Bildbeschreibung: „Schall ist flüssig“ von Wolfgang Tillmans

Von Wanda Wintschalek

Wolfgang Tillmans‘ Schall ist flüssig aus dem Jahr 2021 ist das titelgebende Werk der von November 2021 bis August 2022 im mumok zu sehenden Ausstellung. Die großformatige Fotografie (46,5 x 80,7 cm) fordert konventionelle Sehgewohnheiten heraus und kann all jenen, die sich darauf einlassen, als Schule des Sehens dienen. Mag die Landschaft auf den ersten Blick noch gewöhnlich wirken, wird sie bei genauerer Betrachtung umso faszinierender. Im scharf wiedergegebenen unteren Bildvordergrund ist ein dunkelgrauer Felsen zu sehen, auf dem teils strahlend grünes Gras wächst. Im unscharfen Bildhintergrund dagegen, erstreckt sich eine fast durchgängige, dunkelgrüne Dschungellandschaft. Nur am oberen Bildrand geben die Bäume den Blick auf den weiß-gräulichen Himmel frei. Der Hintergrund wirkt zunächst schlicht getrübt, doch offenbart sich bei genauerem Studium ein Regenschauer.

Wolfgang Tillmans, Schall ist flüssig, 2021 (64.5 x 80.7 cm)

Die eingefangenen Regentropfen legen sich, gleich feinem Staub, in kleinen Pünktchen über die Bildfläche. Sie eröffnen Assoziationen von Pixeln und Bildrauschen bis hin zu einem Meer aus Sternen. Der Künstler betont diesen Aspekt als Besonderheit: Wo sonst in Abbildungen und Darstellungen des Regens nur in Strichen gedacht wird, begegnen den Betrachter*innen hier Punkte. [1] Neben der Intention, Regen in seiner eigentlichen Erscheinung sichtbar zu machen – also ganz so, als würde er tatsächlich stattfinden und die Grenzen des Bildes sprängen – soll er auch akustisch vorstellbar werden. Den Schall, den dieser Regensturz wohl verursacht, stellt man sich ohrenbetäubend vor. Noch verstärkt wird diese Wirkung durch die gegenwärtige Situation der Klimakrise, deren fotografisch und filmisch dokumentierte Folgen uns auf zahlreichen medialen Kanälen – sei es das Fernsehen oder die sozialen Medien – zugetragen werden. Neben diesen bekannten Bildern der Verwüstung wirkt Tillmans’ Fotografie wie ein Portal in eine andere Welt. Die Natur ist hier mit sich alleine, man könnte glauben, es sei alles in Einklang und Harmonie. Die Gefährdung ist auf der Bildebene nicht sichtbar und erschließt sich nur über die Ebene der Konnotation. Der Klang des Regens verstummt – zugleich ist er markerschütternd. Es ist nicht zuletzt unser Wissen um ihre Verletzlichkeit, die Tillmans’ Natur zum Ereignis macht. Bleibt zu hoffen, dass der hinunterprasselnde Regen die Betrachter*innen nicht nur in eine Schreckstarre versetzt, sondern sie in einem weiteren Schritt auch aus ihrer Trance zu reißen vermag.

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[1] Zitiert nach: Intermezzo – Künstlerinnen und Künstler im Gespräch. Eine Schule des Sehens: Wolfgang Tillmans im Gespräch, R.: Christine Scheucher, Ö1, 28.11.2021.