Homohalal

R: Ali M. Abdullah, Werk X, 16. Mai 2019

Dissertationsdesiderate und wenn Sie noch nüchtern sind, gehen Sie in „Homohalal“ (André Hulkottpach)

Wissen Sie, dass Tauben durch die Katakomben des Wiener Hauptbahnhofs fliegen? Dürfen die das überhaupt? Sollen die doch mal schön dort bleiben, wo sie herkommen, aus dem Himmel nämlich. Es ist eine Frechheit, wenn diese überprivilegierten Flugwesen dort herumlungern, wo der erdgebundene Mensch haust, dem der Flügelschlag nicht in die Wiege gelegt worden ist. Wer Privilegien besitzt, der muss sie nutzen, sonst klage ich ihn der Dekadenz an!

Hier am Hauptbahnhof trifft sich auch die Donnerstagdemo und marschiert diesmal zum Thema Religion. Parallel dazu läuft „Homohalal“ im Meidlinger Werk X, während parallel DAZU das deutschsprachige Feuilleton zum Tode von Wiglaf Droste kondoliert, dem Satiriker und Opinionleader westfälischer Abkunft. Was hätte Droste zu „Homohalal“ gesagt? Die Frage bleibt unbeantwortet, bis jemand dazu eine seitenreiche und folgenlose Dissertation verfassen wird.

„Homohalal“!? Da schießt Ihnen bestimmt sofort in den Kopp: Aha, jaja, es geht um Schwule und den Islam. Und wie die zueinanderstehen. Weißmanja, die stehen querbeet. Und wusch! habe ich Sie an der Moralkapuze. Denn haben Sie bedacht, dass „homo“ auch „Mensch“ bedeutet? Nun gut, Sie haben vollkommen Recht, natürlich geht es um den schwulen Österreicher Jamal und seinen austrizierten Iraki-Vater Said, dem das Ganze nicht in den Kram passt. Um ehrlich zu sein, darum geht es in der ersten Szene, danach versammelt sich die Mischpoke zur Beerdigung von Abdul. Statt am offenen Grab finden das Prozedere und der Zank, der sich bald zeigt, an einem handelsüblichen Swimmingpool statt. Dieser setzt abfrischende Akzente. Dass der Pool eine Bedeutung hat, ist klar, aber von nicht bindender Relevanz für das Stück. Wohlstandsluxus, Wellnessbiedermeier, Mittelmeer, you name it. Die Poetologie des Wassers ist ein Fach für sich, auch hier bieten sich mannigfaltige Dissertationsdesiderate an.

Das Setting: Österreich im Jahr 2037, ein Jahr zuvor gekürt zum „menschenfreundlichsten Land der Welt“. Irgendwie sympathisch. Ein vollendetes Utopia wird uns noch nicht aufgetischt, aber der Shaitan wird auch nicht an die Wand gemalt. Vielmehr sehen wir ein Österreich, das nicht vollends vor die Hunde gegangen ist. Bravo! Im Gegenzug wird in der Retrospektive die Vergangenheit kritisiert. Ein linker Hieb gegen die türkis-schwarze Funktionsheirat, eine Backpfeife für und gegen das Gutmenschentum.

Die Familie Said-Ghazala-Jamal wartet am feuchten Grab. Barbara stößt hinzu, ein Charakter irgendwo zwischen Hobby-Imamin, Yogalehrerin und Gutmenschnaivling. Hinzu kommen Goldketten-Umar, syrischer Ex-Geflüchteter mit Hang zum Schenkelklopfer und Albertina, deren Wertvorstellungen so humanistisch sind wie ihr Vorname. Natürlich Abdul. Ein Gesicht wie das Kind von John Goodman und Achim Mentzel. Mit Felix Lobrecht: Abdul „ist die Art Ausländer, die Linke immer in Erklärungsnot bringen.“ Und finalmente steht da noch Johnny auf der Bühne, der syrische Flüchtling, der 2013 nach Österreich kam und als Feigenblatt dem fluchtarmen Theater-Cast etwas Kredibilität verleihen soll. Die Figur Johnny weiß natürlich um seinen prekären Feigenblatt-Status und möchte am liebsten Shakespeare rezitieren. Johnny wird gespielt von Johnny Mhanna, einem syrischen Geflüchteten, der 2013 nach Österreich kam. You see, what I did there?

Der Clash der wandelnden Klischees ist vorprogrammiert und der entstehende Funkenflug prickelt und sticht angenehm. Aber dürfen die das überhaupt? Ist es nicht eine Frechheit, wenn diese überprivilegierten, weißen Schauspieler … ich stimme Ihnen vollkommen zu. Aber leider stellte es eine große logistisches Hürde dar, syrische und irakische Flüchtlinge aus dem Jahr 2037 in unsere Gegenwart zu importieren.

„Homohalal“ ist eine kurzweilige Tragikomödie. Mit einem unbeschnittenem Pimmel. Mit moralischen Ansprachen. Mit Slapstick. Und irgendwas mit Integration. Nur manchmal zeigt sich die Müdigkeit des Ensembles, die das Stück nicht mit ersten Mal spielt. Ich empfehle deshalb allen Menschen, die eine Zeitmaschine besitzen, die Aufführungen aus dem Jahr 2018 zu besuchen. Und bitte erzählen Sie mir dann wie es wirklich im Jahr 2037 aussieht. Leben dann immer noch Tauben im Wiener Hauptbahnhof?

„Es hat sich ausgehabibit.“ (M. Z.)

Mit der Exposition durch eine Erzählperson wird das Publikum direkt in die Inszenierung „Homohalal“ von Ali M. Abdullah eingeführt: Der Schauspieler erzählt von seinem Fluchthintergrund, seiner Integration in Österreich und dass er nur sich selbst repräsentiere, keine einheitliche Flüchtlingsmasse aus Syrien. So weit, so akkurat, und zeitpolitisch relevant.
Nach und nach folgt die Einführung der restlichen Charaktere, heteronormative Weltanschauungen werden thematisiert und der erste Schlagabtausch zwischen dem fiktiven Ehepaar über ihren schwulen Sohn Jamal findet statt – ein Sujet, das offensichtlich auch noch im Jahr 2037, in dem sich das Stück situiert, zu Diskussionen führt.
Man findet sich auf einer Trauerfeier wieder, es wird besprochen, was haram ist und die Situation eskaliert nach kurzer Zeit. Es fallen Schlagworte wie Wohlstandslangeweile, der Geist des Opportunismus, Nivellierung, und es wird hervorgehoben, dass geflüchtete Menschen weder idealisiert noch grundlos an den Pranger gestellt werden dürfen.
Die Message ist deutlich und die Gesellschaftskritik des Autors Ibrahim Amir mehr als berechtigt, doch leider erfährt die Komödie nicht mehr Tiefgang als wenige ernste Momente. Das Stück arbeitet zwar durch krasse Überzeichnung, um seinen politischen Standpunkt zu verdeutlichen, jedoch fallen die Sprüche dennoch häufig zu seicht aus: Man arbeitet mit flachen Wortwiederholungen und Durcheinanderreden für den komödiantischen Effekt und setzt für Lacher auf untergriffige Beleidigungen, Deine-Mutter-Witze sowie sexuelle Anspielungen. Vielleicht braucht es einfach die richtige Sorte Humor, um Spaß daran zu finden.
Der selbstreferentielle Charakter des Stücks funktioniert sehr gut, die schnellen Wortwechsel sitzen und das Schauspielensemble ist gut aufeinander eingespielt. Der Pool als Hauptteil der Bühne dient als reine Pointe und hat keine narrative Funktion, genauso wenig wie die unbegründete Nacktheit – zwei Mittel, die eher aufgrund inszenatorischer oder inhaltlicher Notwendigkeit und weniger der Effekthascherei wegen eingesetzt werden sollten.
Die Gesellschaftskritik ist berechtigt und die politischen Ansichten dienen zweifellos als Identifikationspunkt. Die Witze selbst sind jedoch zu plakativ und trivial und die Tadel ans Gutbürgertum fallen stark moralisierend aus.
Alles in allem kann es ein amüsierender Theaterabend werden – wenn man den richtigen Humor dafür besitzt.

Haram gleich Illegal (Peanut)

„Homohalal“ erzählt von der ambivalenten Vielschichtigkeit der österreichischen Haltung zu Flüchtenden, die in das eigene Land kommen wollen, um Schutz zu suchen. Abseits von Euphemismen und Beschönigungen wird der längst schon durchinstrumentalisierte Begriff der Menschlichkeit, aus dem Kokon der einseitigen medialen Berichterstattung entlassen, um die Bandbreite der gegenwärtigen interkulturellen Differenzen und Irrtümer aufzufächern.
Weniger geht es Ali M. Abdullah um die eindeutige politische Positionierung, als darum, Flüchtende in ihrer gesamten Fasson zu begreifen: Als Menschen die toben, lieben und lügen. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist eine interkulturelle Dreiecksbeziehung, in der Fehler aus falschem Stolz und hinterfragbaren Überzeugungen gemacht wurden. Die österreichische Barbara wollte den Flüchtling Said nicht heiraten um „nicht klassisch zu werden“ und sich dem Patriarchat auszuliefern: Als Folge wird Said auf Grund der fehlenden Staatsbürgerschaft in den Irak abgeschoben, wo ihn Grauen und Folter erwartet. Er kommt wieder zurück nach Österreich, heiratet eine Freundin von Barbara und kriegt ein Kind. Das sein eigener Sohn schwul ist macht Said schwer zu schaffen – Als Muslim mit mehreren Affären ist er nach dem Koran jedoch auch nicht frei von Schuld.
Die Produktion läuft bereits seit knapp eineinhalb Jahren und durch die Referenzen über Köln, den Westbahnhof oder Traiskirchen fühlt sich die Inszenierung wie ein kleines Stück Zeitgeschichte an. Mit derben Humor und viel Spektakel reitet das Stück von einer Pointe zur Nächsten und bleibt dabei grundsätzlich kurzweilig. Am gestrigen Abend wurden zwei Schauspieler*innen aus dem ursprünglichen Ensemble ausgetauscht – viele der Witze, die gemeinsam im Entstehungsprozess entwickelt wurden, schienen nicht länger zu funktionieren. Generell wurden Kolleg*innen überschrien, abgeschnitten und sich nicht ausreichend Zeit gelassen, um die Pointen und den physischen Humor richtig zu setzen.

Humorvolle Kritik oder kritischer Humor? (JW)

Ein Zeitsprung ins Jahr 2037 offenbart ein menschenfreundliches Österreich, in dem nicht alles so perfekt ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Den Theaterabend eröffnet Johnny, ein syrischer Flüchtling, der aus der ersten Reihe auf die Bühne – bestehend aus einem riesigen Swimmingpool – tritt. Er ist und bleibt das Stück hindurch eine ausgestellte Figur, die irgendwie dennoch nirgendwo ganz ihren Platz findet – Johnny sitzt zwar im Publikum, ist aber kein Teil davon; er versucht sich ins Stück einzubringen, scheitert aber wiederholt. Er ist eine Mittlerfigur und gleichzeitig die Legitimation dafür, dass andere über das Thema Flucht reden, sagt er doch selbst, dass er seine Geschichte schon 2000 Mal auf der Bühne und 3000 Mal abseits der Bühne erzählen musste und nicht als Symbol für Geflüchtete stehen möchte.
Nach dem Eröffnungsmonolog geht es rund: Said kann nicht akzeptieren, dass sein Sohn Jamal schwul ist, seine Frau Ghazala versucht ihn zu beruhigen. Eigentlich ist man außerdem gerade auf einer Trauerfeier, Abdul ist gestorben und man möchte sich von ihm verabschieden. Seine Witwe Albertina freut sich über den vielen Alkohol, während Barbara („Bärbärai“) verzweifelt versucht ihrer Rolle als Imamin gerecht zu werden, von den Anderen aber regelmäßig übergangen wird. Umar, ebenfalls ein Geflüchteter, reißt gerne Witze. In dem ganzen Trubel wird der eigentliche Grund – die Trauerfeier – bald zur Nebensache, denn man erinnert sich an die Zeit 2012, als man sich kennengelernt hat in der Votivkirche. Diese zweite zeitliche Ebene wird in Form von live aufgenommenen Videobeiträgen an die Wand projiziert.
Und fröhlich weiter geht das Gezanke! Denn die vermeintlichen Gutmenschen sind ja damals auch nur deshalb helfen gekommen, weil sie sich in ihrem Wohlstand fadisiert haben. Geschichten von vor über 20 Jahren werden wieder ausgegraben und neben den aktuellen „Problemen“ der Figuren diskutiert.
Ein aktuell gesellschaftspolitisches Thema mit den Mitteln der Komik aufzugreifen ist ein gewagtes Unterfangen, gelingt hier aber ganz fantastisch. Mit unkonventionellen Mitteln schafft Abdullah es, eine rasante Komödie zu inszenieren, die wahrscheinlich gerade durch ihre Leichtigkeit das Publikum sehr gut abholen und zum Nachdenken anregen kann. Neben schwarzem Humor, wahllosen Beleidigungen und seichten Bemerkungen geht die Thematik des Stücks doch nie verloren. Ausgeteilt wird nach allen Seiten, sowohl auf politischer Ebene als auch gegen die Figuren. Statt der angekündigten 120 Minuten dauerte das Stück nicht einmal 90 Minuten – viele Stellen schienen verhudelt, die Schauspieler*innen fielen sich auch häufig gegenseitig ins Wort. Dadurch wurde das Stück auch wieder lebendiger und wirkte noch aufgeheizter und dringlicher.
Wer Angst vor ein paar Wasserspritzern hat, sollte es sich vielleicht nicht in der ersten Reihe, sondern erst ab der weiten bequem machen und den Schlagabtausch genießen.

Ein Sprung ins kalte Wasser (Caroline Mauser)

16.05.2019 – Während sich das Publikum auf die Plätze begibt, ertönt eine liebliche Melodie aus den Lautsprechern. Vor aller Augen wirkt die hölzerne Bühne wie ein pompöser Swimmingpool inmitten einer kahlen, grauen Halle. Als das Lied aufhört, steht ein Mann aus der ersten Reihe auf. Johnny Mhanna erzählt über seine Flucht aus Syrien, wie er in einem Gummiboot die Menge der Personen abzählt. Er sei Schauspieler und fast jedes Theater in Wien brauche nun mindestens einen Performer mit Migrationshintergrund. Als Johnny das Publikum offiziell in die Zukunft versetzt – Wien, 2037 – stehen weitere Personen aus der ersten Reihe auf. So beginnt die Vorstellung von „Homohalal“.
Die Handlung erzählt sich wie folgt: Sechs Freunde und (Ex-)Paare kommen bei der Trauerfeier anlässlich Abduls Tod wieder zusammen. Mit dabei ist der anfangs in Rage versetzte Said, der nicht akzeptieren möchte, dass sein Sohn homosexuell ist. Seine Frau Ghazala versucht auf ihn einzureden, sein Sohn Jamal verlangt von ihm Toleranz. Die aufgelöste Witwe Albertina schmeißt versehentlich den Trauerkranz in den Pool und möchte sich eigentlich nur noch betrinken. Schließlich kommen noch die ehemalige Katholikin Barbara mit der Urne und das Partytier Umar hinzu. Um den Swimmingpool herum erzählen sie von ihren privaten Dilemmas und den vergangenen Erlebnissen. Ein Rückblick auf die Ausschnitte des Refugee Prostest Camp im Jahre 2012. Dort, wo sich alle kennen und lieben gelernt haben. Als der tot geglaubte Abdul erscheint verdickt sich die Atmosphäre in ein aufgeladenes Erzählchaos. Radikale Maßnahmen und erschreckende Erlebnisse werden in einem vulgären Wortgefecht aufgedeckt, wo keiner von den zu sehenden Figuren gut abschneidet. Schnell entpuppt sich, dass bei den gemeinsamen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Spielen mehr Menschen verärgert wurden als geglaubt.
Diese Performance lebt vom Spiel mit dem Publikum. Einerseits mit der ständigen Durchbrechung der Fiktion. Johnny selbst, der zum Publikum blickend Hamlet zitiert, dient hierbei als Leitfigur sobald die Performance wieder zurück in die Realität gelangt. Eiligst wollen die Schauspieler*innen ihn unterbrechen. Durch den Anfangsmonolog wird im Laufe der Geschichte klar, dass Johnny eigentlich der einzige ist, der tatsächlich was von einer Flucht aus Syrien erzählen kann. Doch stets wird er beiseite geschoben, physisch wie auch verbal. Und gleichzeitig wird er dermaßen auf ein Podest gehoben, dass er entscheidet gar nichts mehr von seinem Leben erzählen zu wollen: „Ich will das nicht mehr erzählen, ich bin nicht Syrien.“ Denn dies ist eine der zentralen Thematiken von „Homohalal“: Geflüchtete Menschen nicht auf den Podest heben und sie als Repräsentation eines ganzen Staats hinstellen. Sie als Menschen ansehen, für das was sie sind. Und dazu gehören auch die schlechten Seiten, sowie ihr Aufdecken.
Andererseits ist das Spiel mit dem Publikum auch in der politischen Unkorrektheit zu sehen. Denn hier sprechen scharfe Zungen über Tabuthemen, reißen kontroverse Witze und bringen nachdenkliche Stigmen empor. Kein Blatt wird vor dem Mund genommen, was für ein mulmiges Gefühl sorgt. Hinzu kommt auch noch das Whitewashing der Schauspieler*innen für arabische Figuren. Doch das könnte auf eine beabsichtige Entscheidung zurückführen. Die Frage ist dennoch, wer in der Position des Urteils steht und wie diese repräsentiert wird.
Mit Humor wird eine zeitgenössische politische Aufladung wiedergeben, die manchmal zu viel des Slapsticks aufweist. Oder vielleicht, suggeriert diese Performance, man muss auch solche harten Themen mit komödiantischen Mitteln einhüllen, um sie besser an das Publikum zu bringen. Ibrahim Amir selbst meint, dass das Leben doch verdammt komisch sei. Er flüchtete von einem faschistischen Regime, um wieder in einem Anderes zu landen, spricht er im Programmheft.
„Homohalal“ verteilt harte Schläge an beide Enden des politischen Spektrums. Die linken Willkommenskulturvertreter tragen ihren Beitrag doch eh nur aus Wohlstandslangeweile bei und die rechten Panikmacher predigen wie in einer unsinnigen Endlosschleife von einer Invasion der islamistischen Bevölkerung. Der Schlussmonolog ist mehr als kontrovers und lässt einen bitteren Nachgedanken zu: Spiegeln diese Worte die heutigen politischen Zeiten wieder? Leider ja. Denn wo die, die als „Ausländer“ gelten, zum Sündenbock gewählt werden, die Bevölkerung polarisiert und mit dem unverständlichen Gedanken an einem Zerfall des europäischen Gedankenguts herumgewirbelt wird, dort hat Faschismus seinen Anklang gefunden. Diese Inszenierung mit der Ladung an aufgeheizten Thematiken regt mehr als nur zum Nachdenken an, sie führt zu einer kritischen Diskussion der heutigen Politik in den Gedanken des Publikums. Und doch muss man sich dabei stets in Erinnerung rufen: Keine Bevölkerung ist aufgrund radikalen Taten von Einzelnen in ein radikales Gesamtbild einzutauchen. Wir sind Menschen, mit unseren guten und schlechten Seiten.

Europa ist in Gefahr – Nachtkritik zu Homohalal (N.M.)

In den Strassen Wiens hängen Plakate für die Europawahlen, jegliche Richtung an Politiker*innen rufen die Wähler*innen an die Urne. Währenddessen wird im Werk X eine politisch sehr explizite Inszenierung von Ibrahim Amir gezeigt. Die endenden Worte hallen durch den Raum: „Europa ist in Gefahr“. Es besteht die Notwendigkeit zu handeln, denn „irgendjemand muss den Müll entsorgen“. In eine Komödie verpackt erwartet den und die Zuschauer*in in „Homohalal“ ein politisches Statement, das es in sich hat und sicher kein Blatt vor den Mund nimmt: „geht’s auf die Strasse und bekämpft die Regierung“. Diese Aufforderung richtet sich gezielt an das anwesende Publikum. Durch eine Kamera hindurch blickt die Schauspielerin, gross projiziert von der Wand herab, direkt in unsere Augen. Die türkis-blaue Regierung Österreichs wird während der Aufführung einige Male adressiert und die nazifizierte Polizei bleibt nicht unerwähnt. Das Versagen der österreichischen Politik, welche keine Antworten auf die drängenden Fragen zu finden scheint, wird verknüpft mit dem mehrfachen Zerreißen der vierten Wand, um konkrete Ansprachen möglich zu machen. Die Kaffee schlürfenden Falterleser*innen sollten sich hinter den Zeitungen hervor und auf die Strasse begeben, genauso wie die Zuschauer*innen die im Moment in den Sitzreihen gemütlich Platz genommen haben. Denn, das wird am Ende des Stückes klar, wenn man eines nicht zulassen darf, dann ist es die bereits etablierten Werte wie Pressefreiheit, fallen zu lassen. Der ORF hat im aktuellen Kontext ja offensichtlich seine Probleme damit.
Zu Beginn der Aufführung überrascht aber erst einmal der Auftritt des ersten Schauspielenden, Johnny Mhanna, da er lautlos aus den Zuschauerrängen auf die Bühne tritt. Er beginnt seine, schon viel zu oft erzählte Fluchtgeschichte in kurzen Sätzen vor den Zuhörerinnen und Zuhörern auszubreiten. Aus dem Moment heraus, dass er sie nun wirklich schon genügend erzählt habe, wird die Geschichte, die sich anschließend auf der Bühne entwickeln wird von österreichischen Schauspielern und Schauspielerinnen dargestellt und außerdem in die Zukunft gesetzt; nämlich ins Jahr 2037. Das Setting, die Trauerfeier von Abdul, bringt alte Freunde nach langer Zeit wieder an den gleichen Ort und Erinnerungen werden wach. Die Freunde, bestehend aus Geflüchteten und zwei Österreicherinnen, hatten sich in der ersten Fluchtwelle kennen gelernt und standen Seite an Seite in der Revolution für Integration. Der im Grunde, um es salopp zu sagen, traurige Grund für das Treffen wird durch Flachwitze und Wortspielpointen zu einer wirklich unterhaltsamen Angelegenheit. Auch der Pool, welcher das Bühnenbild prägt, wird kräftig bespielt und der Sekt fließt in Strömen. Durchaus ist, bereits von Beginn an, der Tiefgang des Stückes zu spüren, denn bei aller Leichtigkeit der Komik werden Themen wie Homophobie und Begräbnistraditionen des Islams, Momente der Abschiebung und Ehekrisen verhandelt. Die Vergangenheit der Figuren auf der Bühne lässt sich nicht leugnen und so kommen alte Geschichten wieder an die Oberfläche des Bewusstseins. Um diese zweite Ebene auch deutlich im Bühnengeschehen hervorzuheben, befinden sich hinter dem Pool am Boden drei Mikrofone und eine Kamera, die das Bild an die Wand oben projiziert. In Großaufnahme beobachten wir die Rollenfiguren, wie sie betrunken gegen das System demonstrieren und wie erste Zärtlichkeiten ausgetauscht werden und Liebe aufkeimt.
Der Wendepunkt des Stückes ist erreicht, als der tot geglaubte Abdul unerwarteter Weise selbst auf der Bühne erscheint und das Machtzepter an sich reißt. In Wut und Enttäuschung erzählt er von der missglückten Racheaktion gegen die Rechten, welche ihn ins Gefängnis gebracht und ihm seine Freunde genommen hat. Die angezündeten Asylheime waren ausschlaggebend für die Aktion der Freunde. Den Rechten das Benzin unter die Nase zu reiben und sie damit den Gestank riechen zu lassen war ihr Plan; dass dabei eine Person in Brand geraten könnte, war es nicht. Das Bild wird dabei erst komödiantisch eingeführt, die Schauspielenden stehen im Pool und es wird vom Blatt abgelesen, wer was zu sagen hat und schön brav wiederholt. Es entsteht aber die real gewordene Erinnerung und Stimmen der Panik überschneiden einander: Wer hatte das Feuer gelegt? Hört man schon die Sirenen? Ist die Polizei schon im Geschehen? Der Ausgang dieser Aktion zeigt: Den Feind mit den gleichen Waffen schlagen zu wollen gelingt eben nicht. Den Populismus mit Populismus bekämpfen zu wollen ist nicht der geeignete Weg, um sich Gehör zu verschaffen und eine wahre Veränderung hervor zu rufen. Es gibt Kämpfe, die es wert sind, gekämpft zu werden. Schließlich haben sich die Prinzipien Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Pressefreiheit nicht ohne Kampf in Europa etabliert und diese Werte gilt es nun, unter anderem durch die Europawahlen zu beschützen.