Begegnung von Kunst und Immersion bei Edward Munch

Ein Essay von Jonas Löffler

Der Terminus ›Immersion‹ wird in vielerlei Hinsicht etwas zu oft benutzt. »Enter an immersive experience!«, »An immersive adventure awaits!« oder »Immersion without boundaries«, so klingen typische Marketingstimmen, die es sich zur Aufgabe machen, die Konsument*innen so eindringlich wie möglich auf ihr Produkt einzustimmen. Dabei ist die Immersion nur eine Idee, etwas das man nicht kaufen kann, sondern sich erarbeiten oder verdienen muss. Immersion ist ein sehr subjektives Thema, welches sich ständig neu entwickelt und damit mehr denn je versucht, an ein objektives Kollektivgefühl zu appellieren. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass Immersion von allen Konsument*in oder Betrachter*in empfunden wird, ganz zu schweigen vom Kunstwerk selbst.

Nehmen wir als einfaches Beispiel einen 500 Seiten umfassenden Roman und einen zwei Stunden andauernden Kinofilm über diesen Roman. Beides sind Kunstwerke, die dazu einladen wollen, sich in ihren Geschichten zu verlieren und eine Beziehung zu ihren Charakteren oder Plots aufzubauen. Die vermeintliche Immersion des Buches wird komplett der Leser*in und dessen Fantasie überlassen. Ein Kinofilm kann aus dieser Buchvorlage Einiges entziehen und in Bilder und Töne übersetzen. Somit sind die Betrachter*innen nicht mehr unbedingt auf ihre eigenen Fantasien und Regeln angewiesen. Ein Film macht den Einstieg in die Immersion also vermeintlich zugänglicher. Das ist aber keinesfalls die Regel. In unserer westlichen Kultur ist Kino und Filmstreaming zu einem alltäglichen Event geworden. Auch wenn das Filmstreaming für die einzelnen Betrachter*innen gut funktioniert, so ist zumindest das Kino ein Ort für mehrere Menschen gleichzeitig und es kann eine Art von Gemeinschaftsgefühl erzeugen.

Meine eigene Erfahrung hat sich in einem ähnlichen Umfeld abgespielt: Mehrere Menschen, die still und bedacht etwas anschauen. Die Zahl dieser anwesenden Menschen war für diese Erfahrung nicht unwichtig. Meine Erfahrung mit Immersion findet in einem Museum über den Maler Edward Munch statt. Das Kunstsubjekt ist eine Installation, eine Statue, auf der Projektionen mittels Lichttechnik eingespielt werden. Ein relativ großer Raum, mittendrin das Subjekt und drumherum Menschen. Der Raum befindet sich am Ende des Museums und ist der letzte Stopp vor dem Ausgang. Jede Besucher*in des Museums ist dem Kunstsubjekt mehr oder weniger ausgeliefert, weil es unübersehbar und auffällig ist. Der etwaige »Museums-Connaiseur« bleibt sowieso stehen, die Anderen laufen durch den Raum, kommen aber nicht umhin, sich das in der Mitte befindliche Kunstwerk anzuschauen. Während sich ein Kreis um das Werk bildet, werden verschiedene Wörter, kleine Anekdoten und sogar Textpassagen über die Statue und den gesamten Raum projiziert. Wer länger stehen bleibt, bekommt die Chance auf eine Reise in die Vergangenheit und Zukunft des Künstlers. Schnell wird klar, dass der Künstler bis zu seinem Tod eine körperlich und psychisch geplagte Person war, was im Moment der Offenbarung jedoch wenig Eindruck macht. Der Gedanke, dass Kunst von ihren Künstler*innen getrennt werden sollte, wird dadurch ziemlich herausgefordert. Plötzlich wird mir klar, dass vermeintlich jede sich im Raum befindende Person ein persönliches Kriterium und vielleicht sogar Urteil beim Betrachten des Objekts aufbaut. Die Immersion zum Kunstsubjekt entsteht dann durch die kollektive Betroffenheit, Wertschätzung und Ahnungslosigkeit. Der Künstler selbst steht in diesem Raum metaphorisch im Mittelpunkt. Ein Schrein, eine Gedenkstätte, die durch Licht und betrachtende Menschen geschmückt ist. Dieser letzte Raum macht den gesamten Museumsbesuch zu einer Lebenssimulation von und über den Kunstschaffenden.

Abb. 01

Das Kunstobjekt ist eine Statue Edward Munchs. Dessen ›Körper‹ und Umfeld wird übersäht mit Begriffen wie ›Liebe‹, ›Hass‹, ›Depression‹, ›Flucht‹ und ›Gnade‹. Das sind nur einige der vielen Wörter, die versuchen, den Maler zu beschreiben. Die Projektionen schwirren im Raum herum und müssen sogar verfolgt werden, wenn das Interesse, sie zu lesen, groß ist. Die Besucher*innen des Museums reagierten mit Abstand zum Kunstwerk selbst, um dem Licht- und Textschauspiel Raum zu lassen.

Jedoch hält der Raum nicht nur durch die Projektionen ein allgemeines Bewegungsgefühl aufrecht. Durch die ordentlich große Statue (mindestens drei Meter hoch) wird sie von den Betrachtenden meist langsam umgangen. Die Detaillastigkeit des Objekts, so macht es den Anschein, wird im Kontrast zu der Lichtshow vielen Besucher*innen zum Verhängnis werden. Denn auch wenn Licht und Texte auffällig sind, so stehen sie nicht im Mittelpunkt der Installation.

Ob Mundpropaganda und Marketing in Bezug auf immersive Erfahrungen wichtig sind, sei jedem selbst überlassen, dennoch können sie zumindest dazu einladen, sich die Erfahrung selbst zu gestalten und das ist es, was Immersion letztendlich ausmacht. Durch die persönliche und eigene Erfahrung bleibt Immersion und die dadurch entstehende Reflexion ein stilles Vorgehen. Pauschal kann man nicht immer sagen, ob ein Kunstsubjekt besser zur Immersion beiträgt als andere. Je nach Subjekt sind die Wahrnehmungen von Immersion und Reflexion different.