamey Manor. Russ selbst entscheidet wann Schluss ist. Er ist es auch, der überwiegend Befehle an die Opfer erteilt und sie durch verschiedenste Orte, wie verlassene Lagerhallen oder sein eigens dekoriertes Grundstück, dirigiert.

Was eventuell nach einem gänzlich einvernehmlichen Erlebnis klingen könnte und zuerst auch jede Menge Leute anlockte, entwickelte sich schnell zum Desaster. Nachdem nicht einmal Besucher*innen mit militärischem Hintergrund es schaffen konnten, die Erfahrung durchzustehen, entwickelte sich McKamey Manor zu einem Flop und es gab so gut wie keine positiven Erlebnisberichte von Teilnehmer*innen. Wer hat schon Lust, sich ohne entertainment (außer womöglich für McKamey und sein Team) quälen zu lassen? Das anfänglich hohe Interesse ist offensichtlich dem Verlangen der Teilnehmer*innen zuzuschreiben, welche nach immer extremeren Erfahrungen suchen und hier hoffen, ein maximal gesteigertes Angst- bzw. realistisches Erlebnis vorzufinden. Wenn man aber in der Rolle des Opfers gar keinem wirklichen Narrativ folgt, worin liegt dann der Sinn? So wird man in McKamey Manor von Schauplatz zu Schauplatz gedrängt und gezwungen, den sinnlos scheinenden Anweisungen zu folgen: Rasiere deine Haare! Halte diesen Schmerz so und so lange aus! Tauche deinen Kopf in undefinierbare Substanzen! Lass dich ohne Widerworte verbal und physisch niedermachen! Das Ziel ist es hier nicht zu entkommen oder challenges zu meistern, sondern solange gedemütigt zu werden, bis man zusammenbricht und die unstrukturierte, fast schon improvisiert scheinende Führung abgebrochen werden muss. Das ganze Spektakel ist dabei freilich immersiv, da Teilnehmer*innen in eine Welt des Grauens eintauchen und dieser völlig ausgeliefert sind. Die Situation nehmen sie dabei aufgrund angedrohter Konsequenzen ernst und empfinden sie als echt. Das Problem bei McKamey Manor ist aber, dass den Opfern sämtliche Möglichkeiten vorenthalten werden, das Erlebte zu reflektieren und zu verarbeiten – die Immersion ist schlichtweg zu extrem und lässt die Teilnehmer*innen in einen tranceartigen Zustand verfallen. Wenn es ein ›Ziel‹ gibt, dann ist es wohl, den Opfern klarzumachen, dass sie die mentalen und physischen Schäden gar nicht wirklich ertragen wollen – die Konsequenz einer sehr absurden und durchaus gefährlichen Steigerungslogik.

Anmerkung zum Text:
Leider konnte keine Erlaubnis für die Verwendung von Bildmaterial zu illustrativen Zwecken für diesen Text eingeholt werden, da Anfragen diesbezüglich von Russ McKamey unbeantwortet blieben bzw. auf Twitter blockiert wurden.

Direktnachweise

[1] Unmasking McKamey Series – Playlist.

Quellenverzeichnis

Unmasking McKamey Series – Playlist, R.: Surviving Life, 01.11.2019, https://www.youtube.com/watch?v=EJPMYHnRS24&list=PL5U4K5S6xp9KUygnPjMxvIcv4o88DIyOF, 15.05.2020.

Weiterführendes Material

Russ McKameys Website zu McKamey Manor: https://www.mckameymanor.com

Wittek, Louisa, In McKamey Manor werden Horror-Touren angeboten, die NIEMAND schafft, 03.04.2020, https://www.travelbook.de/orte/scary-places/horrortour-mckamey-manor, 22.07.2020.

Cook, Morgan, McKamey Manor victim speaks out, 30.10.2015, https://www.sandiegouniontribune.com/news/watchdog/story/2015-10-30/mckameymanorvictim-speaks-out, 22.07.2020.


Alternative, weniger extreme Beispiele für immersive Horror-Erlebnisse:

Rylah, Juliet Bennett, 7 Of LA’s Most Immersive And Intense Halloween Haunts, 20.09.2018, https://laist.com/2018/09/20/las_most_immersive_and_intense_halloween_haunts.php, 22.07.2020.

DTLAexplorer Erfahrungsbericht zu CREEP LA, Unbekannt, CREEP LA IS AN IMMERSIVE AND INTERACTIVE HORROR EXPERIENCE IN DTLA’S ARTS DISTRICT, 07.10.2015, https://dtlaexplorer.wordpress.com/2015/10/07/creep-la-is-an-immersive-andinteractivehorror-experience-in- dtlas-arts-district/, 22.07.2020.