Die Letzten ihrer Art. Immersives post-apokalyptisches Szenario als Survival-Training?

Ein Essay von Victoria Luft

Seit Monaten werden wir mit schlechten Nachrichten überhäuft. Heute haben wir eine Gute: Der Bau von Luftschutzbunkern hat wieder Hochkonjunktur.

Loriot [1]

Kennen Sie ihn noch, den K2000? Der Luftschutzraum, der nicht mehr als ein Geschirrspüler kostet? Der gleichnamige Loriot-Sketch (1981) offenbart auf humorvolle Weise das scheinbar wachsende Bedürfnis der Menschen nach Schutzräumen, die vor jeglichen Katastrophen zu schützen vermögen. In Anbetracht der derzeitigen Covid-19-Pandemie fungieren inzwischen die heimischen vier Wände als Schutzraum, und das Leben der vergangenen Monate hat uns einen kleinen Vorgeschmack darauf geliefert, wie es sich anfühlt, auf lange Zeit den Alltag in beengten Räumen zu verbringen. Die Thematik besitzt eine bemerkenswert fortwährende Aktualität, denn bereits seit Jahrzehnten, insbesondere in (post-) apokalyptischen und dystopischen Filmen, wurde die Idee forciert, dass das Überleben der Menschen durch Schutzräume garantiert werden könne. Stanley Kubricks Dr. Strangelove or: How I learned to stop worrying and Love the Bomb (R: Stanley Kubrick, GB 1964) ist eines der bekanntesten Filmbeispiele, in denen solch ein Gedankenexperiment vorgeschlagen wird: Angesichts einer atomaren Katastrophe wird das Überleben der amerikanischen Zivilisation in unterirdischen Bergbauschächten postuliert. Zwar scheint mittlerweile die nukleare Bedrohung, die im historischen Kontext von Kubricks Film und Loriots Sketch noch omnipräsent war, in den Hintergrund gerückt zu sein, doch als künstlerisches Sujet erfreut es sich weiterhin einer großen Beliebtheit.

So verspricht das Live Escape Room-Erlebnis Schutzraum 13 des Unternehmens Claustrophobia Berlin gleichermaßen ein postapokalyptisches Abenteuer par excellence, das nicht nur einen großen Spaßfaktor zusichert, sondern eine immersive Erfahrung ermöglicht, die einem Survival-Training, im wahrsten Sinne des Wortes, gleichkommen mag. Vorbereitung auf den Überlebenskampf lautet die Devise. Doch während sich viele Filme offenbar ausschließlich mit der Idee des Schutzkellers zur Überlebenssicherung befassen und eine drohende Katastrophe präsentieren, wird in diesem Live Escape Room das Leben nach der Apokalypse und der Kampf zurück in eine alte Ordnung thematisiert.  Live Escape Room Games scheinen einen weltweiten Boom zu erfahren, da die Verbreitung und Popularität in den vergangenen Jahren enorm gestiegen ist. [2] Das Prinzip sollte bekannt sein: Häufig als interaktives Abenteuererlebnis betitelt, muss eine Personengruppe eine Reihe von Rätseln und Aufgaben lösen, um sich buchstäblich aus dem Raum heraus zu spielen. Und das noch unter Zeitdruck! Darüber hinaus stellt eine thematische Vielfalt sicher, dass der Besuch solcher Erlebnisräume fortwährend gewünscht und die Bindung der Konsumierenden an die Branche gesichert ist.

Im August 2014 besuchte ich mit meiner Gruppe den Live Escape Room Schutzraum 13, dessen Standort in einem der größten Einkaufszentren Berlins, dem Alexa am Alexanderplatz, zwar etwas fragwürdig erschien, allerdings einen starken Kontrast zu dem gebotenen Erlebnis darstellte. Nach einer kurzen Instruktion der Spielleiterin betraten wir aufgeregt und mit klopfenden Herzen die Räumlichkeiten dieser postapokalyptischen Welt – es war unsere erste Escape Room-Erfahrung!

Abb. 01 Flyer Claustrophobia Berlin. Mit freundlicher Genehmigung der Urheber*innen.
Abb. 02 Flyer Claustrophobia Berlin. Mit freundlicher Genehmigung der Urheber*innen.

Nachdem die erste Aufregung verflogen war, versuchten wir uns rasch zu orientieren und loszurätseln. Obgleich das Mobiliar quantitativ minimal gehalten wurde, letge die Raumgestaltung viel Wert auf einen futuristisch angehauchten Detailreichtum. Dieser äußerte sich visuell, akustisch und haptisch: ein permanentes, dumpfes Dröhnen, schummrige Beleuchtung und das fast schon hypnotische Kreisen eines Wandlüfters sorgten für ein beklemmendes, klaustrophobisch anmutendes Gefühl. In einer Sitzecke befand sich ein altes Radiogerät, an dem wir verzweifelt eine Frequenz und somit einen mutmaßlichen Hinweis suchten, gefährliche mit Biohazard-Warnzeichen ausgewiesene Pflanzen und ihre Behälter wurden– natürlich vorschriftsmäßig mit Atemschutzmaske – durchwühlt und die Verwendung eines Gewehrs à la Mad Max sorgten obendrein für ein intensives Spielgefühl. Das Eintauchen in dieses Ambiente erfolgte durch diese Synästhesie ganz unwillkürlich, und da fast jedes Objekt bewegbar oder benutzbar war, erprobte man mehrere Kombinationsmöglichkeiten und überlegte sich stetig neue Herangehensweisen.

Trotz alledem lag die Konzentration vorrangig auf der Bewältigung der Rätsel, wodurch eine intensive Kontemplation über die Thematik und die eigenen Gefühle während des Erlebnisses in den Hintergrund gerückt wurde. Einige dekorative Objekte wie das Nuka-Cola-Reklameschild und der volle Getränkeautomat der gleichen Marke regten jedoch, aufgrund ihrer direkten Referenz auf die Computerspiel-Serie Fallout, kurz zum Schmunzeln an. Schließlich ist Nuka-Cola in dieser Serie DAS Erfrischungsgetränk der postapokalyptischen Welt! Mittels solcher Referenzen bauten die Gestalter*innen des Escape Rooms permanent kleine imaginäre Distanzen ein, wodurch eine totale Immersion, laut unserer subjektiven Erfahrung, nicht erlangt wurden. Eine totale Immersion ist, laut Jörg Schweinitz, grundsätzlich eher als eine Wunschvorstellung zu betrachten und nie völlig erreichbar. [3] Zum Glück, denn wer will sich tatsächlich in einer derartigen post-apokalpytischen Welt wiederfinden?

Kann das Spiel dennoch als eine Art Survival-Training betrachtet werden? Dieser Terminus erscheint eher inadäquat, da weder reale Zustände reproduziert noch Strategien für den Überlebenskampf eingeübt wurden. Das bloße Rätsellösen hatte wie in jedem Escape Room Priorität. Allerdings wurde ein anderer Nutzeffekt durch diese Erfahrung induziert. Katja Kwastek hält im Zusammenhang von Immersion und virtueller Realität Folgendes fest:

[…] in the context of mediated environments, immersion does not necessarily require a mimetic representation of the physical world and a remodeling of its principles but may instead be staged as a journey through alternative worlds that offers experiences different from those present in our everyday lives. [4]

Das Hineinversetzen in andersartige Situationen – diesen Zweck erfüllte das Erlebnis von Schutzraum 13. Als eine ludische Immersion konzipiert, bewirkte es phasenweise ein völliges Präsenzerleben. Doch letztlich wurde eine intensive Reflexion erst im Zuge einer räumlich-distanzierten Positionierung, durch das Verlassen des Escape Rooms, möglich. Statt Antworten zu liefern oder als direktes Survival-Training zu fungieren, wurden Debatten und Fragen initiiert: Wie würde tatsächlich ein Leben in einer postapokalyptischen Welt aussehen? Wie würden Menschen, die noch nie das Sonnenlicht gesehen haben, beim erstmaligen Heraustreten an die Erdoberfläche reagieren? Vermutlich ähnlich geschockt wie wir, denn das grelle, laute Shopping-Center wirkte nach unserer Rückkehr plötzlich befremdlich. Das Survival-Training blieb somit aus. Dennoch, im Gegensatz zu jedweder Filmerfahrung vermittelte diese leibliche Erfahrung, die sich besonders mittels partizipativen, sensorischen oder räumlich-gestalterischen Effekten bemerkbar machte, ein intensiveres Erleben einer imaginären, postapokalyptischen Welt. Natürlich muss eine Antwort noch gegeben werden: Nein, wir haben es leider nicht rechtzeitig aus dem Schutzkeller geschafft! An dieser Stelle hält das Unternehmen aber sein Versprechen: Trotz missglückter Mission blieb dieses Erlebnis unvergesslich. [5] So können wir abschließend nur hoffen, dass dies bloß ein Spiel bleibt und wir von einer jahrzehnte- oder jahrhundertelangen Schutzraum-Erfahrung verschont werden. Denn wie sich jüngst im Verlauf der Covid-19 Pandemie gezeigt hat, macht eine Isolation in solchen engen Räumen keinesfalls Spaß. Sollten jedoch weitere Krisenzeiten, die einen Schutzraum de facto erfordern, auf uns zukommen, sei abschließend – als kleiner Silberstreif am Horizont – der Hinweis des K2000-Verkäufers gegeben: »Wenn draußen ganze Kontinente unbewohnbar werden, dann sitzt man ganz ungestört in seinem K2000 und hat sein privates kleines Reich, das einem keiner mehr nehmen kann!« [6]

Direktnachweise

[1] Loriot, »Der K 2000«, Loriot. Die vollständige Fernseh-Edition Disc 2.

[2] Vgl. Kroski, Escape Rooms and Other Immersive Experiences in the Library, S. 3f.

[3] Vgl. Schweinitz, »Totale Immersion und die Utopie von der virtuellen Realität. Ein Mediengründungsmythos zwischen Kino und Computerspiel«, S. 141.

[4] Kwastek, »Immersed in Reflection? The Aesthetic Experience of Interactive Media Art«, S. 68.

[5] Vgl. Klaustrophobie CMP GmbH, Das neue Escape Room Game in Berlin, Flyer des Claustrophobia Berlin.  

[6] Loriot, »Der K 2000«.

Quellenverzeichnis

Kroski, Ellyssa, Escape Rooms and Other Immersive Experiences in the Library, Chicago: American Library Association 2019.

Kwastek, Katja, »Immersed in Reflection? The Aesthetic Experience of Interactive Media Art«, in: Immersion in Visual Arts and Media, hrsg. v. Fabienne, Liptay/Burcu, Dogramaci. Leiden/Boston: Brill 2016, S. 67-86.

Schweinitz, Jörg, »Totale Immersion und die Utopie von der virtuellen Realität. Ein Mediengründungsmythos zwischen Kino und Computerspiel«, in: Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion. Zur Teilhabe an den Medien von Kunst bis Computerspiel, hrsg. v. Britta, Neitzel/Rolf F., Nohr. Marburg: Schüren 2006, S. 136-153.